Digitized by Google
i by Google
Biblitrtfjeft
ber
^ICnfetr^affuttg
nnb bea
WWens.
Dil Original- Beiträgen
ber
ijeruonagcudDeu 3d)rift|lcUcr uuii (Beleihten.
gaßrgang 1890 .
SÜltftfV prtllZ).
j • ** ■* ^ *
* * * + * .
* ^ J* -* -J 4 S J
• -»• / " , -
Stuttgart.
Verlaß oon ^ermann Sdjönlefna ülndjfolgec.
»-* • ,
/ 1 u V * ' ' ’ i r
/>
: %/ i «
Digitized by Google
Digitized by Google
3nljalts-tfer}eidjni|& ks fünften flank*.
Seite
Konella & So!) ne. SHoman non 3oljanne$ ©rnrner
(fjortfefeunq it. Seeluft) 5
3) er SJtoorgof. Ütornan non gerbinanb Hermann . 22
3)a§ JRät^iel oom $fap Eigner. Wouelle non 3M»
fjelm ®erger 105
3)ie heutigen grauen nor adjtje^nfounbe.rt
Saljrcn. ©ine gefdjicfjtlicfoe 99eri<$ttgung. $on
TI. SSerfo .173
2B i e linjere 9tci^§!ajicnid)cine entftetjeu. ©in
©lief in bie ©ebeimniffe ber ©apiergelbfabrifation.
SBon 91. ©ertf>olb 185
$)er grofee ^Inbiancrf rieg unter Pontiac. HÜto*
rifc^e Sfijje non ©eorg ©eorgi 196
91 efjnlidji fetten, ^riminalipifcije Stubie non 91. 0.
ßlaufcmann 211
2>er Hypnotismus al§ Heilmittel. Streijjug auf
etn umftritteneS ©ebiet. ©on 2f)eo Seelmann . . 224
2JZannigf altige§:
2>ie ©inlabung be§ $ai|'er§ 239
3)er 2elegrapl) im Jropenlanbe 242
Humor in jdpuerer ^cit 244
2)eutfd)er Minftlerfretmntfj gegenüber au§länbifd)er
©ttfette 246
ßalifornifdjer Weinbau 247
©leftmität unb ©erbrecfjeu 249
©eftrafte ©raljlerei 252
SBaljljprücfje unb Senilen 252
©ne fonberbare $rieg$l)ilfe 254
£oui§ ©lanc’S S)ebut al§ Sd)rift|teller .... 255
©in uralter 9tebu§ jc 255
SEßertb einer $rau 256
2?ot>eIla & Söfyne.
Homan
Don
gofiatttus gtnmet.
. (gorifefoung u.
(91ad)t>rmf bcrbottn.)
3 n bcn feftlidj gefdjmüdten Söartefaal trugen (Sarlo uub
©enbtner bie leblofc grau — in ber allgemeinen 5?er=
toirrung achtete ja 9liemanb auf fie, uub bann gab eg
überhaupt toenig Verfügbare 9iäumtidjfciten — uub betteten
fie forgfam auf bie ©ammetpolfter eineg großen 9Jul)c=
betteg, bag bot einem SSogquet bon Halmen unb t)od)=
ftämmigen 2l$ateen ftanb.
Arbeiter toaren futj borljer noctj mit ber Stugfctjmüdung
beg ©aaleg befdjäftigt gemefen, unb eg brannten baljer nodtj
bie glammen ber ©agfanbelaber. «fjeHeg ßidfjt fiel jetjt
auf bie 3ÜQC ber grau.
fDtit einem Ijalb erftidten ©djrei tbar Garlo aurürf*
getaumelt, alg er bie 3üS c be* 53erunglfidten ernannte,
„ßaterina!"
„©ie ift’g!" fagte leife ber ©oltor. „2Bic fommt fie
tjierber?"
G
StooeHa & Söfjnc.
Carlo fam jep tuieber 3 U fid). „Sdjnell einen Sirät,
mir muffen fie toieber jjum SSetoufeifein bringen!" rief er
unb toDllte aur Sdjiire [türmen.
Senbtner fjielt itjn aurüd. „SOtadj’ 2)ir feine ÜJlü^e,
toenn überhaupt fdjon Siebte ba finb, fo Ijaben fie otjneljin
bie |)änbe öoll ju tljun; idj Oerftelje ja aud) ein toenig
bon bem -fpanbtoerf. Safj ntidj machen!"
Cr toar fd)on befdjäftigt, mit |nlfe ber 3ofe, ber et
fur^e 33efel)le gab, bie Cberfleiber ber 2)ante etma§ p
lodern, unb unterfudjte nun, toeldjer 9lrt bie $erlepung
fein mochte. 2Jiit funbigem 33lid Ijatte er halb Ijerauä*
gefuitben, ba| burdj einen feitlidjen SDrud mehrere Stippen
gebroden toorben feien, unb bebenflidj fdjiittelte er ba§
|>aupt. ©§ toar nur aH^u toaljrfd)einiidj, bafj aud)
tuidjtige innere Crgane berletjt toorben toaren, bafür zeugte
aud) ettoaB blutiger Sdjaum, ber atoifdjen ben ßippeu
tjerOorquod.
2Jtit attjemlofer Spannung fat) Carlo ju, mie Senbtner
fymtirte, ab unb $u ftiefj er eine leife Qrrage fjcröor,
toeldje $ener jebodj nidjt beamtete. ©in leifeg Stöhnen,
ein fdjmeraljafteä 3 uden ber ©lieber ber Sßerunglüdtcn
fiinbigte an, bafj ba§ 29etoufjtfein toieberfeljre.
„Sie lebt, fie ift gerettet!" ftiefj Carlo fjerbor
Senbtner judte mit ben Sldjfeln unb fal) toeg.
„ 2 )u glaubft bod) nic§t — " braute Reiter mieber
müljfam |erbor.
3>er $>oftor legte iljnt bie ^anb auf bie Sdjulter.
„|>ier fann menfdjlidje Äunft nit^tg meljr Reifen," fagte
er. „ 3 n toeuigen Minuten toirb 9lllc§ oorüber fein."
Digitized by Google
jRoman oon 3oljannf§ ©imner.
7
3n biefem 2lugenblide fcbtug Signora ©aterina bic
Stugen auf, bcren Sterne fidj au bergröfjern fcbienen, al§
bie ßic^tftra^Ien fie trafen. 3f)re 23lide fdjtoeiften burdj
ben föaum, ein leiste? 5Rotb färbte ba§ Stntlijj, unb jurn
erften fötale fab ©arlo auf biefem ettoaä toie ein Säcbeln
fidj jeigen. $n ber £bat: ©ignora ©aterina Iddjelte,
ihre Slugen leuchteten im frohen ©lanae, toie jene eines
Jtinbeä, ba§ unter bent 2öeif)nadjt§f>aum ftebt.
„2lb!" Jam e§ faurn börBar über ihre Sippen, bie un=
toillJürlicb audten, unb je^t fud^te fte baä |jaupt au er=
beben, bie $anb auäauftreden. „$cb bin Königin, bi cr
mein Sdjlofi, i<b bin — "
©in SBlutftrom fdjofj au§ ihrem fötunbe, ba§ 2lntlitj
tourbe bleidj, bann fielen bic Stugenliber au. ©in frampf=
bafteS Süden, toelcbeS ben Körper burdbrüttette — eä toar
Oorüber.
©r toar Porüber, ber Xraum, toelcber ba§ Seben be3
fettfamen grauen ioefenä oergiftet, ber il)r unb 2Wen, bic
in ihre fJtäbe Jamen, Unfcgen gebradjt batte, biefer fXraum
batte ibr ben lebten 2lugenblid au einem glüdlidjen ge=
ntaebt. Sie batte toobt nicht in einem $önig§palaft leben
Jönnen, aber fie ftarb in einem Jaiferlicbcn fßrunfgemad).
2)ie ftreunbe toaven längft nidjt mehr allein im Saale;
eine Slnaabl anberer fperfonett batte fi(b gleichfalls bicr
berein geflüchtet, bie febod) 2llle au feT)r mit fidj felbft
ober ihren Slngebörigcit befdjdftigt toaren, als bafj fie ber
Scene 2lufmerffamfeit gefdjenft hätten. ©inaelnc batten
Cuetfcbungen erlitten, Slnbere ftanben noch unter bent
SBannc beS SdjredenS, ben fie auSgeftanben, unb ftierten
t £
8
StoocHa & Söhne.
apatljifch bor ftd^ hin; mieber Slitbere fpradfjen eifrig mit
ben Stächftfteljenben über bie Utfadjen beä Unfalles.
ßarlo mar über ben ü£ob be§ 28efcn§, bem feine erfte
tjeijje Siebe gegolten unb ba§ er noch nicht hatte bergeffen
fönnen, tief erfdjüttert.
©löijlich füllte er fidj heftig aur ©eite geftofsen.
.Smifdjen ihn unb ©enbtner brängte fich eine grauen 3
geftalt, beren heftige ©emegungen unb faum berftänblidje
Stufe bon aujjergemöhnlicher ©emegung zeugten. ©ine
anbere grau fud^te fie au befchmichtigen unb megauaiehen.
„$a, ba ift fie! 2)ie ba! — 911), fie ift tobt. —
gluch über fie. ©rab hinein fluche ich ilj*! Unb
2>u Sreulofer ! gabre ihr nach ! ©ie folt 2)ich haben —
bruntcn in ber .£>ölle!"
2)ie -£>änbe ber Siafcnben fuhren habet burch bie Suft,
©enbtner fal) etmaä blitzen, mit einer rafchen SBcnbung
mar er bor ©arlo getreten unb pacfte bie Slrrne be3 9Jtäb=
<hen3 int felben 9lugenblide, al§ er über feinen <£>al§ e§
marin herabriefeln fühlte unb einen lauten Sluffdjrei bernahnt.
2)a§ 2llle3 ^atte ftch fo rafdh abgefpielt, bafj ein ©e*
banfe nicht fdhnetter fein tonnte, unb bie ©etheitigten ge=
langten erft a um ©emufjtfein beä ganaen Vorganges, al§
ba§ rafenbe Mbcheit ohnmächtig au ©oben fant. ©enbtner
hatte fte loägelaffen unb manbte fich ab, um rafd) fein
Xafchentuch h e *öorauhoten. ©r hatte einen ©tidj in ben
«£jalä erhalten, mohl mar bie ©pijje be§ fleinett 2>ot<he§
nicht tief eingebrungen, aber ba§ reichlich ftrömenbe ©lut
beutete barauf hin, bafj eine 9lber getroffen morben unb
bie Söunbe nicht unbebenflich fei.
Digitized by Google
Stomcm oon 3obanne§ Gnuner.
9
Garlo toar jejjt auch erft aut regten Scftnnung ge-
langt, um bie Situation au erfaffen. Gr erfannte ©iulia
unb ©ifa, bie neben ber Ctjnmäcfjtigen auf bem 33oben
Iniete. 9tun famen audj bie ßeute ^tn^u, toelcbe ber 2ärm
ber Scene aufgcfcbeudjt batte, unb umftanben mit erfebredten
SJtienen bie ©ruppe. —
2lu3 ber Stabt toar enbtic^ .fpilfe gefommen: Siebte,
Söagen unb Söarter beä Spitalä; man fjatte bie 33er»
tounbeten, bie ben Transport Pertrugen, in bie Stabt ge»
bradjt, nur bie SdjmerPcrlefden Perbtieben auf bent 33abn=
bofe unb bie SEobten. 2 lud) ©iulia toar unter ber Cbtjut
3 toeier Sßärter in ba§ Spital gebraut toorben, nadjbem
bie 3lerate erflärt Ratten, e§ fei ^roeifelloö, bafj bie 3lnne
bem Söabnfinne Perfallen fei. 2)oftor Senbtner butte ficb
einen tunftgeredjten 33erbanb anlegen laffen unb toar bann
mit ©ifa unb Garlo in ein «fpotel gefahren.
9Jtittleriueile toar e3 borgen getoorben, unb auf beö
5Doftor§ Sorfdjlag begab man ficb anftatt au Sette junt
fjrübfiücf.
9tun tonnte aud) ©ifa berieten, toie baä 9Me3 fo ge»
fomnien fei.
„2)ie arme ©iulia but mir fdjon lange Sorge ge»
macht," erzählte fie; „feit toir SQßieöbaben Perlaffen butten,
geigte fie oft eine Grregtbeit, bie auf Störung iljreö
©eifteä fdjliefjen liefj. 2 fn Serlin 30 g idj Siebte au 9iatfjc.
S)ie Guten erflärten, c§ fei toof)l bo<bö*ubige 9ierOofität
Porbanben, mit ber i}eit bürfte e§ jebodj beffer toerben,
Slnbete fpracben Pon bbfterifdjen 3uftänben, nur Giner
meinte, e§ toäre gut, ©iulia für einige 3 eit einer ^)eil»
'tu
A
10
DioueDa & Söljne.
onftalt 31 t übergeben. S)erfelbe entpfaBl mir bie 9luftali
eine? itaticnifd^cu 2lr,jtc?, be? tüd^tigften Speaialifien für
biefen ffcitl, tote er Binaufetjte. tiefem ÜJartje tooKte icB
folgen ; tuet formte afyten, bafj bie Steife eine folcBe Unter*
Brechung erfahren, mir un? f;ier mieberfeBen mürben!"
„ 2 )a? entfetjlicBe ©reignifj," bemerfte ©enbtner ba*
amifdjen, „Bat offenbar auf ba? ©emütB ©iulia’? üBet
eingemirft, unb ber Sfnblicf ©arlo 5 ? unter folcBen Um*
ftänben bann ben botten 9lu?brudj be? SöaBnfinn? B^tBei=
gefüBrt."
„SdB Betlage e? tief, an bem Unglüdf be? armen 9Jtäb=
cBen? bie ©dBulb $u tragen; ma? aber tann icB bafür?
3dB moUte, mir mären un? nie Begegnet," fagte ©arlo.
„Sie Baben fidB feine Sormürfe $u madBen," ermieberte
©ifa. „ 6 ? mar ein unfelige? SerBängnifj, metdjem bie
Sltrne aunt Opfer fiel. So biel idj au? iBren ©efprädBeit
entnaljm, Bat ©iulia Sie feit $aBten geliebt — "
„Sei ©ott, idB BaBe iBr maBrlicB nie Sfnlafj gegeben,
irgenb melcBe Hoffnungen au B^gen," rief ©arlo au?.
„SlutB ba? meifj idB; klagte oft, bafj Sie adjtlo?
an iBr borüBergcgangen feien. Offenbar Batte fidB nun
in iBrem ©eifte bie SorftcHung gebilbet, ba| Bereit? eine
Slnbere in 3B* c m Heraen ben PaB einneBme, nadB meldBent
fie fo leibenfdBaftlidB berlangte, unb biefe Slnbere glaubte
fie auerft in mir, unb Beute nun in biefer 2 )ame gefunben
au Baben."
„3um SBerte H^ttc fie StedBt," begann nadB einer furaeu
pufe ©arlo, „jene £>ante mar in ber StB 0 * cinft meine
Staut."
Digitized by Google
Siouitm uon 3<>ftanne3 ©nuner. 11
,,3d) Bitte, f^räutein ©ifa," fiel bcr DoJtor ein, „e§
tooBI 31 t Beamten, bafj er fagte: , 311 m 2 f)eite‘ unb ,toar
einff. Der Spiatj in feinem |>er 3 en toat alfo . 3 um DBcile*
f<Bon frei geworben, aBer bie arme ©iulia Jam leiber
toieber 3 U fpöt. @§ toar toieber eine 9lnbere, bie bon biefent
^Pta^e SBefifc ergriff, unb icB |offe, für ßeüen^eit."
©arlo toinfte bergeBIicB bem Dottor 3 U, toäBrcnb ©ifa,
toelcBer ba§ SSIut in ’8 ©efidfjt gesoffen toar, fc^toeigenb
bie 3(ugen gefenJt Biett.
,,©eib mir nidjt Böfe," fuBr ©enbtner fort, „idj toid
ja nicBt me^r fagen; aber ba§ ©ine berfpredjt mir," —
er legte bie eine |>anb auf ©arlo’3 Sinn unb mit ber
anberen ergriff er ©ifa’3 ^ingerfpiijen — „feib offen unb
eBrlid) gegen eucB fetBft unb gegen einanber. Droid nidf)t
gegen ba§ eigene |>e*ä unb toiberftreitet nicd)t gegen eure
©mpfinbmtgen. .fpeutc tootten toir nicBt tueiter bariiücr
reben; bie ©djatten be§ Dobeä BaBen uit§ geftreift, unb
toir foHen bem ilnglüde unfere Stdjtung pullen. SBenn
aBer toieber bie gute ©tunbe Joinrnt, bann geBt bem ©lüde
nicBt au§ bem SBege!"
©ifa faB bott in ba§ ©efidjt, auf toeldjem ficB
bcr 3 tBgtan 3 einer ungetoöBnJicBen 9tüBrung 3 eigte. ,,3d)
loerbe offen unb eBrlidj fein, Dottor," fagte fie leife.
„©0 ift e§ recBt," fagte ©enbtner. ©in ©(Bauer rüt»
telte iBn pIöBIid)- „33n; idj gtauBe gar, ein döunbfieücr
ntelbet ficB an; nun, toir toerbcn ja feBen, toie mir bie
Beutige tRadjt Befommt. — 9inn, unb Du fagft nid)t§,
flarl?"
©tatt ber 9Jnttoort brüdte iBm biefcr fräftig bie -gmub.
Digitized by Google
12
Diooeüa & ©öfjne.
„9tun, bag gilt!" rief fröljiicf) ber2)oftor aug. „Sßcrbet
glüdlicfj, nteiue lieben Äinber, eure <£>eraen Ijaben fidj iu
fdjcn löngfi gefunben. ffteid^t euch bie £>änbe aum ©elöb=
nifj — fo — unb bann neljmt 9lbfcf)ieb für lurae Beit.
2Sir reifen jeijt aufammen nad) SSürftein, menigftcng fjräu»
lein ©ija unb idj; 2)u ^aft mol)t nid^tS bagegen, toenn
idb rnidj bort alg ©aft einquartiere, um rnidj ein menig
3 U erholen. SDu fät)rft meiter nach Srieft. 2öir toerben
tuarten, big 25u ung ruf ft. Bdj l^offc, eg toirb nidjt au
lange mähren."
©arlo mottle nodj einige ©inmenbungen ergeben, bodj
©enbtner fdfjnitt ilim furameg bie Diebe ab. „ßaffen mir
eg babei bleiben, mie idj gefagt Ijabe." —
25er SJoftor fetjte feinen SSitten burcf). Cbmofjt in
ber Sljat bag SBunbfieber augbradj, beljarrte er auf ber
Dieife unb fuljr, begleitet bon ©ifa, mit bem ÜJlittagg^uge
nad; bem Dlorben ab. ©arlo blieb nod) big aum nöcbften
Sage, um 2Weg au orbneti, bamit ©iulia in eine |jeit=
anftalt für ©emütl)g!ranfe gebrad)t merben lönne; bann
reigte audj er ab, ber $eimatlj au.
27.
Bn ben Greifen ber Srieftiner Diljeber unb Äaufljerren
Ijerrfdjte nidjt geringe Slufrcgung. Sfmmer beftimmter
traten bie ©erüdjte auf, bajj ber ©tura beg $aufeg 9io=
betta unbermeibliclj fei, unb menn aucf) bie Seforgniffe
bor möglidjen Söerluften bei ben steiften ben ©runb ber
Aufregung bilbete, fo fftielte babei bodj audj etmag freunb*
Digitized by Google
üiomau uon SofjanneS @innter.
13
fdjaftlicfje Sbeilnabme mit, bic atlerbingä meniger beut
gegenroärtigen 6^ef, atä beffen bocbbetagtem SSater galt.
Ser alte $err butte feit einigen Sagen mieber bie
Leitung be3 ©efdjäfteä in bie <£>anb genommen, ba '}?aoto
botlftänbig gebroden unb au Mein unfähig erfdjien. 9Jiau
mufjte bie§, unb ihm au Siebe übten auch bie ©läubiger
ber ftirma 9tüdficbt unb brängten nicht; man motlte ab=
märten, ob e3 noch möglich fein mürbe, bie Qrirnta au
galten, ba alle 2öelt überaeugt mar, bafj ber alte $ctx
5lüc3 aufbieten mürbe, ben Sßerpflidjtungen be3 <£>aufe§
geregt au merben. SJtit Sufdjan aufammen arbeitete er
nun Sag unb 'Jtadjt bie 33ücber burdj, prüfte unb regnete,
immer troftlofer aber geftaltcte fidj bie Sachlage. Saö
Scbtimmfte mar, bafj bie lebten SSaarmittel, über metdjc
bie ftirma berfügte, au§ bent ©efdjäfte geaogen morben
maren, unb a^ar bon Signora Siobeda.
„2Bie tonnten Sie bie Singe fo meit tommen taffen?"
bonnerte ber alte 4?err fiufeban an, als enblidj bie S3ilana
fertig batag.
«Stagen Sie Signor ^paolo," ermieberte biefer trojjig,
„er ift ber (üljef. $cb butte uur feine Stnorbnungen au3=
aufübren."
„Sa§ ift nicht mabr!" rief aornig föobetla, inbem er
Sufdjan an ber Schulter padte unb Rüttelte. „fDteiu
Sohn mar leidjtfinnig, nur au teiebtfinnig, mie ich febe,
benn er b°t fidf) um anbere Singe gefümmert, als um
baS ©efdjäft. f^ür biefeS finb Sie berantmortlid), unb 3>bte
Wicht märe eS gemefen, mich bon ber Sachlage au ber=
jtänbigen, ehe eS au fpät gemorben. — 3u fpüt! 3u fpät!"
14
üloueHa & ©öljne.
„9Heine 5ßflid(jt mar nur, meinen (Tfyef über bie £age
bcä öefdjäfteS 31 t unten idjten, unb baS l)abe id§ gettjan.
©onft fjatte 9iiemanb ein Üiedfjt, bon mit 9Jtittf)eitungen
3 U berlangcn, folglid) Ijatte idj audj feine 5pflic§t, fotcfje
3 U inanen. DaS berbot fdjon bie DiSfretion."
Der -fpoljn, ber in biefen Söorten lag, trieb bem alten
<£)errn alles 33lut in J § ©eftcljt. „DaS mögen ©ie mir 311
fagen? $ft ba§ ber Dan! für baS Vertrauen, baS idj
3 d)nen fd^enfte? 9iun freilidj fe^e tctj ein, ba| idj einem
Schürfen bertraute!"
„^Jtein^err! Da§ berbitte idj mir !" fnirfdjte £ufdjan.
Der ©intritt eines Dieners unterbrach ben Streit.
Derfelbe überbracfjte eine $arte unb fügte bei, ba| ein
$ert bringenb eine Unterrebung münfdje.
$obeda falj flüdfjtig ben kanten an, tbarf bie $arte
bann auf ben Difdj unb fagte fur^: „©oll märten. 3 dj
mu| 3 uerft mit bem ba fertig toerben."
Der Wiener 30 g fid) 3 urüd.
„3dj laffe mir einen folgen Don nid^t gefallen," fc^rie
£ufdjan. „9iiemanb ^at ba§ 9iecf)t, mich 3 U beleibigen.
9Jieine ©djulb ift e§ nidjt," fejjte er giftig tyn 3 U, „toenn
31jre ©öljne — Summen mürben."
„2Ba§ ftmdjft Du ba bon meinen Söhnen?" 9?obeda
fa|te Sufdjan mit faft jugenblidjer Jhaft bei ber SSruft.
„Du Ijaft Qemifj nidjtS ba 3 u get^an, um 5paolo auf ben
redeten 23)eg 3 U bringen. 3dj mödjte beinahe glauben,
Du Ijaft iljn audj 31 t foldj’ einem Schürfen madfjen motten,
mie Du einer bift."
,, 3 id) bin ein eljrlidjer 2 Jtann, unb mögen ©ie ntidj
Digitized by Google
ÜRontan oon 3obanne§ ©tuiiicr.
15
noi$ fo fe^r befdjitnpfen, 9tientanb mirb Sftncn glauben,
baft ßufdjan uneftrlidj geljcinbelt ftat. Sie nehmen 3f)ve
SSorte 3 urü(f; Sic tonnen nidjt bcmcifen, baß id) ein
Schürfe bin!"
„ 3 dj aber fann e§!"
SBie ber 331ift fuftr ßufdjan getunt, al§ er biefe Stimme
Ijörte. SDet alte <£>err falj erftaunt auf, ein leidstes 3^=
tern befiel iljn, al§ er ben ©ingetretenen näfjer betrachtete,
unb nur mit 9Mlje brachte er bie SBorte Ijerbor: „SBev
finb Sie?"
©arlo mie§ auf bie JFarte, bie noeft auf beut Slifde
lag- „ 3 $ lieft tnidj anmelben alä f^rei^err b. 9ioenie§."
SDann manbte er fid} mieber 311 ßufdjan, ber bie Sippen
betoegte mie ein fjifcfj, ben bie Qflutl) auf ben Straub ge=
morfen, unb ber mit jitternber |)anb fid^ ben Schmeiß
bon ber Stirne 3 u mifeften fudjte.
„3)ie Stunbe ber 21bredjnung ift getommen, Signor
ßufeftan," begann ©arlo. „S)ie 9iedjnung ift jmar lang,
mir merben aber bodj balb 3 U ©nbe fein. Sie fagten,
man fönne S^nen nidjt bemeifen, baft Sie mie ein Sdjurfc
geljanbelt Ratten? 9tun moftlan: mer ^atte bent Signor
Sßaolo ben 9iatlj gegeben, bie SBedjfelfälfdjung feinem
SSruber in bie Sdjulje 3 n fdjieben?"
„3)a3 ift — mer fagt ba§?" ftammelte ßufdjan Reifer
Ijerbor.
„Signor $aolo felbft! $dj tomrne foeben bon iljm, er
hat mir geftanben, maä er bamalä tljat ober bielmeljr nur
oon ^nen tftun lieft. *Paolo ftat mir audj eqäftlt, maS
fpäter gefdjah, mie Sic iftn betftörten, miftbraudfjten, be-
Digitized by Google
16
SHouellü & Söhne.
trogen, ©r meifi toterieid^t nicht einmal SlttcS, aBer and)
baS, maS er meijj, ift genug, um Sie ben büfen 3)ämon
biefeS |?aufeS nennen 3 U bürfen."
ßufdjan ftrectte bie |>änbe bor unb machte eine ©e=
megung bormartS, als mottte er ftch auf ©arlo merfen;
fein beraerrteS ©efiefjt Bot einen grauenhaften SlnBlicf unb
unartilulirte ßaute tarnen ihm über bie Sippen. ©löblich
manbte er ftch sur 2 hüre unb ftürate hinauf, toie bon
einem Böfen ©eifte gejagt.
„©tag er gehen, fein eigenes ©etoiffen fott fein dichter
fein, unb mir erfparen uns bie ©ein, bie unfelige ©er*
gangenheit nochmals unS borführen ju laffen. Sie fet
bergeffen." ©arlo fpradj bieS halB für ft<h, halB au bern
alten $errn gemenbet, ber mit Beiben |)änben ftch auf
baS ©ult flitzte.
„Um ©DtteS mitten, Bift SDu’S ober Bift 2)u’S nicht?"
rief Stobetta je|t auS.
„ 3 ch führe mit bottem Ütedhte ben tarnen Freiherr
b. 9toenieS, unb biefeS 9tec(jt gaB allein mir ben ©tuth,
biefeS .£>auS a u Betreten, baS — ein hartes ©eBot mir
fonft berfchloffen hatte. CB ich nunmehr auch unter an*
berem STitet — Später, ©ater!" rief ©arlo auS unb um*
fajjte ben alten |>errn, als er falj, bafj beffen Kräfte au
berfagen brohten. „©ater, $)u barfft mich toieber Sohn
nennen!"
Stobetta hatte fi<h fefcen müffen, er fiüj}te Beibe ^änbe
auf bie Schultern ßarlo’S, ber bor ihm tniete, unb fal)
mit umflortem Sluge auf ben Söiebergefunbenen. „©arte,
SDu Bift eS alfo mirttich? Stehen bie Xobten mieber
Digitized by Google
Woimm oon Johannes Gntmcr.
17
auf? — Wein, nein, ich fefye je^t flar ! Wtan fjat mich
getäufcht, Betrogen — o ©arlo, maS ^abe ich an 2)ir
getban! SOerjeibe mir!"
„Wicht fo, S3ater! S)en!en mir nicht an baS S3er=
gangene! @3 ift ja nicht 2 )eine ©djulb, bafj man mid)
berleumbete — "
„ 3 db ^ätte eS nicht glauben fotten — nicht glauben,
bafj
„Safj eS nun gut fein, SSater ! 3 ej}t utüffen mir borerft
ber ©egentoart gebenfen." ©arlo erhob ftdj unb trat näher
311 bem ©chreibtifdje , auf melchent nod; bie 23üdjer auf*
gefchlagen maren. „jßaolo hat mir bereits gefagt, mic
fchlimm eS mit ber ginna ftebt."
„ 2 )u halt ihn alfo gefproeben ?"
„$a, lurj Vorher, ehe id) 3 U S)ir herüber tarn. Unb
bie gute Wtuttcr auch! 2 ßie glüdtich bin ich, bafj ich ihr
!£roft bringen lonnte, eu<h WKen <£>ilfe. 3 >cb fomtne gerabe
noch jur redeten 3 eit-"
S5ie ©ebanfen beS alten Äaufherru manbten fi<h mieber
bem ©efdjäfte ju, unb brängten bie ©mpfinbungen beS
^er^enS für einen Slugenblid jurüd.
„ 3 ur redeten 3 eit? ©age lieber jurn ©nbe. 2 öir
flehen bor bem Sanferott, baS .£>au3 Wobella & Söhne
enbet in (Schmach unb ©chanbe."
„WiemalS! 2)ie ©b*e ber WobellaS foE lein Wtatel
trüben. 3 <h faßte ja, bafj ich £>ilfe bieten fann. S)u
crlaubft mohl, bafj ich bie S3ilana prüfe." 2)er alte |)err
nidte nur unb fab mit liebevollen SBticfen auf ben Sohn,
ber ihm bon ben Xobtcn auferftanben mar.
Sibliot&el 3a(jrg. 1890. Sb. V.
2
18
Stooetla & ©öfjnc.
„ 2 )ie ßage ift aEerbing§ fe^r fd&limm," fagte bann
darto, nact)bem er flitdfjtig bie £>auptpoften burdfjgefetjen
tjatte ; „fäjtimmer nodfj, al§ $aoto e§ mir gefd&itbert §at,
ber offenbar felbft nid^t SltleS Weif}. Sfnbeffen berfüge idfj
über fo biet, um ben SSerpflicfitungen ber nädjften 3 eit
gerecht 3 U Werben ; unb für ba§ SScitcre Werben mir SlKe
bereint forgen. 2öir toerben arbeiten — "
„2öie? SDu glaubft alfo toirflidC), Reifen 3 U Jönnen?"
unterbrach iljn ber alte $err. „d§ ^anbelt fiel) bor 3lHem
um 33aarmittet; e§ finb Söedjfel fällig — "
„ 3 db tnerbe an meinen SSanlier tetegraptjireu ; binnen
£age§frift !ann eine genügenbe ©umrne l^ier angetoiefen
fein, um jebe .gafjtungäftocfung 31 t bermeiben. Uebrigen§
Ijabe id£) nodj meinen KrebHbrief, ber unä über biefe 3 eit
I)inau3ljelfen toirb. ©ei alfo ot)ne (Sorge, SSater, ba§
<f?au§ Stobefla fteljt noch feft; unb je|t fomme ^ur SJtutter,
fie erwartet unä."
„ütobeKa & ©öl)ne aalten prompt!"
„ 3 a, bei ber Krebitanftatt finb enorme ©ummen für
fie tetegrapljifct) angetoiefen toorbcn!"
„Söoljer ber Sitte nur ba§ ©etb auftrieb?"
„din beutfdfjer 35aron ift at§ dommanbitär eingetreten."
„Unb Wifjt iljr, toer biefer beutfdje S5aron ift?"
„©ein ©oljn ift’g!"
„SBeldjer ©oljn? 55er Slnbere ift ja tobt!"
„Stein, er ift toieber tebenbig geworben!"
©0 fdjwirrten bie 2 öed£)felreben im 23örfeitfaal be§
Xergefteo tjin unb l)er; ©erüdjte unb Kombinationen, Ijalb
Digitized by Google
Roman oon Johannes (immer. 19
2öat)vl)eit, ^alb 2)id)tuitg, raunte unb rief man fidj gegen*
feitig au.
2)ie aber, Pon benen gefprodhen tourbe, fafjeit bei»
farnmen, unb tourben nicht mübe, einanber au era&blen
unb auau^ören.
Garlo batte in ber Xbat bie nötljigen Summen T^erbci=
gerafft, um bie girnta Oor ernftlidjen 33crlcgenbeitcn au
bettmfjren. Gr unb ber alte .fperr nannten nun toieber
bie fieitung ber ©efdhäfte in bie .£>anb, unb aud) ^aoto
acigte ficb toieber auf bent Gomptoir, mehr um 3lufflä=
rungen unb (Erläuterungen au geben, als um felbft einau*
greifen.
Rur (Einer erfdjien nicht ntebt: ü?uf<han. Rtan tourte
nicht recht, toaä auö ihm getoorben fei, bie (Einen bc=
baupteten, er fei in’ä Söaffer gegangen, Rnbere, er fei
burdjgebramtt.
2)ie Jdeijteren batten Recht; Eufdjan’S Rbftdjt toar cä
ja ohnehin getoefen, trieft au berlaffcn, unb feinen Raub —
ben ©itoinn ber „3import=Gompagnie" — in Sicherheit
au bringen. 25ann toolltc er nadj bem ßaftcll, too Signora
Gatcrina feiner bahren nutzte.
3fefct enblidb toar er bem feines SebenS nabe!
3n Söien erft erfuhr er auS ben Leitungen, tueldjc
bie Sifte ber bei bem 3ufamntcnftofjc Sßerunglüdten brad)=
ten, bafj ba§ Sdbidfal feine Sßläne im testen Rugenblidc
burd)freuat habe. Rtan eraäblte fid) fpäter noch lange in
bem Äaffeebaufc, in meinem er biefe Radjricbt gelefen batte,
toie ein Riann plöblicb, als hätte ibn ber Schlag gerührt,
aufammengebrodhen fei, unb ftch, nachbem man ihn mit
Digitized by Google
20 SHoueHa & ©öfjitc.
SDtÜlje pm SScmufjtfein gebraut, mie ein 3Ba$ntoi|iger
geberbet liabe.
(£r berfdjmanb bann aus SGÖten ; einige Söodjen fpäter
metbeten bie SBtätter, in homburg IjaBe ftcfj ein .fterr
Sufdtjan aus trieft erfdtjoffen.
2fm |>aufe SJtobella ^errfd^te mieber (Sintradjt, .£mff»
nungSfrcubigleit unb tege SEtjätigJeit, bon Sürftein febodj
Jam fdjledjte 9tad§ridjt. ©ifa fd^rieb, bafj ber 3)ottor
fiel) übel Befänbe. ßarlo märe am lieBften felBft nadj
SSürftein gegangen, menn eben nidfjt bie ©cfd^äfte feine
Slnmefenljeit baljeim unBebingt erforbert Ratten, ©o mujjte
er ftd^ baran genügen laffen, mit ©ifa fleißig Söriefe ju
toed)feln. Sfene ©ifa’S maren nidjt nur ausführlich, fon*
bern audj Ijeralidj, unb liefen ben grob angelegten @lja»
ralter beS fungen 2Jiäbdjen§ immer beutUdjer erlennen.
©o maren einige SDoctjen bergangen, unb Garlo glaubte
enblich, für einige £age ftd& loSmacijen $u Jö.nnen, als ein
Telegramm eintraf mit ber ^Reibung: „2öir Jommen!"
2)ottor ©enbtner mar enblich genefen unb tooltte eS
ftdj nicht nehmen laffen, feinem fungen greunbe felbft bie
SSraut aupfiiljren. „6S ift mein ©chidffat, einmal Bei
berftoj?enen ©öljnen, ein anbermal bei bcrmaiSten Üßdjterit
33ätcrrolten au fpielen, " fagte er fdfjer«jenb in feinem SEoafte,
ben er Bei ber «fjodl^eitStafel auf baS SSrautpaar au§=
Bradjte.
Einige 3eit lang toeilte er audt) im |>aufe Btobetta,
fich freuenb über baS neue ©lüdt, meines bort eingeJeljrt
toar ; boch fein ruljelofer ©eift trieb if>n Balb mieber fort.
Digitized by Google
9ioman oon SobatmeS ©mnter.
21
„3dj bin nocfj nid§t alt genug, um ganj Don meinem
^anbtoer! $u taffen, idj mufj reifen, mufc im Strome ber
toiffenfdjaftlidjen SBetoegung ber ©egentoavt fdjtointmen,
toenn inir tooljl fein foE," erftartc er ben greunben,
toeld^e it)n aurüdfljalten tooEten. 9iadfj IjeralidEjem Sibfdjiebe
fd^iffte er fidfj nadij ©nglanb ein ; aber fein fröljlidjer ©rufj :
„Stuf SCßieberfe^en!" foEte nicfjt meljr in ßrfüEung geben.
Stuf bem Sdjiffe bradj feine SBunbe toieber auf, unb
alg man in bem |jafen lanbete, toar eine fieidje an 33orb.
Sfnt ftiEen Söinlel eineg Äird^^ofeg an ber itjemfe ruljt
ber nimmermübe Söanberer.
3n SLrieft aber bliiljt bag ©efcfjlecbt ber föobeEa*
föoenieg: ein fcäftiger Sdfjtag bon beutfdjer 2lrt unb
beutfd^er SHjatenluft. Stuf ben SJfatlj Senbtiter’g ^atte
ßarlo SSiirftein berpacfjtet, ba er bie <£>crrfdjaft ja nidjt
berlaufen burfte, aber bie Sommermonate pflegte er mit
ben Seinen ftetg bort ju berbringen.
©ifa toar bie edjte unb redfjte fpaugfrau, eine 2Jtutter
mit eblem, toarmem fperflen unb ftarfem ©eifte; geliebt
bon ben 3fören, betounbert bon ben öfreunben, geachtet
bon aEer Söelt.
2ludj ber ungliidlidje $Paolo füllte ben Sauber iljreg
Söefeng, fte richtete i^n toieber auf, unb toenn er audj
fortan immer ein toenig fcijeu unb gebriidt blieb, fo füllte
er bodj im Greife feiner Neffen unb Siebten einen Slbglanj
beg ©liitfeg, bag i^m berfagt geblieben toar.
finbt.
Digitized by Google
Der tfloorfyof.
Vornan
von
gferbtttatib Demant».
(Wadjtmirf öerboten.)
(Erjtes Kapitel.
H efter ber lieblichen 5parftanbfd§aft tag ber buftige, fil*
ftente ©tan^ eines frönen ©ommerbormittagS. 9luS
bicftt belaubten, tief grünen SBaumwipfeln entporragenb,
erhob fidj Weiten fidjtbar ber fd^tanfe üLljurm eines ©djlöfj*
djenS, beffen $enfter in ben ©tragen ber ©onne gtitjerten
unb btinften. 35ie Wunberlidj berfchnörfelten unb mit
bilbnerifchem ©djmucf üfterlabenen formen beS nidjt fehr
umfangreichen ©eftäubeS berriethen jur ©enüge, baf eS
nodj auS einer .Seit ftammen müffe, in welcher man fich
auch ftei ardjiteftonifdjen ©cljöpfungen mit Vorliebe allerlei
bizarren Saunen ^inaugeften pflegte. 35er gegenwärtige
Sefitjer aber War offenbar fein ftreunb bon altersgrauen
dauern unb anberen eljrwürbigen Seupiffett ber 33er*
gangenljeit; benn ber ftatttiche «^errenfif prangte in einem
fo blenbenb weifen unb fledenlofen äufjeren ©ewanbe, als
hätten feine Grbauer foeben erft ihr Söerf bodenbet.
9hir an einem ©eitenflügel ftanben noch bie nüchternen
Digitized by Google
Vornan oon fterbinaub .fpcrntamt.
23
(Stangen beg ©erüfteg, auf tueldjem eine Mnjaf)! bon $aitb=
toerfgleuten befdjäftigt toar, ben grüßen IReinigunggproaefs
au bem alten $aufe 311111 SlbfdjltiB 3U bringen; nnb bor
bem 4?auptportale toaren brei unförmige Viöbeltoagen bor=
gefahren, au§ beren geljeimnifjbollen Siefen ein Suhenb
feuefjenber Arbeiter fixier unerfdjöpflicfie ©djäpe an Vtöbeln,
Bilbern unb Äunftgegenftänben ber berfdjiebenften 2lrt 3U
Sage förberte.
(Sin Ijoclimütljig breinfdjauenber ^errfc^afttid^er Siencr
in einer ßibree, bie biel 3U prunthaft ttrnr, um bornehm
3U ioirlen, übermalte bie Slugpadung unb bag ^erein=
fdjaffen biefer augenfdjeinlidj 3umeift febjr loftbaren Singe.
2lber feine unberfdjämte fütiene nahm plöjjlidj einen feljr
bemüthigen Slugbrucl an, unb er toief) mit einer tiefen
Verbeugung ehrerbietig 3ur ©eite, alg bie breitfcijulterige,
toohlbeleibte ©eftalt eineg elegant gelteibeten älteren .fperm
in ber Begleitung atoeier jungen Samen au§ bem Innern
beg .gjaufeg trat. Slucfj bie Haltung ber Arbeiter liefe
leinen 3meifel barüber, bafe jener grauhaarige #err hier
ber ^öchftgebietenbe fei. ©ie lüfteten ihre Vtiifeen unb
traten betreiben aurüd, um ben £errfchaften 9 tauni 3U
geben.
Ser bornehme #err h Q ttc bie untertnürfigen ©rüfee
nicht ertoiebert.
„2öie eg fcheint, h fl i mir ^ er Spebiteur gerabe bie
ungefchidteften bon feinen Seuten gefanbt," fagte er in
einem feljr ungnäbigen Son. „Sine ber fütarmorfigureu
im ©peifefaal ift befdjäbigt, unb toenn ©ie nicht ermitteln
lönnen, Sfriebrich, toelcher Sölpel bie ©djulb baran trägt.
Digitized by Google
24 2)er ÜJioorhof.
fo merbe ich ©ie fclber für ben ©cfjaben berantmortlidh
machen."
SBährenb er fprach, trat ber hatte $ug in feinem
rotljen, mohlgenährten ©eficht nodj fdharfer hetbor. Xrotj
einer gemiffen Aegelmäbigleit ber ßinien mar überhaupt
nic^t biel Einnehmenbeg in biefem nach englifcfjer ©üte
nur bon einem mohlgepflegten, an ben ©pijjen leidet er=
grauenben SSadenbart umrahmten Antli^. Söohl beutete
bie breite, tröftig ^erauSgebilbete ©tim unb ber 33lid£
ber lebhaften grauen Augen auf einen fc^arfen, burdb*
bringenben 33erftanb; aber um SJtunb unb Aafe hatten fidh
Srurchen eingeaeichnet, meldfje bon ^errfchfudht unb $ärte ju
fprechen fdhienen unb meldhe fidh in manchen Augenblidten
3 u einem mahrhaft abftobenben AugbrudE bertiefen fonnten.
S)ie gefdholtcncn Arbeiter taujdjten mibbergnügte 33licfe
untereinanber au§; aber deiner bon ihnen hatte ben
93tuth, etmag au ermiebern. Alg bie $errfdhaften ein
2/Upenb ©dhritte bon ihnen entfernt maren, manbte fich
bie gröbere ber beiben jungen 5)amen an ihten ^Begleiter.
„SGÖar eg benn toirflic^ nothmenbig, Sßapa, einem
Aufenthalt bon menig Sftonaten au Siebe äße biefe SDinge
mitaubringen?" fragte fie. „Alg S)u un§ im Söinter mit=
theilteft, bab SDu bag Rittergut ©dhönheibe getauft habeft,
erfdhien eg SDir bodh alg eine befonbere Annehmlidhfeit,
bab bag ©djlob boßftänbig eingerichtet fei."
„9hm ja," ermieberte ber ©efragte achfelaudenb, „eine
Einrichtung, mie fte biefen halb berbauerten Sanbjunfern
mohl alg ber Inbegriff aller SPradht gegolten haben magl
Alg ich mir bie ©adhe etmag nä^t anfah, fam ich bodh
Digitized by Google
Vornan mm fterbinanö Hermann.
25
311 ber ©rfenntniB, bafj idj oTjnc einige SZadjhilfe unb 9 tuf=
frifdjung gar nicht baran benlcn tönne, ^ier ©äfte ju
empfangen."
„©äfte, Sßapa? Unfere guten greunbe toerben ung
hoch nid^t ettoa big Ijierljer berfotgen?"
„2)er ©ine ober ber Slnbere toirb fid^ bag tooht nicht
nehmen taffen, unb mie ich SDich fenne, liebe <£>ertl)a, toärefi
S)u bie ©rfte, toeldje einer ibpltifdjen ©infamleit ohne ge=
feftfchafttiche 3erftreuungen halb tiberbrüffig toerben toiirbe.
Slber ich bente, mein $inb, eg foH 2)ir baran nicht fehlen.
3n ber Äreigfiabt liegen brei ©chtoabronen Dragoner, unb
auch unter ben jungen Slffefforen unb öieferenbaren toirb
an flotten Siä^ern ^offenttid^ lein Mangel fein — bon
unferen eigentlichen ©utgnathbarn gar nicht 3U reben. 2)u
fiehft, bafj ich nicht fo graufam toar, 3 )id) in eine Söüftenei
3U fchteppen."
@g toar fettfam, einen toie freunbtichen, fdjeraenben
2on ber 3 Jtann mit bem harten ©eftcht unb bem gebiete=
rifchen SBefen im ©efpräcfj mit feiner Sodjter anjufd^lagen
toufjte. Unb bie junge 2)ame zeigte nicht einmal ein be=
fonbereg ©ntjüdfen über bie glän^enben Slugfichten, toefdfje
ihr ba eröffnet tourben.
„2)ie armeSJtutter!" fagte fie. „©chonbieSlnfirengungen
ber Ueberfiebelung ha&en fie fo angegriffen, bafj jte mit
ben heftigften ßopffchmeraen oben in ihrem gintmer liegt.
28 ie fchmerjUch toirb eg fte enttäufchen, toenn fie nun audj
erfahren muf?, bafj fte ftatt ber ©rtjotung unb SRuhe, auf
bie fie hoffte, hier nur eine Qfortfefcung unfereg getoohnten
ßebeng finben fott."
Digitized by Google
26
$>er Rioorfjof.
2)ie (Srtoähnung feiner (Battin fdjien bem ©djtofjfjerrn
nicht eben angenehm ju fein. @r 30 g bie 33rauen 3 U=
fammen unb fpielte ungebulbig mit feiner Uljrlette. 9ll§
märe ihm biefe (Sinmenbung gar leiner Rntmort merth,
meinte er, auf etma§ 9lnbere§ überfpriitgenb : „ 3 fh* toottt
einen ©pa 3 iergang rnadjen? ©oß idj nidjt lieber anfpannen
laffen?"
„Rein! $elene unb idj — mir maßen auf Abenteuer
au§gehen, ?Papa!"
„2)a§ ift ein beben!lidje§ Unterfangen, Äinb. $dj felber
!ann eudj leiber nidjt begleiten, menn idj nidjt miß, bafj
biefe Tölpel mir 2 lße§ in ©tiide fdfjiagen; aber idfj merbe
Orriebridj beauftragen, eudj 31 t folgen."
„Um’S |)immel3 mißen nidjt!" lernte $ertba mit einem
feljr energifdjen .ßopffdjütteln ab. „ 3 fdj liebe e§ nidjt,
einen SSebienten hinter mir 3 U Ijaben, am menigften, menn
er eine in aßen Regenbogenfarben fdjißernbe Sioree trägt,
mie 2 )u fie ba neuerbtngS für ^riebridj erfunben ^aft.
©djönljeibe liegt ja auch nidjt in ben böljntifdjen Söälbern."
3Der SJiann mit ben ftrengen 3 ügen, ber fonft ficberlidj
febr menig an Sßiberfpruch gemöljnt mar, beruhigte fidj
o^ne SDßeitereS bei biefer hn^en 3nrüdmeifung.
„©0 bleibt menigftenä innerhalb be§ ^arleä, " bat er
nur nodfj, inbein er fidj 3 ugleidj nadj bem portal be§
®chloffe§ 3 urüdmanbte. „@r ift grojj genug, um für heute
eure äöifjbegierbe 3 U befriebigen."
9113 bie beiben jungen SJamen bon ber befcbatteten
STerraffe herab in ben heßen ©onnenfchein traten, offenbarte
ftdh bie 33erf<hiebenheit in ihrer äußeren ßrfctjeinung noch
Digitized by Google
27
Diontan doh fterbinanb ^ermann.
auffattenbet at§ jubor. 3>ie boftftänbige ©Icidjfjeit iljrcr
fommertidj Ijetlen ßleibttng, melcfye fiel) Big auf eine genaue
UeBereinfiimmung felBft ber fleinftcn SBänber unb ©Steifen
erftredfte, trug nur ba-ju Bet, bag ©egenfä^lidje itjreg Slug»
fefjeng ttocij melir IjcrborjutjeBen, unb eg mar fo tpenig
Sletjnticfjfeit amifdtjen ifwen, bafj man nidjt für einen
einzigen StugenBlidf jju ber 9lnnatjme gelangen fonnte,
©ctjmeftern bor ftcf) ju IjaBen.
-£>ertf)a mar unameifelljaft bie ©dtjönere Bon 23eiben.
9luf ifjrem eBenmäfjigcn Körper unb bem fdfrtanfen meinen
«fjalfe ruf)te ein ebel geBitbeteg ^aupt, ba§ fdtjon um beg
Beinahe überreichen ©cfimucEeg feinet fetjimmernben, gotb=
Blonben $aareg mitten unter tjunbert Stnberen hätte ^er=
borftechen müffen. 2)ie $ügc i^rcS 9tntlifjcg mareit Pott
tabettofer Oiegetmäfjigfeit, unb menn ihre ©chönheit troh=
bem nicht ohne jebett fanget mar, fo hatte man benfelBen
tebiglidf) in einer gemiffen hochmütigen $älte unb ftot^en
«Derbheit 3 U fudjen, melche ben feinen $ügen eine merttiche
Ste^ntid^feit mit benen beg 33aterg gaB.
sieben bem Blettbenben ©lanj biefer iugenbfrifcfjen unb
leBenfprütjenben ©chönheit mu|te auf ben erften 33licf bie
Befcheibene Slnmuth ihrer ©efätjrtin meit jurüdEtreten.
©chon ber Umftanb, bafj bie ffotBen beg Sln^ugeg, bie
mit .fjertha’g golbigem ^»aar auf bag SLreffIidT)fte hatnrn=
nirten, $u $eleneng bunfeln flechten Biel meniger ftimnten
mottten, unb bafj für ihre ^ierlic^e, etfentjafte ein
anberer ©dfjnitt fidtjerlicf) bortheilhofter gemefen märe,
mir!te nicht ju ihren ©unften; unb ba^u fam eine ©ebrüeft*
heit unb ©d)eu in Gattung unb Semegungen, toeldhe fie
1
Digitized by Google
28 $)cr 9)}oorljof.
einem fXüd^ttgen ©eobadjter moBl Beinahe linlifcB erlernen
taffen mochte.*
2Bet fidfj inbeffen bic SJlütje genommen Bötte, fie fcfjärfer
unb länger ju Betrauten, ber mürbe bodj moBl entbetft
Baben, bafj iBr fcBmateä ©efidjtcBen mit feiner reinen, elfen*
Beinmeifjen Hautfarbe, feinen linber^aft teuften, roftgeti
Sippen unb feinen aart gerunbeten Söangen nicBt oBne
eigentBümlicBe ©dfjönBeit fei. Unb bie Slugen, bic fiel) faft
Befiänbig hinter ben t)atB gefenlten, lang Bemimperten
ßibern berBargen, mirlten, menn fie einmal boE auf*
gefd^tagen mürben, gerabeju üBerrafdjenb burdij iBren
munberfanten feudalen ©tana nnb burcB iBte rätBfelBafte
ütiefe.
SSeibe 2Mb<f)en maren moBl gleidfjatterig unb Batten
baö amanjigfle SeBenSjaBt fidfjerlicB nod(j nicBt erreicht;
aBer mäBrenb Hertha laum um ein ©eringeS bon ber boEen
©ntfattung ihrer ftolaen 9?eije entfernt mar, Batte HetenenS
gefammte ©rfchcinung etmaS JbinblicBeS unb ÄnoSpenBafteS,
baS feijr lieblich gemefen märe, menn nicht bie 9tähe bet
gtänaenberen ©efährtin eine unbefangene Söürbigung faft
unmöglich gemalt hätte.
Sluf’S ©erathemoBt Batten bie Beiben SDamen einen ber
in ben $parl füBtenben Eöege eingefd^lagen. 2118 fie menige
Bunbert ©dritte meit gegangen maren, BlieB ^ertBa plöfc*
li(B aufBorcBenb fteBen.
„SOÖar ba8 nidjt ber ^uff(Btag eines 5Pferbe8?" fragte
fie. „S3ielleicE)t ift e8 fchon einer bon ben Dragonern,
auf melcBe ber Sßater fo grofje Hoffnungen au fefcen fd^eint."
3B r £>B r Batte fie nicht getäufcBt, benn auf bem Breiten
Digitized by Google
»oman oou fterbiuanb Hermann.
29
Sßege, meiner hart bor ihnen ihren *ßfab burchfreuate,
taufte jept ein »eiter auf einem auSnchmenb ferneren
unb mohlgenährten Staunen auf. ©in Offizier luar eS
nun freilich nicht, unb fein »uSfehen toar überhaupt lauut
baSjenige eines JJabalierS, obmohl er einen eleganten »eit=
anjug mit hohen ßatfftiefeln trug, unb obmohl fein üßferb
mit fel)r auffallenbem, hellfarbigem ßeberaeug aufgeaäumt
mar. ©eine bierfdjrötige , ftiernacfige ©eftalt faß mit
jener plumpen geftigleit im Sattel, mie fte ben Säuern,
bie ftd£) felbft im »eiten unterrichtet haben, eigentümlich
äu fein pflegt, unb feine großen £>dnbe faheit in ben
milblebernen ^anbfdjuhen nur nodh größer unb unförnt*
lieber au§.
Sluch er mar mohl fdjon früher auf bie hell burch baS
ßaubmerl fehimmernben ©cmönbet ber Samen aitfmerffant
gemorben, bettn als fein Oberlörper über ben Reefen ficht=
bar mürbe, hatte er auch f<hon h ö fttt grüßenb ben <£mt
in ber <£>anb.
„SGBelch’ ein unermarteteS ©tücf! 3<h höbe bie ©hre.
Sie auf bem ßanbe miüfornrnen au heißen, meine Samen!"
rief er ihnen au, unb feine Stimme ftang heifer mie bie=
jenige eines auSgebienten »ultionatorS. ,,»un meiß ich
hoch, marurn mir heute ben erften fonnigen Sag nach alT
bem »egen haben! 2lu<h ber Fimmel muBte mohl feine
heiterfte Stiene annehmen, um fo Diel Schönheit unb ßiebenS*
mürbigteit angemeffen au begrüBen."
3n ber Slrt, mie er biefe Schmeichelei borbrachte, mar
ettoaS, baS ben Serbadjt ermeefen mußte, er habe fi<h troß
feiner geheuchelten Ueberrafdjung auf biefelbe borbereitet,
Digitized by Google
30
$er 9ftoorf)of.
unb bie SBtrfung, hielte er auf feine Bufjörerinnen ljer=
borbratte, war benn aut augenfteinlit feine bebeutenbe.
„3t|, fton Wicbcr biefer WiberWärtige £err Ärcu<}=
lamp!" fagte -gjertlja mit einem geringfdjätjigen Slufwerfen
ber Oberlippe halblaut au ^etene. ©ie erWieberte feinen
untertänigen ©rufj nur mit einem faum merflidjen Zeigen
beS Hauptes, unb in treu ftol^en dienen mar es rcdjt
beuttit au lefen, wie gering bie ^reube fei, wette fie
über bie ^Begegnung empfanb. 5tut Helene befdjränfte
fit auf einen ftummen ©rufe, unb eS ^atte faft ben 9In=
ftein, als Wolle fie fit ftfittem hinter tre ^Begleiterin
5urüd5ie^en.
25er Leiter aber, ber je^t unmittelbar bor tnen fein
?Pferb parirt Ijatte, liefe fit burt baS ©tWeigen ber
2>amen nitt im 5Dtinbeften beirren. 9Jtit einer füfetid)en
SiebenSWürbigfeit, bie in feinem bäueriften SJiunbe wenig
SlngeneljmeS ijatte, fuijr er fort: „3t wufete nitt einmal
genau, ob bie bereiten ^errftoften bereits angefomnten
feien; aber it liefe mir’S barum nidjt neunten, herüber
3 U reiten, benn als nätfter 9tatbar ntufete it bot woljl
ber @rfte fein, meinen bereiften ftreuttb Slrmbrett auf
feiner neuen 23efifeung jju begrüfeeit. «fpoffentlit finbe it
tu im |jerrenf)aufe."
^erta Ijatte fit niebergebeugt, um ein berein^elteS
SBergijjmeinnitt 3 U pflücfen, baS fie ju tren $üfeen er=
blieft Ijatte, unb $err Äreuafantp Würbe woljl not immer
ofyte eine Antwort geblieben fein, wenn nid)t geleite nadj
einigem 3aubern mit merfliter ©tütternljeit erWiebert
fjätte: „25er Onfel ift eben mit ber SluffteKung ber mit»
Digitized by Google
Vornan uoit fterbinanb Hermann.
31
gebrauten Äunftgegenftänbc bcfdjäftigt. (£r bat ba eilte
grofec 9lrbeit§laft auf fidj genommen."
„Unb ich fomnte ihm bielteicht nid^t einmal gelegen!
2)arf ich fragen, toobin bie 2>amen ihre Schritte au richten
gebenlen 1 ?"
„2öir haben lein beftimmteS 3iel. füleine Vafe tofinfdjt
bie Umgebung be3 SchloffeS lernten an lernen."
„£), bann müffen Sie mir geftatten, 3bren Führer
au machen," fiel er eifrig ein. „3<h lernte hier in nteilen»
toeitem Umlreife Söeg unb Steg; fJtiemanb lann ^b nen
beffere (Srllärungen geben als ich. Unb Sie toerben eS
mir nicht abfcblagen, nicht Wahr?"
<$r batte ft<h toäbrenb beS luraen ©efprädbS auSfchtiefj*
lieh an |>elene getoenbet, unb in ficbtlicbcr Verlegenheit
blicfte biefe auf |>ertba. 2lber bie feböne Tochter beS
Sdjlofjberrn befdjäftigte fiep mit fo lübler ©leicbgiltigfeit
mit ihrem befdbeibenen Vluntenfunb , als habe fie bon
bem ritterlichen Slnerbieten beS ^errn Äreualamp gar
nichts bernommen. ®ie peinliche Uttgetoipeit, toie fie fidj
au berhalten habe, trieb «^elenen baS Vlut in bie Söangen.
„Sie finb in ber &bat febr freunblidb," ftammelte fie
in heller Verwirrung, „aber baS Opfer, Welches Sie uns
ba bringen Wollen, ift toobl tu grofj, als bajj mir eS an=
nehmen lönnten."
Vtit einer unwilligen Veweguttg toarf Bertha baS Ver=
gifjmeinniebt au Voben. Äreualamp aber batte feine lleinen,
berlniffenen 2leuglein fo unberWanbt auf ^elene gerichtet,
bafj er bon biefent unaweibeutigen 3et^ en t>e8 VtifjfattenS
burcbauS nichts bemerlte.
Digitized by Google
32
'Sei s JDioorfjof.
„Sin Opfer?" rief er aug. „kennen ©ie eg bielmeljr
ein unberljoffteg unb unberbienteg ©lücf! 9lber bag Sßferb
mürbe ung natürlich lüftig toerben. 2 ßit Sf^ter gütigen
©rlaubnifj übergebe ich eg brüben beim ©Stoffe bem erften
beften bienftbaren ©eift, ber mir in ben äöurf fommt,
unb fliege bann mit äöinbegeite 31 t S^nen aurüdf. ©eben
©ie bort ben Söipfel ber alten ßinbe, ber fo ho<h über
feine Umgebung emporragt? ©ort, toenn eg 3h uen genehm
ift, merben mir ung mieberfinben, unb ©ie foßen nicht
fünf Minuten lang auf mich ju märten haben."
©a ihm feine ber beiben ©amen miberfprach, mochte
er feinen 33orfdjlag mol)t alg angenommen betrachten, ©r
ber^og fein breiteg, ftarffnodjigeg ©eficht noch einmal <ju
einer ©rimaffe, bie mDljl ein artigeg Sädjeln barfteßen
foßte, unb fcfjmenfte grüfjenb ben |>ut, ehe er benfelbeit
mieber auf feinen ecfigen, nur noch jurn fleinften ©heil
mit bünnern, fanbgelben .£>aarmu<hg bebedften ©chäbel
ftülpte. ©ann fefcte ein 9tud an ben Bügeln unb ein
5ßeitfchenhieb ben fchmerfäßigen SSraunen in einen furzen
©rab, unb 9tofj unb 9teiter berfchmanben in ber Stiftung
nach bem ©<f)loffe.
Bebt fanb auch Bertha ihre ©prache mieber.
„Söelch’ ein fchüdjterneg ©angchen ©u hoch noch immer
bift!" fagte fie halb ärgerlich unb halb beluftigt. „ 3 <h
glaube gar, ©u fönnteft ©ich aug lauter SBefcheibenljeit
mirflich baju berfiehen, einen ©pajiergang in ber ©efeß=
fcljaft biefeg abfcfjeulichen ßüenfchen gu machen."
4 ?elene fenfte bag Köpfchen mie ein gefdjolteneg $inb.
„9lber mag foßte ich benn thun, ba ©u fo beharrlich
Digitized by Google
IRoman von fterbinanb Hermann. 83
fdfjtoiegft? ©ein Anerbieten toar getoifj gut gemeint, unb
et hätte eine 3urücftoeifung n?ie eine 33eleibigung emppnben
müffen."
„SöaS hätte batan gelegen?" meinte ^ert^a toegtoerfenb.
„Ginem fo aufbringticfjen ©efellen gegenüber ift febe 9tüd»
fidhtSnahme bom Uebel."
„Gr ift beS £)nlel8 öfreunb, ^erttja, unb — "
„Sich toaS — fein ©efchäftSfreunb, toenn eS f)odj lommt,
unb ich ^abe bem ausgezeichneten .fperrn fcfjon brinnen in
ber ©tabt, toenn er uns feines S3efudhe8 toürbigte, ziemlich
beutlidj gezeigt, baff ich mich nicht im ÜRinbeften um bie
©efd^üfte meines S3aterS unb um feine ©efchäftSfreunbe
fümmere. Unb toie ich benle, befteht eine SSerpflichtung
bazu für ©idf) noch biel toeniger, eS fei benn — " unb
babei neigte fie mit einem nedifdhen ßädjeln, baS ihre
ftolzen 3üße anmuthiß berfdhönte, baS fcfjimmernbe blonbe
£au})t zu ber Heineren ©efäljrtin herab — „eS fei benn, bap
Äreuzfamb’S augenfällige ^Bemühungen, 3Dir ben £of zu
machen, nicht ohne GinbrudC auf SDein embpnbfameS Herzchen
geblieben finb."
-helene erröthete toieber, obtooljl fie !aum zweifeln
fonnte, bap ^ertha’S SQBorte nur fdherzhaft gemeint feien.
„2öie 3)u toieber ftmdhft, #ertha! Gr ift ein reicher
SJtann, ber fidherlidh nicht baran bentt, ftdh um eine mittel«
lofe Söaife zu bemühen, unb idh hätte um fo mehr 33er*
anlaffung, ihm für bie Qfreunblidhleit, bie er immer gegen
mich an ben Stag legt, banfbar zu fein. Aber toie linbifch
eS audh fein mag, unb toie oft idh felbft mich beShalb ge»
fdholten hoBe: idh fürdhte mich öor ihm, toie ich mich uodh
»ibliot&el. 30^8. 1890. S3b. V. 3
Digitized by Google
I
34
$>er ÜJioor&of.
nie Por einem ^Jienfcben gefürchtet §a6e. ©g ift Bei alT
feiner 3uPortommenbeit ettoag in feinem SGßefen, bag mich
abftöjjt unb ängftigt, unb ich möchte am lieBften baPon»
laufen, foBalb ich feiner nur anfidjtig toerbe."
„9tun, fo tbue eg hoch, 3)u 9lärr<hen! 2lug 9tü<fjid£)t
für meinen Später braucbft 2)u biefent |>errn Äreuafantp
loabrbaftig leine freunblicbe 93liene au erheucheln. Unb
ich möchte 2)ir auferbem Bei bicfer ©elegenbeit ben guten
geBen, mein ©thajj, bent Söater gegenüber ettoag
felbftftänbiger unb toeniger jag^aft aufautreten. ©g läfjt
ficb nun einmal am Beften mit ihm auglommen, toenti
man ficb burdf) fein gebieterifcbeg Söefen nicht einfchüchtern
läfjt, unb ihm Ijier unb ba burdf) einen ebenfo feften SBiHeit
au intponiren toeifj, alg eg ber feinige ift. 3cb toünfchte
Pon 4?eraett, auch meine amte HJtutter hätte bag aur redeten
3eit ertannt."
^elene anttoortete nicht, aber ein toeljmütfjiger 3ug
auf ihrem (Beficbt Perrietb, bafj fie frc^ für ihre eigene
Sßerfon Pon ^ert^a’g 0teaept nicht eben Piel Perfpracb.
©ie toaren tnüljrenb beg Jßlauberng lattgfam toeiter
gegangen, unb |>ertba batte mit SBebadjt nicht ben 2Bcg
nach ber ^o^eu Sinbe, fonbern bie entgegengefefcte Dichtung
eingefcblagen. 9tun faben fie in geringer ©ntfernung Por
fid£j bie neu getünchte $Par!mauer fcfjneetüeif} burcb bie
3toeige fcbimntern.
„SGßir ntüffen ung Por ben ©pilEjeraugen unfereg ge»
meinfchaftlicben Ofreunbeg in ©icberbeit bringen," lachte
|>ertba übermütbig. „©§ ift mir ein toabreg Vergnügen,
baran au benten, bafj er nun ben ganaen 5ßarf abfud^en
Digitized by Google
SRoman oon gerbinanb ^ertnaitn.
35
ioirb, um uns au finben. hoffentlich Ijat jene 5^auer bort
audj eine ÜIjür, bamit mir fet;en fönnen, mie batjinter bic
Seit befdjaffen ift."
©ie mußten ein paar Ijutibert ©dritte toeit an ber
beinernen Umfriebigung baljingeljen , bebor fie auf ein
eiferneS ©ittertljor ftiefjen, baä au £ertl)a’ä ©enugt^uung
nur bon innen Verriegelt toar. 2öaS fie bor fid^ erblidten,
toar freilich nur mäfjig berlodenb, benn bie ©egenb, bie
fie toeit^in überbauten, trug ben ßljaralter eines fumpfigen
gladjlanbeS, in toeldjem ber auSgebeljnte 5par£ bon ©djön»
^eibe jebenfaES baä lieblidjfte gleddjeit barfteEte.
„gelber, Söiefen unb SJtoor — eine teiaenbe 2lbtoedj3=
lungl" fagte |jertt)a mit einem ©eufaer. „9lber bahnten
neben ber einfamen SBaumgruppe ragt ettoaS toie ein Äirdj»
tfyurm empor. 33ieEeidjt gibt eä ba ein S5orf, in toeldjem
mir baS ßanbleben gleidj bon feiner anmut^igften ©eite
tennen lernen tönnen. deiner ©djafcung nacfj fann eS
nidjt toeiter fein als eine Ijalbe ©tunbe."
„Unb £err Äreuafamp 1 ?" toagte £etene fdjttdjtern ein»
autoenben. „SßiEft 2)u iljn benn toirllidj im ©tidj taffen?"
„©etoifjl 2lber idj entbinbe 5)idj bon ber 33erpflid)tung,
midj in begleiten, toenn 2)u Neigung berfpüren foEteft,
3 U ber alten ßinbe aurüdaufeljren."
„9lein! 9tein! 3dj fönnte bod^ unmöglidj mit iljm
aEein bleiben."
,,©o fotnm, 2>u -£>afel 3dj Bin neugierig, ob unfer
eleganter ©utSnadjbar feine ladirten ©tulpftiefel baran
toagen mirb, unS auf biefem Ijimmlifdjen Söege au ber»
folgen."
Digitize
36
Der ÜKoorbof.
2fn ber betbiente biefer SBeg jebe anbcre S3e*
3 ei<hnung eher alg bag ^od§ningeitbe GigenfchaftgWort,
Weicheg ihm .£>ertba fpottenb betgelegt. Da eg bie junge
Dome berfchmäht ^atte, auf ber langweiligen, bielfadj gc*
wunbenen Sanbftra|e au bleiben, unb ba fie ohne gögern
ben fchWach angebeuteten Söiefettpfab eingefchlagen ^attc,
welcher am fd^itetCftcn ju ber SSaumgruppe neben bent
Äirchthürntchen au führen fdjien, fo rnufjte fte fcbon nach
wenigen (Schritten bie Erfahrung machen, bajj biefe *Pfabe
fidjetlidh nicht für aart befchuhte Damen aug ber 9?efibcn3
berechnet feien. 2ttit einem leifen Sluffdjrei fan! fie big
an ben Änödjet in bag feuchte ©rag beg moorigen Sobeng
ein, unb fie fühlte nur au halb, wie bie 9iäffe burdj bag
feine Seher i^rer leichten ©tiefeldjen brang.
„SBolicn Wir nicht umfehren, |>ertba?" fragte «jpelene,
nachbem bie Söanberung etwa jeljn Minuten gewährt
hatte. „Gg Wirb unmöglich fein, auf biefe Söeife Weitn-
au lommen."
Slber bie ©efragte bachte nicht baran, ihren 23orfafc
aufaugeben.
„Söeghalb unmöglich?" rief fte aurücf. „Söemt man
ftch auf einer Gntbecfunggreife befmbet, mufj matt auch
bie ©trapaaen mit in ben Äauf nehmen."
|>elene hatte ftch unberlennbar lättgft baran gewöhnt,
ben Saunen ihrer fdjönen S3erWanbten au gehorchen. £>hne
Weiteren Söiberfpruch folgte fte ihr gebulbig nach, obwohl
ihr ber abfdheuliche 28eg ungleich größere ©chwierigfeiten
bereitete, alg ber boranfdhreitenben -jpertha; benn fte befafj
nicht bie Äraft unb ©ewaubtheit beg Äörperg Wie Bertha,
Digitized by Google
Vornan oon fterbinanb .^ermann.
37
toeldje eine bcfonbcrS häßliche Stelle, einen Meinen 2 Ba[fer=
lauf ober eine if'fiiije anfeheinenb ohne jebe 9 lnftrengitng
mit einem graaiöfen Sprunge übertuanb. Sie toar crhijjt
unb auf baS aieufcerfte erfdfjöpft, als fie nach beinahe brei-
biertelftiinbigem Starfchiren — baS fie überbieS ihrem
eigentlichen faum merflich näher gebracht ^atte —
plöijlich bor einem jiemtich breiten, bon niebrigem ©ebiifeh
umfäumten Sache ftanben, über ben nirgenbS eine Sriicfc
ober ein Steg 3U führen fdjicn.
„SSelch’ ein Strom!" rief Bertha. „Unb nah wnb fan
fein Segel 31t erfpähen! 2 Ba 3 toirb unS 9 lnbereS übrig
bleiben, als bieS reifcenbe ©etoüffer fchtofmntenb 311 über-
minben !"
3 fj* leichte Sommerfleib ein toenig aufnehmenb, ging
fie an bem 9 tanbe beS SächleittS bat;in , unbefüinmert
barum, bajj unter jebem ihrer Schritte baS SBaffer auf-
fpritjte, unb rafdj hatte fte gefunben, hmS fte gefucht.
©in mooSbetoachfener Stein, toclcher mitten im Söaffer
lag, berfprach ben Hebergang möglich 3U machen.
„S)iefer Reifen ift unfere Rettung!" bcflamirtc «Bertha.
„aOßie hätten toir auch unberrichteter £inge heintfehren
bürfen, nachbem Stiefel unb Kleiber hoch einmal hoff=
nungSloS berborben toaren."
©he noch «£>elenc ernftlichen ©infpruch erheben fonnte,
toar fte mit einem behenben Sah auf bie fcfjmate, fdjlüpf-
rige fläche beS SteinS unb bon bort aus an baS anbere
Ufer gelangt. 3efct firedfte fte ber 3Ögernbcn ©efäljrtin
lachenb ben ©riff ihres SonnenfchirmS als Stü^e ent-
Ö c 0en.
Digitized by Google
38
©er üJfoortjof.
„9tur Bhttlj, mein Sdfjatj!" rief fte iljr 5 «. „Selbft
im atCerfäjlimntfien f^atte lann eS nic^t meljr loften als
baS £eben!"
3 n her ©Ijat !am audj -helene fdjeinbar glüdlidj hin-
über, aber als fie brüben feften ffrB faBte, mief) plöBliclj
alles SSlut auS ifjren Söangen, unb obmoljl fte bie Sippen
fefl 3 ufammenbre|te, lonnte fie bodj einen unmillfürlidijen
SdjmeraenSlaut nidjt meljr unterbrüdfen.
„28aS ifl ©ir?" fragte |>ertlja. „|>aft ©u ©ir melje
gettjan 1 ?"
Berneinenb fdjiüttelte bie (Befragte ben bunflen $opf.
Slbex fte muBte baS (Beftdjt babei jur Seite menben, meil
fte füllte, baB bie förderliche $cin iljr bie ©frönen in
bie Slugen trieb.
„(5S ift nicljtS," ermieberte fte bann. „Sfdb Ijobe midfj
moljl ein menig an einer SBurjel geftoBen."
Qrine aUju ängftlidje BeforgniB für baS S&otjl iljrer
9?ebenmenfc£)en fdfjien nicht getabe in ,£jertfja’3 Statur 311
liegen, benn fie gab ftch mit biefer Slntmort, obmoljl fie
mit fehr unftdtjerer Stimme gegeben morben mar, oljne
SBeitereS aufrieben unb fdfjritt um fo fchnetter über bie
funtpftge SSiefe bormärtS, als jetjt baS ©aefj eines <£>aufeS,
meines fte borljer gar nicht maljrgenommen hatte, über
ben SBidfeln einiger eng aufammengebrängten tfaftanien»
bäume auftaudjte unb ihre Neugier reiate. (Srft als fte
auf eine über bie ScEjulter aurüdfgerufene {frage leine
9lntmort erhielt, falj fie ftch nadj iljrer Begleiterin um
unb naljm au ihrer Ueberrafd^ung maljr, baB |>etene nur
menige Schritte meiter gefommen mar.
Digitized by Google
IRoman oon fterbinanb .^ermann.
39
„SJtein ©ott, ma 8 ift benn gefchehen?" rief fie mit
merllidjer Ungebutb. „3ft 55ir eine Boa constrictor über
ben 2 Öeg gelaufen 1 ?"
„ 3 cf) fann nicht mehr, -jpertha!" fant e§ bon ben ent=
färbten unb bebenben Sippen beS jungen fDtäbdjenä aurüd.
„68 ift mir unmöglich, meiter 311 gehen."
„ 2 )u haft 2 )ich atfo bodj berlept? 2 fa, 5)u fttflrrdjen,
toarum fagteft $u mir benn ba 8 nidjt fogleidj? SBaljr=
Saftig, 2 )u bift btafj mie eine meifje ßilie. Slm <$itbc
fättft S)u mir noch ^ier unter freiem Fimmel in Ctjnmadjt."
$ertha mar aurüdgeeitt unb hatte ihren Slrm ftü^enb
um bie aitternbe ©eftalt <£>etenen 8 gefdjlungen. Sitte Un=
gebulb unb alles -£>crrifd)e mar jept aus ihrem SBefen
berfdjmunben, fte mar bod aufrichtiger, tiebebotCer 2 heit=
nähme, unb mit bem SluSbrude freunblidjcn SDUtleibS
erfdjien iljT ©eficht noch ungleid) fchöner, als borher.
„ 3 ch glaubte, e 8 mürbe rafch borübergehen," flüfterte
geleite, bie fichtlich grofje ©djmeraen litt, „aber eS ift
mit jebem ©dritte fchlimmer gemorben. Sfdj mufj mir
ben 5 uB bertreten haben."
„Unb ich, bie 2)idj beranlafjt hat, mir über ©tod unb
«Stein au folgen, trage bie ©djulb baran! S)a ift ein
©renaftein. ©epe 2)ich nur bor Sittern nieber, mein arme 8
^era."
fütehr tragenb als führenb geleitete fte ^elene au bent
einfachen ©itje. 2 )ann aber maren fte für eine fleine
SGBeile SBeibe bottlommen rathloS.
„SöaS nun 1 ?" fragte <£>ertha. „2)aran, bafj 2)u hinlenb
ben meiten ttöeg nach $aufe machen lönnteft, ift fetbft=
Digitized by Googl
40
$>er ÜSootljof.
berfiänblich nicht au benfen, unb meine Kräfte reichen
leiber nic^t aus, 2>ich au tragen. $ier aber !ann idj
2)icb in S5ehter £ilfloftg!eit ebenfotoenig eine ©hmbe lang
allein taffen. S)aS erfe^nte Stbcnteuer Ratten mir ja nun
tüirf tid^ ; nur fdjabe, bafj 3)u es bift, imetcbe bie Äoften
beftreiten fott."
SRingS um fte ^er tjerrfdjte bie tieffte ©titte; meit unb
breit mar nichts bon einem menfdjlidjen SOßefen au er*
fpätjen, unb bie ^Befürchtung tag nur au nabe, bafi eine
fetjr lange Seit bergeben mürbe, etje fte einen anfällig
Vorübergebenben auf ihre Verlegenheit aufmerlfam machen
fönnten. SDa erinnerte ftdj $ertba beS Kaufes, beffen 2)acb
fte über ben Vauntmibfeln gefeben hatte» unb * ur 3 ent*
fchloffen manbte fte ftch nach jener SRidjtung.
©S mürbe ihr erfaart, lange nach einem lebenbigen
Söefen umberfbätjen a u müffen. ©ie hatte faunt bie breite
gahrftrajje erreicht, melcbe an ben ßaftanienbäunten bor*
überführte, als fte bie hothgemathfene ©eftalt eines noch
jungen SJianneS unter benfelben herbortreten fab- STrofc
ber (Einfachheit feineg aus grauem Sobenftoff gefertigten
StnaugeS mar feine (Erfcbeimmg nicht ohne eine gemiffe
Reinheit, unb als er je^t näher fam, gemährte -frertha,
bafj ber breitranbige ©trobbut ein h^bfcheS männliches
©eftcht bon offenem, angenehmem SluSbrucf befchattete.
2Bie ftdjer unb fetbftbcmufjt bie burdj ihre' Umgebung
bon jeher arg bermöfjnte junge SDame fonft auch fein
mochte, nun flobfte ihr hoch bor ^Befangenheit ein menig
baS $cra, ba fte ben milbfrernben Vtann um feinen Sei*
ftanb angeben füllte. Slber er fab ja nicht aus mic ein
Digitized by Google
Montan oott ftevbinanb Hermann.
41
getoöljnlicJjer Sauer, mtb ba fte überbieS bie eigentliche
Urheberin bcS ganjen StifjgefchicfS trat, mufcte fie toohl auch
alle unangenehmen folgen beffelBen muthig auf fich nehmen.
„Seraeihen Sie, mein fperr," fagte fte mit tapferem
(htfdjtuf}; „aber ba ich annehme, bafj Sie au ben Se=
toohnent jenes $aufeS gehören, mufi ich mich tooljl in
meiner peinlichen Serlcgenheit an 3h* c ©rofemuth toenben."
6r ftanb jjetjt unmittelbar Por ihr, unb inbem er h^f*
lieh feinen 4?ut aBttahm, fagte er, fich Porftetlenb, mit
einer tiefen, flangbolten Stimme: „©erharb ^reiftng, ber
Sefifcer beS StoorhofeS, toeldjen Sie bort fehen, mein
Fräulein. 3ch Bin felbflBerftönblidj mit 2111cm, maS ich
bermag, au Sfhren ©ienften."
„Steine Safe hat baS Ungliitf gehabt, fich Bei unferetn
Spaaiergange über bie Söiefen ben Siifj au Perlenen, ©ic
fitjt ba briiBen auf bem Söegfteine unb tann Por Schmer*
aen nicht meiter. Sietteidjt haben Sie einen Söagen, ber
un§ nach ©«hfo& Sdjönheibe, ber Seft^ung meines SaterS,
auriiefbringen !ann."
,,©S ift fchlimm, bafj ich biefe {frage nicht au Bejahen
Permag, mein {fräulein. Steine Beiben ?Pferbe ftnb toeit
brühen auf ben gelbem, unb bie einigen ©efährte, über
melchc ich Perfüge, ftnb Slrbeitetoagen, bie aur Seförberung
eleganter junger S)amen fehr menig geeignet finb."
OBtoohl er nicht Piele SBorte machte, um fte feiner
Seratoeiflung über biefe fatale ^hatfache au berftdhern,
ftanb ihm baS Sebauern boch fo unPerlennbar auf bem
ehrlichen, fonnenPerbrannten ©eficht gefchrieben, bafj Bertha
biefe Serficherungen gar nicht Pemtifjte.
Digitized by Google
42
$)er 9}?oorfjof.
„So fönnen Sie hoch toietteid^t einen Soten auftreiben,
ber nach Schönheibe läuft, um bort einen SBagen au
holen," meinte fte. „Sch hätte mich mohl fetber auf ben
2Seg gemalt, toenn ich e§ über mich gcminnen tönnte,
meine arme fylflofe Safe fo lange fidj felbft au überlaffen."
„3)aau mirb ftch 9tatfj finbett laffen," berfejjte er nach
turaem Sebenfen. „9lber bi§ ber Söagen ^ier fein tann,
muh eine geraume Seit bergehen, benn bie fjahrftrahe
betreibt auf bem funtffigen Soben einige getoaltige Sogen.
So lange famt bie bertetste junge 2)ame unmöglich auf
ihrem unbequemen Sitje in bem naffen ©rafe bleiben, unb
Sie müffen mir mohl geftatten, S^nen für eine Heine
SBeile bie ©aftfreunbfchaft eines befcheibenen Sunggefellen=
heim§ anaubieten."
«fpertha fchmanfte unentfdjloffen, unb fte mürbe bie
(Jinlabung mahrfcheinlich abgelehnt haben, menn e§ fid^
um fte felbft geljanbett hätte. 5lber fte fah mohl ein, bah
^elenenS Sage in ber 2hat eine feljr unbehagliche fei,
unb in ber ruhigen, fchtidjten 2lrt be§ Stanneä mar über=
bie§ fo biet Sertrauenermedenbeä , bah ihr ba§ Söagnih
nicht aüaugroh erfdjien.
bleibt un§ mohl nichts 2tnbercä übrig, al§ Sljr
Slnerbieten mit beftem SDanf anaunehmen," fagte fte. „6r=
tauben Sie mir benn. Sie mit meiner Safe belannt au
machen."
Sie gingen au bem $ptat;e aurücf, auf metchem |>elene
mit tobtenbtaffem ©efichtchen unb mit feucht fchimmernben
3lugen fah, ftchtlidj nur noch mit Stühe ihre Staubljaftig*
feit bemahrenb. Seim 9tnblicf be§ ftatttichen jungen
Digitized by Google
IKoman oon fterbinanb Hermann. 48
2Jtanne§ ging e8 erft toie ein 3ucfen ber Ungetoifcheit,
bann aber toie ein Slufteudjten über ihre 3 üQc, unb noch
ehe |>ertha bie förmliche Vorftettung hatte betoirfen fönnen,
Ratten fidj bie £änbe ber Veiben ineinanber gefunbeit.
„<£>elene!" — „©erwarb!" toar e§ gleicfoeitig unb mit
ben echten ^er^engtauten ber freubigften Ueberrafchung
bon ihren Sippen gefommen. S)a3 junge SJiäbdjen bergab
für einen 3lugenbli<f jeben förderlichen ©thmera, benn if)t
Südjetn toar Reiter toie ^etCfter ©onneitfchein; unb ©er*
harb Qrreiftng , toeldjer noch foeben ber fchöneren Bertha
gegenüber fo biel ruhige Unbefangenheit gezeigt hatte, be=
hielt toie au§ Verlegenheit bie bargebotene fleine .jpanb
ungetoöhnlidh lange in ber feinigen.
^ertha’S Stimme toar eä, beren fyUtx Älang Veibe
au§ ihrer ©elbfibergeffenljeit auffchredte.
„So ftnb bie .jperrfchaften alte Vefannte?" fagte fie.
„2)a müffen toir am ßnbe bem 3«fatt nod) obenbrein
banfbar fein für feine fleine Rederei."
Sfreiftng toar ein toenig aufammeugeaudt, toie Sfemanb,
ber unfanft au§ einem angenehmen Traume getoedt toirb.
Snbem er £elenen8 4?anb freigab , tourbe feine Haltung
plö|tich toieber ernft unb aurüdljaltenb, toie fie e§ bor*
bem getoefen toar.
„fjrräulein Dörenberg unb ich, toir feljen un§ in ber
Sthat nicht aum erften SJtale," fagte er. „Slber e§ ift
eine hüM<h e ^eih* bon'Saljren feit unferer testen S3e=
gegnung bergangen."
„(Sine $ugenbfreunbfchaft alfo? 9tun, man hot mir
gefagt, bafj bie§ bie bauerhafteften feien, unb ©ie toerben
Digitized by Google
44
®er 2J?oor$of.
getoife biel fdjötie (hinnerungen miteinanber au 83 utaufct}en
ljaben, mäfjrenb mir brinrtcn bie 9tnfunft unfereS 3öagen3
ermarten."
9 ?teifing tjatte bic 9Jtatjnung in bcn Ickten Söorten ber=
fianben.
,, 3 fdE) mu^ unt SBer^ei^ung bitten, bafs i(b in meiner
erften liebertafd&ung ba3 9totIjmenbigfte berga^. ©ie finb
berte|t, ©ie leiben bielleidtjt heftige ©d^nte^en 1 ?"
„68 ift nicljt bon 23ebeutung," entgegnete £>elene Icifc.
„3>a3 5lergerlid)e ifi nur, bafj icij nicht 3 U gehen berrnag."
„23i3 jum 2Jtoortjofe ^aben mir gtilcftidhermeife nur
eine Keine ©treefe. Söenn ©ie mir ertauben, ©ie 31 t
ftfitjen, mirb e 8 gehen. Äönnen ©ie mit bern bertepten
^ufje auftreten, Fräulein $etene?"
©ie l^atte fidfj, auf feinen 3trm geflii^t , erhoben unb
machte mit 3 ufammengeprefjten Sännen einen tapferen
Sßerfudh, einen ©djritt 3 U thun. SIber ber 3 «ftanb be3
befdE)äbigten 0?ufce3 mufjte ftd^ mot)l mährenb ber testen
SHertetftunbe berfchlimmert ^aben, benn fie möre mit einem
teifen SBehelaut 3 ufammengefunfen, menn nicht greiftng’S
fräftiger 9ltm ihre fdhmtegfame ©efialt feft umfd^Iungeu
hätte.
„63 ift fdhtimmer, at 8 idh fürchtete," fagte er bolt
beglichet X^eitna^me. ,,©ie bitrfen ftc^ feine meitere 9tn*
ftrengung 3 umuthen; ich merbe ©ie hinübertragen."
^elene hätte nicht mehr 3 eit gehabt, einen 6 infpruch
gegen biefe Slbftdbt 3 U ergeben, benn f<hon füllte fte fidb
emporgehoben unb an feine breite 23ruft gefchmiegt. fDtit
fobiel ©efd&idt unb 3 <tftheit mar er 3 U Söetfe gegangen,
Digitized by Google
{Roman von $eibinaiib Hermann.
4f>
bafi bie8 SllleS fie faum ettoaS UngetoöljnlidfjeS biinfte,
unb in feinen ftarfen Sinnen, bie fie fiirforglidj gelten,
überfam fte bielme^t eine (Smpftnbung bcS VeljagenS unb
ber ruhigen ©icljerljeit, toeldje felBft ben peinigenben !örper=
lidjen ©dtjmera plöfcticfj erträglicher machte.
SJtit einem Keinen Äopff Rütteln folgte £ertha bem
boranfchreitenben ftreifing, ber Don feiner jierlidfjen Saft
anfdjeinenb fo toenig Behinbert tourbe, als filmte er faum
ihr ©etoidfjt. ©chncH Ratten fie ba8 $aui hinter ben
fd&aitigen ÄaftanienBäumen erreicht, unb bie Xodjter be8
reidjen ^erm SlrmBredjt fah mit einiger UeBerrafdjung,
bafj ba 3 ©eBäube eigentlich noch um Vieles Bcfcheibener
fei, als fie eS nach ber äußeren (Srfcheinung unb bem Ve=
nehmen feinet VeftfcerS ertoartet hotte. (58 hotte gar nicht
ben (Sljaratter eines -£)errenhaufe8, toie e8 nach ihrer Vor=
fteKung hoch felBft 3U einem Keinen ©ütchen gehörte, unb
im Vergleid& mit ©chlofc ©cijönheibe toar e8 gerabeau
armfelig au nennen.
316 er an Orbnung unb ©auBerfeit toenigfienS lief} fein
inneres nichts au toünfcfjen. 3 )ie BlanfgefcJjeuerte SDiele
toar nach ber länblidjen ©itte ber ©egenb mit frifchem,
toeifjem ©anbe Beftreut, unb an ber Sßanb be8 geräumigen
VorplafceS prangte eine Steife toon l)ölaemen Vtilchgefäfjen,
beren SJteffingreifen BlinKen unb Blifcten, als feien fie
eBen erft au8 ben £änben ihrer Verfertiger ^erborgegangen.
(Sine Xpr aut Sinfen toar nur leicht angelernt. Sfrei»
fing ftiefj fie mit bem ftufje auf unb liefe feine liebliche
Saft in bem geräumigen, hoch nicht eBen Ijofjen 3 iinmer
Be^utfam auf ein altmobifcheS ©opha niebergleiten.
Digitized by Google
46
$)er SOloorljof.
„#abe ich Sitten auch nidjt toelje getljan?" fragte er,
toäbrenb er noch über fie geneigt toar, unb feine Singen
fudjten babei bie irrigen, „ßeiben ©ie benn nod§ immer
grofje ©djmeraen?"
3b« S3tidEe begegneten fid), unb eS toar meljr als nur
bie S)anfbarfeit für ben eben geleiteten SDienft, toaS unter
^elenenS Söimbem ^erborleud^tete.
„@S ift fcbon biel beffer," fagte fie. „Slbet toie biel
SJiübe unb Unbequemlicbteit haben ©ie um meinettoiKen!"
©erwarb lächelte. „gdb jal^Ie bamit nur einen fe^r
Keinen Streit meiner alten ©<hutb aurücf. 2)odb nun gilt
eS, fdjneU einen SBoien nach ©cbßnbribe abaufdjitfen unb
irgenb ettoaS an i^tjrer ©rleid§terung au tbun. gd) Ijote
3bnen meine SBirtbfcbafterin. ©ie ift eine erfahrene grau
unb toirb bem tränten gufj bielteicht bie erfte £itfe an»
gebeiben laffen tonnen."
®r toar fbbon an ber ibür, als £ertba’S 3uruf ihn
aurüdbictt.
„©agen ©ie bodj 3b«ni Soten, |jert greifing, bafj
er feine Reibung feinem Slnberen mache, als meinem S3ater
in eigener $erfon, unb taffen ©ie ihn in meinem Stamen
auSbrücflicb hinauf ügen, toir toünfchten bon Stiemanbem
abgebolt an toerben, am toenigften bon |jerrn Äreuafamb,
ber fidb möglid§ertoeife baau erbieten fßnnte."
lieber baS gebräunte ©efid^t beS jungen Hausherrn
flog ein finfterer ©dbatten.
„Jheuafamb?" toieberbolte er. „Steinen ©ie ben 23e=
ftjjer bon ©oKnoto?"
„3cb glaube mich an erinnern, bafj feine Seftijung
Digitized by Google
Vornan non fterbinanb Hermann.
47
biefcit 9iamen führt. Stber ©ie fragen baS in einem fo
fonberbaren SEone. 3fi «£>ert Äreualamp nicht 3hr Ofteunb 1 ?"
„SBiein Qfreunb? 9?ein, mahrhaftig, baS ifi er nicht!"
Kang eS mit einer faft befremblicfjen 4?ärte Pon ben Sippen
beS fungen fßtanneS. „CSr ift Pielmehr ber einige SDlenfd^,
ben ich Pon ©runb meines <£jeraenS Perachte. ©och Per=
aei^en ©ie; bie SBefteßung eilt unb foß pünftlich aus*
gerietet tperben."
2llS bie ST^ür hinter ihm augefaßen mar, toanbte fidj
#ertha lebhaft an ihre 33afe.
„©ein Sugenbfreunb ift ja' ein prächtiger SJtenfh,
geleite ! Söarunt in aßer ßöelt haß 2>u mir niemals
Pon ihm gefprochen?"
Shrent fdjarfen SBlicfe entging baS aarte (Srröthen nicht,
toelchcS über bie SBangen ber Gefragten hufchte.
„@S ift toohl beinahe se^n Sahre her, feitbem ich ihu
aum lebten SJtale gefehen habe. 3h mar bamalS noch
ein gana Keines fDtäbhen."
„Um fo inniger mufj eure 3uneigung gemefen fein,
menn ihr euch heute noch auf ben erften 33lid mieber=
erlernten fonntet. ©u mufjt mir noch ausführlicher Pon
ihm eraählen, benn er intereffirt mich in ber ©hat. ©hon
bie 9tüdfichtSloßg!eit, mit metäjer er feinem Slbfheu gegen
ßreualamp SluSbrucf gab, ohne hoch unfere SBeaiehungen
au betn SUtanne au lennen, hat mir auSnehmenb gefaßen.
Solche 2lufrichtigteit gehört heutautage au ben felteiten
©ugenben."
„£>, er mar fletS Pon unbebingter SBaljrhaftigleit."
Perficherte |>elene mit etmaS perbächtiger SBärnte. „9iie
48 $er ÜDiootfcof.
toütbe ein untoafireg äöort aug feinem SJtunbe gefom*
men fein!"
$ertt)a rnufjte bie Keine Siedetet, bie iljr auf bergunge
lag, unterbrüden, benn eine einfadj gefXeibete ältliche grau,
mit einet toeifjen .jpaube auf bem ergtauenben .fpaar, ttat
übet bie ©djtoeHe. ©ie ttug eine SBafferfdjüffel unb ein
Spädcljen mit toeifjem ßinnenaeug. (58 toat alfo fein
3toeifel, bafj fte bie bon greifing angefünbigte SSirtlj*
ft^aftetin fei. Cfjne biel neugierige gragen unb aubtittg»
licfje ©efdfjtoäpigfeit ging fie batan, nadj Äräften «^itfe
3 U leiften. 35et berlejjte gufj toat freilich fdjon fo ftarf
angefdjtooKen, bafj ba8 burdjnäfjte ©tieferen ebenfo toie
bet ©trumpf nur unter energifdjer guljilfenahme bon
SJteffer unb ©djeere entfernt toerben fonnten.
„Sta, eg ift toenigfteng nidjtg gebrochen," meinte bie
alte grau betuf)igenb, nadjbem fie ben leibenben gufj
überall beftd^tigt unb befüljlt hatte. „Sin furjeS Äranfen*
lager toirb eg too^l geben, benn berftaudjt ober beraerrt
ift ba jebenfallg ettoag. Slber toie fann man auch mit
folgen ©tiefein über uttfere SBiefen gehen! S)a8 ßeber
ift ja nicht biel beffer at8 Rapier."
©ie taufte eines! ber ßinnentiidjer in falteg SOßaffer
unb legte einen SSerbanb an, ber atlerbinga faum bag
Sntjüden eineg S^irurgen getoefen toäre.
„föieljr hätte ein S5oftor für’g (Srfte auch nid^t thun
fönnen," meinte fie mit unberfennbarem ©elbftgefühl.
„igdtj berfiehe mich ein toenig auf biefe ©adjen, benn mein
feliger SJtann toat X^ierarat, unb man fteljt am <5nbe
nicht jtoanaig Starre lang ohne ieben Stufen au."
Digitized by Google
Vornan uon tjcrbiitnnb ^ermann. 49
•fjelene ^atte fic^ gebulbig in 2ltte«J gefügt, toa§ mit
l iBr gefdBaB, unb toäBrenb bie SöirtBfcBafterin bie oott
iBrem SJtanne erlernten tfjieräratlidjen Äunftgriffe au praf*
tifdjer 2lntoenbung Braute, toanberten bie 33lide ber 5ßa=
tientin in bent 3inimer umBer, baS iBr ju einem gaft=
lidtjen CBbacB getoorben toar.
SDie 2lu3ftattung toar attbäterifdj unb überaus ein=
fadB; eS toar nidBt ein einziges ©tüdf ba, toelcfjeS Iebigtidf;
i als ßujuSgegenftanb Bätte Be<jeid£)net toerben fönnen, bentt
bie groben SüdBergeftelle an ber einen Söanb unb bie
Beiben trefflidjen Äupferftidje, toelcBe in fdjlidjten fdjtoaraen
ffiaBmen redjtS unb linfS Oon ber niebrigen £Ijür gingen,
fügten fidj toie notBtoenbige SeftanbtBeile in ben ß^arafter
ber fdjntucflofen ©inridjtung ein. $er Sifdj atoifdjen ben
Beiben Ofenftern toar mit ©cBreiBmaterialien, 23ücBern unb
©dtjriftftüden boUftänbig Bebedt; aBer oBtooBl er bie ©puren
Bäuftgen ©eBraucBS ganj unöerfennbar auftoieS, geigte fid^
auf iljm bocB biefelBe Crbnung unb ©auBerfeit, tocldje
bent ganzen $aufe fein eigentBümlicBeS ©epräge gaB. @s
toar ein Sunggefellen^eim, baS ju feiner 3^it ben un=
ertoarteten 23efucB einer S)ante Bätte fürchten müffen, unb
über bem ©an^en toar ein .£>audB gentütBlicBen 33eBagenS,
toie er felBft ben präcBtigften Daumen in ©djlofj ©df)ön=
Beibe Oollftänbig fcBtte.
2ludB ^»ertBa mocBte tooBl einen äBnlicBen ©inbrucf
empfangen Baben, benn fie gab fein 3eicBeit ber llngebulb,
oBtooBl nacB ber ©ntfernung ber SBirtBfcBafterin Minute
auf fDtinute Perrann, oBne bafj baS Stollen beS ertoarteten
SCBagenS OerneBtnlidB getoorben toäre. 93iit einem ßäcBelit
Sibliottyef. 3a^rfl. 1890. Sb. V. 4
Digitized by Google
50 Ser Sftoorbof.
bon be<jaubernber £iebengmürbig!eit begrüßte fie ben ,£>aug*
herrn, alg er nach einer Söeile toteber eintrat, auf einem
Seiler ^toei (Bläfer Stild) tragenb.
,,©ie ^aben, toie ©ie fefjen, bag Unglüd gehabt, in
bag .fpaug eineg redeten Säuern p geraden, meine Samen,"
fagte er, „unb nur bie ©aftlidjfeit eineg Säuern ift eg,
bie icfj 3^nen 3 U ermeifen bermag. SGßollen ©ie bie Heine
Erfrifdjung trot^ i^rer Sürftigfeit nicht berfcfjmäljen'?"
tinb ohne 3iererei griffen Seibe jju bem tänblichen Srunf.
„Sag munbet föftlich," fagte |jertha. „äöafjrljaftig,
idj fange fdfjon an, biefem bielgepriefenen £anbleben eben=
fallg (Sefdjmacf abaugeminnen."
„Sh* Söagen mufj meiner Seredjnung nach binnen
menigen Minuten eintreffen," fuhr greijtng fort. „|>at
Sfjnen meine gute grau Senfen einige Erleichterung au
fcfjaffen bermocht, gräulein Helene ?"
„S<h fpüre laum noch eiben ©chmera," log bie (Be*
fragte. „Slber eg beÜimmert mich, ba| ich Sh n eb unb
ber trefflichen grau fo biel Unruhe bereiten mufj."
„Sag ift fiirtoahr eine überfiiiffige ©orge, benn ich
bin, toie ©ie recht toohl toiffen, noch S^t tief in Sh***
©chulb. S<h h a &e bie Seit nicht bergeffen, ba ©ie tbie
eine gütige Heine gec, ober ich möchte lieber fagen toie
ein lebenbiger ©onncnftrahl in bag Äranfenftübchen meiner
armen Stutter fd£)lüpften, um ber bont ©df)iiffal h<**t=
geprüften grau ihre trüben Seibengftunben au erhellen.
Sch toar ein täppifcher Sunge, ber nientalg recht augau*
brütfen muhte, mag er empfanb; aber ©ie bürfen mir
glauben, gräuleiu |>elene, bafj ich ©ie bamalg berehrte
Digitized by Google
Vornan roit fterbinnnb Hermann.
51
toic ein übevirbifdtjcö Süefeti. f^rcilic^ fonnten aurfj Sie
ben farg jugenteffenen SebenStagen bev Äranfen feinen
binpfügen, aber noch in ber SobcSftuube batte meine
Butter 3^ren Warnen auf ben Sippen."
Gr brach ab unb flaute bor fttf) nieber. ©ein cbr=
lieber ©efidjt toar febr ernft getoorben. SBenn er fich auch
männlich beljerrfcfjte, toar eS if)m boeb anpfeben, bafj bic
Erinnerung iljn mächtig ergriff.
„Unb bann mußten Sie toeit fort in eine anbere
©tabt," fagte £elenc nach fur^em ©d)toeigen. „28ir toaren
SSeibe febr traurig, als toir unS an jenem üEagc trennten."
„©o erinnern ©ie fidj beffen noch?" fragte er, unb eS
toar ein teifeö 33eben in feiner tiefen ©timnte. „3a, ich
füllte mich bamalS fo namenlos unglütflidb über ben 3 tuei=
fad^en 33erluft, bajj ich ernftlicb gegen bie ^erfnetjung
fämpfen mufjte, in irgenb einem Söafferlauf all’ meinem
^erjeleib für immer ein Gnbe p machen. — Wun," fuhr
er in einem Oeränberten, freieren Üone fort, „baS Seben
nahm mich fogleidf) in eine tüchtige, trenn auch ettoaS
barte ©dple. S)a lernt man foldfje Wntranblungen fcbtoäcb=
lieben ÄleinmutbS halb übertoinben."
„Unb man lernt barin auch toobl feine ^Besprechungen
bergeffen," fiel Helene mit einem Sätteln ein. „©ie haben
fich toenigftenS ber S^rigcn, mir hier unb ba ein SebenS=
jeidben p geben, niemals erinnert."
„2)ocfj, Fräulein <£>elene. 3cb tooHtc nur toarten, bis
idf) auS bem erften Glenb betauS fei unb $b n en ettoaS
Erfreuliches mittheilen fbnne. Unb biefer 3eitpunft liefe
leiber ein paar $abre auf fich toarten. 2llS er bann
Digitized by Google
52
Ser 2ftoorf)of.
cnblidj getommen mar, ftBrieb icB 3Bnen einen langen
SSrief unb berfaB i^n mit ber Slbreffe 3^re§ ^errn SaterS.
Srei Sage fpäter Braute i$n mir ber 5ßoftBote als un=
BeftcHBar gurücE, unb auf bem Umfd^lag ftanb ber Söer=
inert : ,Slbreffat bergogen — unBetannt moBin.‘"
«Helene Butte bie ßiber gefenft, fo bafj er iBr nid^t
nteBr in bie klugen feBen tonnte, unb eine 33lutmette flutBete
Bis an baS buntle |jaar Binauf üBer i|r ©eficBt. fDtit
leifer, unficBcrer Stimme ermieberte fie : „SlucB üBer midj
mar ferneres Unglütf gelomnten. SQteine Sftutter ftarB
nacB turger ßranlBeit, unb menige SJtonate fpäter folgte
iBr mein 33ater in bie Etoigfeit nadj. Ser Sob Batte iBn
ereilt, al§ er ficB auf einer gefc^äftlid^en Steife in Slmerifa
Befanb. £>B ne Bie ©Ute meines CnfelS SlrmBrecBt, beffen
.£>uuS mir feitbem eine gmeite -fpeimatB gemorben ift, mürbe
icB gang betlaffen gemcfen fein."
Sie Batten üBer bem SluStaufdj iB*er Erinnerungen
bie SlnmefenBeit IfertBa’S offenbar boflftänbig bergeffen,
unb manbten ficB Söeibc mit faft crfcBrocfenen SJtienen um,
als «gjertBa’S Stimme bom Qrenfier fyx crllang: „Sa
fommt ber Söagen. ES tljut mir leib, meine |>errfcBaften,
bafj Sie für bieSntal 3B** UnterBaltung abBrecBen müffen."
3u ber SBat fuBr eben ber elegante Sanbauer bon
ScBlofj ScB&nBeibe unter ben Äaftanienbäumen bor, unb
ber 33ebiente mit bem Bo(BntütBig=bummen ®eficBt unb
ber prunfBaften ßibree fcBmang ficB Born S3otf , um auf
bie SBür beS |>aufeS gugufcBreiten.
„Sie bürfen fidj beS franlen gfufjeS je|t nocB meniger
Bebienen, als borBin, Fräulein Helene, unb bie ungem&Bn=
Digitized by Google
t
Kommt oon ^rcrbittanb Hermann. 53
lidjen Umftänbe tnüffen fdjon ben fteinen Verftofj gegen
baS gefellfdjaftlidje $erfommen entfdjulbigen."
2Rit biefen Söorten Ijatte ©erwarb öreifing feine aier=
tid^e Sugenbfreunbin nocf) einmal in feine 9lrme genom=
men, nnb ber galonnirte Wiener rnadjte ein unbefdjreiblid)
bevblüffteS ©efidjt, als iljm ber fonnengebräunte Vlanit
mit feiner lebenbigen Saft auf ber 2)iele entgegentrat.
„Ceffnen ©ie ftatt Sljreä VlunbeS lieber ben 2öagen=
fdjlag, guter öfreunb!" rief iljm ©erljarb au. „SDamit mirb
unS für ben Kugenbtid beffer gebient fein."
2)ie alte SBirtljfdjafterin !am mit einigen 2)eden unb
ßiffen auS bem £aufe. 9lber ifjre ftürforge ermieS fief)
al§ unnötig, benn eS fanb ftdj bereits ein Ueberflufj bon
folcfjen 2)ingen im Söagen bor. Vtit ^ert^a’S <£>ilfe mar
$elene halb in eine möglidjft bequeme Sage gebracht, in
toeldjer i§r felbft etmaige ©töfjc auf bem fdjtedjten Söege
leinen ©djaben jufügen tonnten.
„Keimen ©ie nod) einmal unferen 2>anf für Sljrctt
großmütigen 33eiftanb," fagte <£>ertlja, inbem fie {Jrcifing
bom Söagen ^erab mit mirtlidj geminnenber {yreunblid)=
feit if)re .jpanb entgegenftredte. „^dj redjne feft barauf,
©ie red)t halb in ©djönbeibe mieberaufeljen."
©erwarb Qrteifing’S ftumme Verbeugung fonnte ebenfo=
tboljl eine 3ufage als eine Ijöflidje Kblefytung bebeuten.
„3dj münfdbc Sbnen bon -jperaen balbige ©enefung,
Fräulein $elene," manbte er fid), mäljrenb ber S)iener
bereits auf ben Vod fletterte, an baS junge Viäbdjen.
mar mir eine maljrljaftigc .jperacnSfreube, ©icmieberaufeljcn."
©eine ©tiinme Ijatte einen eigentümlich bemegten
Digitized by Google
54
$er 2 )ioor{jof.
Ätang. |>etene Tratte bie dmpfinbung, baf}, er biefe üEren»
nung abermals atS einen 2ibfdjieb Betraute auf lange
3eit, unb eS burt^sucfte fie toie ein heftiger förderlicher
©cbmer 3 bei biefem ©ebanfen. ©ie toottte ihm ettoaS er=
toiebern, tooltte ihn mit ben innigften £önen, bie ihr 311
(Gebote ftanben, bitten, .ipertfja’S Sintabung nicht unberücf=
fidhtigt 3 U taffen. 2lber ben Sßferben fdbien eS nicht toobl
3 u fein bor einem fo befcfjeibenen .fpäuSdben, toie eS ber
9floortjof toar. ©ie fdbarrten unb ftampften ungebutbig
ben 33oben, unb als ber Äutfdjer nur ein ftein toeitig an
ben 3ügeln rucfte, festen fie fidb rafctj in 33etoegung. SDaS
erfte fdf)üdf;tern bittcnbe 2Bort ^etenenS ging in bem knarren
unb holten ber 9iäber ungeljört bertoren.
35aS fonnengebräunte Stnttiij mit ber $anb bcfdbattenb,
fdjaute ©erf}arb Srretfing bem SBagen nach, bis bie erfte
tßiegung ber bietgeiounbenen ßanbftrafje ihn feinen 33li<fen
entzog. S)ie frifdben ßippen unter bem blonben ©dbnurr=
hart 3 utften ein toenig; aber man fab eS ihm toobt an,
bafj er nicht ber 9Jiamt toar, ficb lange bon toeicbmfiibigen
Regungen gefangennebmen 3 U taffen.
ßrbobenen £aupteS toanbte er ficb toieber feinem ein=
fadben ^äuSdben 3 U.
„@S beifit Jö, ber ©pefutant Strmbredbt fei ein mehr*
facber 9JtiÜionär," fagte er halblaut bor fidb bin. „9limm
S)idb äufamnten, alter Sfunge. ©otdbe Trauben hängen
für 2 )idb 3 u bo<h-"
Unb friföb unb rüftig, toenn audb bietleid^t ettoaS ernfter
als fonft, ging er an feine Arbeit, bie fidb in nichts bon
ber Arbeit eines getoöbntidben dauern unterfdbieb.
Digitized by Google
Vornan oou f^ecbinaub Hermann.
55
^weites Kapitel.
<£jertBa 2lrmBrecBt Batte ben ©efdjäftgfreunb il)re3
33ater§ bocB nidjt ganz ridjtig Beurteilt, Wenn fie ber
Meinung getoefen War, bajj er ben ganzen fßatf burcB=
ftreifen Würbe, um bie Beiben 3Damen aufzufudjen. 2lHer=
bing3 Batte er bie SßeraBrebung burdjauä crnftBaft ge=
nommen unb fidj bor bent (Sd^toffe faum bie $eit gegönnt,
bem rafdö BerBeigeeitten Srricbrtdj einige furze 23erBaltung3=
regeln in 23ezug auf ben ziemlid) warm geworbenen SBräuncit
Zu geBen. (So fdjnett e§ iBm nur möglid), War er zu bem
Beftimmten 5pta^e an ber alten £inbe geeilt; aBer als er
bie ©efudjten bort nirgenb§ erBlidtc, Batte er ficB feinen
SlugenBlid einer ÜäufcBung barüBer BingegeBen, baf} man
iBn 3 um SBeften geBalten BaBe.
(Seinen golbenen ßBtonometer — ein fteineä 9Jteifter=
toerf ber UBrmadjerfunft — au§ ber SSafd^e jieBenb, warf
er einen ftüdjtigen 33lid auf ba§ 3iffevBlatt.
„3eB n Minuten!" murmelte er. „Unb fie Batten
BöcBftenö fünf geBraucBt, um Biet zu fein. SDa§ ift na=
türlicB ba§ Söerf ber fleinen 2lrmBrecBt. 9hm, meinet*
Wegen! G3 Wäre ba3 erfte 9Jtat, ba| icB ntid) bazu
BerBeilaffen müfjte, einem Frauenzimmer nadjzulaufen."
Gr Begleitete ben felBftBcWufjten (SdjlufjfaB be3 furzen
(SelBftgefprädBcS mit einem Beiferen £adjen, unb ging bann
gemädBlidBen <Sd>ritte3 benfelBen Sßeg zurüd, weldjen er
in fo grofjer Gtle gefommen War.
2113 er ben fßlatj bor bem (ScBloffc Wieber erregte,
trat eBen ber .fperr beffelBen mit .jput unb (Stocf auf bie
^erraffe Binau3.
Digilized by Google
56
$)er SDtoovbof.
„<g>oUa, tiefer ffreunb! Slaufenbmal miüfontmen auf
bern eigenen SBoben!" Hang iljm $reu 3 tamp’§ Stimme
entgegen. „ 2 Bie e§ fdjeint, märe idj um ein |>aar ja audj
^ier mieber 3 U ftrnt gelommen."
C^ne Umftänbe fdjob er feinen Strm unter benfenigen
be§ 9tittergutäbefitjer§, unb e§ fodjt itjn augenfdjeinlid)
feljr menig an, bafj 9lrmbredjt fid) biefe Sßertrautid^feit
nur mit unberlennbarem SBiberftreben gefallen lief?. E§
flang mie eine recf)t berbriejUidje Entgegnung auf ben
freunblidjen äöittfontmengrufj, at§ ber ?lnbere, tjaftig
metter fdjreitenb, fagte: „EKbt e§ benn etma§ 91eue§,
Äreu 3 famb, baff Sie e§ fo eilig haben, mich 3 U befugen?"
„EtmaS 9teue§? *Jtun, toie man’S nehmen miH! Sie
miffen ja, befter gfreunb , für Einen, ber bie klugen offen
hält, liegen bie intereffanten 9teuigteiten fo^ufagen auf ber
Strafe. 3lber e§ beburfte hoch mo^I feines befonberett
91nlaffe§ für midi, um S^nen meinen Slntrittsbefudj al3
E5ut§nad)bar 3 U machen."
„<£>m! 3 d) ban!e Sbnen. Slber ich b fl be ^eute ben
$opf fo boU bon biefen Umaugäärgerniffen — e§ ift mir
ein toaljreS 33ebürfnifj, je^t ein toenig frifcfje £uft $u
fdjöpfcn."
„Natürlich! Söo^u märe man benn auch auf bem
Sanbe? Unb ba fidj’ä 3 U gmeien angenehmer promenirt,
merben Sie mir erlauben, mid) 3b nen an 3 ufcbliefjen. $dj
ber 3 id)te freimütig auf ben 33egrüfjung§trunl, benn unter
guten S3e!annten nimmt man’3 mit ben fjörmlidjfeiten
nicht gar fo genau."
5lrmbredjt räufperte ftd) mieber. Ein Schotten beS
Digitized by Google
Kontern non fterbinanb ©«mann.
57
lag auf feinem mohlgenährten ©eficfjt. ©ein
^Begleiter mufjte in ber Üljat ein fdfjled^ter 9Jtenfchen!enner
ober bon fehr tuenig empfinblidher Katur fein, menn er
gar nicht bemerfte, bnfj er in biefem Slugenblitf feineS=
megS miKfommen mar.
©djtoeigenb maren fie einige Minuten lang auf einem
ber 5parfmege bahin gegangen. 2 )ann ertönte bon Keuent
$reua!amp’S unangenehmes Organ: „Wach bem 33efinben
ber jungen 25amen Braune id) mich nicht ju erfunbigen,
benn ich hatte foeben baS ©lüd, fte in beftem Söohlfein
anautreffen. Söir hatten fogar einen gemeinfamen ©paaier=
gang burch 3 h* en linbergleidjlichen *ßarl berabrebet; aber
ba ich erft mein $ferb unterbringen rnufjte, haben mir
unS leiber berfehlt."
*Dtit einer 9)iiette beS GrftaunenS blieb Slrmbredjt
flehen.
„ 60 ? ©ie moüten meine Tochter begleiten? SöoHen
©ie mir berfarecljen, ein ehrliches Söort nidht übel au
nehmen, befter ©err Jheuafamfe?"
„23ebarf eS baju einer SJerficherung ? Unter ffr eunben — "
„9tun ja," fiel ber Slnbere etmaS unbehaglich ein,
„unfere gemeinfamen gefdhäftlidhen Unternehmungen haben
unS aKerbingS in gemiffern ©inne au fyreunben gemadht,
unb ich hoffe, bafj mir nodh manchmal miteinanber ar=
beiten merben — "
„GS mürbe menigftenS nicht au 3h«m ©(haben fein,
mein lieber Slrmbredht. Ohne mich märe Sh^en aum
SSeifpiel ber ©runb, auf bem mir ftehen, mohl fdhmerlidh
für ein SButterbrob a u S e faflen."
Digitized by Google
58
$>er SKoorfcof.
„freilich! ^reilid^! Sdj erlenne baS an, Wenngleich
©ie flug genug waren, Bet Bern ©efdhäft Sh* ©chäfdhen
ebenfalls recht tüchtig au fchccren. 9lber eS ift bodfj
immerhin ein getüiffer Unterfchieb au machen atoifchen
faufmännifdhen unb gefettfd^afttic^en Veaiehungen. ©ie
werben baS nid^t mifjberftehen, wie ich ^offe."
„9tcin, benn ich höbe noch gar nic^t baS Vergnügen,
eS überhaupt au berftehcn."
„$m! Sch meine, bafe mir meine ©teßung otS Ve»
ft^er beS gröfjten unb bornefjmften ©uteS ber ganaen
©egenb bodj wohl einige Verpflichtungen auferlegt, unb
bafj ich hwfichttich meines Umganges nidt)t überall lebig»
lieh meinen Neigungen folgen barf. Sch Würbe fetbftber»
ftänblich nicht fo biel Vtühe unb Sofien auf bie SluS»
ftattung bon ©d£)lofj ©chönheibe berWenbet höben, Wenn
id) nicht barauf redjnete, eS aum Viittetpunlt einer mög=
lidhft glänaenben ©efeKigleit au machen. £ier auf bent
Sanbe faßen ja alle bie Vebenfen fort, Welche brinnen in
ber ©tabt gerabe biejenigen Greife, um bie eS mir am
meiften au Hjun ift, bon meinem |>aufe fernhalten. Jpier
Bin ich nichts Weiter als ein reicher ©rofjgrunbbefiher,
unb meine abeligen 9iadjbatn Werben borauSfidjttich meiner
iinlabung ebenfo bereitwillig f^olge leiften, als bie arifto*
Iratifdjen 2)ragoneroffiaiere auS ber ÄreiSftabt. 3lber — "
ßr fdjien nun bodj um bie fjortfeijung in Verlegen»
heit ; aber bie fdfjlouen, berlniffenen Sleuglein $reuafontp’S
hatten im ©egenfaij a u feinen SBorten längft berrathen,
bafj er ben 3we<f ber eigenthümlidhen (Sefprädh^wenbung
bon bornherein bollfommen begriffen höbe, unb er fah fich
Digitized by Google
iRonian tton fterbiuanb ^ermann. 59
nun enblidj beranlaßt, bent Oberen ein toenig ju .frilfe
ju fommen.
„Slber Sie füllten, baß eä biefc Herren abfdjrecfen
fönnte, toenn fie anfällig einmal mit mir aufammenträfen,"
ergänzte er in einem Üone, ber offenbar recht gutmütig
Hingen füllte. „$ch lann iSljnen baä nachfüljlen unb bin
als borurtljeilälofer 9)tann feljr meit babon entfernt, eä
Sinnen übel au nehmen. 3lber Sie befinben fidj in einem
StrUjunt, mein Sieber, in einem fefjr großen Sfrrtljum,
ber nur auä S^rer Unfenntniß ber hefigen 3$erl)ättniffe
3 U erflären ift. Unter ben bornehmeu unb ariftolratifcben
Herren, bor benen Sie mich au berleugnen gebeuten, ift
laum ein (Sinaiger, ber nicht fdjon gelegentlich meine .jpilfe
in feinen borübergeljenben ober baiternben ®elbberlegen=
Ijeiten in Slnfpruch genommen hätte. Seien Sie berfidjert,
baß alle biefe $abaliere mich mit auSgefudjtefter «jpöflidj*
feit behanbeln toerben, too auch immer fxe mit mir 311 =
fantmentreffen, unb baß e§ ber SlnaiehungSfraft i 3 h*eä
Kaufes nicht ben geringften Abbruch thun toirb, toenn ich
au feinen regelmäßigen 33efudjern gehöre."
25ie berbrießlichen galten in ^Irmbredjt’S ©efidjit tourben
noch fchärfer. Seine Sebenfen toaren burdj ba§ Selbft=
bertrauen Äreuafamp’g offenbar feine§toeg§ befeitigt.
„2)a3 mag ja 2lUe§ feine 9iicf)tigfeit haben," meinte
er, „unb bodj möchte ich ©ie bitten, toenigftenS für bic
erfte Seit eine getoiffe 3 utüdh Q ttung beobachten."
25er gutmüthige ©efdjäftäfreunb gab noch immer fein
■Seichen be§ ©efränftfeinS.
„9hm, toie Sie toollcn! 9)ian muß fich 9iiemanbem
Digitized by Googli
60
$er 9)toorIjof.
aufbröngen. 916 er ©ie toerben e§ bietteidjt halb bereuen,
mir nur bie $£pr 3 pe 3 GomptoirS unb niep audfj bie=
jenige 3pe§ ©alonä offen gehalten ju pben. 3dj moltte
3pen eben anlünbigen, bafj idfj einen «fjetrn bei 3pen
einjufüpen gebadete, melier allein ein Cffi^iercorp auf*
gemogen ptte mitfammt ben ©rofjgrunbbefiprn ber ganzen
5|3robin3."
3 Bie teieppn baä audj gefprodfjen mar, fo fiefjer mar
$reu3famp bodj ber Söirfung feiner SBorte gemefen. 2JUt
unberufener Ueberrafdpng manbte fief) itjrn 9 lrmbrecp
3u, unb in mefenttidj freunblicprent £one alä borpn
fragte er: „|)anbelt e§ fid(j ba bießctdjt um eine ber in*
tcreffanten Steuigfeiten, bon benen Sie borpn fagten, bafs
fie auf ber ©trafje liegen?"
„SieHeicp! Slber fie ift jef für Sie ope SSebeutung,
benn id^ lann 3pen berficprn, bajj ber ermäpte ^>err
nur an meiner ©eite bie ©dpjette $pe§ |)aufe 3 über*
f dpitten pben mürbe."
„S)a§ Hingt ja äufjerft gepimnipott. Ginen ber*
foppten ^Prin^en merben ©ie bodfj am Gnbe niep ju 3pen
näheren 39 efannten 3äfen. $>en tarnen menigftenS mirb
man ja mof erfapen ffmnen."
$reu3fantp !niff feine Weugleiit sufammen, fo bafj fie
bottftänbig 3mifdjen ben mulftigen Sibern berfdpoanben.
„$aben ©ie 3pe Üiüdfidpen, berepter ffreunb, fo
pbe icij audj bie meinigen. Gä gibt 3um GlüdE nodj
mep fieute in ber SDßett, bie geneigt ftnb, ope biele Um*
ftänbe eine 3 Jtittion ober berglcidjeu 3U berbienen."
Söüpenb ber 33efifcer bon ©cpnpibe bie .jpanb be§
Digitized by Google
'Jfomatt oon fterbinanb .£)erinann.
61
untoittfommenen 33eglciter3 bi3ljer nur mit offenem Un=
besagen auf feinem 9lrm gebulbet ljatte, erfaßte er fic
plötjlidf) mit heftigem 2)rucf.
„2Ba3 fagen Sie? ©ine Million ? 9Kj, Sie motten
fidj nur ein menig tädjen! 2)ie Wtittionen fatten Ijeut*
zutage nidjt metjr bom Fimmel."
„9lber fic liegen jutoeilen nodj auf bem 2Jteere3grunbc
ober auf trgenb einem Keinen ^nfeldjen in her ©übfec.
©3 fommt nur barauf an, fidj be3 Talismans ju ber=
ftdjern, ber ben Sctjatj erfdjliefjt."
„SCBenn Sie anfangen, in poetifdfjen ©leidjniffen au
reben, Äreuafamp, rnufj ber ©eminn atterbing3 fcf)on aiem«
lidj italje fein. Wun, Sie finb ein Vernünftiger SJtenfdj
unb Sie fjaben toorfyn felber gefagt, bafj Sie feine 5öor=
urteile Ijaben. Weinten mir atfo an, bafj idj nur Sfljre
©mpfinblicfjfeit Ijätte auf bie ^robe ftetten motten, ober
bafj idj burcfj bie Unbequemlidjfeiten unb ben Werger
biefeS £age3 etma3 berftimmt morben märe. Wtacljen Sic
mir ba3 Vergnügen, bei bem Keinen 6inmeiljung3fcft,
toeldjeS idj bemnädjft geben merbe, mein ©aft au fein unb
nennen Sie mir ben Warnen 3fl)re3 WteerfönigS ober Silb*
feeprinaen, bamit idfj aud^ if)tn meine ©inlabung fenbeu
tarnt."
„©3 bebarf beffen gar nidjt, benn er mirb midj aucf)
o^ne befonbere ©inlabung begleiten, fobalb idj e3 mttnfdje."
„WHe äßetter, finb Sie feiner fdjon fo gemifj 1 ?"
„So gemifj mie meiner felbft. 3fdj ^atte i^n am
öäbdjen, unb nur derjenige, bem idj felbft e3 augebadfjt
Ijabe, mirb an bem Wtittionengefdjäft beteiligt fein."
Digitized by Google
62
$er ÜRoorljof.
„9lber ©ie |aben babei bod) mo|l aunädbft an micf)
gebadet? Hinein alten ^reunbe ge|t man mit bergleidben
nidjt borüber!"
„33emeifen ©ie mir, bafj ©ie mein ^rcunb finb, 2lrm»
bredjt, unb amar nid^t nur mein faufmänntfdjer, fonbern
mein mirflidfjer {Jreunb."
2)er Slnbere marf einen ungemiffcn, forfdfjenben 33lic£
auf baS <&efic|t be§ ©predbenben.
„SDenfen ©ie nodj immer an meine bumnte Steuerung
bon borlm?"
„9iein, nidjt baran. ©otd^c Ä’leinigfeiten |aben für
nticf) fein ©emidbt. Slber menn ©ie mich fd^on nicht 3bre§
gefeßfdbaftlidben ^öerfe^rS mürbig erachteten, mufi idb frei=
lidj fürchten, mit meinem größeren Anliegen fd^mä^lid^
abgemiefen au merben."
,,©o taffen ©ie bocb menigfienS ^ören, um ma£ eS
fidb ^anbelt. ©ie faßten miffen, bafj idb als ®efdbäft3=
mann bie Slnbeutungen unb bie falben ßöorte nicht fonber»
lieh liebe."
„9ta — fura ljerau§ benn! 3c| ^abe bie 9lbfidjt, mich
mieber au berbeirathen."
Slrntbredjt blieb abermals fielen, unb ba§ grenaenlofe
Hrftaunen, baS ficb in feinen dienen miberfpiegelte, mar
nicht gerabe fdbmeicbel|aft für feinen Begleiter.
,,©ie?" fragte er. ,,©ie? 2lcfj, baS ift nicht 3b*
Hrnft !"
Äreualamp a°9 QU feiner Söefte mie 3et«anb, ber
feiner äußeren Hrfcbeinung bie te|te, fjödbfte ^oßenbung
geben miß.
Digitized by Google
fRoman »on f^erbinanb föeritiann.
63
„3(atool)t — ich felbft!" cntgegncte ei mit bolffommener
(Maffenheit. „3ch benfe, aef)u 3ahrc ber Trauer toären
übergenug auch für ben tugenbhafteften Söitttoer. 3dh
fange an, mich einfam au füllen, unb eS gibt fo biele
f)übfche 9Jtäbdjcn in ber Söelt, bafj idj gar nicht einfehe,
toarum nur gerabe für mich feines ju Ijaben fein folf."
2>em föittergutSbefifcer fdjien bläulich eine feltfame
Befürchtung fommen. ©ein ©efidht fegte fidj toieber
in ftrenge, faft brofjenbe haften, unb er fragte in einem
Üone, ber nichts toeniger als ermut^igenb toar : „Unb toie
fommen ©ie baju, gerabe mich jum Vertrauten 3^reS
überrafchenben Vorhabens au machen? ©praßen ©ie nicht
gar bon einem Anliegen, baS ©ie in biefer ©acfje an mich
hätten?"
„freilich! 2lber ©ie braunen nicht <ju fürchten, bafj
ich mich jetjt als Vetoerber um Fräulein <£>ertfja’S fd^öne
.£>anb ju erfennen geben toerbe. S)ie ©terne, bie begehrt
man nicht, fagt irgenb ein dichter, ben ich nicht näher
fenne, unb ich müfjte ettoaS fchtoer bon Gegriffen fein,
toenn ich nicht erriete, toarum Seiten fo biel baran ge*
fegen ift, bie abefigen ©rofjgrunbbefitjer unb bie Herren
SDragoneroffi^iere in 3f)r |)auS au aie^en. 9tein, mein
Verehrtcfter, fo hoch berfteigen fi<i; meine 3Bünfcf)e nicht. 3cfj
toerbe mich in geaientenber Vefcheibenheit mit 3h re * gütigen
Vertoenbung bei fträutein <£>efene 2)örenberg begnügen."
„S)ie tooffen ©ie?" fagte 2lrmbrecht mit einem er*
leichterten Slufathmen. „9tun, toahrhaftig, baS toäre baS
Setjte getoefen, auf baS ich geraden hätte. Söiffen ©ie
benn nidht, bafj baS Vtäbchen auch nidht einen rothen
Digitized by Google
64
3)er 'Dioorbof.
fetter im Söermögen ^at, bafj fie bic Softer cineö San*
ferottirerS, eines O-älfcljerS ift?"
Äreualamp lächelte, unb bieS Säbeln braute autoege,
tuaS man faunt nodj Ijätte für möglicf) Ratten follen: eS
machte fein toibertoärtigeS unb ^äpic^eS ©eficljt nodj
toibertoärtiger unb Ifafjlidber.
„SCßarum foE id(j nic^t auch einmal eine 2)umntljeit
machen fönnen? Unb bann toeifj am ©nbe auclj lein
'iJlenfdj, toaS nodfj gefdjeljen mag. 33ielleicf)t mad£)t 3fräu=
lein Helene früher ober fpäter eine ©rbfdfjaft, toenn fie eS
gerabe am aHertoenigften ertoartet. $l)r Sßater ift ja nocl)
am ßeben — ober Ijaben Sie ettoa inatoifdjen bie 9ia^
ridtjt bon feinem Xobe erhalten 1 ?"
„9iein! $ocfj toie idfj meinen ©dfaoager fenne, bin
iä) fidler, bajj er briiben langft elenb au ©runbe ge=
gangen ift."
„9Jtöglic§. Slber möglich auc£), bajj er eines £ageS
mit einigen |junberttaufenben toieberfommt."
„Sr? Sfd^ meine, er toirb fidb pten. 28er einmal
mit genauer 9totlj am ,3uc£)tljauS öorüber gefdjlüpft ift,
bet forbert nidfjt jum jmeiten 2Jtale bie ©efaljr IjerauS."
S5aS fatale Säbeln lag noclj immer auf Äreuafamp’S
gebunfenem ©efidjt.
„28ar eS benn toirllidlj fo fdjlimnt mit feinem 2far=
bred^en?" fragte er mit einer Ijarmlofigfeit, bie unmöglich
nur eine SJtaSfe fein lonnte. „Söietleidjt l^ätte ficij bodfj
tool)l 2Jtandt)eS au feinen ©unften aufgeklärt, toenn er ba c
getoefen toäre, um ftef) a u bertljcibigen. 2)er Slbtoefenbe
l)at befanntlidj immer Unrecht."
Digitized by Google
9tonmn oon Serbinanb .fpermann. 65
2>ie ohnehin feßon fo garten 3üge beS .jpervn Slrmbrecßt
nahmen für einen Moment einen gerabeau gvaufamen
2luSbiucf an.
„6S ift, tüie icß 3^ncn jage," ermieberte er mit un=
höflicher ©djrofff)eit, „3)örettberg mar ein notorifcfjer $er*
bredjer. Slber er ift nun einmal ber SÖruber meiner grau,
unb eS macht mir, toie ©ie fich beulen lönnen, toenig
Vergnügen, bon biefen Gingen au foreefjen. Slörenberg’S
ßeichtfinn unb feine gefchöftlidje Unfähigleit haben mich
toaljrljaftig Cpfer genug gelofiet."
Äreualamp’S beharrliches fächeln tourbe noch breiter,
unb bie Keinen pfiffigen 2lugen brohten abermals au ber=
fchtoinben.
„Sa, ©ie haben ein gutes #era für Sh« S3ertoanbt=
fchaft, lieber greunb, unb barunt toage ich auch 3 U hoffen,
baß ©ie meinen gürfprecher bei Fräulein £>elene machen
toerben. S<h hin, toie toiffen, nicht gana ohne 93er=
mögen, unb meiner ©attin mürbe nichts mangeln bon
aÜebem, toaS baS ßeben fehmüeft unb berfcf)önt."
„S<h für meine SfJerfon h^tte nichts bagegen einau=
menben, PorauSgefeßt, baß ©ie nicht auf eine SJtitgift
rechnen. Ob aber baS ÜJtäbcßen felbft in Sh«m Sin»
erbieten ettoaS befonberS SBerlocfenbeS erbtiefen toirb,
feßeint mir, ehrlich gefprocßen, hoch einigermaßen jtueifel»
haft*
„(5S !äme toohl im 2öefentli<hen auf bie mehr ober
toeniger nacßbrücfliche Slrt ber gürfprache an, lieber
greunb. Sä) a^eifle leinen 9lugenblicf, baß ©ie mir baS
Satoort ber jungen S5ame ermirlen fönnen, menn ©ie nur
Bibliotycf. 3al)rfl. 1890. 21b. V. 5
Digitized by Google
G6
3)er ÜDloorljof.
moden, unb beStjalb erfudjte idj ©ie borhin, mir bamit
einen mirllidhen 39emei§ Sh rer Qrreunbfdjaft ju geben."
©ie fteden alfo Sh re IBebingungen, menn ich
©ie recht berftefje?"
„dine |>anb todfd^t bie anbere. Söohin fodien mir
armen, TjUfiofen 2 Jlenfd)en mohl !ommen, menn mir ein=
anber nid)t gegenfeitig ftütjen nnb förbern modten?"
„Unb ma§ hoben ©ie ju bieten 1 ?"
„kleinen ©übfeeprin^en, mie ©ie ihn borhin fo mitjig
nannten, ©tatt beS großen Hamburger 9i|eber§, ber fid)
gegenmärtig mit adern difer barnm bemirbt, merbe ich
© i e an bem ©efdjäft beseitigen, fobalb meine Verlobung
mit S^ver dichte erfolgt ift."
„Unb um ma§ honbett fich’S bei bem ©efcf)äft?"
„Um ein miifteS Snfeldhen im ©tiden Ccean, bebedt mit
ungezählten ©djiffSlabungen be§ borzüglidhften ©uano’S.
9tl§ ©rofjgrunbbefifcer müjien ©ie ja ben äöertl) biefes
auSgeaeidjneten ©toffeS lennen."
„ 2 >ie Snfel gehört alfo Shtent geheimnifjboden JBe*
fannten."
„9iid)t bie Snfef felbft, aber baS tHed^t ihrer 2 tu§=>
beutung. Unb biefe ^Berechtigung mirb für eine lädherlidh
geringe ©umme fäuftidh 311 ermerben fein."
,,.£>m ! Unb matum machen ©ie ein fo gutes ©efdjäft
nicht allein?"
„SBcil baS immei'hinerfovberlicheSBetriebSlabital meine
Kräfte hoch überfteigen mürbe. SS faßte Shnen ja, bafi
cS fiS um fDtidionen honbelt."
„iaS Hingt 9lde§ recht hübfdh 1 ober bie ©iibfee ift
Digitized by Google
Vornan t>ou ftcrbimmb Hermann.
C7
weit, unb mit eigenen klugen haben Sie bie ©uanoinfel
fchwerlich gefefjen. ^dj bin bon bornhercin ein wenig
mifjtrauifch gegen Unternehmungen, bie fid) in eine fo
nebelhafte Seme richten."
„Sie halten mich atfo für einen Sßinbbcutel, ber leid)t=
gläubig genug ift, bem erften beften Schwinbler in bie
<£>änbe 3 U fallen? Slber Sie bürfen unbeforgt fein. 5ludh
ich liebe ben blauen 25unft nicht. Wenn eS fich um etwas
©efchäftlicheS h an belt ; unb Wenn id) auch nur einen ein=
jigen 2haler für bie ©uanoinfel auSgcbe, fo Jönnen Sie
fich bon ihvem SBorhanbenfein genau fo überzeugt halten,
als hatten Sie fie mit eigenen klugen gefehen."
„SöoHen Sie mich benu nicht etwas näher mit ber
Sache befannt machen?"
„Söarunt nidht? ©S ift mit äWan^ig äöorten abgethan.
SDer ©raf Ofantin, Welchen ich bentnächft bei Shnen ein=
3 ufüljren bie ©h*e haben Werbe, flammt aus einer alten,
aber 3 iemlidj berarmten SlbetSfainilie. Um fein ©lücf 311
machen, ging er als ganj junger 9Jtenfd) nach ©übamerifa
unb Würbe nach ßima berfchlagen, als eben ber 5J3räfibent
S3alta bei bem Slufftanbe beS Cberftcn ©utierre 3 ermorbet
Worben War. 3)er junge SJtann wählte au ben Änöpfen
feiner SBeftc ab, ob er fich auf bie Seite beS 2>iftatorS
ober auf biejenige ber bisherigen SKegierung fchlagen folle.
2>er 3ufalt entfchicb für baS ße^tere, unb jwei 2age fpäter
War ber ©raf 9iamin ber Slnfiihrcr beS Haufens, welcher
ben $iftator ©utierre^ fuvjer ^aub aufhängte. 5>er neu=
gewählte 5präfibent berfäumte natürlich nicht, fich für bieS
Jhinftftücfdjcn banlbar 311 evweifen, unb fo gelaugte föamin
Digitized by Google
68
3)er ÜDtoorljof.
in ben SJefih eineg Silbcrminen=Anibeilg in ©erro bi
$agco, ben er einige i^aljre fpäter gegen bag Aedjt auf
bie Augbeutung jeneg Snfetdjeng eintaufdjte. S5er lang*
mierige unb für $eru fo unglüdlidje Ärieg mit (Sljtfe
binberte ihn jebod), biefe Eoftbare ^Berechtigung ^rattifd;
ou^unu^en, unb er bertor überbieg burdj öerfcfjiebene
ungtüdlidje .gufäEe einen fo grojjen ^eit feines rafd)
ermorbenen SBermögeng, bajj er eg bor^og, fidj mit bem
»Heft fo fdbnett alg möglich nach ©uropa jjurücf j$u retten.
4 Jeru ift if)m grünblicb berleibet, unb ba eg ihm überbieg
an geniigenbem SBetriebgfapitat gebricht, ift er bereit, jenen
SBefifctitel für eine berbältnifjmäfjig geringe Summe ab=
^treten. S)a tjaben Sie in fünfter fform bie ganje
©efdjicbte!"
„ 3 fb r Sübfeeprinj ift barnad) alfo, mag man gemein*
bin einen Abenteurer nennt."
iheuatamp läd^elte in feiner eigentümlichen Art.
,,©r ift eg ni(bt mehr alg Sie unb idj, mein $er=
ebrtefter, unb jebenfaEg bot er bag ariftofratifc^e Air bor
ung boraug. Sie Eönnen fidj teinen boEenbeteren ©entfe*
man borfteEen alg ibn."
©efdjichte bat mich natürlich äufjerft begierig
gemacht auf feine nähere 93e!anntfcbaft. ©r bat alfo feine
romanhafte ©efcbicbte in aEen fünften 311 beglaubigen
bermodht 1 ?"
,,©r bat mir 2)ofumente borgelegt, bie mid) mit boEem
SSertrauen in feine Söabrbaftigfeit erfüEen. 3um Heber*
flufj habe ich aber für ben Abfdjlufj beg ©efdjäftg mit
ber ©uanoinfet «jur SSebingung gemad)t, bafc er mir eine
Digitized by Google
Vornan von fferbinanb ©ermann. 69
bont beutfdfjen ©cneralfonfut in £ima beglaubigte Vcfitj*
urfuitbe, auagcftetlt bon ber gegenwärtigen peruanifchcn
Regierung, beibringe. Via biefe eintreffen fann, Werben
bei ber weiten ©ntfernung noch einige SBodjen berge^en,
unb innerhalb biefer 3eit müjjte eg fid^ entfcfjieben haben,
ob ©ie bei ber ©adje mein Sheilljabet fein Werben ober
nicht."
„3cfj berfte^e unb ich benfe, eg wirb ba fein Wefent=
Iidjea ©inbernifj borliegen. 9lber Wie ftnb ©ie benn
eigentlich $u ber Vefanntfchaft biefe? famofen ©rafen ge=
fontmen?"
„©r nahm meine Vermittelung in Stnfpruch, Weil er
bie Slbftdjt tjat, P<h hier in ber s Jtähe an^ufaufett. $ag
fübamerifanifdje ftieberflima hat *h n f tn ttenig mit=
genommen ; er fehnt fich nach fänblidjer ©title, unb unfere
Vrobinj fagt ihm befonberg zu. 2)a ft<h inbeffen für ben
Slugenblicf nichta ©eeigneteg finben liefe, hat er borber=
hanb ein £anbhau3 aufeerhafb ber $rei3ftabt gemiethet."
„Unb ©ie unterhalten einen lebhaften Verfeht mit
ihm?"
„3ch hatte ©etegenheit, ihm einige ©cfälligfeiten 311
erWeifen baburch, bafe ich ihm mehrere auf Varia lautenbe
Söcdhfef biafontirte, bie er hier fd^Ied^t berwerthen fonntc."
„ 9 llja! S)aa Hingt Wieber ein Wenig nach bem 2 Iben=
teurer."
„©efehlt, mein Vcftcr! ©3 überzeugte mich bieltuehr
erft recht bon feiner ©olibitöt, benn bie Söedjfel würben
bon bem Varifer Vanfhaufe ohne Sßeitcrea eingelöat."
2 )a 8 glatte, Wohlgenährte Stntlife Slrmbrecht’a hatte
Digitized by Google
70
'J'er Stoorbof.
mäfjrenb bcg iutereffanten ©cfprädjä eine noch lebhaftere
Färbung angenommen, nnb trenn fidb audj ber 9lugbrucf
feiner b ai 't cn 3üflc nur menig beränberte, mar e£ hoch
einem gelegentlichen 9luflcucbten in feinen klugen anru*
merfen, bafj er bem ©egenftanb ber Unterhaltung eine
gana befonbere 2b«lnabnte aumanbte. Sie hatten in*
^mifchen mieber bie Stiftung nach bem Schlöffe genommen,
unb jetjt mar c§ $reurfamp, ber feinen 9lrm mit fanftcr
©etoalt bon bemjenigen be§ 9lnberen frei matzte.
„3>cb mufj nach ©otlnom äuriief," fagte er. „Sie
miffen nun, lieber Qfreunb, mie jmifdhen un§ bie 2)ingc
liegen."
„Unb Sie fennen meine Meinung. Sei erfter ©elegen=
beit merbe ich mit bem Stäbchen reben. 9lber trinfen Sie
nicht noch ein ©la§ äöein?"
„@in anbereg Stal, menn idf) audj ben tarnen meine
3lufmartung machen barf. Stein armer Srauner ftebt ja
nodb immer aufgeräumt in 3b rem Stalle."
Sßenige Stinuten fpätcr batte fich ber Sefucber mieber
in ben Sattel gefdjmungen, unb bon bort Ijcrab fcbiitteltc
er bem Sdf)loBb«rn noch einmal mit großer |jerrlicbfeit
bie $aub.
„9tuf Söieberfeben, lieber Ofreunb!"
„©liidlicbc |>eimfebr! Unb empfehlen Sic mich beut
.fperrn ©rafen. 3dj «märte mit Ungebulb, ihn unter
meinen ©äften 31t feben."
Sodj ein letjter freunblict)er ©rufe — bann fefete fiefe
ber feifte Sratmc in feinen gemobntert flirren £rab, unb
ber flappernbe ^uffdjlag berfeaftte unter ben Säumen.
Digitized by Google
SHoman i)on gerbinanb «Hermann. 71
ßreualamp lädjelte ftill bor fid; bin. Gr fjattc baS *
SluSfeben eines Cannes, bcr foeben bie erften gtüdCidjeu
Vorbereitungen für ein ausgezeichnetes ©efdjnft getroffen
bat. 28ie aus Vebürfnijj, feine gute £aune an irgenb
ettoaS auSaulaffen, Hopfte er beinahe 3 ärtlicb ben $alS
feines SPferbeS. 3um festen fütale nach bem blinlenbcn
Xbürmcben bon ©cblof} ©djönbeibe jurüdtfd^auenb, mur=
melte er mit einem leifen fiebern in jtdj beeilt: „2)er
boebmütbige 2>umnt!opf! äöarte nur, fyreunbdjen, bis icb
$elene ©örenberg’S ©atte bin. 2)antt merben mir aus
einer anberen üonart über ben .ftälfcber ltnb 33an!erot=
tirer‘ reben !"
Drittes Kapitel.
SDcr fcbnell betbeigerufene JlreiSphbfifuS b a fte #elenenS
Verlegung für ganz unbebenflicb erllärt unb ibr bic Ver=
ficberung gegeben, bafj ber 5ufj nach einer ©djonung boit
menigen Sagen mieber boEfomnten gebrauchsfähig fein
mürbe. 5Iber biefe menigen Sage, mäbrenb beren fie jutn
©tiltliegen berurtfjeilt mar, fcbticbcn ber jungen Patientin
mit unenblidjer Cangfamfeit babin. .ftertba batte anfäng=
lieb b?obl ben Verfug gemacht, ib* ©efettfdjaft au leiftcit,
aber auf ber ganaen SBelt mar ficbcrlicb fJiiemanb meniger
aur Äranfenpflegerin geeignet, als bie lebhafte unb fo fel)r
bermöhnte Socbter beS reichen ©pefulanten. ©cbon am
ameiten Sage mürbe fte nur nodj auf ein furaeS Viertel
ftünbdjcn in ^elenenS 3inttner ftdjtbar, um bort baS Vor=
führen beS befohlenen UfeitpfcrbcS afyumartcn, unb memt
Digitized by Google
72
$er 2 J?oortjof.
fic auch Bet bicfcr ©elegentjeit ihrer 33afe baS 33erfprechen
gab, beu 2lBenb mit ihr 3 U berptaubern, fo mufete fte bod^
fpäter ihr 2luSBtei6en entfchutbigen taffen, meil ein un=
ermarteter 33cfuch auS ber ©tabt gefommen fei.
Slucf) grau WvmBrecfjt tarn nur feiten, um fiefj nach
bent 5?efinben ihrer 9Hd)te 3 U ertunbigen. ©ie mar eine
Heine, fdjmädjtige grau bon fo leibenbem StuSfehen, bafe
fie fetber in ^o^em ©rabe ber pflege Bebürftig fchien.
5£>a§ ©ctjeue unb ©ebrüefte, ba§ auch in .fpelenenS 33e*
nehmen mitunter 3 U 5£age trat, machte ben eigentlichen
©runb^ug ihres SßefenS auS. 3]tit unhörBaren ©d^ritten
fchlich bie unfcheinBare, bun!etge!teibete grauengeftalt burdh
bie prächtigen 9täume beS ©chtoffeS, beffen «£>crrin fie bodh
mar; fetten nur mürbe ihre ©timme bernehmtich, unb
menn fte fpradfj, tarnen bie SBorte fo zaghaft unb teife
bon ihren Sippen, als empftnbe fie felBer jebe ihrer SeBenS=
äufeerungen mie ein ftrafmürbigeS Vergehen. 28enn fie
fidfj für eine tur^e Seit neBen bent Säger |>etenenS nieber*
tiefe, fauerte fte mie ein fchüdhterueS $inb nur auf ber
äufeerften ©efe beS ©tutjleS, unb in Keinen gmifchenräurnen
fuhr ihre magere, jitternbe |>anb nach Ber ©tim, metdhe
fic Beftänbig 3 U fchmer 3 en fchien. ©S tonnte nichts 23e*
nthigenbeS unb ©rheiternbeS auSgetjen bon ihrer trii 6 =
feligen, fdjattenhaften ©rfcheinung, unb «fpetene fühlte fid)
jebcSmat um 33ieteS ernfter unb trauriger geftimmt, menn
ihre fdfjmeigfame $£antc Bei ihr gemefen mar.
3tu«h baS Sefen gemährte ihr menig gerftreuung, benn
bie fran 3 öftfchen unb englifchett Otomane, metdfje nadh
•£>erth<t’S auSbriicftidhem Söitten bie gefamntte 33iBtiothef
Digitized by Google
SKoman oon ffcrbinanb Hermann. 73
bon Sdjlofj Sdjänljeibc auSmadjtcn, waren feljr Wenig
nadj iljrem ©cfdjmarf. So War fic benn ineift barauf
angewiefen, in ungeftörtcr ©infamleit iljrcn eigenen ©e=
banlen nadjauljängen, unb nad) ben ©rcigniffen ber testen
Sage fonnten biefe ©ebanfen !aum eine anbere IRicfjtung
nehmen, als ju bem Bäuerlichen 9ftoorljofe unb au feinem
IBefijjer. Cf t , wenn fjelene bie Slugen fdjtofj, War eS
iljr, al§ läge fte Wieber auf bem altbäterifdE)en Sop^a in
bem niebrigen, fauBeren ©emadje, als Hänge Wieber ©er*
fptb ^reiftng’S männlich frifdje Stimme an iljr £>hr, als
fühle fie Wieber ben Warmen |>auch feines Slt^emS, Wie
er in aärtlidfjer Slnt^eilna^me fein fonnengeBräunteS Slntlifc
auf baS irrige IjeraBneigte. So lebhaft lonnte bann biefe
93or[teHung Werben, bafj ein gtüdlichcS, fonnigeS tfädjeln
„ i^re Cibben umfbielte, unb bafj ein tiefer Seufaer fchmera*
liefet ©nttäufdjung fich ihrer SBruft entrang. Wenn fie
burdfj irgenb ein ©eräufdj in bie Söirflid^leit aurüdgerufen
Würbe unb ftatt ber anljeimelnben ©infaefjheit beS 9ttoor=
^ofeS ben fteifen Sprunl bon Schloß Sdjönheibe um
M fa*.
Sie hatte auberfuhtlid) gehofft, bafj ©erwarb lommen
Würbe, fid; nach ihrem ©rgeljen au erfunbigen, benn eS
War bodf) am ©nbe nur eine einfache unb Beinahe felBft*
berftänblithe Pflicht ber «fjöflidtjfeit, Welche er bamit er*
füllte. Sie wartete bon Stunbe au Stunbe unb bon SCag
31 t Sag; aber fie Wartete bergeBenS. Söeber in eigener
$erfon noch burdj einen S3oten gaB greifen g ein 3«$^
feiner Sheilnahme, unb als auch ber fünfte Sag nad)
jenem Unfall ftd^ feinem ©nbe entgegenneigte, ohne bajj
Digitized by Google
74
$er üöioorljof.
|>clcHen§ bcrfdjunegeneä Seinen eine Gcrfüfluug gefunben
hätte, ba ntujjte fie fid) mol)! in bie fdjmetälidfje Ueber*
Beugung finbert, bafj er nicht bie Slbfidjt habe, bem au*
fälligen Söieberfeljen eine SBieberanfnüpfung ber alten
tfinberfreunbfdjaft folgen ju laffen.
ltnb gerabe am Slbenb biefeS 5tage§ mürbe fte lebhafter
alä aubor an ihn erinnert.
3n ihrer geräufchboHen 9lrt, bie aufoeilen fogar einen
ftarfen Slnflug bon Üiüdfichtälofigfeit haben tonnte, trat
.ipertha um bie 3eit ber Dämmerung in ba§ Heine ®e»
mach, baä fte feit achtuttbbieraig Stunben nicht mehr te=
treten hatte. Sie lehrte eben bon einem langen Sparer*
ritte jurüd uitb hatte fich noch nicht untgelleibet. 3h re
SQßangen toaren bon ber energifchen Seftegung in ber freien
Suft höh^t geröthet, unb ihre fdhönen klugen fpriihten in
£eben§fülle unb JßebenSluft.
„®utcn 9lbenb, mein arme§, gefangene^ Sögeldjen!"
fagte fie heiter, mit ber behanbfehuhten 9tedjtm |>elenen§
blaffe 2Bangen ftreidjelnb. „<B ift jamnterfchabe, bafj S)u
burch meine Sdjnlb um einige ber herrlidhften Sommer*
tage lommeit mufjt. 3<h felber habe mich in biefer lur^eit
3eit beinahe bollftänbig mit uttferer Ueberfiebeltmg in
biefen oben £anbftrich auögeföhnt. 2öenn e§ hier feine
Serge gibt, fo gibt e§ bafi’tr um fo herrlichere SOßege 311m
Seiten, unb Sapa’ä SJragoner, bon benen ich in^mifchen
richtig ein Siertelbuijenb lennen gelernt haöe, finb in ber
2hat gar nidjt fo übel."
Sie machte fidj’3 auf einem ber niebrigen Seffel bequem.
Chne erft <£>clenen§ Wnttoort abjutuarten, plauberte fie meitcr.
Digitized by Google
{Rontati non fterbimmb Hermann. 75
„Vlbcr bic intcrcffantcftc all’ meiner bisherigen 93c*
fanntfdjaften Bleibt bodj nodj immer Sein ciüitifirter
93auer bom {JJtoorbof. 3fn meiner 93adfifdjaeit mürbe id)
mid) unfehlbar fterbiid^ iu ihn berliebt haben. 3 etjt frei*
lieh bin id) als bie Sodjter meines 93aterS ein menig ber*
nünftiger gemorben, unb ich fc^tuöre Sir feierlich, bab
Su bon meiner {Rcbcnbubtcrfchaft nid^tS au fürchten baft."
^elene batte tief erröthenb ihr ©efidjt abgemanbt.
„9Iber Bertha !" bat fie. „Seine {Redereien ftnb nicht
freunbfcbaftlidj."
„€h°, bbt ber spfeit fdjon f° tief? {Run, bietteidjt
mirb eS fidj gar nid)t fo übel auSnehmen, menn Su in
eigener {perfon bie ^ühe beS {JftourhofcS melfft, borauS*
gefegt, bab man bon biefen niiblidjen St)ieren bort über*
Ijaupt in ber {Dhhrjjaljl reben !ann. 216er Su baft ja
baS {Reuefte noch gar nicht gehört. $d) habe ©einen
£errn ^reifing heute miebergefehen, unb menn ich nid)t
bereits baS Vergnügen gehabt hätte, feine ^»äuSlid^feit
fennen au lernen, mürbe id) ifju trot* feiner Sobenjoppc
für einen ©rafen gehalten haben."
„Su baft ihn miebergefehen, $ertlja? Unb Su baft
mit ihm gefproeben?"
„{Ratürtidh! Cbmoljl er gar nicht übet £uft ju haben
fdjien, mir auS bent SBege 3 U gehen. 3<h felber mubte
ihn anrufen unb alle fünfte ber fl'ofctterie aufmenben,
um ihn aud) nur fünf Minuten lang feft^uhalten. @S
tl)ut mir leib, bab ich ©ft feinen ©rub bon ihm auS*
richten fann; aber er beging bie unberaeif)li<bc Unart,
mir feinen aufautragen, unb id) glaube, menn id) nicht
Digitized by Google
76
S)er 2Jfoorljof.
qu§ eigenem Antriebe deiner ermähnt hätte, er märe un=
höflich genug gemefen, gor nicht bon 2>ir zu fprechen."
|>elene mürbe ber peinlichen 9tothmenbigfeit überhoben,
auf biefe unbarmherzigen SQßorte etmaS zu ermiebern, benn
ein furzeS, ^arte§ Klopfen an bie £hür beS 3immerS
unterbrach $ertha’S fRebe.
„35aS ift mein Später," fagte fte, „$5u mufjt fef)r in
feiner ©unft geftiegen fein, mein ©djatj, menn er gegen
feine ©etoohnheit fo rütffichtSboU ift, 3)ir in eigener Serfon
einen Äranfenbefuch zu mailen."
ES mar feijr ma^rfd^einlid^ , baf* ber Hausherr baS
fdjmadhe „herein!" ber erfdjrocfenen |>etene gar nicht ber*
nommen hotte; aber er trat nidjtSbeftomeniger ohne langes
3ßgcrn über bie SchmeHe. ©eine Srauen zucftcn ber*
brieflich, als er $ertha gemährte.
„Sift S)u fchon zurü(f?" fragte er. „Sich glaubte
|>elene allein zu finben."
„5lber SDu haft hoffentlich feine ©eheimniffe mit ihr!"
flang bie fibermüthige Entgegnung. „Steine ©egenmart
mirb fein ^inbemijj für eure Unterhaltung fein."
Slrmbrecht antmortete nid^t, aber er zog fto& ebenfalls
einen Stuhl h e *an, unb feine Sippen preßten fich auf*
einanber, ba er ben banfbaren Slicf auffing, melchen «fjelene
ihrer Safe zugemorfen hatte. Ein furzeS ©djmeigen folgte,
bann nahm |>ertha, in boHer Unbefangenheit an ihr borigeS
©eplauber anfnüpfenb, bie Unterhaltung mieber auf.
„|>aft £u SDidj übrigens bei bern Sefitjer beS Stoor*
hofeS für bie ©aftfrennbfc^aft bebanft, Sapa, bie er uns
ermiefen?"
Digitized by Google
Koma» ooit f^erbinanb Hermann. 77
«Sa, ich habe ihm gcfdjrieben, obmoljt cg mir feines*
tüeg§ angenehm mar, baß ihr gerabe feine Sienfte in Sin*
fP™cfj nehmen mußtet. Seber beliebige Sauer mürbe
baffelbe gethan haben, uub einen folgen aflenfdfjen hätte
man bann hoch mit einigen Italern abfinben fönnen."
»’&aft 2 >u ettoaS SefonbereS gegen «fperrn ^reifing,
$Papa?"
„£), ich habe mancherlei gegen ihn. Sor Slltem, baß
er ba proßig feie ein großer £err auf feinem jämmer*
lid^cn ©etoefe fißt unb mich mit feinen armfeligen paar
Slecfern unb Söiefen an ber #erftettung einer inbufirieÜen
Anlage hmbert, bie au meinen ßieblingSplänen gehört."
„©0 taufe ihm hoch biefe armfeligen Sieder unb Söiefen
ab, toenn fte 3 Mr fo fehr im SBege finb. @r fcheint mir
nicht fo reich 3 U fein, baß er burchauS nicht mit fid& reben
laffen foHte."
„©erabe ber lächerliche Settelftola biefeg Etenfchen ift
e§ ja, ber mich gegen ihn aufbringt. 6r hat meine Sln=
erbietungen runbmeg abgemiefen, unb unfer Siadjbar reua*
famp, ber ebenfalls bereite üble ©rfahrungen mit ihm
gemacht au ha&en fcheint, hat mir bie tröftliche Serfidje*
rung gegeben, baß toeber mit ©üte noch mit ©etoalt
ettoaS gegen ben eigenfinnigen Ration auSauridhten fein
toirb."
„Äreu3famp? fJtun, baS tounbert mich nicht! 2)em
ift #err Reifing aEerbingS toenig getoogen, toie mir aus
feinem eigenen SJtunbe puffen. Slber liegt S)ir benn mirf*
lieh gar fo Piel baran, ben Stoorhof in 2 )einen Sefiß au
bringen?"
Digitized by Google
78
®er ü)toorljof.
„2>u hörteft eä jo. S)aä fleine ©ut fdjiebt ftd^ mie
ein iteif in meine Söefitiung hinein."
(/ ©o gebe ich 2)ir ben guten Statt), |jetenen§ 93er=
mittelung in Slnfprudj ju nehmen, Sßapa. Sie ift mit
.fperm Sreifing feit ihrer früljeften Äinbheit befreunbet,
unb icf) höbe einige Urfache on^unehmen, bajj ein Söovt
au§ ihrem SJtunbe bei ihm gana befonber§ freunblidje
Slufnahme finben mürbe."
S)ie nadjbrücHidje Betonung, meldje fte ben fdjeraenb
gefprodjenen äöorten gab, tief} feinen greifet über ihre
SBebeutung 3U, unb $rmbre<ht brauste überbie§ nur einen
flüchtigen S 3 litf auf ba§ Pertegene unb Perfdjämte Slntlitj
feiner 9 tidjte 3U merfen, um biefelbe Pollenbä 3U Perftehen.
@r räufperte fich energifclj, mie er immer 311 tf)un pflegte,
memt er fdjtechter Saune mar, unb inbem er bie Strme
über ber SBruft Perfchränfte, fagte er 3U ^ertha: „S)er
Stittmeiftcr P. SJtarmijj mirb PorauSfid^ttid^ noch heute
Stbenb Porfpredjen. ©ebenfft 2)u ihn im Steitfleibe 311
empfangen?"
SJtit einem leichten ©ähnen ftanb bie junge $>ame auf.
„Sich, *8 mar fo bequem unb behaglich hier! Slber
2)u h«ft Stecht, $apa, für einen fo lieben§mürbigen SJtann,
mie e£ biefer Stittmeifter ift, barf man fich einige Üoi*
lettenmühe nicht Perbriefjen laffen. ©ute Stacht, mein
|>era! 3ch hoffe, 2)u mirft 2>ein SJtöglidjfteä tljun, $apa
mit |>errn ©erharb grcifing au§3uföhnen."
S)ie Schleppe ihres £ud)ffeibe§ hinter ftd) her 3 iehenb,
raufchte fie hinauf, unb |)err Slrmbrecht felber brücfte
bie $ljür hinter ihr in’3 Sdjlof}, mie menn er fich über*
Digitized by Google
■aHpBMvy
tn9i
{Roman oon fjferbiuanb ©ermann. 79
geugen mottte, bafj fic nidBt braunen Borcfjenb ftetjen ge*
Blieben fei.
2)ann feBrte et an ©eleneng {RuBebett jurüdf, unb feine
©timme ftang ftreng unb jürnenb, als er fagte: „$dB
toUX nidf)t hoffen, bafj irgenb etmag SSaBreg hinter ©ertBa’g
Sinbeutungen 3 U fucBen fei. 2 öar 2 )ir biefer 9JtenfcB in
bet £Bat fd^on bon friiBcr Bet Befannt 1 ?"
„3>a, Onfel. ©eine Butter Batte eine Heine ©of*
moBnung im ©aufe meinet (Eltern."
„Unb eg mat barnadf) moBl audj fein 3ufatl, bafj iBt
neulicB getabe in bie 9täBc beg 9JtoorBofeg gerietBet!"
„2)odB, eg mat ein 3 ufatt. 3dB Batte feit bieten SaBren
nichts meBt bon ©erBatb Sfreifing geBört unb mufjte toebev,
mag aug iBm gemorben fei, nodB mo et fidB aufBalte."
„Um fo Beffer! Söon itgenb meinem SJerfeBr mit bem
fDtanne fann natüvlid) nicBt bie {Rebe fein. 3cB berbiete
2>ir benfelben Btermit augbriicflicB unb mit aller 33e=
ftimmtBeit."
Söie Beängftigcnb aucB bag SlHeinfein mit iBrem CBeim
unbetfennbat auf ©etene mirfte unb mie fcBiicBtern bigBet
iBre Slntmorten auf feine tauBen fttagen geflungen Batten :
gegen biefeg unfreunblidBe Verbot fcBien fidB bennodB etmag
in iBt au empören.
„Unb marum berbieteft 2)u eg mir, £5nfel?" fragte
fie, iBt aietlidBeg .ßöpfcBen ein menig bon ben Riffen ev=
Bebenb. „©evBarb Reifing ift gan 3 gemifj ein adBtungg*
mertBer 2ttann, unb er Bat mit neulicB einen $)ienft ge*
leiftet, bet micB iBm 31 t San! bevpflicBtet."
SlrmbvecBt betrachtete fie mit einem Ijalb unmilligen
Digitized by Google
80
Ser SDioorfjof.
unb Ijalb erftaunten SBlidf. ©g mar bieÜeidfit bag erftc
SBort beg 2ötberfprudjg gcmefen, bag er bon biefen fonft
fo aagljaften Sippen bernotnnten Ijatte.
„Seit mann fdfjulbe id§ Sir fKedfjenfcfjaft über bie
©riinbe meiner Söeifungen? ©o lange Su alg ein ©Heb
meiner Familie Betrachtet fein mittft unb fo lange Sn
unter meiner 23ormunbfd£)aft ftetjft, toirft Su Seinen Um=
gang augfdjliefjlidj nactj meinen SBünft^en mähten. 3dj
fann nicht geftatten, bafj Su SSe^ie^ungen toieber auf=
nimrnft, toeld^e mol)t mit ben ©runbfäfjen meineg .fperrn
©d&magerg bereinbar fein mosten, nidjt aber mit ben
meinigen."
©in fo berächtlicher Slugbrucf lag in feinen Söorten,
alg er i^reg fßaterg ©tmäl)nung tliat, bafi Helene au=
fammenautfte mie unter einer Jörperlidjen fUlifjtjanblung.
5tber toenn er bie Slbficljt gehabt hatte, fie bon feuern
einaufdjüctjtern, fo mar ifjm bieg bottftänbig gelungen, benn
fie antmortete iljm nicht unb manbte ben Äopf, um i§m
bie Xljränen au berbergen, meldje iljr Ijeifj in bie klugen
fliegen.
©ine minutenlange unb für -hetene entfehli«h qualbolle
fffaufe folgte feiner unbarmljeraigen ©rltärung. ©ie ameifelte
nicht, bafj il)r C^eim ben eigentlichen 3toecf feineg .£>ier»
feing nodj gar nicht berührt habe, unb eine bange 3ll)nung
fagte ihr, bafi fie bag ©djlimmfte noch merbe ermarten
bürfen. Stuf bag aber, mag fie jept berne^men füllte, mar
fte benn bocf) nicht borbereitet.
„^ert^a’g 9tnmefenheit hat mich borljin baran geljinbert,
Sir eine überrafdjenbe unb — mie ich moljl annehmen
Digitized by Google
{Roman uou ffcrbinaitb .fpenmum.
81
Jaitn — fefjr erfreuliche 9lcuigfeit mitautheilen," iial^ni
SIrmbredht etiblidh baS ©efbräch mieber auf. „äßettn 2)u
fte gehört ^aft, mirft $u aud) ohne meitcrc ©rllärung
begreifen, marunt ich 2>cinc freunbfdhaftlidhen SSe^ie^ungeu
3 U einem ganj obffuren Sttenfdhen, ber gefettfdjaftlich tief
unter unS fteljt, nicht gutheißen fann. ©in angefehener
unb ehrenmertljer 33lann, einer meiner beften fjreunbe,
hat fid) bei mir um SDeine -£>anb beworben unb, mie idj
gleich Ijinjufügen mitt, meine bebingungSlofe 3uflimnmng
erhalten."
Helene richtete ftdh empor unb ihre meit geöffneten
klugen toaren mit bent SluSbrucE töbtlidjer SIngft auf
?lrmbrecht gerichtet.
„Um meine £anb, Cnlel?" mieberholte fte. „fRein,
baS ift unntöglidj!"
„@S feßt S)idh in ©rftaunen ? 9tun, idh leugne nicht,
baß auch idh einigermaßen iiberrafcht mar. f$ür ein mittel=
tofeS ^Räbdjen finbet fich h^utautage nidht fo leicht ein
Jöemerber, am menigften einer, ben man ohne lieber*
treibung einen reidjen, einen fehr reichen 2Ramt nennen
barf."
„Unb mer — um ©otteS mitten, Cnlel, mer ift eS,
bon bent 2)u fpridhft?"
„3dh benle, $u hoft eS bereits erratljen. Sh* 9Räbdjcn
habt ja für begleichen fdhärfere Slugen, als Unfereiner.
Unb S)u hßfl $ich toohl gar im «Stillen bereits mit betn
©ebanfen bertraut gemadjt, als Herrin auf ©ottnom au
fdhalten."
£elene preßte bie >&anb auf bie mogenbe 33ruft. R3or
Sibliotljcf. 3nf)rg. 1890. Sb. V. 6
Digitized by Google
82 Ser SWooctjof.
ihren Slugen flimmerte eS, als tooUten ihr bie ©titne
bergchen.
„ s Jtein," fagtc fie leifc, „Su treiüft nur deinen Sdjcq
mit mir. CrS fann nicht herr $reu3famp fein, ber Seine
3uftimmung erhalten ^at."
„ilnb marum uid)t, mettn id) fragen barf? .fpaft Su
etmaS gegen if)n ein3umenbctt? 3 ft eS Sir noch nidf)t
6^rc genug, bie ©attiu eines fdlanneS 31t merben, beffen
Vermögen fidf) auf Duuberttaufenbe bon Scalern Beläuft?"
diesmal fiegte bie milbc Slnfte^nung beS jungen fDten»
fd)enher3enS bod) iiBer bie tief eingemuqelte ffurdfjt bor
bem Ijarten, graufamen ©efidjt, baS fo broljenb auf fie
heraüfchaute.
„Unb geBöte er iiBer fütidionen, märe er ber reidjfte
9 )tann auf Gerben, ich mürbe ihm bodj niemals, niemals
angeboren fönnen!"
.fpeleite hatte eS mit einer £cibenfcf)aftlid)!eit ausgerufen,
mcldjc ütiemanb hinter ihrem ftiden, fünften döcfen ber=
mutljet l^aBcn mürbe, Qmr einen SlugenBlidE fdjien ?lrnt=
Brcdjt in ber Üljat bon ber ©ntfdjiebenheit biefer 3 urüd=
meifung Betroffen, bann aBer erfdjienen amei tiefe, unheimliche
galten iiBer feiner s Jlafenmur l }el, unb eS flang mie baS
broljenbc ©roden bor bem 9 luSBruch eines ©emittcrS, als
er ermieberte: „3ch mid biefe thöridjten Söorte nicht ge=
hört haben, Helene! s JKan entfdjeibet nicht fo leichtfertig
üBer eine ßeBenSfrage. Sch gcBe Sir Seit, mit Sir felBer
31t iRatljc 311 gehen, unb merbe mir morgen Seine ?lut=
mort hofrn."
9 lBer bie ©epeinigte fühlte fid) nicht ftart genug, biefen
Digitized by Google
Otonum uoit 0crbiitanb AOcniumn.
83
Äauipf Pon Steuern aufjune^mcn. ©ie burfte if)u nidjt
im 3meifel laffeit, bafj er roeber morgen nod) jemals eine
anbere Slntmort erhalten mürbe.
„68 bebarf feiner Scbenfjeit, Cnfcl," fagte fic, mie
in flebenber 33 ittc il;rc Jpnnbc 31t iljm erfjebcnb. „($» ift
unmöglich, bafj fic^ über 3 Zad)t mein ©iitn änbern foUte.
Xu barfft jebcS Cpfer Pon mir forbern, nur biefeö nicht,
benn id) fann Xeinen ©efdjäftsfreunb uid)t Ijeiratfjcn —
(Sott meijj, bafj id) eS nid)t fann!"
„Hub bamit, meinft Xu, märe eS abgetan? Xa id)
baS jmeifcl^afte Vergnügen gehabt habe, Xeine Gltcru 31t
fenitcn, burfte id) auf btefe Slrt Pon Xanfbarfeit für meine
2Öof)Itf)ateu freifid) gefaxt fein. Stber id) milf Pon mir
felber unb pon Xeinen ^PfXicbten gegen mid) gar uid)t
meiter rebeu. Stur in Xeinem eigenen Sittcreffe foffft Xu
Xid) auf eine beffere Slntmort befinnen. ^reu^famp b at
Xir etmaS 3U bieten, baS gerabe für Xid) fjunbertmat
merttjpoüer fein mufj, als fein grojjeS Vermögen — nänt=
lid§ einen ehrlichen, unbefd)oltencn Stauten."
©0 nad)brüdlid) batte er gefprodbjen, bafj biebcleibigeitbe
Slbfidjt nod) fdfjärfcr 31t Xage trat. Sind) in .fpelcuenS
fanften Slugen aber metterleudbtetc jeijt ber ^3orn.
„@inett ebrlidjen kanten trage aud) id)," entgegnete
fic feft. ,,3d) habe fein Verlangen, il)it gegen einen anberen
311 Pertaufdjen, benn id) führe il)it mit ©tofy."
„Slber Xu ^aft Pcrmünfcbt menig förttnb, auf bie
Xf)atfadf)e ftol3 3U fein, bafj Xu 3 ?tiebrid) Xörenberg’s
Xod)ter bift. Xaft Xir bie SGßclt bisher mit Sichtung be=
gegnet ift, baft Xu mahrhaftig nicht Xeinem Statuen, fon=
Digitized by Google
84
'Ser 3üioodjof.
berrt aitSfctjlie^Iic^ bent ineinigen ju bauten. 3öge ich
heute meine .gcanb bon 25ir ab, fo ioürbeft SDu auf ©djritt
unb STritt erfahren, tote man über bie $)örenbergg ben!t.
3th glaube nicht, baff biete achtbare Seute beit Vtutl)
haben toerbeit, toelchen jetjt Äreu^famb burdj feine 2Ber=
bung an ben Xag gelegt T^at."
•fpelene tjattc ihm augehört, ohne fid) p rühren, ©ic
begriff, bafj ettoa§ 3ür<hterticheg hinter feinen Söorten
fein müffe, aber fte berftanb ihn noch immer launt attr
-fpälfte.
„äöenn eg toahr ift, bafj bie fieute meinen armen
tobten Vater berachteit, toeil er burcb ungtüdtichc Ver=
hättniffe um fein 4?ab unb ©ut getomnten ift, unb toentt
fie bicfe Verachtung au(h auf mich übertragen, fo ntufj
ich eg eben über mich ergehen taffen. Stber eg mufj eine
traurige Söett fein, in loetdjer ber SBcrth beg Vteufchen
fo gana nach ber ©rö|e feines Vermögend abgefchä|t toirb."
©ie hatte eg mit ebtent ©tot^, toentt auch mit 3 ucfen=
ben Sibben gefbrodjen, unb jebeS ihrer SOßorte fteigerte bie
faunt noch berhehtte joritige ©rregung beg Vianneg, toetcher
au ihrem Säger fafj. @r neigte fid) näher ju ihr herüber,
unb |)ctene erbebte big in’g innerfte .frera bor bem 2tu§=
brud in feinen 3ügen.
„Hub toenn eg nun mit biefeit ungtüdtichen Vertjätt=
ltiffen, auf toelche S)u 2>id) ba berufft, eine ettoaS anberc
Vctoanbtnib häü e > dtö man $id) aug Varmherjigteit
gtauben tief}? SSenn nun 2)ein Vater fetbft berfdjutbet
hätte, mag über ihn getommen ift, unb bor ©chlimmerent
nur burdj feine feige §tuct)t betoahrt toorben toäre, möchteft
Digitized by Google
9ioman uon tfcrbtnanb Hermann. 85
2)u auct) bann nod) £uft f)d6cn, mir burd) biefe hoheitä»
botte 9Jticne <ju iittponiren?"
9iun mar eä freilich unmöglich, if)n nod) länger mifj=
juberftehen. fDtit einem 5luffd)rei griff Helene nad) ihrer
Stirn.
„Onfel, ba§ ift nicht toahr! 2)enfe baran, bafj e»
ba§ 5lnbenfen eines lobten ift, toeldjeä S)u ftefchimpfft!"
„Sift 2)u fo getoifj, bafj 25ein 2}ater toirflid) geftorften
ift? 3ch meine, deiner Bon un§ hätte feinen £obtenfd)ein
unb fein ©raft gefetjen, toenn er auch freilich für 3M)
nicht Beffer geforgt hat, al§ e§ ein Sobter getljan hätte.
2)u folltcft in 2)einen Steuerungen cttoaä borfidjtiger fein
einem SJtanne gegenüber, ber ein Strittet feines Vermögens
geopfert hat, um bie Schmach au§3ulöfd)cn, toetchc ein
llntoürbiger über feine ffantilie gebracht."
$ftit (eifern Stöhnen ftütjte ^elenc ben fd)mer<}enbcu
Äopf in bie |>anb. ©3 fd^ien fein 33Iut§tropfen mehr in
ihrem garten, lieblichen ©eficht 311 fein.
„Sei barmherzig, Cnlet!" flehte fie. „Sich bermag ja
bieS 2lüeS nicht zu faffen! ÜJlein 33ater lebt, fagft 2)u?
©r ift nicht in Slmerifa geftorben, toie man mir erjagte?"
„3i<h habe fo toenig ein Sebenäaeidhen bon it;m er=
galten, toie eine Stadhridjt bon feinem 2obe. ©3 ift mög=
lid), baf} er (ängft ju ©runbe gegangen, aber e§ ift aud)
fe^r toohl möglid;, bafj er noch irgenbtoo ein bunfleä $a=
fein friftet. ©r hat eben fe^r triftige ©rünbe, feine Slacf)=
rieht bon bem Crte feines jetoeiligen Slufent^attS hierher
gelangen ju (affen."
„Sage mir 3tHeS, Onfel ! 3öa3 h Q t mein unglüdlidher
Digitized by Google
86
Ser ÜMoortjof.
ißater getljan? 'Jtadj biefen fcfjvccfttcfjcn Slnbeutungen barfft
Su mir nid)tS mehr berfdjmcigcn."
(Sie fah fo niebergcfdjmettert unb berjmeifelt auS, bah
felbft StrmBrecht eine Regung beS s Dtitgefiiht3 für ihre
Reiben empfanb.
„Su felbft trägft bie ©d)ulb baran, menn id) biefe
unangenehmen Singe <jur ©pradjc Bringen nutzte. 9tBcr
früher ober fpäter tjätteft Su fic ja ohnebieS erfahren
müffen, unb cS ift biettcicht Beffer, Su fjötft fie aus meinem
9Jtunbe, atS bou irgenb einem frcntben UJtenfchcn. Sein
i>ater Bejah bon $au 8 aitS ein nicht unBeträchttidjeS ©er=
mögen, aBcr er mar ein fd)ted)tcr .hauShattcr unb ein
leichtfertiger ©efdjäftSmann. Obgleich ich ih 11 mieberholt
mit erheblichen Opfern auS feinen feXBftbcrfdjuIbctcn $cr=
legenheiten Befreit hatte, gelang cS ihm bodj nicht, fidj
mieber in ein ruhiges Satjimaffer 3 U bringen, unb mit
beut Sobc Seiner fUhttter bertor er anjeheinenb aud) bie
teilte ©tüpe für feinen hatttofen unb fdjmanfenben 6 h a=
rafter. 3 <h ahnte noc^ nicht einmal, tuie fchlimm eS mit
ihm ftanb, als eines SageS ber 3ufammenbruch erfolgte.
Unter einem 23ormanbe hatte er mich Qebeten, Sidj für
eine fur 3 c 3eit Bei mir aufounehmen, unb eS traf mid)
mic ein 33Iitj auS heiterem Fimmel, als mir menige Sage
nadjher bie 9tadjrid)t gebracht mürbe, bic ©efchäftSrännte
meinet ©chmagcrS Sorenberg feien gefddoffen, er fclbcr
fei fpurloS berfchmunben, unb eine grofje Strahl fälliger
Söed)fel über feX;r Beträchtliche ©ummen habe Stängels
3 ahtung proteftirt toerben müffen. öS mar einer ber
fdjmähtidjften S3auferotte, meld/C feit tanger 3 f it in ber
Digitized by Google
Keilnut von j^erbinanb Hermann. 87
(Stabt borgefontmen mären, beim bic borfjanbenen Vlftiben
bedten nur einen berfdjminbcnb Iteinen Brucfjtheil ber ge=
maltigen Sdjulbcn. Gs mar ein furchtbarer Sdjlag für
mich, benn ba meine bermanbtfdjaftlidjen Beziehungen 311
Särenberg allgemein befannt maren, mürben audj mein
.ftrebit unb mein gefdjäftlidjeä 9lnfehen burch bic j?ata=
ftrophe gefährlich) crfdjüttert. Sa§ <Sd)limmfte aber mar
mir bei aHebem noch borbehalten, benn bau ben proteftirten
Söcchfeln famen in ben nächften Sagen mehrere an mich
Zitrüd, bie mit meinem ©iro berfehen maren, obmohl ich
fie nie zubor gefetjen hotte. Bteine llntcrfdjrift mar —
gcfälfd)t, unb ich tonnte leiber feinen Slugenblicf im gmeifel
fein, men ich atö ben Urheber biefe§ fdjinipflidjen Ber=
brechend zu betrachten höbe. 9tun begriff id) freilich,
marunt cä mein -fterr Sdjmager fo eilig gehabt hotte, baö
Söeite zu fudjeit, benn er muftte gut genug, bafj B)c<hfel=
fälfehung nach bem bentfchen Strafgefetjbudje mit 3 udjt=
hau3 geahnbet mirb. Sein Sdjicffal mar bamalä ganz
in meine -hanb gegeben. Ginc einfache Bhtthcilung an
bie Staatäanmaltfdjaft hätte genügt, bic Polizei auf ben
Odüdjtigen zu h e tJ cn , unb ber Borfbrung, ben er fetbft im
günftigften fyalle gemonnen hoben fonnte, mar biel zu
gering, al§ bafc man bei ber Sdjnelligfeit beö Selegrabheu
feiner nicht rafdh genug hätte habhaft merben fallen. 3 d)
leugne nicht, bafj ich in ber elften tiefen Gntrüftung über
bie fchitnbflidje hanblungesmeife eines Btanneä, meldjcr
mein ganzem Bertrauen gehabt hatte, nahe baran mar,
biefen für ihn fo bcrhängnifjbollcu (Schritt zu tt)un. Ser
töebanfe au Sid) unb ba3 Btitleib mit Seiner ahnung3=
Digitized by Google
88
der IDtoorljof.
tofen $ngenb Waren eg ganj allein, welche mich babou
3 urüift)ietten. 3 <h Xö§tc nicht nur bie gefällten Söechfet
ein, bie ich freiXidj als gewichtige S3etoeiöftürfe für bie
©cfjulb deines Vaters forgfättig aufbewahrt fwbe, fon*
bern idj braute aud) um deinetwillen eine Einigung mit
ben ©laubigem dörenberg’S ju ©taube, bie mich einen
grofjen 2!^eil meinet ntühfatn erworbenen Vermögens foftete.
©ine ftrafredjtlidje Verfolgung meines ©chWagerS war
baburch allerbingS üermieben, aber ben ©fanbat fjatte ich
bod) trofj alter Cpfcr nicht berfjinbern fönnen, unb in ben
Stugen alter derjenigen, Welche fi<h ber Vorgänge aus
jener 3 eit 3 U erinnern öermögen, ift unb bteibt ftriebrid)
dörenberg ein betrügerifdjer Vanferotteur. 5tun magft
du fetber entfdjeiben, <£>elene, ob du ©runb ^aft, auf ben
kanten ftotj 3 U fein, Welchen du trägft."
.jpetene antwortete itjnt nicht. ©ie ^atte baS ©efidjt
tief in bie Votfter gebrüdt, unb ein frampf^afteS ©djlucfjaen
erfchütterte ihren fchlanfen Körper.
9(rmbredjt blirfte auf feine Uhr, unb nacfjbem er noch
eine fteine SöeiXe gewartet ^atte, fuhr er in einem don,
ber bietleicht fanft unb freunblich Hingen follte, fort:
„2öaS ich bann noch weiter für dich gethan Ijabe, braune
ich dir Wohl nicht erft in Erinnerung jju bringen. 3dj
hatte feine Verpftid^tung, für dich ju forgen, unb fidfjer=
lid) Würben nicht Viele in meiner Sage bie ©etbftber»
teugnung befeffen ^aben, baS ^inb eines VtanneS, ber fo
erbärmlich gefjanbett, im eigenen |>aufe 3 U bulben. 3 $
aber jwang meinen natürlichen VMberwitlen gegen 9IlleS,
WaS ben kanten dörenberg führte, ftanbljaft nieber unb
Digitized by Google
Dloman 0011 ^crbinaub Hermann. 80
hielt Sief) aU^ biefe Sahre fynburdj mie meine Sodhter.
©laubft Su nun, bafj Su mir einige Sanlbarfeit unb
ehrerbietigen, finblidjen ©ehorfam fdmlbig bift?"
Sie hob ba§ tobtenblaffe, thränenüberftromte 9lntlifj
empor unb ftammelte !aum bernehmlich: „Vergib mir,
Cntel, menn ich e§ jemals baran fehlen liefe. € mein
©ott, i(h hotte ja bon adebem feine Slhnung! @S ift fo
greutfam — fo graufant!"
„(Sä ift fd)Iimm für Sief), ba§ läfet fith nid^t leugnen.
Slber fobalb Su Jheuflfamp'S ®attin gemorben bift, mirb
man bergeffen, bafe Su gebrich Sörenbcrg’S Sodjter
marft. Unb jubem mirft Su ja auch faft immer auf bem
ßanbe leben, mo nur Söcntge bie bantaligen ©reigniffc
fennen."
„Wein, £>nfel, forbere baS nidjt bou mir ! Stofee mich
lieber auä Seinem .jpaufe unb lafe midj mein Brob bei
fretnben Wtenfdjen fudjen. Sic tieffte ©rniebrigung, ber
ich mich bort untertoerfen müfete, fann mich nicht fo tief
bemiithigen, als eine Bereinigung mit biefent Wtanne."
2trmbred)t ftanb ungcbulbig auf unb fdjob feinen Stuhl
geräufefebod jurücf.
„©enug für je^t !" fagte er. „Sit mirft mein «jpauS
nicht berlaffen unb mirft Sein Brob nicht bei fremben
Leuten fuchen; benn ich toitt nicht alle biefe döohltfeaten
berfchmenbet hoben, um fdjliefelidh noch für hotther^ig
berfdhrien ju merben. Sich gebe Sir Bebeufyeit bis morgen,
unb um Seiner felbft miden ratfee ich Sir, bann eine
beffere Slntroort in Bereitfdhaft ju holten."
(Silig, atä mode er bamit gcfliffentlich jeher etma be»
Digitized by Google
00 'Ser Sloinhof.
abfid^tiötcn ©rmieberung aus bcnt 2i>ege gcljen, berliefj er
baä 3intmer, unb HeXene blieb in ber rafcf) ^ereinbrecC;ett=
ben abenbXidjen ©unlelheit allein mit ihrem namenXofen
Scibe.
Sn ben gtän^enb erleuchteten Salons beg <2d)Ioffe§
mar aufjer bem ermarteten 9tittmeifter b. 9Jtarmitj, einer
glanjenben, ritterXidjen ©rfchcinung, noch ein anberer, uit=
ermarteter unb unangemeXbeter ©aft in ber ©eftaXt be»
Herrn Areu^tamp eingetroffen. ®r mar mieber auf feinem
mohlgenährten, fdjmerfäXXigett braunen geXomnten, beffeit
er fidh für feine 9lu§fXüge unb SSefucfje augfdjXiefjXid) ,^u
bebienen fdhien; unb mie er e§ bei fener neulidjen Unter=
rebung feinem ^reunbe 5lrmbrecht mit boXter guberfidjt
borau§gefagt hatte, mar er bon bem ariftotratifchen 9titt=
meifter mit großer Sicben§mürbigfeit begrüjjt unb mit
au3gcfuä)tefter HäfXichfeit behanbett morben.
91 ber e§ mar ihm bon bornherein anjumerfen gemefen,
bafj er fehr ungebulbig fei, unb al§ ber Hausherr enbtich
erfdjien, hatte er ihn fogXeicf) peinlich riidfidjtloä für fidh
felber in 23efd)Iag genommen. Sange Seit ftanbett 33cibe
angetegentXich flüfternb in einer genfternifclje, unb 9trm=
bredjt nutzte mohX ben Inhalt feiner foeben mit HeXene
geführten Unterhaltung jiemlich mahrljeitägetreu mieber=
gegeben haben, ba audj Äreujlamp’ö ftarXfnochigeä 5lntlifj
- einen recht berbtieltidjen 9Iuäbrud angenommen hatte.
„Sch habe mein SJtöglidjfteä gethan," fd)Xofj SXrmbrecht
achfelaudeub, „hoch eä märe gegen meine Hebcr^eugung,
menn ich Sh^en grofje Hoffnungen ntadjen moltte. JDa
Digitized by Google
Vornan von ftcrbittanb Hermann. Ol
felbft ein fo ftarfeö fütittcl — bag ftärffte, bag id) über»
fjaupt aumenben fonnte — nicht ju berfangen fc^cint,
rnüffen mir eg mol)l mit einer unüberminblidjen Abneigung
311 tbun hoben. Unb id) toeifj in ber £l)at nicht, megljatb
Sie fid) fo [etjr auf bie Sadje capricircn. Schlagen Sie
fid) bodj bag 9Jtäbdjen aug bem Sinn! 33ei Sbretn $ler=
mögen merben Sie leidjt genug <£)übfd)ere unb ßuftigerc
finben, alg eg meine 9tidjte ift."
5 ?reu 3 lamp tüicgte ben unförmigen $opf I)in unb her.
„Seicht möglidj; aber ba id) eg nun einmal angefangen
habe, mödjtc id) eg auch 3 U 6 nbe fül)ren. 6 in fUtatm toie
id) flieht bod) nidjt ohne SBeitereg mit einem Horbe feineg
äöegeg. Söo fann ich hier bei 3 bnen ungeftört eine Seite
f djreibcn ?"
91rwbredjt fap ihn bermunbert an.
„Soll ber 23rief ettoa für Helene beftimmt fein? @g
märe meiner Slnfidjt nadj bag Ungefdjidtefte, mag Sie
unter ben obmaltenben Untftänben tl)un lönnten."
„ßaffen Sic bag immerhin meine Sorge fein, bereiter
Sreunb! 3 d) Pflege reiflich 31t überlegen, mag idj unter»
nehme."
2 )er Schlobherr miberfpradj nicht meiter unb führte
it)n in fein eigeneg ?lrbeitgflimmer, bag bon mufterhafter,
faft peinlicher Crbttung zeugte.
„$aitn ber ^Brief , ben ich mit Sh^er ßrlaubnifi hier
fdjreiben merbe, bem Fräulein Dörenberg fofort jugeftedt
merbett?" fragte Äreufllantp, inbem er fidj nieberfetjte.
„Söenn Sie eg münfehen — gemifj! äöotten Sie fid)
nur gefällig)! jeneg Ätingelflitgeg bebietten, um eiiteg ber
Digitized by Google
02 3\*r 'JJtoorhof.
DJtäbc^en !onimcn <$u taffen. 3dj fetber muh Sie je|t
berlaffen, ba id) mich bem 9iittmeifter fdjon au tauge ent»
aogen habe."
$rcuafamp legte fictj einen bon ben großen, gefchäftS»
ntä§igen Briefbogen 9Irmbred)t’§ 3 ure<ht unb fdtjrieb nach
furaem 9iac(jbenten mit ben fteifen, unfchönen Budhftabeit
eine§ ungebilbetett Btenfchcn:
„ÜJlein ffräutein!
3u meinem tiefften £eibWefen erfahre ich foeben, tneTc^er
Kummer 3hnen um meinetwillen, wenn auch Wahrhaftig
ohne meine Sdjutb, bereitet Worben ift. $d) fann mir
fet;r gut benfen, Wie tief Sie burdj bic Enthüllungen über
Sbten beretjrten |jerrn Bater betrübt fein rnüffen, unb
bie innige Zuneigung, Welche ich für Sie embfinbe, treibt
mid), 3hnen nod) in biefer Stunbe ein Söort be3 STrofteS
au fagen. Sie bürfen nämlich nidjt ohne Söeitereä 2lße3
glauben, wa§ mau 3h lien über bie Sdjutb be§ fperrn
ffriebrich Dörenberg berichtet hot. Er War mehr an be=
bauern, alg a u berurtheitcn, unb bietteidjt ift ber Sag
nicht mehr fern, wo feine Unfchulb bor alter SÖßett er»
Wiefen Werben !amt. 5Daau aber Wäre 9tiemaub im Stanbc
at§ idj, ben ber 3nfuH BerfdjiebeneS h fl t in Erfahrung
bringen taffen, Wa3 für bie Slufflärung ber bamaligeit
Ereigniffe bon grofjer Bcbeutung Werben fann. SDie Sache
ift nur noch nicht reif, ba ich aubor Weitere 9tachforfchungen
anftetten muh, unb mir fehlt teiber jebe Berechtigung,
irgenb Welche fDtafjregetn in ber Stngetegenheit au treffen,
fo lange ich 3>hnen all ein böllig ffrember gegenüberftehe.
Siefe 3 p i^n, bereu Inhalt Sie natürlich borberhanb
Digitized by Google
Roman uon fterbinunb Hermann. 93
feinem *Dtenfcf)en öerrathen bürfen, geben 3huen ben 33e=
toeiö, bafj Sie auf ber ganzen 2Belt feinen treueren unb
aufrichtigeren greunb haben al§ mich ; marum motten (Sie
mir nicht baä fdjöne Recht einräumen, mich auch öffentlich
fo ju nennen unb Sie mit ftarfem Strnte gegen alle Unbitt
be3 ßebenä a u fdjüijen? Äann Shuen benn irgenb Semanb,
unb märe er auch um 33iele3 fchöner unb jünger als ich,
eine fo herrliche ftttorgengabe barbieten, mie ich fie in
Sercitfchaft habe: bie glänaenbe Rechtfertigung 3h*e§
armen, unglücflichen 2kter§?
3h*em finblichen #eraen überlaffe ich bie Rntmort auf
meinen gut gemeinten Antrag. Schreiben Sie mir mit
amei Söorten auf bie Rüdfeite biefcS 33riefeä, ob ich morgen
fommen barf, um eine günftige @ntfd)eibung in Empfang
ju nehmen, ober ob ich fü* immer jebe Hoffnung fahren
taffen mufj. Sefctereä märe ja leiber auch ein enbgiltigcä
StobeSurtheit für bie bürgerliche (Sljte 3hte8 bebauend
merthen S3ater8.
@mig ber 3h*e
Ri fol au 3 Äreujfamp."
Rtit behaglichem ßätheln überflog ber Sefifjcr uon
©ottnom fein ÜEBerf, unb nachbem er ben Untfcblag fcljr
forgfältig jugeftebt hatte, flingette er nach Rrmbrcdjt’g
SCßeifung eine§ ber Rtäbchen herbei, um ihm ben Srief au
fchnetter unb gemiffenhafter SBeforgung au übergeben.
6r mufete, bafj er bie Rntmort nicht auf ber Stelle
au ermarten haben mürbe, aber er fdjien nicht au fürchten,
bafj fie ungünftig auäfatten fönne. 9Rit gemächlichen
Schritten fehrte er in ben Salon aurüd, mo man nur auf
Digitized by
94
'Ser DJtoorSof.
iStt gemartet batte, um fich 311 m 2 lbenbeffen 3 U begeben,
ltnb mäbrenb ber ittittmeifter $ertha feinen 9lrm reichte,
führte Äreu^famp mit täppifc^er ©atanterie bie fdjmeig*
fantc §rau be» < 6 aufe§, metdje öor Scheu uub Verlegern
Seit nodj mef)r in fich felbft jufammenjufinfen festen, feit=
bem ber glänjenbe, roeltgemaubte Sragoneroff^ier bie
Scbmelte be§ $aufeä überschritten Satte.
Sa§ 9tbenbeffen machte ber $üd)e unb namentlid) bem
Äcder be§ .^errn ?trmbred)t alte ©S rc - 211 * man eben
bei einem befonberö gut gerätsenen ©ange angelangt mar,
erinnerte fich Bertha it;rcr an ba§ 3 immer gebannten
23afe.
„Sie arme £elene!" fagte fic. „äöie mu| fie fich in
ihrer ©infamfeit langmeilcn. $cb ßlaube, an ihrer Steife
märe ich längft geftorben. ^öffentlich ift ihr baä 9tbenb=
effen nidjt mieber Salb erfattet gebracht morben, mie eä
geftern ber fjatt mar, als ich ba§ SKäbdfjen zufällig mit
beu Schüffetn auf ber Sreppc traf."
Sie batte fid) babei öornehmlicb an ihre fJJtutter ge=
menbet, unb bie fteine blaffe ^rau antmortctc teife : „<£>e=
lene muff fidj b eutc mohl befonberä leipenb füllen , beim
fie bat e§ abgeleSnt, irgenb etma§ 3 U fid) 311 nehmen unb
bie Speifen unberührt mieber tjinauögcfd)idt."
SBie fetten auch tyrau Slrmbrecht ben 93iunb öffnete
uub mie SarmloS bann auch jebeäntal ihre SBenterfungcu
maren, eä muffte beeb mol>t iS* befoubereö fDtifjgefcbicf
fein, baff fie bamit immer ben Unmitlen i^reö ftrengen
©einaSlä erregte. 9Jur feiten aber Satte ftc für eine ihrer
Sleufjetungen ein fo böfer, 3 ornfunfeluber 33lid au§ 9lrm=
Digitized by Google
Dtontan von ftcrbiuanb Seemann.
95
bredjt’g fdjarfen Singen getroffen, alg in biefem SJtoment,
unb bie {(eine $*au fuhr fic^ mit bent £afd)entudj über
bie Stirn, nur um burd) biefe Bewegung bie frönen 3U
Verbergen, Wcldje fie berrätljerifd) emporfteigen füllte.
Sludj .fperr $rcu 3 famp fd)ien Pon ber burdj <£>ertha
herbeigcfüt)rten SBenbung beg ©cfprädjeg nic^t fonberlid)
angenehm berührt 3 U fein. @h e bie junge £ame nod)
3eit gefunben Ijattc, etWag SBeiterei 31 t fagen, ridjtetc er
Ijaftig eine gleidjgiltige 53emerfung an fie, toeldje fie Wol)t
ober übel beantworten mufjte, unb ba auch ber Stittmeifter
fidj einmifdjte, Waren ^jeleneng ßciben unb ifyre @infam=
feit halb bollftänbig bergeffen.
iöiertelftunbe auf Viertel ftuube berging, ohne bafj
.ffreujfamp bie erwartete Antwort auf feinen S3rief cr=
galten ^ätte. @r fcf)ien nichtgbcftoweniger nod) immer
boll 3uberfidjt ; benn Wenn er aud) fjier unb ba auf feine
llfjr blidte, jeigte er fid) bod) heiterer unb gefdjwähiger,
alg ihn Slrntbredjt jemalg gefehen. 2)er Stbenb War 3 icnt=
lidj weit borgerüdt, unb bie SDamen hatten fid) bereit«?
3 urüdge 3 ogen ; bie brei Herren aber hatten fid) auf beu
JÖorfdjlag bes 2 Birtt)eö 3 U einer SBtjiftparthie niebergefe^t,
unb Währeitb fid) ber Stauch ber buftigen Zigarren jur
SJecfe beg Spiehimntcrg emporfräufelte, gab $reu 3 fantp
eine lln^a^l platter Sdje^e 3 um S3eften, bie ber $ragoner=
offner Ijöfticf) belad)te , alg wären cg bie witjigften @in=
fälle eineg geiftreidjen Kopfes gewefen.
2 >a überreichte ber geräufd)log eintretenbe fjriebridj
beut ©utgherrn bon (SoIlnoW einen 33rief.
„SBon Fräulein Dörenberg," fliiftertc er iljm 3 U, uitb
Digitized by Google
06 $er 'OJcüortjüf.
Äreualamp, toelcfjer eben im begriff toar, au^ufpteleu,
nitfie gleichmütig mit bem gnomenhaften, fpärlich be=
haarten ©(habet.
„(Sä ift gut, mein fjreunb," fagte er. „Segen ©ie baS
ißittet nur hierher."
@rft at§ bie letzte Äartc beS begonnenen ©pieleS ge=
falten toar, erbra(h er baS ©ihreibeit, unb er hätte nicht
tangfanter unb untftänblicher berfaljren fßnnen, toenn eS
fuh um bie gleidjgittigfie ©ache bon ber SSelt gehanbett
hätte. SCBte er ermattet hatte, toar eS fein eigener SBrtef,
ber ihm entgegenfiet. 2luf ber Oiüdfeite ftanben toirflid^
nur ätoei SBorte, unb als er fie mit einem rafdjen ißlicf
feiner berfniffenen Sleuglein erfaßt, hielt Äreuafantp baS
^3tatt feinem {yreunbe Slrntbrecht entgegen.
„flomnten ©ie!" laS biefer halbtaut, unb mit einem
2luSbrud ehrlichen (JrftaunenS fügte er hi n 3 u - „Sitte
SBetter, finb ©ie ein ^ejenmeifter ? 3BaS für touuber»
fame S)inge haben ©ie benn bem Sttäbet gefchrieben, bafj
©ie eS mit einem bloßen Briefe umftimmen tonnten?"
Äreu^tamp’S toulftige Sippen bezogen ftd^ p feinem
behagtidjften Sächetn. £>f)tte ein Söort p ertoiebern, faltete
er baS Statt in bie §orm eines QribibuS pfatnmen, hielt
eS in bie Stamme ber auf bem Otauchtifchdjen brennenben
Äerp unb aünbete ficfj an ber hoch auflobernben Stamme
eine neue Zigarre an. dsrft als er in ©efahr toar, ftch
bie Singer p berbrennen, toarf er baS bertohlte, tnifternbe
Rapier in einen Stfchenbecher unb fagte, gemächlich bie erfte
bläuliche Sfauchtoolfe bon fibh blafenb: „ItetjjenSgcheimniffe,
SSerehrtefter, toer bürfte ba aus ber ©chule fchmatjen!"
Digitized by Google
9?oimut von ffcrbimmb Hermann.
07
S)er IRittmeifter ladjte, ba er ber Meinung fein mochte,
bafj $err ßreuafamp toieber einen Sdjera gemacht, unb
auch über 2lrmbred)t’S barte Süße glitt ein f!üd)tigcS
Säbeln. $n ftchtlidj auSgeaeichneter Sanne begannen bie
brci Herren ein neues Spiel, toährenb unmittelbar über
ihren Häuptern ein armeä, audenbeS 2Jtenfdjenber3 fdjier
aerfpringen tooEte in feinem graufamen, unerträglichen
2öeb.
Viertes Kapitel.
2luf bem Spiafce Por bem behäbigen, toenn auch avd^i»
teftonifcb nicht gerabe bebeutenben 4?ertenljaufe Pon ©oEnoto
mühte fich ein Jlnedjt unter Pielen halblaut auSgeftofjenen
ingrimmigen glüchen bamit ab, einen elegant gefattelten,
feurigen ©rabifcer $engft in ruhiger ©angart auf unb
nieber $u führen. S5aS fdjöne Ülwr, toeldjcS anfcheinenb
bereits einen fcljarfen Ütitt hinter fich harte, machte fo
Piele Äaptiolen unb bezeigte eine fo grofje Steigung au3=
aubredjen, bafe eS ficherlich eines Por^üglidhen OieiterS be«
burfte, um mit ihm fertig $u toerben.
„©in anbermal foE fidj ber £err ©raf feinen eigenen
langbeinigen 9teit!necht mitbringcn, toenn er auf biefer
Pertoünfchten 23eftie fommt," Inurrte ber Surfthe, unb eS
toar ein feineätoegS freunblicher 33lid, toeldjcn er babei
ju ben Sßarterrefenftern beS ^errenhaufeS hi”rtbcrtoarf.
„2öa3 bie SSeiben teohl toieber eine Stunbe lang mitein«
anbet au Perhanbeln haben mögen!"
hinter einem jener 5parterrefenfter fafj nämlich ber
©igenthümer beS nerPöfen ^engfteS im eifrigen ©efpräch
»ibliot&tl 3aprfl. 1890. Sb. V. 7
Digitized by Google
98
Ser ÜJioorfjof.
mit .fperrn Aifofaug Äreuafamp unb bor i^nctt funfeite
bunfelpurpurner Sportwein in ben gefchliftenen ©läfern.
SQßenn Äreuafamp feinem greunbe Armbrecht gegenüber
mit befonberem Aacfjbrucf bon bem „ariftofratifchen Air"
beg <§>errn ©rafen Aamin gefprod^ett batte, fo mußte ein
23licf auf bie äußere ©rfcheinung biefeg Seßteren über=
zeugen, baß er baau in ber &hat einigermaßen berechtigt
gewefen fei. 3Jtit feiner fchlanfen, biegfanten unb hoch
mugfelfräftigen ©eftalt, ben breiten ©djuttern unb aier=
liefen ^änben unb fjüßen, mit feinem fefjarf unb fein ge*
fdjnittenen, etwag gelblich gefärbten ©efidjt, feinen gläit»
aenben fdjtoaraen Augen unb feinem bunflen, wohlgepflegten,
welligen |>aar war ber ©raf unbebingt eine fc^öne unb
bomehme ©rfeßeinung an nennen. Ser fura augeftu^tc
fd^tuaräc SSollbart umgab einen 2Jiunb bon faft Weiblicher
gartßeit, unb auch bie 2Borte, Welche mit einem feineg*
wegg unangenehmen flabifcßen Anflang über biefe tief*
rotßen Sippen famen, hatten einen ungemein weichen, ein»
fchmei<helnben Älang.
SBon bem bor ihm ftehenben Söeine hatte ber 23efudjer
faum genippt, Wäßrenb ftcfj |)err Äreuafamp bereitg beim
bierten ©lafe befanb. ©ie hatten erft bon gleicßgiltigen
unb allgemeinen Singen gefprodjen, nun aber Waren fie
auf eine Angelegenheit gefchäftlidjer Aatur gefommen, unb
ber SBefißer bon ©oEnow brehte foeben ein länglicßeg
Rapier, Weicheg ber ©raf ihm überreicht hatte, a^ifchen
feinen plumpen |>änben hin unb fyx.
„©in ©h auf bie Sani bon ©nglanb im betrage bon
achtaehnhunbert $Pfunb!" meinte er etwag nachbenflidj.
Digitized by Google
Stoman uon fterbinanb .fpevmamt.
99
,,.£>m, ba^ ift eine bebeutenbe «Summe. Sie toerben bag
(Mb bocfj fjoffentlidj nictjt gleich auf ber Stelle brauchen?"
„3$ mufj geftefjen, bafj icfj barauf gerechnet fyatte, eg
nocfj feilte bon Bfynen erhalten, <£jerr Äreuslamp. SCßenu
mix nictjt eben barunt au tljun getuefen toäre, jebeu Beit*
bertuft 5 U bermeiben, tjätte idj miclj nid&t erft an Bfjte
Sreunblidjteit au toenben braunen. Bebet öanfier in ber
.ftauptftabt mürbe mir auf biefe Slntoeifung fyn bie Summe
anftönbglog augaat)Ien."
,,.£>m! Sie jinb atfo gana fidjer, bereiter £err @raf,
bafj bag Rapier orbnunggmäfjig auggeftettt ift? Bdj fage
Btynen gana offen, bafj idfj. nodj niemalg ein äfyrtidjeg
©efdjüft gemalt tjabe."
Bn ben fd&maraen Slugen beg ®rafen blifjte eg eigen*
ttjümlidj freubig auf, aber ber SLon feiner SOßorte toar fetjr
gleidjmütfyg, alg er ertoieberte: „Söenn Sie auct) nur
bag geringfte 2Jtifjtrauen liegen, mein ßieber, fo ift bie
Sadfje felbftberftanblidj abgetan. Sieben mir nicht toeiter
barübet!"
@r ftredfte bie aierlictje, mit mehreren blifcenben Siingen
gefdfjmücfte £anb über ben Üifdtj ^intoeg, toie toenn er
ben Gtjecf mieber in Empfang nehmen tooKte. Slber «frett
Äreuatamp macijte eine abme^renbe unb befdjtoörenbe S3e*
megung.
„Slidtjt boctj! Sie f)aben meine Qfrage burdjaug falfctj
berftanben. Bdj ben!e gar nidt)t baran, B^nen au rnifj»
trauen, unb idt) hatte nur bie fDlöglidfjfeit eineg ftorm*
feljlerg ober bergleicijen im Sluge. Stber 3h« einfache
Sßerficherung genügt mir, genügt mir bottftänbig, mein
100
2>cr üftoorljof.
teurer £>err ©raf! 3<h fürchte einzig, bafj eg mit fel;r
ferner toerben mirb, eine fo Beträchtliche Summe nod)
heute fUifftg au machen."
„ßg tljut mir leib, bafj ich barauf Beharren mujj.
9lBer eg trägt bielleicht baau Bei, $h te 23cbenflichfeitcu
abaufdjmächen, menn ich 2fhwn fage, bafj eg mir auf einen
fleinen Jöerluft Bei bem ©efdjäft nicht anfomntt. $ft bag
©elb bor morgen früh in meinem SBefitj, fo mögen Sie
fich meinetmegen taufenb 9Jtar! bon bem betrage für 3h*e
^Bemühungen in SIBaug Bringen."
„Xaufenb SJtarl? ^tn! Sie toerben mir glauben,
bafj ich nicht Söilleng Bin, ein SBudjergefdjäft au machen.
SSenn ich felber bag ©elb aur Verfügung hätte, mürbe
bon einem SIBauge natürlich gar nidjt bie Sfebe fein fönnen.
$ch thäte e§ bann einfad) aug Qreunbfchaft, unb mir
Brauchten fein SBort meiter über bie ganae Sache au ber*
lieren. Slber ich Bin leiber nicht im SSefih fo Bebeutenber
Summen; ich toerbe mich an einen meiner ©efdjäftgfreunbe
menben müffen, unb ba toeifj idh in ber 2hat nicht, ob
ein SIBaug bon taufenb Sflarf in biefer gelbfnappen 3*it
alg eine genügenbe ßntfdjäbigung erfdjeinen mirb für — "
©raf Stamin unterbrach it)n mit einer unnachahmlich
bomehmen ^anbbemegung.
„Sagen mir meinettoegen fünfaeljnhunbert ober aud)
ameitaufenb. 2öag fümntert mich am ßnbe eine foldje
^Bagatelle !"
Äreuafamp niefte auftintmenb.
„Sie haBett Stecht! Söoau follen mir nodh meiter
barüber reben? Sie überlaffen eg mir, $h n?n bag ©elb
Digitized by Google
9loman oon ftetbinanb £>«rniann.
101
ltm jebeu SPreiS nod) Ijeute ju berfdjaffen, uub ©ie bürfen
fid) barauf t»crlaf]eit, bafj icfj babei Sljren Sßortfjeil genau
fo toafjrneljmen toerbe, tote toenn eS ficfj um meinen eigenen
Ijanbelte. — Slber ©ie trinfen ja gar nidjt, $err ©raf.
Äuf Sfljre ©efunbfjeit !"
„Sfdj ban!e. ©ie Werben alfo bie ©fite Ijaben, mir
ben Gljed einfttoeiten aurüd^u geben."
„Segen ©ie barauf ein fo großes ©etoid^t? 68 mürbe
mir, offen gejtanben, bie S3cfd^affung be8 ©etbeS toefentlicij
erteiltem, toenn icfj bie Slntoeifung bemalten bürfte. 9la=
tfirlidj toürbe idj Sfjnen einfttoeiten eine entfprecfjenbe
Scfcijeinigung auSfjänbigen."
Sädjelnb fdjüttette ber ©raf fein buu!eIIodige8 $aupt.
„9tein, mein Sefter. 3dj lege jtoar, toie ©ie meljrfadj
ju ^tem Sßortfjcil erfahren Ijaben, auf Äleinigfeiten fein
©etoidjt; aber id) $öre bamit bodj nid)t gana auf, ©e=
fd&äftSmamt au fein. (Sine Slntoeifung toie biefe pflegt man
nur gegen baa re8 ©elb au§ ber $anb au geben, unb fo
toenig ©ie jemals geneigt fein toürben, mir ein Sarleljen
ol)ne boEftänbige ©icfjerljeit au gewähren, fo toenig bürfen
©ie etwas äljnlidjeS üon mir erwarten."
3)ie ffiljle 3urücftoeifung ftimmte fefjr toenig au bem
auSgefprocfjen freunbfdfjaftlicJjen, ja bertraulidjen SEone,
Wellen ,£>err Äreuafamp feinem SBefudjer gegenüber mit
fo großer iBeljarrlidjfeit fefifjielt; aber eS toar eben allem
Slnfcfjein nadf) feljr fdjtoer, toenn nieijt gerabeau unmöglid^,
ben 33efiper Pon ©oEnoto au einer Sleufjeruitg geregter
(Smpfinblidfjfeit au Peranlaffen.
„@ana toie ©ie tooEen, mein bereiter ^err ©raf," fagte
ä
Digitized by Google
102
Der üftoorhof.
er gelaffen, inbem er ihm ben forgfättig pfantmengelegten
(Hjccf über ben Difcf) ljintoeg reifte. „5Da brüben in 5))eru
traut mahrfcheintidh ©inet bem Slnberen nicht über ben
2öeg, unb ich habe mir erzählen taffen, bafj bort ein
Sanfter nicht anberS als mit bem SRcbotber in bet SCafd^e
mit feinen $unben berfehren IBnne."
„Die Scute finb ba nicht fdfjtimmere ©auner als hi«/
mein merther ^err Jheuafamf); aber man mürbe freilich
Sftancfjen mit einem gut gezielten fRebotberfchufj unfchäb=
lief) machen, ber ^ter ungeftraft fein räuberifcheS <£>anbmert
betreiben barf. Slnbere ßönber, anbere Sitten! Schließ
lief) ift e§ both moht am beften, bafj Sie gerabe ^ier
Shreit SBohnjth genommen haben."
„SluSge-jeicfinet!" lachte ber Slnbere; aber er rfiefte
babei bodj mit feinem Stuhle mie ©iner, bem nicht gan^
behaglich 3 u Stuthe ift. „UebrigcnS mirb e§ am beften
fein, menn mir unfer ©efchäft heute Slbenb auf bem 3?efte
meinet $reunbe§ Slrmbrecht in ’S 9teine bringen. Sie rnerben
bodt) fclbftberftönbtich fommen?"
„Da Sie eS mir fo fehr an’S ^erj gelegt haben,
rneinetmegen!" meinte ber ©raf nadEjläfftg. „Obmoht ich
mir bon biefer Slrt länbtidjer ©efetligleit mahrhaftig fehr
menig Vergnügen berfpreche."
„£>, ich bin überzeugt, bafj Sie morgen auS einer
anberen Donart fingen merben. 9lHeS, maS bie ©egenb
an bornehmen unb bebeutenben tarnen aufeumeifen hat,
mirb heute Slbenb auf Sdjtofi Sdfjönheibe bertreten fein,
unb felbft menn 3hmn biefe auSertefene ©efeÜfchaft noch
nicht intereffant genug fein füllte, ift ba für einen 9Jtag*
Digitized by Google
IRontan t»on fterbinanb Hermann.
103
tteten geforgt, bet Sie nid)t fo halb loSlaffcn toirb. ^räu*
lein ^»ertl)a 9Irmbredjt «nb Sie — SBlitj unb <£jagel, Sie
mürben nidjt baS übelflc bon ben ^Brautpaaren fein, bie
idfj in meinem Seben gefeljen Ijabe!"
„Sie finb fpafjljaft, mein Sieber! 9lm Gnbe betloben
Sie micf) fdjon im ©eifte mit einer 2>ame, bie idj nodj
niemals gefeljen Ijabe. Slber Sie merben mit glauben,
bafc idfj ein menig mäljlerifdfj bin in biefem Sßuntte."
„Söarurn füllten Sie e§ audj nidjt fein? SBenn man
eine ©rafenfrone als Kaufpreis ju bieten Ijat, barf man
ftdj bie Söaare fcfjon bon allen Seiten anfeljen, elje man
fte nimmt. SDiefe aber, mein Gljrentoort barauf, lann jebe
Prüfung bertragen."
„Sie fjaben eine aHerliebfte 91rt, eine foldje Sadje 31 t
betrauten. 9lber, um beS Sd^eS falber auf Sljten S£on
einjugelien : ift benn baS Vermögen beS |>errn 9lrntbredjt
mirllidj eine ©rafenftone mertl}?"
„Cljne audf) nur einen einigen SBlid in fein £aupt=
bucf) au toerfcn, näljme icfj iljn mit allen 9lftiben unb
^Pafftbcn auf ber Stelle für hier Millionen fDtar!, unb idj
märe ftdjet, nocfj ein redjt gutes ©efdjäft babei gu madjen."
„So? Unb bie junge 2>ame ift fyibfdj?"
„Gine boUfomntene Sdjönljeit!"
„ 2 öie alt?"
„ 3 dj fdjäfce fie auf ad^t^e^n ober neunen 2 fal)te."
„Unb ba glauben Sie im Grnfte, bafj fte nodj ju
1) aben fein füllte? Sinb bie IjeiratljSfäljtgen fDtänner in
2) eutfdjlanb fo fdfjmerfäUig, bafj fic eine Grbin bon 9Jtil»
lionen unbermäljlt neunjeljn Sfaljte alt toerben laffcn?"
Digitized by Google
104
S)cr SJtoorJjof.
„Sin Sdjmctterlingen unb anbereti ^rtfeften, toeld^e boit
biefer Stamme angeaogen mürben, ^at e8 maBrtidj nid;t
gefehlt. SIBer fte BaBen fic^ meines SöiffenS Sitte mit*
einanber feBt fläglicB bie §ltigel berBrannt. S*äutein
£ertBa fdjeint i^rcn eigenen ©efcBmacf ju Baben, unb
StrmBredit fic^t ftcB feine ßeute an. 3$ glaube nidjt,
bafj Sie erft einen SteBenBuBler auS bem Selbe ju fdjtagen
BaBen mürben."
©raf Slamin erBob fidj, oBne aubor ben Söeinreft auS*
autrinfen, ber nocB in feinem ©lafe Btinlte.
„SM, met fpridjt bon mir!" fagte er. „@3 mar ein
Scfjera, benn icB benfe borläufig nid^t entfernt baran,
meine golbene fjrei^eit aufaugeBen. Stuf Beute SIBenb alfo!
Sie merben baS ©elb Beftimmt mitBringen?"
„©emifj. ©in paar ruBige SJlinuten unb ein ftitteS
SpiätjcBen merben ficB ja moBl in att’ bem Trubel finben
laffen, um bie SlngelegenBeit au erlebigen. Unb tobtfdjtagen
mirb mi(B ja untermegö audj Stiemanb, um micB meiner
Sdjäfce au Berauben."
(Qrortfefymg fofgt.)
Digitized by Google
Das Käthfel t>om Kap I)tguer.
HopcUe
von
pif0efttt berget.
* (9}a4)bni(f öfrbolen.)
1 .
bet füböfHidjen ?Tu8Buchtung be8 SBtSca^ifc^en 5J^ecr=
^ BufenS, an beiben ©eiten ber 33ibaffoamfinbung, entlang
ber franaöfifcfjen tote ber fpanifchen $üfte, liegt eine Steiße
Heiner unb größerer 39abeorte, unter benen SBiarriß toeit*
au§ ber Befanntefte ift. Sitte biefe SSabeorte, im dürfen
gebedt öon ben Sluätäufern ber ^ßrenäen, öor ftdj eines
ber unrufjigften Sfleere, ba8 !aum jemals eine glatte §lädje
jeigt, mit prächtigem ©tranbe berfehen, Bieten bem Statur*
freunbe einen entaüdenben Slufenthalt. 2)ie Sölfer in*
beffen, benen fte fteß, ißrer Sage nach, aunäcßft aur ßr=
ßolung barBieten, hoben nur einen fd^toac^en ©inn für
bie romantifche ©cßönheit biefer Äfifte, toie für Statur*
feßönheiten überhaupt, unb toenn bie SJtobe nicht bie Steifen
in ein ©eeBab in Aufnahme gebracht h&tte> toürben jette
$läße heute !aum bem Stamen nach Befannt fein.
SSor ettoa atoanaig fahren hotte fteß ein beutfeßer
Digitized by Google
106
JHfitbfct t>om ftap Eigner.
Kaufmann, 9tamen§ Sodann Söercfmeifter, her in 33ar*
celona anfäfftg mar, mit feiner ©emablin, $ona Smtoreä,
nach ©t. 3ean be 2ua begeben, um ber ©ommert)it|e bc§
©üben§, bie ihm, ber fich überarbeitet batte, arg aufepte,
ju entrinnen.
©t. Scan be ßua Hegt in tfrranfreidf), unmeit ber burdj
bie Sibaffoa gebitbeten ©renae. S5er Ort bot bamatS
ben fjfremben nur febr mäßige Bequemlidbfeiten, bafür
aber toaren bie greife billig unb bie (üinmobner noch nicht
fo ertoerbSfüdjtig, mie fie fpäter, bei ftärferem Einbringen
grofjftäbtifcber Kultur, gemorben ftnb.
$ie einfachen guftänbe fc e § ftetnen ©eebabe§ bebagten
SScrcfmcifter beffer, al§ feiner fpanifeben ©attin. $at
hoch gerabe ba3 ©ntbebrenmüffen bc§ gemobnten @omfort§,
ba§ ©ichbebclfen unb ©idjfcbicfen für un§ ©eutfehe ju=
toeilen einen ganj eigenen 9ieia. 3ubem fanb Söercfmeifter,
ein rüftiger ©dbmimnter unb überhaupt ein germanifeber
ßraftmenfcb, grofjeä ©cf aßen an ber Söilbheit ber ©ee,
bie ihm beim Babe entgegenbranbete, unb liebte eg, lanb=
märtg urnberaufchmeifen unb bie Berggipfel au erllimmen,
bie fich ibnt aeigten.
©o mar SBercEmeifter recht mobl mit feiner ©ommer*
frifche aufrieben. Söeit meniger S)ona SDoloreg. 5Die ©e*
feUfchaft mar menig aabtoüb unb entfpracb ihrem an°
fprud)§bo!len ©efdjmacf nicht; bor ber ©ee fürchtete fie
fich, unb Sßromenaben, bie nicht au»f<hen glänaenben £öben
hinliefcn unb mit gepulten Btenfcben bebölfert maren,
bereitete fte. S)ocb flagte fie nicht, fonbern ertrug bie
£angemeile ibreg S'afeinä mit ruhiger ©eiaffenbeit, ein
Digitized by Google
Siooellc tum SCBtlhelm ©ergcr.
107
llmftanb, ber i^ren ©atten ^oar ettoaS in Scrtounberung
fcfcte, ba ©ebulb fonfl feine ihrer Stugenben toar, ben er
ftch aber gern nnb banfbar gefallen lief}.
S)aS Sßaar toar feit fedjS berljeirathet, unb
ihre 6^e ftanb in Barcelona in bein allgemeinen Stufe,
eine glficfliche ju fein, freilich ^atte man bon Anfang
an nichts SlnbereS ertoartet. 2)enn bie Sefanntfdjaft
Ztoifchen Söerdmeifter nnb ber fdjönen S)oloreS toar burdj
eine romantifdje Segebenfjeit bermittelt toorben, beren man
fidj noch immer gern erinnerte. Sei einem Stiergefechte
nämlich fam einer ber £oreaboreS in fdjtoere Sebrängnif}
nnb totirbe fein ßeben eingebüfjt hdöen, toenn Johann
Söercfmeijter nicht in bie SIrena hinabgefprungen toäre
nnb mit unerhörter $raft ben Stier bet ben Römern
prüefgehatten hätte, bis ein rafch h^beieilenber SlngefteHter
bent 2$ter< ein SEutf) über ben $opf toarf. S)iefc Sljat
tourbe mit rafenbem Seifall belohnt, ber inbeffen auf ben
beherzten SJtamt toeniger ©inbruef machte, als ein Straufj
©ranatbltitf>en, ber, bom Salfon getoorfen, ju feinen
frühen nieberfiet. 6r blidte empor, unb als ihm bie
Spenberin ber Slutncn öon ben Slächfift&enben bezeichnet
tourbe, brfidte er, alter ritterlicher Sitte gemäf}, ben
Strauß an feine Sruft unb berneigte fich hölbigenb.
Sfene S)ame aber toar 2)oloreS getoefen. Sier Stochen
fpäter toaren bie Seiben berlobt.
®S toäre ja unerhört getoefen — fo meinte ganz Sar=
celcna — toenn biefe Serbinbung, auS reinfter Steigung
gefchtoffen, jemals einen ber Setheiligten hätte reuen
fönnen. 3toar fei Senor SJercfmeifter ein ^rentber, er=
Digitized by Google
108
$)a§ oom J?ap Eigner.
örterte man, aber burcbauS mürbig, ein ©panier au fein,
toie er ftd) ja aud) Bei alten feinen Se?amtten ber größten
$ld)tung erfreue.
SDBercfmeifter BtieB in ber feiner ©attin bon
^erjen augetban. ift alterbingS maljr, ba& er, nad)*
bem er fi<b an ihren Sefip gemahnt batte, aufbörte, bie
9?oÜe eines feurigen ßieBbaberS au fpielen. Son einem
gemiffen 5Pb^gma mar er nicht frei, unb er hielt bafiir,
bafc er, in ber fieberen ©teKung be§ GtbentamtS, ftcb geben
laffen fömte unb bor feiner grau nic^t mehr biefelbe Ser=
liebtbeit aur ©djan au tragen Braucbe, mie bereinft bor
ber Sraut. 9ti<bt, bafj er fte irgenbmie bernaebläfftgte
ober eä an Seiten feiner unberänberten Suneigung fehlen
lieb ; bodj mar feine Verehrung ruhiger *ftatur unb fonnte
Bei einer leibenfdjaftlicben fjrau febon bie Meinung er=
meden, bafj feine ßiebe erhaltet fei.
Söenn SDotoreS, ber at§ ©panierin baä fyify Slut
nicht fehlte, ba§ Setragen ihres fUiamteg auch in biefent
©inne erftären mochte, fo hütete fte ftdj boeb mobl, i^m
bieS au erlennen au geBen. ©ie mar biel au ftola, um
^etnanb, ben bie tReiae ihrer Sßerfon nidjt au feffetn ber=
mochten, burdj Sitten au heucblerifcben Setheuerungen 31 t
beranlaffen, unb auch biel au ftola, um ber Söelt ©runb
3 U ber Sermutbung au geben, alä ob fie nicht nach ihrem
SBerthe Behanbelt toerbe. Unb ba $ona 2 >otore§ eine
meiflerbafte ^errfhaft über fich felbft auSübte, fo ftellte
ftcb aud) bent aufmerlfamften SeoBacbter ba§ Gljepaar auf
baS ©ttnftigfte bar. SDoloreä’ Serbalten anberen Siän=
nem gegenüber mar über jeben Jabel erhaben; 9tiemanb
Digitized by Google
'Jiooelle oon 2Bi(fjc(m $eiger.
109
Ijatte je gefeljen, bafj fic einen ipex bieten tßexeljxex auclj
nut buxdj einen 33lidf exmuttjigte.
@8 toax biefex ßtje ein einjigeS Äinb entfpxoffcn, eine
Sodjtex, bie ben Flamen dtaxita txug, unb in jenem ©om*
mex, ba bie ©Itexn in ©t. Senn be &13 toeilten, fünf
Saljxe alt touxbe. Glaxita toax auf Söunfdj iljrex 2Jluttex,
bie bem Äinbe überhaupt nux äufjexlidj Sntexeffe toibmete,
3u «fpaufe gelaffen tooxben.
dsttoa jeljn £age befanb ficf) äöextfnteiftex mit feinex
gxan in bem SBabeoxte, al8 ein jungex ©panier, bon
tßaxte lommenb, boxt eintxaf, in bem einzigen .frotet ab*
ftieg unb fidj fofoxt nadj ben SBaxcelonefen erfunbigte.
SBextfmeiftex fei auf einer feinex ©ebixgStouxen abtoefenb,
toax bie 2tu§!unft; bie ©enoxa pxomenire am 2ßeexe.
S)ex Slnlöntntling machte in ©ite Toilette unb ging
bann fofoxt nadj bem ©txanbe. ©djon au8 bex gerne
exfannte $5oloxe8 ben 9taf)enben, oljne ftd^ inbeffen im
9Jtinbeften in bem ©efprädje pxen au laffen, ba8 ftc mit
einigen SDamen führte. <$xft al8 ex Ijexangetxeten toax
unb, iljxen tarnen nennenb, ben .j?ut gelüftet fjatte, fdjien
fie ifjn ju exlennen.
„2lfj, ©ie ftnb e8, 2>on ®milio!" rief fie toie über»
xafdjt au8. „Söeinalje $ätte id) ©ie nidjt exfannt. ©inb
eS bodj Polle atoei Sape, feit toir un8 aule^t fat>en!"
©ie ftellte itjn ben ©efäljxtinnen box: „$oftox ßmilio
5öittaxino au8 Barcelona, toeldtjcr bexeinft, toie idj Ijoffe,
einer bex bexüljmteften $Pxofeffoxen bex 5Rebicin in ©pa=
nien fein toixb." — 2)ann toanbte fie fidj toiebex ju i^m :
w $a8 nenn’ idj einen günftigen 3ufaH, bex ©ie tjiexijex
Digitized by Google
110
2)a§ SRütbfel uom $up £>igucr.
geführt Ijat! «gjoffentlid^ bleiben ©ie unb leifteit un§
einige äöodjen ©efeEfdjaft."
„ 2 )a 3 u ^abe icl) mid) gleich enifdEjloffen, als idj im
^otel l)örte, bafj Sie unb 2)on $uan unter ben S3abe=
gäften feien," entgegnete ßmitio. „Sttein 3^1 toar eigent=
tid) ©an ©ebaftian; nun fegne idj meinen @ntfdjlufj, auf
bem Söege bortljin Ijier fRaft au machen, ba ictj iljm baä
@lfid biefer ^Begegnung berbanle."
2>oIores erläuterte: „Unfere beiberfeitigen @ltern toaren
befreunbet; toir lennen un§ bon Sugenb auf. Seit 2)on
(Smilio aur Uniberfität abgegangen ift, Ijaben toir unä
aüerbingä nur feiten gefeljen. 2öir toerben un§ bon fReuent
ntiteinanber belannt ntadjen müffen."
Gmilio berneigte fiel). „3fd^ l)offe, ©ie toerben tnidfj
nur im Sleufjern beränbevt finben."
„2ßir tooHen feljen. Unfere jungen Herren bringen,
toenn fie jahrelang in ber grembe getoefen ftnb, fd^arfe
klugen für unfere ^robinaialen UnboUtommenljeiten mit.
2)a toirb eä fd^toer, mit (Sljten au befielen."
3n biefem 2one betoegte ftclj baä ©efprädfj eine Sßeile
toeiter, bi§ 2)olore8 in ber gerne iljren ©atten bemerfte
unb ßmilio aufforberte, mit iljr aufammen iljm entgegen
au geljen.
Äaum toaren bie S5eiben allein, al§ 2)olore3 fdjmoUenb
fagte: „©eit adjt Stagen ^abe idj 2)idlj ertoartet. 2)u
toufjteft e3 unb Ijaft midj bod(j $ein leiben laffen. 3ft
ba8 2)eiite Siebe?"
„füteine Siebe ift größer al£ je," berfidjerte (Smilio.
„2)afj idj niefit pünftlidfj fein fonnte, ift meine ©djulb
Digitized by Google
Tioücüc uon UÖil^elm Borger.
111
nicfjt. .fpier Bin idj, magenb, SDidj ftünbtidj 3 U fefjeit, unb
toifienb, bafj eg mir nidjt Pergönnt fein toirb, bie Spifcen
2>eineg ^ingcrg 3 U Berühren, 9lur bie Siijjigteit ber Cual
ift mit .Befdjieben, unb bod^ Bin idj tjier ! Sage mir, bafj
S)u mit mit aufrieben Bift!"
„Später, toenn idj SDidj geprüft tjabe." <5in rättjfel«
fjafter, fotfdjenbet S3Iitf traf ©milio. 2)ann fu§r S)oloreg
fort: „fütidj Brennte, ©emifjfjeit 3 U fjabeu. ^)aft 3Du
meine Slnbeutungen perftanbenT
Qrmitio auefte aufammen. „SSerftanben moljt, aber nidjt
geglaubt, bafj fie im ©ruft gemeint mären."
„Söeitn eg nur bag ift: idj fdjmöre 2 )ir, bafj idj 311
bem Stritte Bereit Bin, ben $)u längft tjätteft Pon mir
forbern müffen."
„£>aft 2)u Bebadjt, mag 3)u mit biefem Stritte hinter
2 )it Iaffen mürbeft?"
„Seit einem $atjre Beute idj an nidjtg anbereg," er«
mieberte 2 )oloreg leibenfdjaftlidj. „ 3 dj IjaBe ben SDtutlj,
midj Pon SCßertljlofem aBauteljren. 2)töge midfj bie äöelt
Perbammen! hinter ung Braugt ber Sturm, mir tjaben
iljn nidjt 3 U Befielen."
„SGßenn 2 )u barin nur nidjt irrfl. 2 öir tönnen nidjt
aug ber äöelt Perfdjmittben. Pfeile merben ung treffen,
merben ung Permunben. Jtein geftofyleneg ©lüd oljne
ßeiben."
„Unb menn audj. 2öer opfert meljt: idj ober 2)u?
erfläre $>ir, idj Bin Bereit, unb 2 )u 3 auberft nodj?"
„3)er ßntfdtjlufj ift bag (Sine, bie Slugfüljrung bag
?lnbere," Perfekte Gtuilio. „$ener fpringt fertig aug bem
Digitized by Google
112
$)a 5 ÜHfttijfel 0011t ilap .ftinuer.
«fperaen, biefc ntuji ber Äopf borfidjtig borbereiten. ©eien
nur nidjt ju Saftig, ©eliebte!"
„3dj glaube bodj, bafj idj mit 2)ir aufrieben fein
toerbe," fagte 3)oloreS triumpljirenb.
©ie fdbmiegen, benn SSercfraeifter, ber bie 9taljenben
je^t crlannte, eilte befdjileunigten ©djritteS auf fte au. <£r
begrüßte ben Slngefommenen , bon bem er eine feljr gute
Meinung Ijatte, auf baS <£>eralict)fte unb brüdte feine
greube barüber aus, bafj feine 5rau nunmehr einen Äa»
balier gewonnen Ijabe, ber mäfjrenb feiner häufigen §lb*
toefenljeit fidj iljrer anneljmen merbe.
©ie gingen bann aufantmen nad) bem (Sapofe, too fidfj
ber junge ©panier au längerem Slufentljalte einrid^tete.
Söerdmeifter lief* fidj nidjt im Vtinbeften in feiner SebcnS*
meife ftören unb gab ben Verliebten ©elegcn^eit genug,
einen Vlan 3« erörtern, ber bie Vernietung feines ICebenS»
ßlücfeS aur ftolge §aben mujjte.
£rofcbem ©milio unb 2)oloreS ftdj mit äufeerfter Vor*
fi<$t benahmen, jebe Ijcimliclje gufammenlunft bermeibenb
unb i§re llnterrebungen gleictjfam bor 2tHer klugen Ijal«
tenb, fo entfianb bod) in einigen fdjarffid&tigen älteren
2>amen ber unbestimmte Verbackt, tafj atoifd^en ben Veibeit
ein innigeres Ginberftänbnifj befiele, als mit ber @l)re
beS ©atten berträglicb fei- Unb eine berfelben, eine Äafii*
lianerin bon Slbel, lonnte fid^ nid)t enthalten, 3öercf=
meifter eine Söarnung aulommen au laffen. GrineS Bor-
gens, als er auS bem Vabe tarn, brüdte iljm ein aerlumpter
Änabe einen fettet in bie £>anb, ber bie SBorte enthielt:
„Söadjen ©ie über StjreS #aufeS ßljrer
Digitized by Google
9?ot)eIIc oon 2öi(f)e(m ©erger.
113
fftun pflegt gerabe in arglofen ©cmütljern bic Saat
be§ Slrgtuoljnä mit Seidjtigteit auf^uge^en. Niemals bis*
Ijer toar SBcrdmeifter ber ©ebanfe an bie fDtöglicJjfeit
eines 33errat§S bon Seiten feiner 3?rau getommen. $efjt
erinnerte er ficf) an baS fjeindicfie fribole Treiben, baS
im Sanbe toudjerte. 91udj feine ftrau hmr eine Spanierin.
Unb ®elegent)eit ntadfjt 25iebe. ©mitio galt mit Stedjt
für pbfdj; er Ijatte eine elegante Origur, ein geiftreidjeS
©eftdjt, ein lebhaftes, fptedjenbeS Sluge ; er berftanb eS, burdj
feine Sdjmeidjeleien ftdj ben 2)amen angenehm $u madjen.
SBerdmeifter , nun fd)on geneigt, bie getjeimnifibolle
Söarttung für Beredf)tigt galten, bergegemuärtigte ftdj
ben Sßerfe^r amifdjen MoreS unb itjrem ^ugenbfreunbe,
toie berfetbe ficfj unter feinen Stugen barftettte. ®r mufjte
jmar pgeben, bafj barin nichts 5öerbädf)tigeS $u finben
fei ; bod) augteidj traute er ber Schärfe feiner SBeobadjtung
nidjt unb natjnt fidE) bor, bon jefct an fo toadbfam ju
fein, bafj ttjm baS fteinfte 3eidjen ungebütjrlidjer S3er=
trautidjteit nidf)t entgegen fotCte.
iSnbem er bott innerer Unruhe jum ©afttjofe prüd*
teerte, erinnerte er fid) ptöijlidj, bafj SDoIoreS in ben lebten
SEagen pmeiten eine ©rregung gejeigt tjatte, bie i§r fonft
nicf)t eigen mar. lieber jeben Ser^ug in ber SBebienung
tie^ fte ifjre Ungebulb in fdjarfen Söorten auS; bei SUfdje
berftet fte plöiälidj in Sdjtoeigen unb liefj mie träumenb
einen ©ang nadb bem anberen borübergetjen ; SübeitbS ging
fie lange in itjrem 3imnter umljer, ef)e fte baS Säger auf*
fudjte. 2)iefe Sln-jeidjen, toeldje Söerdtmeifter einer törper*
lidjen SÖerftimmung augefdjrieben Ijatte, liefen fidj aller-
SMbüotfjtf. 3abvg. 1890. ®b. V. ß
Digitized by Google
114
2>as Dtötbt'el oont ft'ap Eigner.
bingg auch ba^in beuten, bafj 2)oloxeg ficb in ihren
©ebanfen angelegentlich mit Gingen befcbäftigte, btc ihr
intereffanter maxen, alg bie ©egenttmxt.
£xob beg SJtifjtraueng, bag ihn exgxiffen batte, Befielt
Söerdfmeifter Sefonnenbeit genug, um ficb ju fagen, bafj
ex nicht mit einem ©cblage feine 2eben§gemobnbeiten bex*
änbexn unb ficb jum SBäcfjtex feiner grau machen biixfe.
2)ieg mufjte bietmebr ganj attmäblig unb fdjein&ar ab*
ficbtglog gefächen, bo bocb immerhin bie Stöglicbfeit nicht
au§gefd)Ioffen toar, bafj Sogbeit ben Settel gefcbxieben
batte, unb bie beiben Sßexbädjtigten rein bon ©cbulb toaren.
6r befehle jj atfo, ben für beute bon ihm angelünbigten
2lu§flug au machen, bon morgen an aber au gemeinfcbaft*
lieben Touren bie ^anb au bieten unter bent Sortoanbe,
er fenne jefet fo aiemlüb biejenigen febengtoüxbigen fünfte
bex Umgegenb, bie nur au $ufje erreiebbar feien, unb
motle ficb für ben Sefucb bex übrigen Seit gönnen.
Sei biefer Söanbexmtg, ber lebten, bie Söercfmeiftex au
unternebmen gebadete, batte ex, toabrfcbeinlicb infolge feiner
leiebt begreiflichen Se^ftxeutbeit, bag Ungtücf, ficb iu ben
Sergen au bexfteigen, unb eg toax aebu Uhr getooxben,
elje ex, mübe unb hungrig, toieber in bem ©aftbofe ein*
traf, bex nur no<b feinettoegen offen gehalten touxbe. ÜJtan
fagte ihm, feine grau habe ficb längft aurücfgeaogen, unb
febien au extoaxten, bafj er unbexaüglicb ein ©leidbeg tbun
toexbe. @x batte Stühe, noch ©peife unb £ran! au ex=
halten, unb eg berging faft eine ©tunbe barüber, big ex
gefättigt in bag obere ©tocftocxl emporftieg, um ficb aur
IHiif;c au begeben.
Digitized by Google
Dtouelle von 3$ilfyetm Server.
115
@8 mar Potlftänbig bunfet im Ämtern be8 Kaufes,
unb äöerdmeifter, mit ber Oertlicfjfeit Pertraut, führte
fein Sidtjt Bei fid^. Seinatje f)atte er ben $opf ber «Stein»
treppe erreicht, als er auf bem PorauSliegenben ^orribor
teife ©djritte au fjöten glauBte. ©leidj barauf mürbe eine
Xt)ür geöffnet unb gefdjloffen. 3n jener ©egenb Befanb
ftcf) baä 3immer Smitio’8.
äöerdmeifter, in metdjem feit Storgenä bie eiferftidjtigeu
Regungen feinen Slugenbtid gefdjtummert Ratten, füllte,
tote ba8 Slut itjm jum ^»er^en fd^ofe. -gmftig Bog er linfg
aB ju feinen 3intmern, unb aI8 er Pom Salon au3 in
ber Kammer feiner ^rau Sid^t entbedte, aögerte er liidjt,
einjutreten.
@r fanb DotoreS am offenen fünfter fiijenb, ba8 .jpaupi
in bie |>anb gefiüjjt. 2Jtübe Blidte fie auf. „ßomrnfi
®u enblidt)?" fragte fie.
9iodj toar fein Slrgiootjn nic£)t Befdjmid£>tigt. „2)u t)afi
auf micf) gemartetT gaB er jurüd.
9tun richtete fie bie Singen Polt auf it)n. „©taubft
2)u, idj madjte au meinem Vergnügen?"
äöerdmeifter näherte ftd^ i§r Befdjäntt unb filmte i^re
$anb. „2)u marft Beforgt um mitf)," fagte er. „llnb
nid)t oljne ©runb. 3dj ^atic midj in ben Sergen Per»
irrt, unb e8 mar fdjon bunfet, al§ idj au meinem ©liid
einen Säuern antraf, ber ntictj auf ben rechten äöeg
Braute."
^namifc^en tjatte er $>olore§ genauer Betrachtet. Sie
mar Btaf, unb ihre Stugen tagen tief in ben #ötjlen.
„2)u Bift front!" rief äöewfmeifter erfdfiroden.
Digitized by Google
116
SaS 'Jtiüljfet oom A'ap Eigner.
„3cb glaube eS felbft. Sorljin fieberte idl) ; jefjt burdj*
fcfjauert’S micfj !alt. Sitte, fdjliefje baS genfter."
(£r gelforcfjte. „Seit einigen Sagen fcijon bift Su
betänbert," fagte et.
„Steinft 5S)u?" ermieberte fic mit einem fdbnelfen, ntifj*
ttauifdjen Stille.
„Sie (Seeluft befommt SDir nidjt."
„9tein," berfefjte fie bittet unb mie au fidj fetbfl fprecfjenb.
,,©t. 3ean be ßua ^at mit fein ©tüdt gebraut."
SBerdmeifter glaubte, in biefen Söotten fei ein Sor=
mutf fiit itjn enthalten. „3cfj l)abe Sidj a u fefjt ®it
felbft fibetlaffen," flagte et fiel) an, burdb SoloreS’ Set*
galten gänalidj bon febern Serbacf)te autütfgefommen.
„Seine ©efunbtjeit mar bie .fjauptfaefje, nid^t mein
Sergniigen." ©ie fagte eS glcidtjgiltig, mie etmaS ©elbft*
berftänbtidjeS.
,,3fdf) tjatte gehofft, Son (Smilio’S ©efettfefjaft mürbe
Sir 3 um geitbertreibe bienen."
SoloreS’ ßippen bezogen ftdj, als fie antmortete : „SieS
mat eine Säufdljung, bet audb idf) mich eine .Seitlang
l) ingab."
„Sergib mit," fagte äöerdfmeifiet reueboll. „Son
morgen an fofl meine 3^tt Sir gehören."
SoloreS fdjmieg eine furae Söeite; bann begann fic,
als ob il)t ptöfjlicb eine $bee gefommen fei: „Söenn Su
©ebulb mit mit Ijaben toiEft, möchte idj Sieb auf Seinen
Siegen begleiten."
„Su mottteft?"
©einet Unterbrechung nid^t aeptenb, fuljt fie fort:
Digitized by Google
^oöelle üou Sßitfjetnt öerger.
117
„Sn ber 9tict)tung ttadj ©an ©ebafiian t)in fpringt ein
Vorgebirge meit in’g SJleer Ijinaug."
„5Dag Eigner," ergänzte 2öerdmeifter.
„föana richtig, fo ifi bev 9tame. 2)er 33lid bon feinem
Äainrne mufi feljr fc^ön fein — "
„(5g ift ber fdjönfte, ben idj in ber Umgegenb fennen
gelernt tjabe."
„Unb ber 2Beg hinauf ift nidjt ju befdjmerlid) für ntidj 1 ?"
„Vidjt, menn mir bei <£>enbat)e ben Vibaffoaflufj freuten."
„Sdj miß meine Jlräfte berfudjcn. $ann eg morgen
fein?"
„ 2 öie 2 )u münfdjeft."
„GJut alfo. Safi ung frülj aufbtedjen; eg aietjt midj
nad) jener 4?i% mie mit gaubergemalt. Unb nun gute
9tadjt! (5g ift fpät gemorben, bie Siber fallen mir 3 U."
2 öertfmcifter füfjte fie auf bie ©time; apatljifdj em=
pfing fie feine ßiebfofung. 3tlg er fidj auf ber ©djmctte
nodjmalg nacfj if)r ummanbte, ftanb fie nodj auf bemfelben
^letf unb ftarrte bor ficf) nieber auf ben 23oben mit bem
Slugbrudf einer feltfamen Vangigleit in ben 3ügen.
, , 200 g fieljft S)u, 2)oloreg?" fragte er befrcmbet.
„2ief unten bie SBranbung," flüfterte fie. 2)ann raffte
fte fidj empor unb berfudf)te p lädfjetn. „SDu ftebft, ic(j
träume fdfjon, id) fei auf bem $ap «§iguer. SDer ©djlaf
märe mir beffer. £ 5 , er mirb fidj mir nidjt berfagen."
Veruljigt ging 2öertmeifter bon bannen unb fudjte fein
Säger auf.
Digitized by Google
118
Da» Üiäthl'el üom Stap £>igucr.
2 .
9lm näc^ften borgen machte er jtch zeitig auf ben
SEßeg, um bie Befdfjaffung cine§ äöagenä nach ^enba^e au
Betreiben, tootjl miffenb, ba| bie gurüftung befjelben, bei
ber ©emächlichfeit ber ßinmohner bon ©t. $ean be Sua
in allen Dingen, eine geraume 3dt in 9lnfbn«h nehmen
mürbe. 9113 er, bon bem ^uhrtoerlbefiher ^eimgefe^rt,
mieber in bie (Hinfahrt be§ ©afthofeä trat unb an nichts
meniger badete, al3 an bie Befürchtungen, bie ihm geftern
ben Dag berborben hatten, fchlübfte au3 einer ber ©eiten*
thüren eine Btagb hetbor unb überreichte ihm, ben 3eige=
finger auf bie Sibhen legcnb, ein Briefchen, morauf fie
rafch auf bemfelben SSege berfhmanb.
Söercfmeifter’3 erfter SmbulS mar, ba§ Biüet in fleine
(Stüde au aerreifjen; boch trug bie Neugier über biefe3
löbliche Borhaben ben ©ieg babon; er öffnete unb Ia$:
,,©ie haben meine SBarnung in ben SBinb gefhlagen,
©enor. Die ßecfheit be§ Berräther§ ift gemachten; er ift
geftern Slbenb auf einem SBege betroffen morben, ben ©ie
ihm, ben Dolch in ber .fpanb, hätten berlegen müffen.
©inb ©ie noch berfetbe, ber bor fe<hä fahren ben ©tier
übermanb?"
„Die 5ßefi auf alle Berleumber!" murmelte 3öercf=
meifter ao*nig, serfnittertc ba§ ^abier unb barg e§ in
feine Dafdje. Dann, auf bem SBege aur ^aHe, !roch bie
Schlange beS 3ü)eifel§ mieber aif<henb hertmr: „könnte
e3 nicht boch möglich fein 1 ?"
$n ber #atle fanb er ßmilio, feine @ho!olabe fc^tür=
Digitized by Google
9ioue0e düh SEßit^etm ©erger.
119
fenb. ^infter beiradljtete er iljn. „könnte id} in ©einer
(Seele lefen, idj gäbe mein Ijalbcg Vermögen barum!"
5Dtit biefer ©ntpftnbung näherte er fid) iljm unb bot iljm
mit innerem Söiberftreben gnten borgen. @8 toar ifytt,
alg ob (Jmilio fxd^ jtoingen miifjte, il)n gerabe anaufcljen.
Stuf bag Slngenebmfte toar er baljer überrafdjt, alg
(ümilio i$m gleich nadfj ben erften SBegrüfjunggtoortcn mit*
ttjeilte, bafj er, ben SBünfdjen feiner SSertoanbten nadj*
gebenb, fidtj entfdjtoffen f)abe, Ijeute nodj nadj Barcelona
abaureifen. ©eutlidjer Ijätte ifyn, toie er meinte, bic
©runbloftgfeit be 8 iljm eingeflöfjten 3Serbadjtcg nidfjt bar*
getljan toerben fonnen. 9Jtit bem ©efiiljle, einem (üljren*
manne, toenn audj nur in ©ebanfen, Unredjt getljan 31 t
l)aben, fpradj er fein lebhaftes S3ebauern über ©milio’g
Stbreife aug. @g fei nur ein ©lüdf, fügte er fynau, bafj
©ona ©oloreg ßuft befommen tjabe, ftd^ iljm fejjt auf
feinen Streifereien atijjufd)lief$en nnb gleich Ijeute bamit
beginnen tooUe, fonft toürbe eg ifjr fd^toer fein, ben liebeng*
toi'trbigen ©efeüfdjafter au entbehren.
©iefe 9iadjrid&t naljm dmilto mit einer Slrt bon freu*
biger Sßertounbernng entgegen. ©odt) tooHten iljm bic
Söorte nid£)t fliefcen, toie fonft. @r berbeugte fid£) nur,
auf Söerdfmeifter’g artige Strafe eine fur^e ©rtoicberung
gebenb. ©ann lehrte er $u feiner @l>otolabe unb feinem
3 eitunggblatte jurüdf.
©er Söagen fuljr bor; SBercEmeifter entfernte ftdj, utn
feine fffrau ju Idolen.
„OTffen toir fdjon Slbfd^ieb nehmen, ©on (Smilio?"
fragte er.
Digitized by Google
120
uoni $ap Eigner.
„Siocfj nid)t. Sie treffen mid) nodfj, menn Sie prüd*
Eeljren." (Sr fagte e§ Saftig, Eaunt bon feinem Platte
auffeljenb. SJlit Ueberminbung fügte er Ijinjju: „35iel
Vergnügen!"
(Sr ließ fid) nicfjt feljen, um SDoloreg au begrüben, alg
fte ^erabfam unb einftieg.
2>ie§ erregte bocfj in SSerdnteifter mieber einen un=
beftimmten Slrgmol>n. „|>aft 2)u ©idj etma mit 2>on
(Smilio ge^anEt?" fragte er S)olore§, alg fte babonfuljren.
„Söorüber?" entgegnete fte megmerfenb. „(Sr ^at ja
immer Siecht."
„Sßeijjt 2)u, bafj er un§ ^eute berlaffen mill?"
SDoloreä jucEte pfammen. 2md£) fafjte fie fid§ rafdj.
„(Sr Ijat mir geftern babon gefbrodjen," fagte fie fo gleidf)=
gütig mie möglich. „Stur bafj er fdjon B e «te reifen
mürbe, ^at er berfdjmiegen. 2)ie 5ßarifer greuben loden
iljn bermutBlidj."
„Smdj nidjt; er geE)t nadj ^Barcelona."
„Sn ber 2^at! SJtan mirb ein reidjeg SJtäbdjen für
iljn ermittelt Ijaben. 35er Eünftige ^rofeffor bebarf einer
baaren SJtitgift."
SJtit (Srftaunen bemerEte Söerdmeifter bie SöitterEeit,
mit melier 35oloreg fidj über ben Sugenbfreunb äufjerte.
(Sr fdjmieg unb badete nadj. S)ie beiben anonymen Settel
begannen mieber p mirEen. (Sine feltfame Slenberung mar
e§ bodj, bie in 3)oloreg’ 2Öertt)fd)äfjung 3)on (Smilio’g
ftattgefunben Ijatte. Unb fo ülöBlidj ! Slug meinem ©runbc
nur? Unb audj (Smilio tjatte fid^ bon iljr ferngeljalten,
Batte fie gefliffentlidj berntieben. 3)ie8 SSetragen S3eiber
Digitized by Google
ütoueOe uon SBilljelm Vergor.
121
gegeiteinattber — faß cS nic^t einem jener 3ertoürfttiffe
beratoeifelt äßnlicß, toie fie unter Siebenben boräutommen
pflegen?
Veibe Regatten t lieben fdßtoeigfam nach biefer Unter*
ßaltung. $in unb toieber fiel eine lur^e Vemerlung über
bie ©egenb, eine ebenfo lur^e Slitttoort, bann ftodtte baS
®efptücß aufs 9teue. 9ttit jjufammengepreßten Sippen faß
StoloreS ba. Sßre umßerfcßtoeifenben Vlide lehrten immer
toieber jn bem $ap Eigner prücf, baS faft mit jeber
Almute gigantiftßer bot ißr emportoucßS.
3 fn ^jenbaße berließen fte ben Söagen unb treusten bie
Vibaffoa in einem Voot. fRafcß glitten bie grauen Sßaffcr
bem näßen Vteere au; SDotoreS betrachtete fte lange ftttttenb,
bann feßauerte fte leießt aufammen unb fcßloß bie Singen.
üDriiben begann beinahe unmittelbar hinter ^fuenta*
rabbia ber Slufftieg. 33er Qu£toeg führte in langen 2Bin=
bnngen aHntäßlig 311 m Äammc beS Vorgebirges empor,
t^iir einen einigermaßen riiftigen Fußgänger bot er leine
befoitbere ©cßtoierigleit. S)oloteS inbeffen faß halb ein,
baß fie fiel) ein Unternehmen augemutßet hatte, ju beffen
Vetoäliigung ißte ungeübten Kräfte taum ßinreießen toür=
ben. Vtit einer erftaunlicßen Energie jebo<h berfolgte fte
ben fteinigen Vfab, niemals ftiHe fießenb, niemals auriid*
fdjauenb. äöerdmeifter, gemäcßlicß hinter ißr ßerfthreitenb,
hatte leine Slßnung babon, tote feßr fie fieß anftrengen
mußte, um ben ©eßein 3 U maßten, baß fte leine Vtübig*
leit berfpüre. 6 r ßörte nicht auf ju grübeln. Verbäcßtig
feßien ißm toieber SlUeS, toaS er feit bem geftrigen Slbenb
erlebt ßatte.
Digitized by Google
122
$)a$ SRfitljfel oom $ap £>iguer.
2lm toenigften begriff er bie SOßanbtung, bie in 2)otore§
borgegangen mar. 2ltS fte biefen 2luSfIug borfdfjlug, toar
er angenehm überrafdjf getoefen; e§ toar ein Entgegen*
fommen i^rerfeitS, ba§ ibn für fein SSerfpredjen, i^r fünftig
feine 3eit au toibmen, reic^tid^ belohnte. @in 2ßieber=
aufleben ber atten intimen SSejie^ungen fdfjien e§ itjm 31t
bebeuten, ein SBebürfnijj ber (Sattin, fidj enger, aärtlicber
toieber an ibn anaufebtiefjen. ^efit rebete er ftd§ immer
fefter ein, bie fJtacbgiebigfeit feiner ftrau fei nur eine
Saune, bie itjr ber 3o™ gegen (Smilio eingegeben, eine
Saune, bie (Smilio feinerfeitä burdij bie 2>robung feiner
Slbreife 3U überbieten trad^tete.
9tHe§ nidjtö alä ©piel! Unb er baatoifdjen, ein gut=
müßiger 9tarr, ber fid§ ^ier^in unb bortbin aietjen lieji
unb jeber Sßorfpiegetung glaubte, bie fpanifdje SSerfc^tagen»
beit erfann.
Sitnerlicf) foebenb fam er oben an. 33or ibrn fejjte
SDoIoreS fid§ auf einen ber Ijerumliegenben geläblöde.
„gaft ptte icb’3 nidf)t burd^gefe^t," erttärte fte mit fliegen*
bem 9ftbem. „3fcb rnufj einige fDtinuten mfjen."
Söerdfmeifter blieb neben iljr fieben. ift 2>ir toobt
fe^r fauer getoorben," fagte er mit leidstem ©pott.
„Sfürtoafjr, ba8 ift eä, fo toenig e§ £)icb au fümmern
fcf)eint. SDie Sorten meiner ©djube ftnb untertoegS jer=
riffen, unb jeber ©djritt febmerat mich- Slber baS t^ut
nid)t§; icb bin nabe am 3iele."
„3db boffc, bie Stnftrengungen bringen 2)ir ben Sobn,
ben 2>u ertoarteft."
S)er fpöttifdtje £on aud; biefer SSemerfung beranlafjte
Digitized by Google
9ioi'cKc üon SÖittjetm Server.
123
©otoreS, aufaufdjauen. ©aS finftere ©efic^t iBreS ©atteu
madfjte fic nacBbenlticB. 9luf einmal leuchtete eS in üjren
3ügen auf mie ein ßicf)t eines glfitflicBen ©ebanfenS.
„BortoärtS!" fagte fie, inbem fte fidj rafdj erBoB unb bie
iRidjtung nadtj ben Ruinen eines alten ©djloffeS einfdjlug,
bie auf ber Btitte beS ÄapS einen getoaltigen ©rümmer*
Raufen Bilbeten.
9tadB ae^n ©dritten manbte fie ficB aurüd: ,,©u Bift
toenig aufmerlfant gegen ©eine f^rau, mein ^err ©emaBl.
9luf ©einen 9lrm als ©tüpe mürbe idj großen SBertB ge=
legt IjaBen. — 9tein, nein, jetd banle id^ ; eramungene
©ienfte finb nidf)t nadp meinem ©efdtjmade. UeBerBaupt
BaBe idf) meBr bon ©ir ermartet. UBarum erllärft ©u
mir ni«Bt bie ©egenb? ©äucBt eS ©idj> etma eine Ber*
fdfjmenbung ©einer SöeiSBeit, mir au nennen, maS idj feBe 1 ?"
Söerdmeifter fam an iBre ©eite unb gaB, innerlid)
erBoSt üBer ben iBm gemorbenen ©abel, mibermiHig eine
trodene BefcfreiBung ber Be^Borfted^enben fünfte in bem
Panorama, baS ftdfj nadj Cften bor iljnen ausbreitete.
SBäBrenb er rebete, liefen fie bie Ruinen Binter fidf) unb
näBetten ficB immer meBr ber an alten ©eiten jäB aB-
fallenben ©pife beS -tfapS.
„3<B biSpenjtre ©icB bon ber ^ovtfefung ©eines Bor*
tragS," unterBradtj iBn ©oloreS. „£>, id^ Buf> c längft
Bereut, baf icB mid), in einer iBöricBten SBaKung meines
^eraenS, berleiten lief , ©ir meine Begleitung aufaubrängen.
3cB felje, fie ift ©ir Bi« eBenfo feBr aur Saft mie üBeralt.
©eit SaBren fdjon Bufl 2)u Ber SieBe bergeffen, beren ©u
micB einft mit taufenb ©cBmüren berftcBert ^aft. Bin icB
Digitized by Google
1‘24 ©a» iHätfjfet bont Jtap Eigner.
fo häfjlich geworben, ba£ ©eine 9lugen nicht mehr auf
mir tceiten mögen ? Cbcr blüht bie Siebe bei euch ©cutfcijen
Überhaupt nur einen ©ommer?"
©ie ©djdtfe biefeg ganalich unermarteten, ungerechten
Eingriffs braute äöerefmeifter in .fjarnifch. ,,©u rafeft,
©oloreg," ermieberte er heftig. „@ott ift mein 3tu%e,
bafj ich nitc^ frei meifj bon ber SSernachläffigung, bereu
©u mich befdjulbigft. Sft bie§ bieüeidjt ber Sßahn, ber
©ich berleitet hat, für ben bermeintlidh berlorenen 9ln=
beter ©ich nach einem anberen umptljun?"
©ie toaren bem ©nbe beg ftapg, ba§ in einen fdhmaten
©rat auglduft, nahe gefommen. Sehn ©dritte bon ihnen,
linfg mie recljtg, ftür^te ber Reifen faft fentred^t ab in
bie unten fchdumenbe SBranbung.
©oloreg blieb ftehen. „ 2 öa§ berechtigt ©ich 8 u biefer
abfcheulicljen Slnflage? Sch forbere 2 ßal)rheit, ©eiior!"
©er hodhmüthige ©on biefer Slntmort reifte 2Bct<f=
meifter über alle ©rennen ber SBefonnenheit. „SBer mar
geftern bei ©ir auf ©einem 3 immer, ehe ich Jam 1 ?" rief
er au§. „©eftehe!"
deinen SlugenblidE fiel ©oloreg aug ihrer Haltung.
„Grfldre ©ich meiter," fagte fie ftoljj erhobenen |>aupteg.
„ 2 öag glaubft ©u ober gibft ©u bor, jju glauben?"
„Sch habe beftimmte 9iad;ricf>t, bajj ©u ©on ßrnilio
bei ©ir empfangen
„SBeftimmte Nachricht?" ©ie lachte berächtlich auf.
„Unb ©u — glaubft ©u biefer fRachricht?"
„9lHe8, mag idh felbft beobachtet habe, jmingt midf;,
fie für maljr 3 U halten."
Digitized by Google
Siouefle t>ou ®M(belm 93erger.
125
SDoloreg fdjien mit fiel) 3U lämpfen. ©ie fdjaute um
fid) in bic ungeheure SBeitc , bic fid) bot i^r öffnete: im
Dtorben bag unenblidje 53 teer, überfpannt bon bem leud)*
tenben SBlau beg <g>immelg ; toeftlidj unb öftlidt) bie ge^arftc
ßinie bet Äüfte mit toeifj fdjimmeraben Crtfdjaften; Ijicv
bie fjotjen ©ipfel beS cantabrifdjen ©ebirgeg, bort bie ge=
toeHten Fluren §ranfreidjg. €>, toie fdfjön toar bic ©rbc,
ober audj toie erbtüdenb getoattig !
2ftit leidstem Sieben toanbte 3 >oloreg ftdj 3ttrüd 51t
intern ©atten. ©ie toat mit fidj im deinen.
„|>öre mi<f), S)on 2 fuan SOBerdmeifter!" begann fte mit
fefter Stimme. „S)ag ßeben einet grau ruT^t auf bem
biamantenen Stoben ber ©ffre. ©0 lange fte benfelben
unter ftdj toeifj, !ann fte ertragen, toag iljr nadj ©otteg
Siatljfdjluf} auferlegt toirb, fclbft bie Slbleljr berer bon
iljr, bie Ujrem ^erjen treuer ftnb. Söitb iljt jebodj biefer
Stoben entzogen, bann fdjtoebt fte umtjer, ein Ijattlofer
©Ratten. Storgifc nidjt, bafj 2)u eg bift, ber midj §inaug-
geftofjen Ijat unter bie ©djaat ber SBeradjteten — 2)u,
mein ©emaljl, ber Ritter meiner ©t)re, ber Stofdjüijer
meineg guten 9 tufeg! 3d) Ijabe SDidj einft fe^r geliebt,
3 fuan ; 25 u aber, SDu Ijaft mir übel bergolten. SJHt $ältc
fjaft S)u midj gepeinigt jahrelang — unb jefjt Ijaft 2 )u
mit frebelnber <$anb mir bag <£to*3 burdjbol)rt."
SJUt einigen raffen Stritten trat fie an ben 9 tanb
beg Slbgrunbeg.
Unbetoegt, mit ber&djtlidj bezogenen ßippen fal) SBertf-
nteifter iljt 311. „S)eine großen äöorte machen leinen ©in-
britd auf midj," fagte er. „llnb ftelj $ 5 idj bor, too S)tt
Digitized by Google
126 Das SRaifjfel uont Jtap ftigucr.
fte^efl. Die Äomöbie, bie Du fpielft, fönnte Dir fcfjlecht
befommen."
„ 3 d(j ^obc nid^tS mehr mit Dir 3U f Raffen," berfetjte
DoloreS. Unb bic #änbe emporhebenb unb ben Sölttf nach
oben ridjtenb, rief jte: „®ott beS Rimmels unb ber (Srben,
unb Du, gebenebeite Jungfrau unb Butter oller berer,
bie bon ben 2 Jtenfdjen unberbienteS Setb tragen müffen!
3h* toifct, bajj ich beffen nicht fd^ulbig bin, maS biefer
©tarnt bon mir benft. SöaS ich aber gefehlt haben mag —
bie Fürbitte ber ^eiligen mirb mir ben Fimmel er»
fchliefjen!"
Unb ohne ben ©tief 3U fetifen, fprang fie bormärtS
unb berfdjmanb in ber Diefe.
(Sin (Schrei entrang fich ben Sippen beS entfetten
Söertfmeifter. (Sr moltte borftiirien unb fonnte nicht ; feine-
©ruft frampfte ftd) jufammen, unb fein 3 lthem ftoefte ; eS
brauste ihm bor ben Efynn, unb er hatte bie (Sntpfinbung,
als ob fein (Snbe unmittelbar beborftänbe.
Doch ging ber Slnfatt bovilber ; nur ein ©efilhl bnmpfer
©etäubung berblieb ihm. Dem 3 nftinfte ber ©elbfierljal»
tung fotgenb, 30g er fich bon ber ©ergaunge ^uriief , mit
ben ©liefen bie SRcinber ntetbenb, bie iljn 3um Wbfturge
lodften. Unb ohne ftiHe 3U fteljen, trat er ben fRücfroeg
an; eS trieb iljn, unter ©tenfefjen 3U fommen. Äaum
achtete er auf ben 2öeg; nur ber ©ebanfe erfüllte ihn:
fie toar unfdfjulbig, unb ich bin ihr ©törber! Darüber
hinaus fam er nicht.
©tit gefenftem «Raupte maulte er an ben Drümmern
beS alten ©djloffeS borüber, beffen fagenljafte ©efc^td^te
Digitized by Google
91oocIIe uou 3©i(Belm ©crger.
127
er nodj bor !aum einer falben ©tunbe Ujr eradBlt ^atte # -
iBr, bie, an ben Reifen aerfcBeHt, tief unten bon ber wü=
tBenben SBranbung berfdfjlungen Worben toar — ba8 Opfer
feiner waBnwijjigen GiferfucBt !
3fn einem Söinlel ber Ruinen Batte ein armer Kiefer-
Bauer eine Klrt bon |>ütte errietet, fo berfteeft, bajj fie
nur bon Wenigen SBorüBergetjenben entbeeft würbe. 2>er
•ütann War gidjtifdj unb gütete ba§ £au8. 33on feinem
Qrenffcr au$ Batte w# umfüg auSfdjauenb, baS 5ßaar Be»
oBacBtet. 9lid^t§ 2lrge3 bermutfyenb, faB er auf einmal
p feinem grofjen ©cBredfen bie SDame bom Reifen ftürgen.
Söie gelähmt BlieB er ftpen. Grft als Söercfmeifter Wieber
boriiBer War, fiel iBnt ein, baff ber Unfall, beffen 3eugc
er gewefen, ben ^»errn in UngelegenBeiten Bringen fömtte,
unb er entfcBlojj ficB, fdjwer wie e8 iBnt Würbe, nadt)
ftuentaraBBia BiuaBauflettem, um bem bortigen ^Bürger»
meifter au Berichten, Wa8 er gefe^en Bötte.
Unterbeffen War burcB Söerdfmeifter fetbft in ben Beiben
(Srenaorten bie Äuttbe bon bem @efdBet)enen berBreitet
Worben. KtacB ben KJtittBeilungen, bie er madBte, war
feine Orrau, unborfidBtigerWeife au naBe an ben tftanb be8
Reifens tretenb, bon ©cBwinbel ergriffen worben unb ber»
ungludEt. äöäBrenb biefe KtacBricBt bon 2Jtunb au KJtunb
ging, entftanb, genau. Wie jener *8auer Befürchtet Butte,
Bei Gütigen ber SSerbacBt, ber frembe -£>err möge ben Un=
faE aBfidBtlicB Be^BeigefüBrt, bieEeid§t fogar felBft bie
S)ame, bie er feine grau nannte, in ben grdfjltcBen Stob
gefdjidft BaBen. S5er JBürgermeifter bon ftuentaraBBia
BefcBloB bie Dfeflamirung SUerdEmeifter'8 bon ben jenfeitigen
Digitized by Google
128
£u§ Diiitfjfct oom flau hifluer.
BeBörben, noch c^e ber lahme Bauer bon ber höh e im
2)orfe eingetroffen War.
Sn ©t. Sean be £u,j fanb Sßercfmeifter SDon (fimilio im
33egrtffe, ab<jureifen. SlucB ihm Berichtete er SDoloreg’ @nbe
in ber ihm nun fdjon geläufig geworbenen Söeife. ßmitio
tonnte feine tiefe (SrfcBütterung nicht berbergen. Unb ba,
währenb bie Beiben bent SGÖagen, ber langfam nachfolgte,
auf ber anfteigenben ßhauffee eine ©trecfe borauggingen,
Wanbte SBercfmeifter fich an feinen Bleiben ©efäljrten:
„Beleihen ©ie eg einem fdjwergebrüften SJtanne, ber noch
feiner ©inne !aum wieber mächtig ift, Wenn er eine 3?rage
an ©ie richtet, bie er fich nur unter biefen aufjergewöhn*
liehen Umftänben erlauben barf. ©chwer, ich berftdjere eg
SBnen, geht bie f^rage über meine Sieben ; aber bon ihrer
Beantwortung Bängt nteBr ab, alg ich SBnen fagen tann."
„fragen ©ie, ©eiior," erwieberte (Smilio furj.
„•Bat mir SDoloreg, fo weit ©ie Wiffen, bie Streue ge=
Balten? Gern einfaches Sa ober 9iein genügt; bamit foTt
bie ©adje bottftänbig unb für immer abgetBan fein."
s Jiur einen Slugenblicf jjögerte drnilio. 2>ann faB er
Söertfmeifter feft in bie Sttugen unb antwortete: „Sa."
SöercEmeifter blieb fteBen unb fagte: „Sd? Banfe SBuen,
2)on Gcmilio."
$ein weitereg äöort würbe äWifdjen ben Beiben ge=
Wechfelt, big ber SBagen Beranfam.
„fJtoch eine Bitte Babe icB," begann ba SBercfmeifter.
„S«h fteBe 3 U 2)ienfien, fo Weit meine Kräfte reichen."
„Söag Beute Bier borgefatteu ift — ich möchte eg nicht
gerne in Barcelona befannt gemacht Baben."
Digitized by Google
9ionelIe oon 2£ilt)elm Seiger.
12ü
©milio festen befrembet, bo<h fagte er: „ 3 dj tt»erbe
über meinen 9lufenthalt in ©t. 3 ean be ßuj fchtoeigen."
„Nochmals banfe ich 3 $nen."
2 )er Söagen rollte babon, ber fpanifdEjen ©ren^e 51 t.
Unb lieber, mährenb SBerdfmeifter in ben ©aftßof 3 urüdt=
lehrte, ftieg bie fchrecflidje ©elbflantlage in ihm auf unb
moüte nicht meinen: „Unfdjulbig, unb icf> ihr ÜJlörber !"
911S et brei SöocJjen fpäter in Barcelona anlam, mar
fein $aar ergraut, unb fein 9tadfen gebeugt toie bon einer
ferneren ßaft.
3.
©eit ben eben gefdijilberten Segebenljeiten hmten brei=
jjehn 3 a^re Vergangen. —
3n einer mittelgroßen ©tabt 9iorbmeftbeutf<hlanbS
tebte ber junge S5oftor ber 9tecßte Stiebrich ©tafebedt als
9lntoatt, unb es fehlte ihm nicht an Klienten, ba er
mit einer angenehmen, bertrauenertoetfenben ^Perfönlid^feit
grünblidje Äenntniß feines 3?acheS berbanb.
©eit einigen fahren hatte er fidfj baran gemöhnt,
regelmäßig fUtorgenS in aller ^rüße nach einer länblidjett
Söirthfdhaft ßinauSjufpaaieren, bie ettoa eine halbe ©tunbe
bon ben teßten Käufern ber ©tabt entfernt liegt. ©S ift
ein ibt)Hif(her Ort. hinter bem ©ebäube mit bent lanbeS=
üblichen ©trohbadß, toorauf ftch geto&hnlich eine ©torchen=
familie eingerichtet hat, fenft fidj ein mit alten prächtigen
. Säumen beftanbener, anfehnlicher ©arten attmählig ju
einem langfam fließenben ©emäffer herab, beffen Ufer mit
©cßilf unb 9töhricht befäumt finb. SienfeitS beffelben, in
»ibliot&el. 3a$rg. 1890. ®b. V. 9
Digitized by Google
130 Ta§ iRätfjfel ront $ap tpigucr.
einiger Entfernung, 3iel)t fidj ein fjocfjragenber gemifdfjtcr
2ßalb ^in.
Srriebridj ©lafeBetf toar nidfjt ber Einzige, ber bort
feinen Storgenfaffee einauneljmen pflegte. Sütbere Ratten
fefjon bor it)in fidj in bie füllen Steife biefeS aBgefdjiebencn
gtecfdljenS berlieBt. Er Bemerfte Balb, bafj er faft immer
biefelBen Stenfdjen antraf. ES toaren Stammgäfte, bie
mit großer 5 pünftlidjfeit erfc£)ienen unb immer biefelBen
Si&e entnahmen. S 5 ie Stägbe fragten fdjon gar nidC;t
mef)r nadj ben Scfeljlen ber |)errfdjaften ; ber 3 fmBif} toar
borBereitet, toenn fte tarnen, unb tourbe aufgetragen, fo=
Balb fie tpiafc genommen Ratten. Sie Begrüßten fidj
untereinanber, toenn fte eintrafen, unb beraBfcf)iebeten fidj,
toenn fte gingen. Steilen, toenn bie Bciben jungen $unbe
be§ Säuern auf bem Stafen 5pur3elBäume fälligen, ober ein
Soll Enten Bettclnb bon Üifdj ju Stifdfj 30g, entfianb tooljl
in ber allgemeinen .jpeiterfeit ein fur3cS ©efprädj bott
einer ©efellfdjaft 3ur anbern, im ©an3en aBer BlieB jebe
©rupbe für fidj, mit jener gurüdljaltung, bie bem 9 iorb=
beutfdijen in öffentlichen Sofalen eigen ift.
Sadjbent öriebridj ©lafeBetf einige SBodfjen in ber
SöirtfyfdEjaft berfcfjrt ljatte, Bot audj er Beim Süurdjfdjreiten
be§ ©artenS Ijöfftdj naclj lirtfS unb rechts ©uten Storgen
unb empfahl ftcfj Ijernadj eBenfo. 3 n ber 3 to tfdjcn 3 eit
aBer fafj er einfam unb fdjtoeigenb im Sdjatten einer
Sinbe, tro er ftdj einen feften Sifc erforen hatte, ber^e^rte
gemädfjlidj fein ^rü^ftüd, 3ünbcte fidj bann eine Eigarre
an, unb liefj ftcfj eine Stenge SDinge burdj ben Äopf gefeit,
bie er im Saufe beS STageS 3U Bebenfen feine Seit tjatte.
Digitized by Google
9looeHe oou Sßilhelm Reeder.
131
freilich Beobachtete er auch, folucit feine Gingen reidjteu,
feine 5Jtitgäfte. 35a toaren ©efchäftgleute aug bem 5ßürger=
ftanbe mit O^an unb ertoachfenen Töchtern, taggüber burdj
ein ßabengefcfjäft gebunben Bis toeit in ben Slbenb hinein;
ba toar ein Kleeblatt bon Lehrerinnen, bie gehirnmübe unb
nerbög getoorben toaren unb besuchten, auch ohne Urlaub
hier toieber frifdj unb gefunb an toerben. 2tuch einige
alte Bunggefetlen fehlten nicht, boH bon eingebilbeten
fteinen Leiben, bie mit einem bebadjtfam auggeltügelten
©hftem bon ÖJefunbheitgregeln gegen ihr bidfeS S3tut au
fjelbe aogen. Bunge Leute, 23etoegunggfanatifer, fteüten
ftdh a u 3toeicu unb S5reien ein unb fchliirften jumpen
botl frifchgemollener fDtilch unb mürgten baau eine att=
öaefene ©emmel hinunter.
9lm hnnfigften inbeffen fchtoeiften ©lafebeefg 33licfe
hinüber au einem 5{$aare, bag unter einem Slfjombaumc
feinen ©ifc hatte* @r toar ein ftattlidjer 9ttann bon
blühenber ©efidjtgfarbe, ber troft beS ©ilberg, loorin fein
ßinn* unb ©djnurrbart erglänate, unb trofj ber leichten
Krümmung feineg SRüdeng nidjt biel älter alg fünfaig
Bahre gefegt toerben fonnte; fie ein aarteg, anmuthigeg
Söefen mit braunen freunbtichen Slugen unb betoeglichem
ftRienenfpiel. 2)er alte ^»err hatte irgenb ein Mittel aug=
finbig gemacht, fidj jeben borgen bor bem Sjerlaffen ber
©tabt bereitg bie Bettung an berfchaffen. Söar er mit
feinem Äaffee fertig, bann lehnte er ftch behaglich anrüd
unb ftubirte bie Stagegneuigleiten mit bem Slugfehen eineg
SJtanneg, ber bie ÜJhtfje hat, ftch mit bem Verlaufe ber
öffentlichen ^Angelegenheiten in alten fünf ßrbtheilen ein*
132
3)a§ Stftthfel oom ftap Eigner.
gchenb p befdhüftigen. S)ie junge 25ame l^olte eine $äfef»
arbeit herbor unb betoegte nieberfdhauenb emjtg bie feinen
ginget. 3utoeilen Ia8 ber SSeifebart eine Stelle bor ober
gab einen Bericht über ettoaä ©elefeneä; bann pflegte fte
in ihrer Slrbeit innefluhalten unb iljn toie aufmunternb
an^ublicfen.
SBenn ©lafebedt ben StüdEtoeg nach ber (Stabt antrat,
hatte ber aUe |jerr bie Seltüre feiner geitung noch lange
nicht beenbet, fo bafe in bem neugierigen Beobachter bie
Bermuthung entftanb, ba§ 5Jkar berbringe ben h a ^en
Vormittag braufeen. $n ber Xhat tourbe ihm bieä bon
einer ber Btägbe, bie er au§forfcfete, beftätigt; ben Flamen
be§ -fperrn bermochte fte inbeffen nicht anjugeben; nur
berichtete fie, gehört $u haben, bafe er feine jugenblidje
Begleiterin mit bem kanten ©Carito anrebe.
©lafebeef unterlief* nicht, in ber Stabt ©rlunbigungen
nach bem Baare einjjuaiehen, beffen Sleufeereä leicht ^u
fdjitbern toar. 2>och gingen mehrere Söodhen borüber, ehe
ber junge Ste<ht§antoalt erfuhr, toaä er au toiffen fo leb=
haft toünfdhte. (Sin Belannter bon ihm, ein Banfbeamter,
gerieth zufällig in ben ©arten, toährenb ©lafebeef bort mit
Stauchen, träumen unb bem Slnfdhauen Glarita’ä befchäftigt
toar. SDer Banlbeamte grüfete ben toeifebartigen ^errit,
toedhfelte einige äöorte mit ihm unb ging bann ju ©lafe=
beet hinüber. SDiefer liefe ihm laum 3eit, ftdh ju fefeen,
unb überfiel ihn gleich mit ber {frage, tuer Sener fei, mit
bem er foeben gefprodtjen höbe.
„©in £err Sfohamt Söerdtmeifter, ber früher alä $auf*
mann in Barcelona anfäffig getoefen ift," toar bie Slnt«
Digitized by Google
$ooeHe oon 2Bil&elm Serger.
133
mort. „(Sr fiat fic^ bor etma einem Ijalben Saljre Ijier
in ber ©tabt nieber gelaffen; menigfteng fte^t er feit jener
3cit in ©eftäftäberbinbung mit ber 23anf. ©omeü it
e§ beurteilen lann, ift er ein mo^l!§abenber 9Jtann. (Sr
Ijat burt ung anfeljnlite Kapitalien angelegt unb mürbe
meit nteljr 2luftoanb maten lönnen, al§ er tut."
©tafebed läd^ette. „St banle Sfjuen. @g mar in*
beffen leine laufmännifte 2lugfunft, bie it begehrte. 2öie
eg in bem ©elbbeutel beg |>errn äöerdmeifter augfieljt,
intereffirt mit nic^t."
„^erfdnlit bin it nidjt mit tm belannt. 2lu|er=
l)alb ber S3anl bin idj tm eben aum erften 9Jiale begegnet."
„Unb bie junge iame — mer ift fte?" forftte ©tafe=
bed meiter.
2)er Slnbere audte bie Sltfeln. „2)ag bermag it nidjt
3« fagen."
„©tabe. ©ie Kleine ift fetjr nieblit unb Ijat inteHi*
gentc Slugen. ©ie gefällt mir."
„©ag merle it," ermieberte ber ©elbmamt troden.
„St luun S^nen nur not mit teilen, bafj ^»err 2öerd=
meifter in ber ©titterftrafje 9lumero fieben moljnt. Sit
ber 9tatbarftaft merben ©ie oljne 3*oeifel in (Srfaljrung
bringen lönnen, in meltem Sßermanbtftuftä* ober anberem
93erljältnifj bie junge ©amc mit ben .intelligenten 2Iugen‘
31t tm fteljt."
„9tcin, lieber Qrreunb, fomeit ift eg benn bot nod)
nidjt mit mir," berfidjerte ©tafebed latenb.
@r folgte aut nitt bem mo^lgcrneinten 9tatlje beg
fjreunbeg, moljl aber matte er not an bcmfelben 2lbenbe
Digilized by Google
134
$(t§ 3tfttfjfel oom &op Eigner.
einen nicht fleinen Unttoeg nach feinet SBo^nung; einen
llmtoeg, her ihn, getoifj nicht ^uf ärtigertoeife , burdh bie
Sdhißerftrafje führte. 9luch Betrachtete er Bei biefer @e=
legenljeit baS |jauS Numero fteben. Söercfmeifter lohnte
in einer Keinen hüBfdjen S5iUa, bie bon einem toohl*
gepflegten ©arten nmgeBen toar. 2tm ©cffenfter rechts
im (Srbgefdhoffe ftanb ein Körbchen hinter Blumentöpfen —
bort toar bermuthlich @lorita’S ßiebtingSptah.
Beruhigt tonnte ©lafebecf toeiter gehen: Glatita, toer
fie amh fein mochte, hotte eS gut.
Einige Xage fpäter berf Raffte ber ftufatl ihm fci e Bc=
fanntfchaft ber jungen SJattte. <5S mar BtorgenS im ©arten
ber länblichen BJirthfchaft. SÖerdmeifter laS, toie getoöhit*
lieh, feine 3eitung, unb machte bon 3eit 3 U 3eit feine
Bemertungen ; Glarita arbeitete, ebenfalls toie getoöbnlidb,
immer an bemfelben Streifen Spifce, ber unter ©lafebecf S .
2lugen um minbeftenS atoanjig Bieter gemachten mar. 5luf
einmal, als er gerabe nicht Ijinfoh, § ör te cr bom Slhorn
her einen SluSruf, toie ihn plöpticher Sdjmera auSprejjt.
SBercfmeifter hotte baS Blatt fallen taffen unb fajj mit
frampfhaft gebüßten ^>änben im Stuhle aurüefgefunfen.
Sein ©eftcht toar bunfelroth, er athmete mit 2tnftrengung.
•Cljne fid} $u befinnen, fprang ©lafcbect auf unb rannte
hinüber. @r toolle talteS Söaffer holen, bot er an.
„Waffen Sie nur," berfe^te (Slarita, ohne befonbere
Slengftlicfjfeit au aeigen. ,,©S ift meinem Bater unangenehm,
toenn um einen feiner 2lnfätfe fo bicl Aufhebens gemalt
toirb. ©emöhnlich iiberfteht er fie, ohne bafj etmaS ba*
gegen gethan toirb."
Digitized by Google
SiooeHe oon 2Bilf)elm Scrflcr.
135
äöäljrenb fte fpracb, nahm fie auS ihrem 9lrbeitSbeutel
ein örtäfd^dOen mit tötnifdjem Söaffer, baS mit einem 3er»
[tauber berfeben ioar, unb netjte baS ©cficbt beS ©rlrantten
mit einem feinen ©priibregen.
©tafebeii Hieb fielen, unb ßlarita fdjiett fein 33er=
toeilen nid^t als eine 3«bringli(^!eit p empfinben. SDaS
fttäfebeben ftnfen laffenb, erftärte fie: „(iS ift eine 2lrt
bon Söruftframpf ; ber Später bat ibn öfters, mehr ober
minber b^ftig. 9htr bter brau|en ift er bisher niemals
babon befallen toorben, unb baS ift auch ber ©runb, tneS»
halb toir täglich bterberfommen unb fo lange bertoeilen.
©eben ©ie, er erholt ft<b ftbon toieber. (iS toirb ibn bo<b
gleich nach einem ÜErunte frifeben SBafferS berlangen,
glaube i<b — "
„3cb eite, ibn 31t f (baffen," unterbrach ©lafebeä unb
rannte eilenbS babon.
2llS er prürffebrte, toar äöerdmeifter toieber ju Sltbem
gefontmen; er fab aufrecht, bie |)änbe auf ben $niecn,
mit geöffnetem 5Jiunbe, noch unfähig, p fpreeben. ©ein
Sluge haftete mit einem prttigen 2tuSbrude an ber 3eitung,
bie am S3oben tag ; er hob feinen ffub unb fticfj fie bintoeg.
©tafebed getoabrte bieS unb eS prägte fidj ibnt fofort
als bebeutfam ein. @r jtoeifelte nicht baran, bab eine
in ber Bettung enthaltene fltadjridjt bie Sßerantaffung 3unt
2luSt>ru<be beS .ÜrampfeS getoefen fei.
SBercfmeifter banfte bem SJienfteifrigen mit einer 9tei=
gung beS 4?aupteS, als er baS ©laS auS feiner £>anb
nahm. 2>ann trän! er in Keinen 3üQen; feine natürliche
©efiebtsfarbe lehrte prüd.
Digitized by Google
136
$a§ Stötbfet oom ftap £>iguer.
©nbtidf) bermodt)te er audj mieber, fid^ au äußern. ,,©g
ift nidjt fD fd&timm, tote eg augfietjt," fügte er, au ©tafe-
Bert gemenbet. „Stur rec^t Iäftig ift biefe Steigung meiner
Stttjmunggorgane, jeittoeilig ben 2)ienft p bermeigern, idj
Bin feinen StugenBlirf babor ftdjer. Unb mag bag ©djlimmfte
ift: eine Teilung ift nicf)t möglich; idj ntufj mictj bamit
Big aunt ©rabe fdttlepben."
„SIBer ©ater!" rief ©tarita aug. „2öie magft 2)u
nur fo fpredjen, fo tjoffnunggtog!" — $)ann, ju ©tafeBedf:
„Stile Siebte fügen, bag UeBet fei lebiglid) nerbög. 25arin
liegt bod^ , bafi ber ©ater mieber Beffer merben fann;
meinen ©ie nicf)t aucf) 1 ?"
„SJtan füllte eg benfen, mein gröulein."
SJtit einem eigentümlichen ©tiefe fatj Sßerfnteifter ben
SLröfter an. ,,©g gcfdt;e^en ja äöunber," fagte er. „2Do
inbeffen bie Itrfadtje unaerftörBar ift, mujj bie Sßirfung
Bleiben. 2)ag ift Staturgefef}."
darauf fagte ©tarita etmag unmittig: „5Du fprid§ft
bunfet, ©ater!"
„£afi eg gut fein, $inb. ©ine Seibengftation bin id)
mieber meiter gefontmen unb fürchte bie übrigen nid^t. —
©g mar fetjr freunblidh bon 3^nen, mein -£>err, mir bei*
aufpringen. SJtein Stame ift Söercfmeifter ; ich toohne noch
nicht lange in biefer ©tabt. <£>ier meine £od£)ter."
©tafeBedf nannte feinen Stauten unb ©tanb. 2)a feine
3eit, ben Stüdfmeg anjutreten, gefontmen mar, beraB*
fdjicbete er ftdf) gleich barauf bon feinen neuen ©efannten,
im ©tilten Ijoffenb, fre am nächfteit SJtorgen boraufmben,
mic Bigfjer, unb bann bie Untergattung fortjufe^en.
Digitized by Google
9IoüeIle tum 2Bitf)elm ©ergcr.
137
feinem ©efchöfigaimmer angetaugt, mar eg fein
<5rfte§, bafj er bie Vtorgen^eitung jur $anb nahm. (Sr
bergegenmörtigte ficb, mie SBerdEmeifter fie bor feinem
Slnfatt gehalten hatte. Vufgefchtagen hatte fie bor ihm
auf bem STifd^e gelegen; mag ihn fo erregt ^atte, tonnte
alfo nur auf ber feiten ©eite fielen, ba bie brüte aug*
fchliebtidj ^nferate enthielt. 6g fanb fidj unter ber föubrit
„33ermifd)teg" eine einzige furje Uiotia, bie in SBetradjt
fommen tonnte. Sie lautete: „(Sine big baljin glfidflidje
(She in 33. hat tü^lich burdfj ben ©elbfimorb ber ^rau
ein tragifc^eg (Snbe gefunben. 9tad£) einem heftigen 9luf=
tritte mit bem bon unbegrünbeter (Siferfudjt erfaßten (Sljc*
manne ^at fie ihr |>aug berlaffen unb fiel) in ben 9?lufj
geftür^t, aug bem eine halbe ©tunbe fpäter ihre ßeidje
tjerauggefifd^t mürbe."
©emöhnlidj enthalt jebe Seitung täglid) eine 2lnaat)l
ähnlicher ©djauernachridhten , aug aßen fünf (Srbtljeiten
3 ufammengefudbt ; in bem 33latte jebodj, bag ©tafebedt
prüfte, mar biefe bie einzige i^rer 9lrt.
(Sr überlegte. 2)afj ber ©elbftmorb einer grau aug
Verjmeiftung über bie (Siferfudjt i^reg 5Jtanneg einen
(Siubrudf bon ungemö^nlidjer ©tärte auf Söerdmeifter ge*
macht ^aben füllte, mar nur unter ber Voraugfefcung
m:glidh, bajj fein eigeneg ßeben ein ähnlidjeg (Sreignifj
aufmieg. Diefer ©djlub fchien bem fünften jmingenb.
Unb marurn tonnte bieg nicht ber Qdß fein? ©lafebccf
hatte Söelterfahrung genug, um ju miffen, ba& in ber
Vergangenheit bieler SJtenfdjen, bie unter iljregglcic&en
mit erhobenem $opfe unb fteifem Städten einhergehen, fidj
Digitized by Google
138
Sa$ föütbfel r>om $ap .£nquer.
eine unheintlidje ©teile bcfinbet. Uttb SBerdtneifter fah
nicht aug tote Gitter, ber bttrcfj eine 9ieif}e Oott ungetrübten
Sagen bequem unb glatt hinburchgefd)toommen mar. Oben*
brein toar er Söitttoer unb bannt bie ÜJlögtid^feit bireft
gegeben, bafj er feine ££rau — toahrfdjeinlich eine ©pa*
nierin, ba er fidj ja lange in Barcelona aufgehatten —
Oerloren haben tonnte toie jener Unbefannte, Oon bcm bic
3eitung berichtete. 2Bar betn fo, folgerte Glafebed toeitcr,
fo hatte er getoifj ©orge getragen, bafj feiner jungen
Softer nichts baOon befannt getoorben toar.
Unb nach biefem Grgebnifj feiner Ihtterfuchung fah er
bem nödjften borgen mit Oerinchrtcr Ungebulb entgegen.
4.
früher alg getoohttlich toar ber Oiechtgamoalt auf beit
Seinen. SDiesmal ^atte er für bie Schönheit beg Storgeug
toenig ©inn. Sie Shautropfen, bie an ben ©bi^en ber
©reifer hingen, Oerbunfteten, ohne bon ihm beachtet jju
toerben; bie Serdjen hoben ftch fingcttb aug ben Reibern,
unb er h^te fte nidfjt.
Snbeffen ftaiib ihnt bie graufamfte Gnttäufchung beOor:
bie Sperfonen, nach benen er fid) fehnte, erfchienen nid)t;
leer blieb ber Heine grüne Sifd) unter bem Slhoro. Ser*
ftimmt fa| er unb toartete, toartete gegen feine innere
Ueberjeugung, bafj if)n bag ©chidfal aunt Sarrett holten
toerbe. Ser berühmte Kaffee ber „länblid)en Grljolung"
fchien ihm eine fabe Srütje bon gebrannten ©drehen unb
Digitized by Google
$ 0 üeHe mm SBinjefm öerger.
189
|>ageButten; feine Gigarre, garantirte§ ©etoädjg ber $a*
banna, fcfjmedte iljm Bitter toie SBermutlj unb tfoloquinten.
Qrtütjer als getoöljnlidj Bracfj er auf unb überrafdjte
feine jugenblid^en SdjreiBer üBer einer prügelet, tooBei
fie alte StttenBünbel als Söurfgefdjoffe bertoenbeten.
©lafeBedf toar fonft ein gütiger |>err, ber 9Jtand£je§
ungerügt tjingetjen lief} unb aucfj mit möglicher Sanft»
mutlj fc^att, toenn er eine 9tüge erteilen muffte. S)ie§=
mal inbeffen öffnete er rfidfidjtäloS bie Sdjleufen feiner
moralifcfjen Gntrüftung, unb feine Qrlegel Pon SdjreiBern
empfingen eine foldje Strafprebigt , bafj fie ben ganzen
9)torgen nicf)t aufpfeljen tuagten unb borfaüenbe Reibungen
nur im ffflüftertone borBradjten.
3Faft erfdjrodfen fuljr er auf, al§ eine biefer ^Reibungen
lautete: „|>err Äonful Sodann SOßcrdmeifter." — Äaunt
tonnte er ben gefc§äft§mäfigen £on für bie Sßetfung
finben: „Gintreten laffen."
tfrörmlidj unb gemeffen trat SBerdmeifter herein. 3>er
$err Mtor möge entfdjutbigen , begann er, mcnn er bie
flüchtige SSefanntfdjaft gleich Benutz, um feinen tRath ein»
Pfoten.
Gä hanbelte ftd^ um eine Sache bon geringer SBebeutung.
SQßercfmeifter toar mit feinem 9iadjBar in Streit über eine
©eredjtfame gerätsen, bie Steuer fich anmafjte, unb bereu
9lner!ennung er bertoeigeru p tönnen glaubte. ^Bereit»
miHig geftanb er p, bafj er ficf) um eine SBagateHe erljifje.
„G§ gibt inbeffen Naturen, bie gerabe au§ Keinen SBiber»
toärtigfeiten unaufhörlich ©ift unb ©alle faugen," fagte
er. „©ine folchc Statur Bin auch ich — leibet*. Sich tann
Digitized by Google
140
Sa§ SRflthfel turnt ftap £>iguer.
ntd^t mehr auf baS ©runbftüd beS StadjbarS bliden, olpe
mich ju ärgern."
©lafebed t»erT 45 rac^ , fdjleunigft ©dritte 311 thun, um
ben anfprudjSbotlen Sladjbar jur Vernunft p bringen.
Sann glaubte er, ermähnen $u bürfen, bafj er SBerdmeifter
am ÜJiorgen bermi|t unb bereits gefürchtet hätte, ber
geftrige Unfall habe üble folgen gehabt.
SurdjauS höftt^h/ aber ohne jebeS ©ntgegenlommen,
ertoieberte SDßercimeifter , bafj er fich bottftänbig toohl be=
finbe; bagegen habe feine Tochter, über ßopffdjmeraen unb
allgemeine SJtattigleit Kagenb, bringenb getüünfdjt, liegen
bleiben p bürfen. Unb allein hiuauSpmanbern fei ni<ht
nach feinem ©efdijmade.
,,©S ift hoch nichts bon SBebeutung?" erlunbigte ©lafc®
beet fich theilnehmenb.
Slufftehenb toerfid;er te SQBercf meifter : „©aitj unb gar nidjt.
©in bischen Stühe, ein fleincS Hausmittel, unb fte toirb in
gana Jurjer 3 eit ihre Haren Slugen prüdgetoonnen haben."
©inige ©elunben fpäter fdjlojj fich bie 2 hüre hinter ihm.
Ser StechtSanmalt fuchte fich über ben ©inbruef Har
p toerben, ben ©larita’S Söater auf ihn gemacht hatte,
©ünftig toar er nicht. SJienfdjen, bie fich ihrer ©ebanlen
uid&t frifd)toeg burch bie ©pradje entäufjern, bielmehr ihre
Bunge beftänbig unter borficfjtiger ßontrote halten, er=
tueden bei offenen Staturen immer eine getoiffe Abneigung. —
Srei Sage erfdjienen ffiater unb Sodjter nidjt unter
bem Slhorn. Sann hielt ber Softor cS nidjt länger auS;
bie Sproaejjfadjc als 23ortoaub beituhenb, toagte er einen
©inbruch in bie Sßercfmeifter’fche ©infiebclei. Ser $err
Digitized by Google
9iooefle oon 3Bi((jefm Serger. 141
berfelben empfing ihn in feinem 3lrbeitgaimmer. fRadb
©tlebigung beä ©efcBöfttichen fef}te ©lafebcc! bie Unter*
Haltung mit ber Orrage nadj ©larita’g Sefinben fort.
Sie fei toieber gana toohl, toar bie 2lnttoort. 2)ann
fuhr Söerdfmeifter fort: „Sie toerben ung Beim Äaffee
Perntifjt Baten. SQBie eg eben au geben pflegt: toenn ßebeng*
getooBnBeiten aug irgenb einem ©runbe eine Unterbrechung
erleiben, bann Pertieren fte ihre Äraft. 25er Storgen*
fpaaiergang Bat aufgeBßrt, mir ein Sebürfnifc au fein."
„2)ieä PerneBme ich mit Schauern," ertoieberte ©tafe-
Becf, ber SSoBrBeit gemäfj. ©r fe^te Binau: „9tacB meiner
©rfaBrung erhöht ein orbentlicheg Suftbab am borgen,
Perbunben mit mäßiger Setoegung, bag ©effiBl beg 2öohl=
feing in BoBem Stafje."
»Sei SBuen. 35ag toiU ich gerne glauben; Sie finb
noch ein junger Stamt. 2öag mich betrifft: bag ©efiiht
bcg SBoBffeing, ber iiberfdfjüfftgen ßraft, bag Sie fo leidet
geminnen, tenne icB fd^on lange nicht meBr."
„Sie belieben au fcBeraen. ©in fütanit Pon 3Bver
lörperlidben iRüftigfeit I"
„3dfj fd^erae feineötoegg," Perfekte äöerdfmeifter. „Söag
Sie inbeffen meinen, toeifj ich recht gut. 9ludh ich bin
einmal jung getoefen unb toar bantalg ^einblütiger, alg
Sie jefct finb. ©infi, toährenb eineg StiergefecBteg, bin
icB aug reinem UebermutB in bie Slrena Binabgefprmtgen
unb Babe eineg jener armen gebeuten 2Biete bei ben
Römern feftgeBalten. 2)ag Sol! jubelte, unb bie un*
mannhaften Stoaboreg auf ihren, ScBinbmäBwn fd^ämten
fich. Slber getöbtet toorben ift ber Stier beghatb hoch."
Digitized by Google
142
$a§ 'Jiätfjfef oom ftap Stauer.
Äurz unb grimmig lochte er auf.
„Unb auä beut fdjönen, fonitigen, romantifchen Spanien,"
Perfekte ©tafebed, „haben Sie fid^ ^ier^cr 3 urüdgezogeu,
in unfere ©bene, in eine Stabt, bie feine bcöorjugte Sage
hat, unb beren ©intoohner felbft für «ftorbbeutfdje un*
getoöhnlich fchtoerfäflig unb unzugänglich ftnb? — Offen
geftanben, ba§ begreife ich nicht."
äöercfmeifter machte ein ©eftcijt, alä ob er hätte fagen
toollen: Unb e§ geht Sie auch nichts an. 2)o<h befann
er ftdj. „2)afür teilt ich 3h n en in aller ßürze bie ©r=
flätung geben," antmortete er. „2)ie 9tomantif habe id)
fatt, Serge mag ich nicht fehen, unb bie Stenfdhen ftnb
mir gleichgiltig."
©lafebecf mochte ihn toohl ettoaä Perblüfft angefeheit
haben, benn er fuhr eintenfenb fort: „35ie§ ift nicht gerabc
buchftäblich zu nehmen, ©in «Jtarr, toer feine 9lbneigungeu
auf bie Spi^e treibt."
©r fprang ab: „SöoUen Sie einen Slugenblid bei
meiner Tochter eintreten, wenn e§ ^h re 3eit ertaubt ? Sie
ift in biefen üEagen mit mir, ihren ©arnfnäueln unb
einigen nichtänufcigen «Büchern allein getoefen."
©r führte feinen ©aft hinüber, hinter ihm eintretenb,
fagte er: „2)er -frerr 2)oftor toünfcht, SDir guten «Dtorgen
ZU fagen, ©larita." — Samt manbte er toieber fidj znnt
©eben. „Sie entfehutbigen mich toohl, <£>err SDoftor, idh habe
einen Srief zn fchreiben, ber feinen Sluffdjub bulbet."
©tafebedf toar mit ©larita allein.
Sie begrüßte ihn toie einen guten Sefannten. Salb
toanbte ftch baS ©efprädj auf ihren Sater. Sie fprach
Digitized by Google
9toueIIe uon 3Bilf)elm S3crgcr.
143
übet it)ii mie eine gutmütige Söörterin über einen Äranfen,
bent fte aut ©efellfcijaft unb pflege gefegt ift. „$dC) fjabe
meine liebe fftotlj mit ifjm," fagte fie mit einem brofligen
flehten ©eufaer. „3fc£) meib bodj fo gut, mag ifjm be=
fommt unb nidjt befommt. 9lber autoeilen ift ein ©eift
in iljm, bet il)n jtoingt, baS ©c(}äblicf)e ju tl)un. Unb
mit biefem ©cifte !ann icf) nidC;t fertig merben."
©ie bemerfte ©lafebetfg ßäcfjeln. „E§ fommt Sonett
mo$l fomifdj bor, bab idj fo über meinen 33ater rebe?
9tun ja: mir fjaben eben ein befonbeteä föerftänbnib au
einanber. 3c£) bin fern bon ifjm grob gemorben — "
,,©ie finb nidjt in Barcelona aufgemadjfen?" unter»
bradj er fie.
„D nein. 2113 idj fünf Sfafjre alt mar, ftarb meine
Butter auf einer 9teife, bie fie mit bem 23ater unter=
nommen ^atte — meine fbanifdje Butter, bon ber mir
nidjt bie geringfte Erinnerung geblieben ift. Unb mein
Skater orbnete au3 ber gerne an, bab idj bon einer au»
berläffigen fßerfon mit bem nädjften ©djiffe nach Hamburg
gebraut merben fotCte. SDort, in einer mir feljr lieb ge«
morbenen gantilie, bin idj big bor Äußern getoefen."
„Unb g^ren 23ater fjaben ©ie in alT ber 3eit nidjt
miebergefeljen?"
„Er mu§ feine grobe ©efjnfudjt nacfj mir gehabt fjaben.
S3erfdjiebene ÜRale, mäljrenb idj fjerattmudjg, mar er in
Englanb. 93on ba aug fjätte er midj bod^ leidet genug
befugen fönnen; meinen ©ie aber, bab er nur ein einziges
3Jtal gefomnten märe?"
„2)ag ift ferner berftänblidj."
Digitized by Google
144
$a3 Üiätbfcf vom $ap Stauer.
„9ti<ht iDQ^r? — £), er ift überhaupt ein munberlid)cr
‘‘Utann. 2 US ich fonfinnirt mürbe, lief? ich mich photo=
graphiren. (SS mar baS erfte 39ilb, baS ich bon ntiv
machen liefj, unb id) fah mirflich gar nicht übel barauf
auS. Natürlich moUte ich eines nach ^Barcelona fd^icfen ;
ba aber tourbe mir bebeutet, mein 21 ater habe fich ber=
beten, ein S3ilb bon mir 3 U empfangen, Sie fönnen ftd)
benfen, mie gefränft ich mar!"
„Sh* |>err Später hat mahrfcheinlich gefürchtet, 311
lebhaft an 3 h* e berftorbene 9Jtuttcr erinnert 3 U merben,"
marf ©lafebecf ein.
„2)aS habe ich mir auch fchon gebadet. Unb bodj
mieber berfteV idj’S nicht recht. (Sr hätte fich bo<h freuen
muffen, menn er ihre 3 üge in ben mcinigen mieberfanb!
55aS märe am natürlichen gemefen, meine ich. Schließ
lidh, bor einem Sahre, aß er Spanien gana berlaffen
hatte unb fchon in SDeutfchlanb mar, bat er fich bo<h mein
S3ilb auS. Unb bann fant er fofort angereist. 3fdh mufj
mohl nichts bon meiner SJtutter an mir haften."
„4>at benn Sh r l>err SBater 3h«en niemals fein 23er»
halten erftärt?"
„2)er Später ift fein greunb beS (SrflärenS. 23on ihm ift
menig 3 U erfahren ; 3 um S3eifpiel über meine 2 Jtutter gar
nichts. S)a 8 fanb ich halb genug heraus, Sonft aber mar
er bon Anfang an fehr gut gegen mich; er reiste mit mir,
um mir etmaS bon ber Söelt 3 U geigen. Unb baS mar
gemifj fein fleineS €pfer für ihn, mit mir 3 U reifen, bei
allen meinen 33ebürfniffen als £$rauen 3 immer, bon benen er
hoch gemifjborher feine richtige SSorftettung mehr gehabt hat."
Digitized by Google
9fot)t'üc üoit 5ü'ilf)elnt Berger.
145
Sie plaubcrte aHerliebft , bie üocfjter bcr ftoläen unb
toerfct)lagenen SotoreS!
Gnt^üdEt ging {ftiebricij Ö5tafcbecf bon bannen. 9tur
eines geftel if)nt nidfjt an ip: ber Sater, mit bem baS
Stpdffal fie berfefyen patte.
5 .
Sierjepn Sage jpätcr empfing ber Softor Ölafebccf
bon bem tfonful eine ©intabung jum Slbeubeffen.
Sie (Säfte, bie er antraf, maren: ber 5j3oftbireftor, ber
.fpauSarjt, jener itjtu Befreunbetc SanFbeamte unb enblid)
ein -£>ert aus ^Barcelona, Samens Sftofenbroof, bem gu
Gpren bie Scpinauferei beranftaltet morben mar. (Slarita
toar bie einzige Same.
Ser 3tbenb berlief im Sanne einer etmaS befleininen=
ben fjörmlidjfeit. Ser (Sinnige, ber biel fpradj, mar ber
ftrentbe; inbeffen fcfjien auep er beS SöirtpeS mögen fid;
^mang anjuttjun.
(SS fügte fidj, bajj 9tofenbroo! benfelben SGßeg nad)
<£aufe einfcplagen mufjte, mie (Slafebedf. Äaurn maren fic
untermegS, als er ftcfy Suft machte.
„3ft eS bodj gerabe, als ob ba ein ,SfeIett im $aufe‘
berftedft märe!" rief er auS. „9Jtan glaubt, eS hinter ben
Sdpranftpfiren ftappern ju pören."
„Sie fepeinen ba bodp eine $u ftarte (SinbilbungSfraft
gu paben," berfepte ber Softor etmaS fpöttifdp.
9tofenbroof pörte nidpt auf bie Senterfung. „(Slarita
pat midp enttäufdpt," fupt er fort. „Son ber Socpter ber
ißiMiot^fl. 3o^8- 1890. SBb. V, JQ
Digitized by Googl
146
'SaS 9iätf))e( com $ap Eigner.
frönen 2>olore3 |a 6 e id) mehr erwartet. Sie ift gan 3
anberS, gana anberä. Sln^ie^ettb Wohl, aber nicht be*
jaubernb. Unb lange nicht fo l^übfc^."
©lafebedf unterbräche nüt feinen Slerger über
biefe Äritif unb fragte neugierig: „Sllfo Sie ^abeti bic
berfiorbene $rau SBerdmeifter gelaunt?"
„örreilidj. 3dj Jam nach Barcelona, als Söerdmeifter
eben geheiratet hatte. Ein Empfehlungsbrief führte mich
in fein |>aug ; feine j$rau War bie erfte Spanierin, bie id)
naher fennen lernte. Sludj bie erfte, für bie ich fchwärmte,
bafj idj’S nur geftehe. Stun, ich toar nicht ber Einzige;
wir jungen SJeutfdjen lagen barnals Sitte 3 U ben frühen
ber Senora £)olore§. äöerdmeifter ladjte barüber; fo ein
junger Ehemann, ber fid) geliebt weih, fdjeert ftdj ben
genfer um ein <^eer junger Saffen, benen bie Schönheit
feiner ^mii bie $öpfe berbreht h<d*"
„ 3 rrau ttöerdmeifter ift fehr jung geftorben?"
„Sehr jung unb in ber ^rembe. Söerdmeifter allein
War bei ihrem !£obe gegenwärtig. Stach ihnt wäre fie
oben an ber fran$öfifchen ©ren^e, in bem Seebabe San
Sebaftian, bon einem hi|iö cn Sieber befallen Worben, bem
fte nach Wenigen Sagen erlag."
„Stach ihnt, fagen Sie. iöefteht benn über ihre Sobes=
art ein Zweifel?"
„Eigentlich nicht."
SSefrenibet blidte ihn ber StechtSanwalt an.
Stofenbroo! jögerte einen Slugenblid; bann jagte er:
„SCßarum fott ich Shnen nicht mittheilen, was in 3$arcc=
loua fo ziemlich Sebermann Weih? Stad) 3ahreSfrift
Digitized by Google
9cooeIte oon 'JEBithetm Serger.
147
brachte eine SBarcelonefer gamilie au§ San ©ebaftian bic
Nachricht mit, bafe bort bon bei* Äranfbeii uub bent
rafdjen Sobe einer fjfremben nichts befannt gemefen fei.
iöon biefer dmtbecfung befrembet, batte jene gamilie meitere
ftacbforfchungen angefieEt unb berauägebradji , bajj um
bie fragliche 3eit eine Same aus ©iibfpanicn in ber 9?ähe
berungliicft fei. Ser Ort beifet ^uentarabbia. Sort fpringt
baS Äap <^iguer meit in baS 2Eeer bor, ein nadter Reifen,
beffen Söänbe fteil abfallen. Oben foE eine herrliche 2luS=
ficht fein, unb baS Äap rnirb beö^aXb bon ben gremben,
bie ftch in ben Sabeptäfjen biss hinauf nach 39iarrifj auf-
halten, häufig befucht. $ene fpanifebe Same nun, mürbe
erzählt, ^abt mit ihrem ©atten ben ^elSrtiden erftiegen.
Einige ©tunben fpäter fei er aEein nach ©t. $ean be £ 113 ,
mo fie ftch eingemiethet Ratten , aurüdgefehrt mit ber
Nachricht, feine $ron, bie fich toEfühn borgetoagt höbe,
fei bon ©d)minbel ergriffen morben unb abgeftitrat."
„ 2 öe§halb benn aber jenes Härchen?" fragte ©lafebed
argmöhnifch, jenes 3eitungSartifelS gebenfenb, bem er bie
©djulb an bem bon ihm beobachteten ßranlheitSanfaEe
äöerdmeifter’S $ufchrieb.
„SaS miE ich Shnen fagen," öerfe^te ber Sarcelonefe.
„SaS traurige (Sreigitifj hotte nämlich noch ein 9ia<hfpiel.
Sic SBehörben jener ©egenb tarnen auf bie Sßermuthung,
bafj bie Same rnöglkhermeife burch bie |)aub ihreö hatten,
ihres einzigen ^Begleiters, ben Sob gefuuben hohe. 3eben=
faES mußte bie ©ache näher unterfucht merbeit, mie baS
ja auch °h ,lc 3 t°eifel in ber £>rbnung mar. Söercfmeiftcr
mürbe alfo berhaftet unb in irgenb einem riefte beiläufig
Digitized by Google
148
Saä 9 iätpfel ooitt $ap £)iguei\
cingefperrt, Bi§ aui üTolofa SlnWeifung eintreffen würbe,
Wa§ mit 31t gefdjcpen paBe. Sei ber Befannten Um=
ftänblidjfeit be§ fpanifcpen GScvid)t§ 0 erfapren 3 pätte für ben
armen SJtann eine langwierige GJefcpicptc barau§ Werben
tonnen, Wenn fiep niept ein Beuge gefunben pätte, ber
feine llnfcpulb bartpun tonnte."
„Gin Beuge?" fiel ©lafeBed gefpanitt ein.
„©eltfam genug. Oben auf bem im UeBrigen gänaltcp
fallen gelSrüden be§ $ap £>iguer Bcfinben fid) nämlid)
bie Ruinen eineä alten Äaftellä, unb part an ber Ber=
faüenen UmfaffungSntauer patte ein armer Gafero — ein
SlderBauer — eine Slrt Sarade errieptet, bie bort Bor
ben ©türmen gefepüpt war, bie fo häufig über ben Si§=
capiftpen SRcerBufen pinbraufen. S)iefer Gafero, ber bitrd)
(biept an feine SBopnung gefeffelt war unb SBerdmeifter
unb feine f^rau BeoBacptet patte, fagte mit ber größten
Seftimmtpeit auä, bafj jwifdjeit ben Seiben eine Gnt=
fernuug öan minbeftcnS 3Wanaig ^ufi gewefen fei, als er
bie grau paBc Berfcpwinben fepen. ©lüdtidjerWeife war
ber Sürgermeifter ober Wa§ er fonft geWefen fein mag,
ber bie Serfüguttg über ben (befangenen patte, einfieptig
genug, ipn baraufpin fofort fre^ulaffen. 2)utcp biefett
Sorfall, beule id) mir, war SBerdmeifter gewifeigt Worben.
Söenn er in Sarcelona bie SBaprpeit Bericptet pdtte , fo
patte er fid) ber (befapr auSgefept, bort in benfelben Ser=
baept 3U geratpen. Wie an £rt unb ©teile, unb er patte
bann ben Gafero niept Bei ber $anb, um ben ©cpwäpern
ba§ bJtaul 3U ftopfett. SJtöglicperWeife patte er auep feine
Buft, ben peinlidjen SorfaH mit feinen fämmtlicpen Se=
Digitized by Google
9ioocUe i'on 3Bilf)elm Vergor. 14s.)
formten 3 U erörtern. Vei Verbreitung jeneä 3Jtürd)cu$5
über bie £obe§utfadje feiner ffrau fetjte er natürlid;
borauä, bofj bie Äunbe ber Söatjrljeit nicht nach Varce=
lona bringen »erbe. — 35atin hat er fidj freilich getäufdjt.
ES ift benn auch genug ge^ifdCjelt toorben, Sie fönnen
fidij’ä benfen. Schließlich inbeffen: ma§ tooUte man machen?
Ein Vemeggrunb für einen Sftorb mar gütlich unauf=
finbbar. 2 >ie öffentliche Meinung entfdjieb, baß man bie
Erörterung beö f^aüeö ein^ufteEen unb ben au§ Kummer
grau gemorbenen SBerdmcifter im Vefiße feines guten
Stufeä ju taffen habe."
„Sehr bernünftig bon ber öffentlichen Meinung," be=
mcrfte ©lafebed „Ratten Sie inbeffen — entfchulbigeu
Sie bie ffrage — bie SIngetcgentjeit für boEftänbig auf=
gcllärt?"
Siofenbroof jucfte bie Sldjfeln. „33>aS foE ich fagen?
Einige Verfonen in ^Barcelona behaupten heute noch, ber
Xob ber SeFiora S)ofore3 fei fcineSmeg§ ba§ 2öer! be§
3ufaE§ gemefen, troß ber StuSfage be§ gichtißhen Eafero,
an beren fftidjtigfeit 3 U 3 meifeln nicht einmal nöthig fei."
„llnb Sh r e eigene Stnfidjt, .fperv 9iofenbroo!?"
„^Darauf ift nicht biet 3 U geben. Sch bin eben ein
ffebtifeßer EJtenfcß. E§ ift meine Ueber 3 eugung, bah bie
menigften Ereigniffe ft«h ber Söett fo barfteEen, mie fie
mirflich gefdjehen fiitb ; ein unbefannter Oieft bleibt immer
3 urü(f. Sn biefem 9teft aber , fteeft gemöhnlich baäjenige,
ma§ 9lEe8 erft erflären mürbe."
„Sie meinen?"
„ s )iicht§, -£>err ÜJoftor. 9Jtuthmaßungen, menn fie au$=
Digitized by Google
150
$a§ iRät&fel uom $ap Eigner.
gefprodljen merben, erhalten leidet mefjr Eemid£)t, als iljnen
jufommt."
„(Stauben ©ie an bie 9Jtöglidf)feit einer ©dljulb 2öerd=
meifter’3?"
9iofenbroo! jögerte. „9lur an einen unbemufjten Sin*
tfjeil feinerfeitö an bcr Äataftroplje," antmortete er enbltd^.
„Unb bodj," manbte ©lafeBebecf ein, „trögt er ba§
iBemufjtfein einer ©djulb mit ftdj untrer."
„Sie finb ein fdjarfer 33eobad(jter. — SJtein bebauernS*
toertljer alter 5«unb! Er glaubt, ma 8 er gefetjen l|at,
unb bergifjt, bafj e 8 jmeiertei (Srünbe für jebe ^anbtung
gibt, einen, ben man mittljeilt, unb einen anbern, ben
man berfcfjmeigt."
„$dj mürbe 3 $nen fef|r bantbar fein, menn ©ie mir
erllären motlten, morauf ©ie fielen, " ermieberte ©lafe=
beet, botl Verlangen, feine Slnnaljme beftätigt 3 U t)ören.
^njmifd^en maren bie SSeiben bor bem (Saftljofe an=
gefommen, morin Siofenbroo! Sßotjnung genommen Ijatte.
Sttit augenfälliger <£jaft, gleidfjfam, al§ ob er fürdjtete, 3 U
meiteren Eröffnungen berleitet $u merben, berabfd^iebete er
fid£>, bie testen äöorte beS ©efäljrten übertjörenb. Eljc
(Stafebeä fid) baju ermannen lonnte, bem @el|eimnif}=
främer ben 2öeg 3 U bertreten unb Offenheit bon itjm ju
forbern, mar er in bie £ljür gefdjliipft, bie gleich barauf
bon innen berfdjtoffen mürbe.
SBerbriefjtidfj ging (Stafebed nadj <§aufe. SMerbingS
mar er meljr als je bon ber IRicfjtigfeit feiner 9Jlutlj=
mafjung überzeugt, bodj mufjte er bie <Senugtt>uung ent=
beljren, fie mit ber entfpredbenben ‘Sfjatfacfje bergleidfjen 3 U
Digitized by Google
Jt * 1'
Wooelle uon 2Bilbelin SBerfler. 151
fönnen. 2lm nächften borgen triet» eä il)u, bem .fpernt
9tofenbroof hoch noch einmal encrgifcl) auf ben fieib 3U
rüden, bod) fam er 3U fpät: ber 23arcelonefe mar fdjon
abgereiät.
0 .
@8 gelang ben ^Bemühungen ©lafebed’3, beit Streit
2öertfmeifter‘3 mit bem fRadjbar burd) einen Sßergleidj 3U
beenbigen, ber beibe Steile befriebigte. äöerdmeiftcr bc=
mieä ihm feine 2)anfbarfeit baburcfj, bafj er ihn Perfdjiebene
5Jtale 31t fleinen SlbenbgefeEfd^aften aujog.
S5ei einer biefer ©clegenheiten fam eä anfällig heraus,
bafj ©lafebed ein ßiebljaber beS Schadjfpielä mar. 9tad)
£ifd)e, als @larita einmal (Gelegenheit hatte, mit ihm
allein 3U fpredjen, bat fie ihn, jumeilen 2lbenb§ 3U fontmen
unb mit ihrem 93ater einige 5ßarthien 3U fpielen. ,,©e=
möhnlid) ift bieS mein £oo§," feufate fie; „ic^ befifce aber
nicht ba§ minbefte Talent meber für bie§ Spiel noch für
irgenb ein anbereS. fJJteiftenä paffe ich nicht orbentlidj
auf, bann geminnt ber Später 3U leicht unb ift un^ufrieben;
ftrengc ich bagegen meinen $opf an, bann Pernrfache idj
mir eine fdjtaflofe stacht, meil mir bie bummen Figuren
tortmährenb Por ben Bugen fchmeben."
©em entfpraih ber öerliebte 9Red)t3anmalt ber SSittc
feiner reijenben Schönen. Söerdmeifter mar fein fdjlcdjter
Spieler, aber er hatte in l)oh cni ©tabe bie Untugc nb ber
Unentfd)loffenheit. fUtinutenlang befann er fuh; bann 30g
er, ohne bie Sigur auS ben Ringern 311 laffen. Saft
Digitized by Google
152 * 3 )u£ iRätljfel uom $ap 4 ?igwr.
immer nahm er ben 3“ö 3uxüd unb liejj auf biejelbe
$ 3 eife einen weiten, britten folgen. Söäre nicht Gtarita
ftetS gegenwärtig gewefen — wahrfcheinlich wäre ©tafe=
becf mit feinem lattgfamcn Partner in Streit gerätsen
ober er Wäre einmal fanft eingefdjlafen. Aber ßtarita
fehlte niemals. Sieben ihrem 23 ater pflegte fie 3U fi|en,
arbeitenb, immer arbeitenb an einem jener fpinnweb»
artigen Söunberwcrlc aus gäben bon Seibc, Söollc ober
3 wirn, bereit Anfertigung fdjoit fo manches fd£)öne Auge
trübe unb fdpoad) gemad)t hat- Zuweilen, ohne ben $opf
311 ergeben, lugte fie oerftofjten hinüber 3U beut jungen
-gmuSfreunbc, forfdjenb, ob er fidj and) nicht 31t fetjr lang*
weite, giir bie 23 efriebigung feiner fteinen S 3 ebürfniffe
forgte fie mit faft 31t großer ßmfigleit. $äunt War fein
©las geleert, fo füllte fie eS Wieber; Tratte er eine ßigarrc
31t ßnbe geraudjt, fofort bot fie it)m baS $iftd)en bar unb
3iinbctc ein Streid)hol3 an. SJamit nod) nicl^t genug:
war eS !alt braunen, bann 3Wang fie ihn, bor beut 2 öeg=
gefeit einen IjeiBen $unfdh 3U tr inten, ben fie felbft bereitete;
fie begleitete iljtt fogar auf ben fmuSflur, um fich 31t
überzeugen, ob er auch mit wärmenben Umhüllungen ge=
nitgenb berfet)en fei.
25 ieS Alles ftanb ihr fo natürtid), als ob fie ba3u
geboren fei, für bie 33 ehaglidjteit beS anfprudhSbotlen,
bebiirfnijireichen 9 ftännergefchledhtS thätig 3U fein. S)abci
War fie burdhauS mit ber äöett unb ihrem Schicffale 3U=
frieben. AiemalS fam ein ungütigeS SBort über ihre
Rippen; niemals erwähnte fie eines berfagten SöunfcheS.
il'on fid} felbft fprad) fie überhaupt nur t)bd)ft feiten unb
Digitized by Google
StoucUe uon ißUljelm heißer. 153
bann mit* bon einer bcbeutungclofen *) 3 erfon, bereu Stafein
faum in SBetradht fommc.
! 3 >afj ©lafebed, nacbbcm er in bie Söortrefftid^f^it beS
jungen fDtäbdhenS (Jinftdht gekommen, immer lebhafter
münfcbte, fie bereinft in feinem «fpaufe fdhalten unb malten
,31t feben, mar gemifj begreiflich. ?lncfj mar er felbftbemufjt
genug, a^unebmen, bafj Glarita ibrerfeitS iljm ebenfalls
berjlicfj 3ugetban fei. 2 öaS iljn binberte, baS entfcbeibenbe
2Sort 3ir frechen, mar bie Grmägung, bafj, mic bie S 3 er=
bältniffe nun einmal mären, in bem bon ibm gemünfdjten
ßbebunbe äßcrcfineifter ber 2>ritte mürbe fein muffen.
Unb bagegen lernte fi<b etmaS in ibm auf, baS er nicht
3U bannen bermoebte. fftiebt, bafj er 3tucifet an feiner
Unbefcboltenbeit t>cgte; bieS mar nach fRofenbtoofs 9 Jtit=
tbeilungen nicht mobl möglid). 5 lber als ftänbiger #<*uS=
genoffe mar ibm Söerdmcifter hoch 3U unbequem; ber
tägliche Umgang mit einem 9 Jtcufchen, ber gemobnbeitS*
mäfjig ben GBcbtüffet 3U feinem |>er3en moblbermabrt in
ber 2afcbe trug, mar eine Aufgabe, ber er fid) nicht ge=
madjfen fühlte. SlnbererfeitS mar eS ihm auch nidht mög=
lief; , CSlarita ju entfagen. @r feijtc alfo, bin unb bet
fdjmanfenb, feinen Jßerfebr in ber SJiUa fort, ^offenb auf
irgenb eine günftige SBanblung ber Söerbältniffe. —
<Bo bergingen einige fJJtonate, unb baS junge Siabr
mar bereits angebrochen, als er, eines SlbenbS jur fpartljie
Schad) fidj einfinbenb, SBerdmeifter allein antraf.
„<2ie muffen beute mit mir borlieb nehmen," empfing
ihn Gtarita’S Sßater. „UJteine 2 odjter b Q t ib re ©tiderei
in einen SDamentbec getragen."
Digitized by Google
154
Stäthfel oom Map 4nguer.
ßä War eine geYüiffe ©djärfe in bent üonc bicfer 33e=
merfung, bie ©tafebecf auf fiel. Snbeffen erwieberte er
ruhig, baß fj^öulein Glarita ftch jebenfatlä bort, Wo fie
weile, Beffer unterhalten Werbe, al§ in ©efettfd^aft 3 Weier
©chachfpieter.
„ 9 Jtag fein," fagte SÖercfmeifter. „ 5 Dodj ift fte nicht
gern gegangen, ba fie fürchtete, ©ie Würben Sh^ 23 equem-
lidjfeit nicht haben, toenn fie aBwefcnb fei."
„f^räuletn ßlarita berWöhnt mich," berfeßte ©lafeBecf
einfach-
©ie nahmen ihre $läße bor bcm SBrett ein. SOßercf*
meifter 30g noch langfamer al§ gewöhnlich unb Bemerfte
troßbem nicht bie ©chwäcßen feiner ©tellung. CffenBar
war er nicht Bei ber ©ache. S^mal nadjeitianber Würbe
er matt gefeßt; als ihm bann, in ber SDUtte ber britten
' 4 ?arthie, ©lafeBecf feine Königin nahm. Warf er mit einer
itngebulbigcn ^Bewegung bie Figuren über ben Raufen.
„©eBen Wir’ä auf!" rief er, ba$ S3rett Bei ©eite
fchieBenb. „Sch h°Be ohnehin mit Shnen 311 reben, ^err
2>oftor."
„Sch ftehe 3U SDienften," erflärte ©lafeBecf berBinbliclj.
9 hm aBer fonnte Söcrcfnteifter ben Anfang nicht finben.
9 Jiit nerböfen Ringern brehte er an einer (ligarette unb
fonnte nicht bamit fertig Werben.
©djweigenb fah ihm ber SDoftor 3U, neugierig, welche
3 lrt bon *yeuer ber SBulfan bemnächft fpeien werbe. ßnb=
lieh plante SBercfmeifter h et au8: „Sch hin Sh^en 3War
fehr banfBar für bie ©ebulb, bie ©ie mir, als einem
mittelmäßigen ©chachfpieler, 3eigen, bodß glaube ich auch
Digitized by Google
Diouelle tum SMfjelm Söcrgcr.
155
( p tDtffcn, bafj id) biefelBe nid)t bem Umftattbe aufdljreiBen
barf, bafc Sie ettua an ntir BefonbereS ©efaEen gefunben
BaBen. 5Der Umgang mit mit ift nidjt angenehm; met
dpt tro^bem fudjt, ttjnt eS aus anberen ©rünben. |>aBe
id) fRed&tr
SDieS mar ein fdjroffer Angriff, auf ben ©lafeBed in
ber Sdjat nid^t öorBereitet mar. 9IuSmeidjenb antmortete
er: „(IS mirb 3B*e*tt SdfjarfBlicf nid^t öerBorgen geBlieBen
fein, bafj idfj für bie 9ltmofpf)äre ber S3e^agti(f)feit, meldfje
ffräulein dlarita um ftcB 3 U BerBreiten berfte^t , ein feljr
ausgeprägtes Organ Befdje."
„SDaS ift nidjt bie 9Intmort, bie id) ermartet ^aBe , "
fagte Söerdmeifter enttäufdjt. „9JtcBr Offenheit 3U)rev=
feitS mürbe eS mir leicfjter mailen, 31 t fagen, maS id)
für notfjmenbig B^lte." — @S foftete i^n fidjtlicBe 9fn=
ftrengung, fort 3 ufaBren : „dlarita ift ein lieBeS fötäbdjen;
bafj icB iB* @Iücf miE, bürfen Sie mir 3 utrauen. ffänbe
fid) inbeffen ein SBemerBer um i^re $anb, er fei mer er
fei, fo mürbe icB djn aBmeifen."
„OBne SlngaBe Bon ©rünben?"
„2>ie mürbe idj für mid) BeBalten müffen."
„Enb mettn idj biefer 33emerBer märe?" fragte ©tafc=
Bed, mit ptöfdidjem (Sntfdjlufj. „Sie münfdjten Cffen=
Beit. @ut, Sie foEen jte Bd 6 en. Sdj liebe dlarita; idj
Bitte um 3B re ©rtauBnifj, micB um fte BemerBen 311
bürfen."
„Sdj Bebauere, bajj Sie ficB nidjt BaBen marnen
lallen," ermieberte SBerdmeifter. „9Jleine 3lntmort fennen
Sie Bereits."
Digitized by Google
156
2>a§ föätbfel uom Map Eigner.
(55Iafe6ecf jtoang fich 3 U einem ungeheuren Cpfer. „9113
felbftöerftänblich Unirbe ich eS Betrauten," fogte er, „baß
bie ©efelifdjaft, baß bie pflege (Starita’S Offnen erhalten
Bleibt."
„Sehr gütig. 9iBer Sie berfemten mich: ich Bin fein
@goift."
„|>aben Sic gegen mich perfönt ich ettoaS ein 3 utüenben‘?"
„9li<ht baS minbefte."
$erftänbnißloS ftanb ©lafebecf biefen 9lnttoorten gegen*
über. „So leicht, toie Sie 3 U ertoarten fcheinen, !ann ich
mich nicht Beruhigen," erflärte er. „9luf eine ö?rage toie
bie meinige, ift ein einfaches 9tein unzulänglich. S5er=
feßen Sie ftch in meine Sage: mürben Sie fich bamit 3 U=
frieben geben unb gebulbig aBtrotten'? üDie Siebe ift bcnn
hoch eine ernftljaftete Sache, toie ein ©efcfjäft. ©S ^anbelt
fidh babei um baS äöoht ober SBche eines ganzen fölenfdjen*
leBenS. 3 ><h h^e ein Riecht, 31 t erfahren, toeSljatb idh
auf (ülarita bereichten foll."
2>iefe Sprache berfehlte ihren ©inbrttc! auf SGßerdf=
meifter nicht. 6 r fämpfte mit fich unb fchien fchließlich
auf bent fünfte, nacf) 3 ugeben. 9luf einmal überfiel ihn
toieber ein S3ruftframpf , gerabe toie an jenem borgen
auf bein Sanbe, nur noch heftiger, ©lafebecl fprang auf,
um bie fötagb herbeizufdhellen ; laut ftöhnenb tointte 2 Berc!=
meifter, baöon ab 3 uftehen. 2 )cr 9lnblicf toar fchrecflicfj;
ein paar Sefunben lang fchien eS, als ob er erfticfen
toürbe. SDann erholte er fich langfam, boch bauerte eS
noch eine geraume SBeile, bis er toieber regelmäßig 3 U
atljmen im Stanbe toar.
Digitized by Google
^ooeüc üon 28i(f)e(m Serger.
157
Unterbeffen toar ©lafebecf auf ben ©ebanfen gerätsen,
bah bie Urfadje be§ SlnfattS heute feine anbere fein werbe
al§ bamalS, uttb glaubte, SBerdtmeifier beit 2Seg au einem
iBefenntnifj ebnen au follen. „äöürbe cS Shuen nicht gut
tfjun, wenn Sie SUjr ^»era erleichterten?" rebete er i^m
au. „2Öaä matt tu fid) berbirgt, wirb leicht aum 2Up,
ber unüerfeijeuä herbarfpringt uitb ba§ Beben bis an bic
äu|erfte ©reitae htnbrängt."
©rfchrocfeu feuchte SBercfmeifter : „2Ba£ Wiffen Sie?"
„9ii<htä, WaS mich babon abgehalten hat, um bie $anb
Shrer Tochter bei Shuett au werben."
„2£aht, fel)r wal)v," murmelte er. „Sie wiffen nichts,
fonft Würben Sie nach meiner Tochter nicht bic .£aitb
auSftrecfen."
„©ine SBahnibee, bie Sie haben mögen, fann auf mich
nicht alä SThattadje Wirten, " Perfekte ©lafebeef.
„Sie ftnb beharrlich," tagte ber alte -fperr mit au=
fammengeaogenen 33rauen. „Vielleicht machen Sie fidj
nichts barauS, eilten — Vtörber aum Schwiegerbater au
haben."
$aS fdjrecfliche 2Bort fuhr bem Verehrer ©larita’s
hoch burch baS ©ebein, obgleich er barauf borbereitet
war. SBercfmeifter bemerfte e§. ,/Jlun ? Stehen Sie noch
nicht auf, unt mir unb meinem Äinbe auf immer ben
Süden au Wenben? — Sie finb ein merfwürbiger s 3Jtenf<h!
2fnt ©nbc glauben Sie mir nicht; Sie wären au behaupten
im Stanbe, bah i<h löge!"
„2)aä tljue ich nicht. Vielmehr bin id> überaeugt, bah
Sie bic Wahrheit au reben glauben," erwieberte ©lafebeef.
Digitized by Google
158
JRätljjel oom $ap .tnguer.
Eöercfmeifter ftutjte unb fa^ ihn forfdjenb an.
,,Sdj toiE nicht länger ißerfiecfen fpielen," nahm ©lafe=
becf mieber bag Söort. „9Jltr ift beEannt, toie Sh r * &rau
um’g £eben !am."
SöercEmeifier fdjtoieg einige ©eEunben. „2Ufo $ofen=
brooE, bie *ptaubertafche, hot bie ©efdjidjte ^ier guni
33eften gegeben," machte er bann feinem 9lerger Suft.
„Sag h<Ut’ ich mir benlen fönnen! Sn ^Barcelona bjabeu
fte fo lange fpionirt, big fie eg glüdlidj augfanben; nun
tragt biefer £>ongnarr bag intereffante $iftör<hen hinter
mir ^er unb fäet eg fdjmungelnb unter meine S3e!anntcn
aug! — 5lber mag er hot ergähleit Eönnen, belaftet ntic^
nidjt," fuhr er grimmig fort. „EBag müh belaftet, toeib
ich aEein. £ber bieEeicht hoch nicht. ^at jene UEßtoc
gefdjtoaijt, bie gmifchcn ung burchfdjob in bem Slugenblicf,
alg Soloreg — "
,,©idj hinabfiürgte," ergänzte ©lafebecf, alg er ittnc*
hielt.
Sog Eam ihm hoch unbermuthet. dr beugte fi(h bor :
„2öer hot 3h nen bog gefagt?"
„9iieinanb. beruhigen ©ie fich, |>err SöercEmeifter.
kleine Äombinationggabe hot mich barauf gebracht. Unb
fie fagt mir noch mehr. din heftiger Auftritt, ein 3onE
ging borher. ©ie berichtigten Sht* 3*ou ber Untreue.
Sn leibenfdhaftlicher (Irregung erflärte Sh« $rau, unter
biefent S3erbachte nicht länger leben gu Eönnen. Sann
folgte bag dnbe."
Söie erftarrt fab SBerdmeifter. „dg ift unglaublich."
fagte er bot fich hin. Sann fuhr er auf: „Sab fie un=
Digitized by Google
?IoocIIc uoit SBilfjelnt Berger.
150
fdjulbig mar, miffen Sie mobl auef). Sdj l)ab* eS gleid^
nadlet erfahren, au§ bem Bleiben fütunbe desjenigen,
ben id) für ben Räuber meiner Ebte hielt. Unfdjulbig —
Ijöreit Sie? das ift eS eben, baS macf)t mid) jum SJtörber.
$ein ©eridjt fann mich öerurtbeilcn. .ipaitb an meine
grau gelegt Ijabe idj nidjt — ben SÖillen, fic 311 tobten,
batte idj nicht. 9UdjiSbeftomeniger bin idj eS — idj, ber '
Ijier bor Sbnen ftijt, $obann äöerdmeifter, ber feine ftrau
bon bem Seifen $iguer in baS 9Jteer geflogen bat, baS
unten in ber diefe branbet. Sie feben eS nitbt fo an,
merte icb- 2lber menn 3b nc n baffetbe ^affixt märe, mürbe
eS Sb n cn nitbt beüomnten, fitb freisufpretben. S3ei bem
eigenen ©emiffen !ommt man mit Spitjfinbigleiten nicht
burdj. diefe dljat, bie idj nicht Beabfichtigte unb bic
tro^bem bie meinige ift, fie ift sunt Slucbe meines fiebenS
gemorben. lieberfällt mich bie Erinnerung an jenen fcbred=
lieben Slugenblid auf bem lableu, öben Seifen, als meine
Srau plöfclicb bor mir berfdjtoanb, bann siebt fitb mir
bie 33ruft jufammen, unb bie Sinne bergeben mir. So
borbin mieber. dafj itb jeijt fo frei über baS Entfehlidjc
fpred&en lann — ich begreife eS nicht. dennoch : eS mirb
mieber unb mieber lontmen unb eines dageS mirb eS mir
ben ©arauS matben. Söarten Sie, bis baS gefebeben ift,
ebe Sie bei Elarita anfragen."
9ftit aufrichtigem SJtitgefühle ermieberte ©lafebed: ,,3d)
Beilage Sie tief, Jperr Söcrdmeifter. ES ift eine lran!=
bafte Söabnibec — itb lann eS nicht auberS nennen —
bie fitb 3b* cr bemächtigt h a t- Unb itb fürchte, jebeS
SSemiitjen, Sfbwa biefelbe auSsureben, mirb bergeblidj fein.
Digitized by Google
160
Aötbjcl vom ilap piguer.
3dj tarnt nichts tfeun, als Sfeimir ertlären, bafe idj jcfet,
mit boßer ftcnntnife beS SJorgefaßenen, meine äöerbung
um bie .£>attb Gtlarita’S mieberfeole.".
<$r aber Rüttelte energifdj ben Äopf. ,,3d) feabe aßc
Adjtung bor Syrern moratifefeen ßftutlje; aber eS tarnt
uicfet fein. (SS bafet mir nidjt, bor bem hatten meiner
£od)tcr bie Augen nieberjdjlagett $u rnüffen. ©ic merben
bieö einfeljen."
Söergeblid) rebete ©tafebed auf ifett ein, mit allen
Argumenten, bie ifent bie Siebe p (Slarita eingab; er liefe
ftdj boit feiner Auffaffung nid)t abbringeit. Aber er gab
fidj bodj anberS als bisher, feit ifent Semanb gegenüber*
fafe, bor bem er fein ©eljeimnife p berbergen featte; bie
ängftlidje gurüdfealtung , bie ©lafebcd fo fefer mifefaßen,
mar bon ifjin gemtefeen. 6r felbft füllte bicS. „könnte
nur biefe einige ütljatfadje bon ber £afel meines ®ebäcfet=
niffeS gelöfcfet merben, mic mürbe icfe aufleben!" rief er
aus. ,,©cit breiaefen Saferen bin id) nicfet icfe felbft mefer.
©efeon bamatS tarn idj grau naefe Barcelona prüd. 3 $er=
loren featte icfe bie gäfeigfeit, miefe über irgettb etmas
freuen p tönnen; idfe 30g miefe bon adern Umgang prücf,
fomeit id) tonnte, nur ein bor Augen: fobiel p er=
merben, um jenem Sanbe ben Aüdett feferen p tönnen.
Sange genug feat’S gebauert, bis idfe eS erreichte. «§ier,
im üßaterlanbe, feüffte icfe Aufee p ftnben. Anfangs liefe
ficfe’S günftig an; baS $a$) <£>tguer unb maS bamit p=
fammenfeäitgt, blieb auS meinen (Bebauten. 3 Damt aber
fam’S mieber, feäufiger mie je. (Sin gntrinnen gab’S nicfet.
Unb jeüt gebiert mir bie alte ©cfeitlb einen neuen ?flucfe
Digitized by Google
SJouellc wou 4ßiÜ>dm Verger. 1G1
■Stotfdjen (Starita unb ihrer Neigung ntuft id) fielen —
bcm Äinbe, ba§ id) liebe, Sc^mcrj bereiten. DaS ift mein
trauriges Söert auf (Srben. 3e eftcr eS ein (Snbe ^at,
befto beffer!"
(SJlafebed muftte teine Slntmort auf biefe JHagcn. 6 r=
füttert nal)nt er Stbfdjieb. ©eine <f?anb feftfjaltenb, fagte
SBerdmeifter : „(SS mürbe mir leib Ujun, ©ie entbehren
311 muffen, ©ie fiitb mein Vertrauter gemorben. (Sineit
foldjen habe id) nodj nie gehabt, unb id) mer!e jetjt, mit
fdjäftbar ^emanb ift, bcm man feine 9totl) unb Cual
mitt^eiten fann. Dodj cS mirb S^nen fd)mer, cS mirb
Sinnen öielleicbt unmöglidj fein, fernerbin in alter SBeifc
in meinem <§aufe 3 U berichten. Hub ob eS für (Starita'S
^rieben erfpriefeticl) märe — aud) baS ift ameifelljaft.
SBenn eS alfo Trennung fein muft: bemabren ©ie uns,
bemabren ©ie aud) mir, einem unglüdlidjen Vtanne, ein
fteunblicfteS Slnbenfen. UnfereS VleibenS bmr mirb nicht
lange mel)r fein; id) merbe mein .fpauS berlaufen unb
meinen SÖanberftab meiter fetien. (Sin Dorf in ber .fpaibe —
bal)iu gebäre id)!"
(St lieft ßitafebed’3 «fpanb loS unb manbte fidj traurig ab.
7.
2BaS foH nun barauS merben?
S)ie§ mar beS armen 9iedjtSanmaltS ©ebaitfe bei Sag
unb 9tad)t. (Starita entfagen? — Unmöglich. Unb bod):
ben Vater p beugen mar ein auSficbtSlofeS llnternebmeu.
föegen ©tarrfinn, ber einer fijen 3 bee cntfpringt, fnntpfeu
iBibliolIjcf. Snljrg. 1890. Sb. V.
Digitized by Google
162
Sa§ SiäUjfel ooiit ®ap Eigner.
^Jlenfdjen uitb ©ötter OergeBenS. — Sen SSerfeBr fort=
fe^en? @8 toäre Trebel an (Starita getoefen.
Sie Klienten ©lafeBetf § Ratten in jenen Sagen fjäufig
9 }eranlaffung, an if)nt bie rafcBc ^luffaffungöfraft j$u ber*
iniffen, bie fie fonft mit ^ied^t rühmten, ©r ging untrer
toie ein Sräunteubet — ein bezweifelter 3uftanb, über
ben er fiel) nod) oBenbrein ärgerte, ba er feiner ganzen
Slatur ^ntniber toar.
Sa, am bierten Sage nadj jener berBöngnifjboEeit
Unterrebnng mit Söerdmeifter, fiel ^Xö^lic^ ein Sicfjtftraljl
in fein inneres. Stofenbroof! @r toar ber 9)tann, ber
bieEcidjt Ijelfen fonnte. 3iene§ ©efpräd) bor ber SBür
be§ ©aftfjofeä evBob ftcEj beutlid) in feinem ©ebädjtniffe.
.£>attc Wiener nid^t jju ber fielen gegeben, e3 fei für Solore*’
St)at ein Sftotib bentBar, berfcBiebett bon bemjenigen, ba3
fie au§gefprod;en? Söeun 9tofcnBroof fobiel toufjte, warum
fonnte er nief^t 9tEe3 wiffen?
Ser 33erfudj mufite gemadjt toerben, ben ©eBeintnifj*
boEen 311 m Sieben 3 U Bringen — bieS Würbe ©lafeBed nad)
furpr UeBerleguttg flar. ©ebadjt, getBan. @r fdjrieb an
s Jio)enbroof unb er^äBlte tBm ben Verlauf feiner Unterrebung
mit Söerdmeifter; er erinnerte iBn an feine 9lnbeutungeu,
nnb Befc^tüor iBn, burd) offene Erläuterung ber fei Ben, ioenn
er fie geben fönite, brei SJlenfdjen gtücflidj 31 t madjeu.
9113 biefer 23rief unterwegs war, falj er toieber mit
einiger Hoffnung ber 3 uXimft entgegen, ©eine Sßroaeffe
intcreffirten iBn toieber, feine Sieben bor ©eridjt tourbeit
toieber fadjgemäfj unb beweiskräftig, feine erften 9iiebev=
feBriften fitz unb Biinbig.
Digitized by Google
9ioueüe uou S&ilbelm Söergcr.
1G3
3ef)n Sage, genau gewählt, bauerte eS, bis bie Antwort
Uou Barcelona etnXief. @S War ein ganzes 5ßa<fet. 9llS
©lafebecE eS in ber $anb wog, fagte er ficf>, eS müjfe
eine glüdlidje Söfttng enthalten, ba 3 U einer 9lbweifung
nid^t fouiel Rapier nöt^ig gewefeu wäre. 2 >ie ©Treiber
im SBoraintmer empfingen bie Söeifung, ba| ber #err
SDoftor für 9üemanben 3 U fpredjen fei, fdjtecbterbingS für
9Uemanbeu. 2)aS bä^ ihm audj noch gefehlt, in biefem
?lugenbticfe Uou einem proaejjfücbtigen dauern geftört 31 t
werben, ber einen abgepflügten Slderftreifen einflagcn, ober,
uodb fc&timiner, ein meterlanges Seftament machen wollte!
begierig öffnete ©lafebed ben llmfdjlag. ©ein 23lid
fiel auf eng befcbrieöene SBlätter. @r warf ftd? in feinen
©effel unb laS StolQenbeS: „2fene ©äfje, geehrter |)err,
bie 3 b* ©ebadjitnifi fo jälj feftge^alten bat, tuaren 3leu§e=
rungen eines Slitbern, bie id) lebiglidj wiebergab, unb bereu
Tragweite mir erft flar Würbe, als ich in 3b rem ©eftebte
laS, bafi ©ie b’rauf unb b’rait waren, eine ©rflärung
Uou mir forbem. Sdj toar bamalS froh, bafj eS mir
gelang, 3b nen 3U entwifdjeu, ba i(b anbernfallS meine
Unwiffenbeit hätte belemten müffen.
Wiener 9lnberc, mit beffeu Gebern ich mich fdimücfte,
war ein 3?reunb Uon mir, ber $lrjt ©ntilio SSiHarino, ein
9Jiann Uon berüorragenben ©aben. 3$ uabm mir fofort
Uor, iljn uadj meiner SRücffebr über feine rätbfelbafteu
Söorte 3 U befragen. SßicHeicbt aber hätte icb eS b ern a<b
bodb Uergcffen, wenn id) nidbt, Eauni in Barcelona an=
getommen, erfahren hätte, bafr S)on ©ntilio feljr elenb fei,
unb mau allgemein Uermutbe, eS gebe mit ihm 31 t ©nbe.
Digitized by Google
104
lüv ;Hat()jel vom ilap Eigner.
3 dj beeilte mid), il)n aufaufudjen, mtb faub ilju in ber
Xfjat redjt fcblimnt; ber früher fo ftattlidje fDtann toar
faum toieber 311 erfennen. fDtit einem mübcn Cädjeln fagte
er mir, bafj er auf ber testen Station bor ber großen
tl'ertoanblung angefommen fei. S)ann fragte er, mit feiner
gemöbnlidjen freunblidjen Sljeitnatjmc an ben Sdjirffaleit
feiner 33cfannten, toa§ id) in ber Srtembe erlebt hätte.
Sunäcbft erzählte icf) ihm bon SBercfmeifter unb feiner
Xodjter Glarita. — , Siebt fte ihrer Butter ähnlich ? 1 toar
feine rafdje grage. 211 S ich berneint batte, fagte er mit
einem feltfamcn 33licf au§ feinen tieftiegenben klugen:
,Sie haben bie fdjöne Soloreä and) noch nicht bergeffen,
toie ich benterfe. 2 )odj ich erft — toie biel Urfadje habe
id), mich ihrer ju erinnern — ‘
9Ulit einem leifen Seufzer brach er ab. @he ich i« =
beffen biefen giinftigen Stugenbtict benutzen tonnte, um
mein Anliegen boqubringen , nahm er toieber bad SBort.
,(B toar eine fcf)Ximme (Spifobe in meiner braufenbeu
3fugenb,‘ fagte er ftnnenb. ,Sie bat mir auf lange geü
innere 23ebrängnifj bi n tertaffen ; erft bor ^urjem bin id)
auch bariiber gur 9iul)e gefommen. ^d) trage näntlid)
bie Scbulb an SJoloreS' Xobe ! 1 — ,Sie, 33oit ßmitio ? 1
rief ich mit nicht geringer SBeftürpng. ,2>a3 ift faum
glaublich. 3)affelbe toirft SBerrfmeifter fidj bor!“ — ,^ 0 lit
llnred)t,‘ berfefjte er mit größerer ßebbaftigfeit, al§ id)
ihm ^getraut hätte. ,S)a3 töbttiche ©efdjofj, ba§ fic
in’ä t f)erj traf, fam bon mir. 3QÖa§ mid) entfcbulbigt, ift,
baff id) e§ in ber 9totbtoebr entfanbte, of)uc y.i at)ueu,
toie tief e» bringen mürbe . 1
Digitized by Google
9 ?ouctle oott SBil^clm ©crgcr.
165
Äopffdjiittelub fagtc idj: ,Sie reben in Silbern, bic
idj uid)t 3U beuten trci§. SDafj SÖerdmeifter fidj mit äl)n=
licken ©ebaiifen peinigt, berftelje id^; aber Sie?‘ — SDarauf
er nadjbenflidj: ,< 5 r peinigt fid)? $er arme Stann! Söenn
idj nidt)t meljr bin, tonnen (Sic itjm bie Söaljrtjeit fagen.* —
,S)a5U müfjte idfj fie erft fettnen/ erinnerte idj.
Siüarino nidte. . 5 >aS follen Sie audj. 3 dj ntufj
midj nur erft ein menig fammeln. @S ift nidjt fo leidet,
alte Sünben 3U befennen, felbft menn man 3iemlidj fidjer
ift, ^nr Segeljung bon neuen feine ©elegenljeit meljr 311
fjaben. 1 9 tadj einer Söeile begann er: ,2>olore§ unb idj
maren SllterSgeneffen unb Sfagenbgefpieleit. Söie oft Ijabe
idj at§ Ä'nabe ba§ Tjiibfdje mitbc £ing in ben Sinnen ge=
fiabt unb gefügt! S)od^ baä ging boriiber mit ber $inb=
tjeit, unb eS tarn bie 3eit, ba mir uns nur nodj*l)öd)ft
förmlich begegneten, mie eS fid^ für Ijalb ermadjfeneS Solf
boit guter d^iefjuitg geziemt. Sic mar fcfjon eine SDamc,
al§ idj uodj meine Sücljer jur Sdjule fdjteppte; fie bcr=
lobte fidj, als idj eben 3ur Uniberfität nadj SebiHa ab*
gegangen mar. 3dj fjattc nichts anbereS ermartet; bic
Stadjridjt ftörte midj meber in meinen Stubien nodj in
meinen Sergnügungen. 3n ben näd^ften Serien rnadjtc
icf) iljr meine Slufmartung unb fanb eine fdjöne, ftol^e
Srau mit einem Sdjmarm bon jugenbtidjen Slnbctern.
3dj ärgerte midj über bie Söolfen bon Söeiljrauct) , bie
bor iljr emporfticgen; gefliffentlidj Ijielt idj midj 3urüd
unb fpielte ben füllen, ben Unempfiublidfam, ben bon feinen
Stubien gan3 erfüllten jungen (Ueleljrten. Sie fdl)ien midj
nid)t 31t beachten, meine £ulbigungen nidtjt 311 entbehren.
Digitized by Google
106
9lnt&icl uont Sl'ap Eigner.
SaS fcfjmerate mid). äßer märe frei Don (Jitelfeit, menu
er ^mau^ig 3al)re unb täglidj in feinem Spiegel
fie^t, bafs er ein ^iibfcfjer 33urfdje ift ? — (Sin Saljr fpäter
fam id^ mieber, gefpannt auf iljren Slnblicf. %<§ fal) fie
uid)t; Don ßlarita’S (Geburt ^er mar fie nodj leibenb;
iljre SalonS maren gefcfjloffen. Sann Dergingen mehrere
3>al)re, clje idj Barcelona mieber auffudjte. SoforeS mar
fdjönet als je; id£) mar Kenner getoorbeu injmifdjen unb
mufjte eS miffen. $n iljrer fJiälje empfanb idj etroaS mic
eine bumpfe ^Betäubung; blöbe unb fdjüdfjtem trieb idj
midj in iljrern ^Quberlreife umljer. Sa toar fie eS, bie
midi) eines SlbenbS mit Sirenentönen anflüfterte : ,2ßarum
fo lalt unb fremb, Senor (Imilio? 2ßir maren bodf)
fcljr gute $reunbe einft! 1 — ,SaS maren mir/ ant=
mortete idl). ,3dj l)ab’ eS nidjt Dergeffcn!’ — ,9llfo bodj
nidt)t!‘ tarn eS freubig Don iljren Sippen. Unb bann
fügte fie traurig, mit gefeuften Singen ^in^u: /über
baS gelier |ft erlofdjen!‘ — Unb idj: ,(SS glimmt nodj
unter ber Slfdje, beS |>audjeS martenb, ber cS neu be=
lebt. 1 — fötit fdjalf^aftem Säbeln naljm fie iljren Stidjer
unb bemegte iljn Dor meinem ©efidjte l)in unb Ijer, mir
Suft jumcljenb. .äßirlt eS?‘ fragte fie. -- $dj ermiebertc:
,3öenn Sie baS £t) r au mein |>er3 legen, SoloreS, merbett
Sie eS barin fniftern bören/
Stadj einer fleinen fßaufe fuT^r ^Marino fort: ,SaS
mar ber Anfang. SamalS gelang eS mir nur ein einziges
fötal, SoloreS allein ju fpredjcn. Sie mar bie fßorfidjt
felbft. .SaS leifefte ©eflüfter über eine ^rau ift gcfnljr=
lidj,‘ fagte fie. .lieber fJtad)t faun eS 311m Sturm merben,
Digitized by Google
9 ioueUc Don äiMl^clnt IBetgcr.
167
ber fie fcftu^loö macht. 3d) toitt nic^t berlieren, maä ic^>
habe. 1 — $lug, fet>r ftug mar fie bajumal, unb id) feljr
befd£)eiben. 9 ln bem füllen (Sinberftänbnih mit bent fdjönfteu
Söeibe SBarcelona’ä tie§ id) mir genügen; ein flüchtiger
2)rud ber |>anb, ein rafdfjer 3ärtlidjer SBlid unter ben
3udenben ©eibenmirnüern Ijerbor mar mir auäreidjenber
ßohn. — Söir fdjieben, otjne über bie 3ulunft ein SBort
gerebet 3U haben. 3)ann folgte mein (Sramen. 5 Qtan er=
martete ben neugebaderten S)oltor in ^Barcelona. 3 dj bc=
reitete meiner Familie, meinen ^reunben eine arge @nt=
täufchung; id) bcfdhlob, meinem ©eburtäorte fern 311 bleiben.
(Sine imbeftimmte f^urdjt, über $olore§ Unheil 31t bringen,
hielt iuidj fern. S)a erhielt id) ben rüljrenbften, fdjmer3=
lidhften SSrief bon iljr, boll bon SBortoürfen, baf) id) fo
^er^toö fei, fie um ba§ SBiebevfeljen 3U betrügen, morauf
fie fidj fo lange fdjon gefreut höbe. ©ie gab mir eine
9 lbreffe au für meine 9 lntmort; menigften§ mollte fie bon
je^t an bie $reube ber fdjriftlicljen Unterhaltung mit mir
haben. Unb bon ba an gingen fortmäljrenb ^Briefe 3mifdjeu
un 3 Ijib unb her, beren Färbung immer leibenfdjaftlidjev
mürbe.
3u jener 3eit berfolgte id) ben Spiau, midj ber afa=
bemifdhen ßaufbalju 3U mibnten. 3d) SibQ beiljolb nad)
$arig, um bort meine ©tubien fort3ufetjen. Unb in ^Jariö
mar ich nodj in jenem ©omnter, al 3 SBercEnteifter fief)
mit feiner fjrau an ben 33i§cat)ifdjen SDieerbufen begab,
um ber |>ihe ^Barcelona’«* 3U entrinnen. 2 öir reifen nad)
©t. $ean be ßu3,‘ fdjrieb mir 2)olore§. ,ßomm’ hinab,
menn 2>u ntid) lieb h a ft ; id) muh 2Ü<h feXjen, e§ !ofte,
Digitized by Google
1G8
3>rt§ 9iätbfe( i)oin fiap .VHtfikT.
toai ei tooltc . 4 — llnb id) geborgte. Saffelbc ©aftbaui
Beherbergte mti; tote ^ufäütg trafen toir uni am ©traube.
äöcrdmcifter fob einen angenehmen ©efäbrten in mir; er
legte gteid) 33efdjlag auf mid). Söir S)rei marett uit=
^ertrcnnXicf) — er öollftänbig argtoi, bottftänbig fiefjer im
©efübt bei 33efitjei. ®i Bebttrfte feiner Giften, feiner
©djtidjc unb pfiffe für Sotorei nnb niidj, um öfters
unter toter 9lugen aufammen^ufommen. SBerdmeifter b<dt c
ben Srieb, bie ©egenb p burd)forftf)en, nadj allen 9iidj=
tungen Bin 9tuiftiige $u unternehmen. @r mar ein guter
Orufjgänger unb fannte feine ©rmübung. 9)ticb forberte
er nicht einmal auf, if;n ju Begleiten; er feijte fein $er=
trauen in meine 9tuibauer. ©tunbentang, Sag für Sag,
maren Sotorei unb id) allein.*
•fpier machte SiHarino eine ^aufe unb fcbtoB bie klugen.
(Sublidj Begann er aufi 9ieue, rafdjer fpredjenb, ali oB
er 3 um @nbe ju fommeit miinfdje. , 9 t ui ber ©teigerung
unferer l'eibenfdjaft ermud)i bie Hataftrophi*- 3fn Solare»
Beftanb bai Verlangen, ganj mir neugeboren. Ser $lan
einer gemeinfanien $Iucfjt unb bann einer ©djeibung bon
bem ungctieBten 9Jtanne mar bai Sbema unferer ©efpräcbe.
Sotorei fab nidjt bie geringfte ©djmicrigfeit. 3d) aber,
neben meiner £ieBe nod) ben @b^Ö e *3 in mir tragenb, in
ber SSett mir eine hob**, geachtete ©teltuug 3 U erringen —
id) zauberte. Sfnimer ungeftümer brängte fie, ich ftanb
toor bem fritifeben fünfte in meinem ü?eben. Sie 93er=
nuitft fiegte — ju meinem ©lüde. 9Jtit alter 93eftimmt=
beit, bie id) bem ervegten SöeiBe gegenüber aufbieten
fonnte, erftärte icb, bafi ttf) barauf bereichten müffe, ibrin
Digitized by Google
Forelle non 3£i(fje(m Berger.
109
SOunfd) ju erfüllen. ß*in Auftritt folgte, au ben id) nur
mit ÜJraueit 3urücfbenfen fann. Sie motte nidjt me^r
leben, meint id) fie fcerfdjniatjte : baö mar in 2Butl) unb
Shtänen, ftetS mieberfel)tenb, iljr broheitbcä 2Bort. 25 te
llnrjtücflicf)e ljot eö maljr gemacht. 9 lm näd)ften borgen
fd)tug fie ihrem fDtamte bie 33 efteigung beS Äap «fpiguer
Por. 3 d) blieb 3urürf, anfünbigenb, bafj id) nod) an
beinfelbeit Sage abreifen mürbe. (Innige Stunben fpäter
traf äöerdnteifter mid) reifefertig; teidjenbtaf) feilte er
mir ba§ Unglüd mit, beffen entfeinter $euge er gemefen
mar. 2 )aS Unglüd! 3 idj mufcte cS beffer. 9 lfcer mitten
in meiner SBeftitqung gelobte id) mir, ben armen 9 Jtann
um ben 5 ßreis jeber £üge in feiner £äufd)ung 31t laffen.
Unb bieö ©eliibbe ^abe idj gehalten, Sßerdmeifter betannte
mir, freilich berblümt, ben 23 erbadjt gehegt 3U ^aBen,
3mifd)en SToloreS unb mir herrfdje eine unftattfjafte $er=
traulid)fcit. 3><h heuchelte (Sntrüftung unb er glaubte
mir; er bat mid) um 9jer3cihuitg für feinen tljoridjten
3 icrbad)t unb id) — id) lief? mir bieS gefallen. — 2BaS
ift nod) meiter 3U faßen ? ©efnitft lehrte idj nadj SßariS
3urüd. 5 £ie ©djmungfraft, bie mich WB bal)in empor-
getragen, bem hohen 3iele meinet (JljtgeiieS 31t, lief) nadj;
eS mar mir unmöglich, bie befdjrittene Laufbahn 3U üer=
folgen; id) mufjte midj entfdjlicf)en, mit ber befdjeibeneit
9 iolle eines praftifchen 9lr3teS Porlieb 311 nehmen, kleine
Familie brang barauf, id) möge mid) in Barcelona nieber-
taffen. 3d) that eS ^örfjft ungern, bodh muf)te id) feinen
@runb bagegen an3uführen. Söertfmeiftei höbe ich ntög=
lidjft Permieben, unb auch er ift mir, mie id) glaube, au*
Digitized by Google
170
'Jtcitbfel uottt töap £>iguer.
bent SBcge gegangen, ohne fid) üfcdjenfdjaft bariiber geBen
31 t tonnen, meäljalb. Er fal; nidjt ben Schatten, ber
3 toijd)en un§ ftanb . 4
Viltarino’3 Erzählung mar ju Ettbe; hoch fc^ien ihn
noch etma§ 3 U befchäftigeu. Ettblidj fagte er: . s Jtod) bc=
mahre ich fämmtlidje Briefe, bie ich öon S)olore3 empfangen
habe. s Jiadj meinem Slbteben füllen Sie in ben Vefift ber=
felbeit gelangen; fie feien Sb* 33emeiämittel für bie 2 öat)r=
heit meiner 9lusfagett.‘
Er f)at fein 2Bort gehalten. Vor hieran ü£agcn ftarb
er; geftern mürbe mir auä feinem fftachlaffe ba§ beiticgenbc
Vädcbett überliefert. E§ ift noch toerfdjloffen, mie e§ in
meine .fpünbe gegeben mürbe.
Seijt alfo barf, jc^t utu| id) rcben. 2 )odh neunte idj
Sfjrc Vermittelung in Slnfprud), meil meine 9tödjricbt
Don foldjer 2lrt ift, bafj mir eine Vorbereitung äöerrf*
nteifter’ä uot^menbig erfc^cint. Unb biefe Vorbereitung
31 t übernehmen, ba3 mirb Sb lien > nach ben mir getnadjten
Eröffnungen, eine befonbere ^reubc fein.
Sd) ^offc , halb bott meinem alten grcuitbc Söerrf-
meifter 31 t hören, bafj er geheilt ift, unb bott Sbnen, Qt’ s
c'hrter .§err, bafj Sie mit bollett Segeln bent .f>afctt ber
El)e jufteuern."
Siittf Vtinuten nach beenbigter 3)urcblefuttg biefeö
Vriefeä mar ©lafebetf auf bent Söege nad) ber Sd^iIIerftra§e.
Er trat beflügelten Schrittes itt bie Villa ein, bie er
bode oicr^ehn Sage gentieben hatte, eilte bie ütreppc hin*
auf unb ftanb eine Vtinute fpätcr in ÜEÖertfmcifter'ö
Digitized by Google
9ioueI(e oo u SMfjelm SSergcr.
171
9 lrbeitS 3 immer, Qän^irfj uuborbereitet für bie ©rfläruttg
feine§ SöiebererfdjeiitenS, bie bon ifjm ermattet mürbe. @r
begann 3 U ftottern bon Üiofenbrool , bon SJillarino , unb
30 g babei baS Radlet auS ber £afcf)e. llnb nterlmürbig
mar’S: äßerdmeifter, berfelbe fDtann, bent bret 3 eljn ^aljrc
lang niemals ein 3 ^cifet an bet 9ticf)tigfeit feinet 9luf=
faffung gefommen mar, bet fiel) burdtj biefelbe fein Sebctt
Ijatte bergäHen laffen, blinblingS betn erften Ginbrurfe
folgenb — fept auf einmal hämmerte itjin bet mirflidjc
3 ufammenljang ber (Jreigniffe in ©t. Scan be ßu 3 auf.
„9tidjt maljt, id) bin unfdjutbig?" fragte et jitternb.
„©0 ift eS. (Sitte Äoutöbiantin l)at ©ic nodj in beit
lebten SJlinuten UjrcS &afeinS betrogen, ©eftorben ift fie
beS Slnbetn megen, bet ftdfj meigerte, mit if)t 3 U fließen —
et Ijat bot feinem Üobc 9WeS befannt. 2 )er Auftritt auf
bent Reifen aber mat ein ©piel, baS bet Impuls beS
9lugenbIidS iljr eingab — ein ©piel, baS iljren 9 tüd 3 ug
aus bem Seben becfen follte. Cb fie nod) eine 91eben=
abfidjt babei gehabt l)at, ob bie Unfeligc im 3ortt übet
bermeitttlidj bon 3ljnen erlittene Unbill Slptett nodj eilten
2 )old)ftofj l)at betfefjen molleit, eine Söuttbe, bie nid)t ber=
narben tonnte — baS betmag id) nidjt 31 t entfdjeiben; auf
biefe Stage metben ©ie bie 5lntmort maljrfdljeinlidj miffen."
Sange ftanb SBerdmeifter, baS 5ßacfet in bet -fpanb,
unb badete nadj, oljne bafj ©lafcbed if)n 311 flöten *magtc.
(Snbltdj rüttelte et ftd) empor unb umarmte ben Ueber=
bringet ber ftol)en 23otfdjaft mit grofjer -fjcqlidjfeit.
„Sljnen, mein liebet 3)o!tor, berbanfe icf) meine 28ieber=
gebürt," fagte et mit feudjten Gingen. „üBoljl ift mir
Digitized by Google
172
S)a§ 9t«tlj!et oom $ap finiter.
baS reine BUb meiner Gattin graufam jerjiört tuorben.
Sodj barüber toiE idj nidjt Uagen; ift bodj gleichzeitig
ber Söaljn berfdfübunben, ber midj alt unb elenb mad)tc
linb aud) Slarita’S Seben ju berbiiftern Begann. — Unb
nun mödjte idj eine Söeite allein Bleiben. 9iodj liegt mir
dB, bag Befenntnifj jenes fdjlbadjen 9Jlenfc^en zu lefen,
ber moljt recfjtlidj toar, aber nicljt ben Btutl) Ijatte, mir
gegenüber ma^r 31 t fein . . unb bie Briefe meineg falfdjen
äßeibeS. — (Beljen Sie hinüber <ju ßlarita; bringen Sic
itjr ben Sonnenfdjein, ben fie fdjmerzlidj entbehrt Ijat,
feit idj Sie bertrieb."
Sn ber Btitte beS ^imrnerg ftanb ßlarita, als @>lafe=
beef eintrat. Sie glaubte feinen Sdjritt erfannt 3 U l^abeu
unb toar ifjm jügernb, ztoeifelnb entgegengegangen. Stumm
ftredte fie beut ungetreuen ^reunbe bie .jpänbe entgegen;
iljre Btunbhnnfel zudten.
„ßlarita, liebfte (ülarita! fo mertlj bin id) Stjneu 1 ?"
SBeiter braute ©rafebetf nidjtS Ijerbor; fdjon ^atte er
fie an fid) gezogen unb l)ielt fie in feinen Sinnen.
„Sei) Ijab’ eg ja nid§t getoufjt, Big Sie megblieben/'
fagte fie berfdjümt.
„ 6 g foE nidjt toieber gefcbeljcn, tfjeure ßlarita. Xag
für Üag tbitt idj bon je|st an bei S)ir fein — lebenslang.
SDenn, bofj 3>u eg nur meijjt: idj !ann nidjt oljne 3Didj
fein, 6 larita."
SllS (Slarita’g Bater fic^ bei beut Brautpaare ein*
ftellte — er Ijatte eg gar nid)t eilig bamit gefjabt — falj
er um jeljn S<djte jünger aus.
Digitized by Google
Sie beiitfdieii i r nuien nor «djtjeljitljuitiiert
3ttl)ten.
Ofine gefdjitbüirhe töertdjttgung.
So»
M. flerho.
(9tad)tmi<f öerbolm.)
/CTS ift eine btirch bie ©dljilberung be§ STacituS entftati*
beite imb noch feilte allgemein Verbreitete 2lnnahmi\
baf$ bie grauen bet beit alten ©ermatten eine feljr
©tellung eingenommen unb eine an’S ©öttlidhe ftreifenbe
Verehrung genoffen Ratten, äöenn man fich aber bie
Ofrage borlegt, toie eg möglich fei, bafj eine im SSolfe
tour^elnbe Slttfdhauung fo fdhnell habe toechfeltt, unb ba3
Söeib anf bie tiefe ©tufe herabfinlen fönnen, auf ber eo
fpiitere Sdjrfjtmberte finben, fo fühlt man fidj bereits bott
einem leifen fDtifctrauen in bie äßahrljeit obiger SBeljaup--
tnng ergriffen, ©rünbliche Qforfdher hoben nun boHenbö
jene ibealen SJorfteHungen in J S f^abelreidh berbannt unb
nadhgetoiefen, bafj bem römifchen ©efdhidhtSfdhreiber in
biefer S3ejiehung nicht redht au trauen ift. (Sr hat ohne
3toeifel bie SBahrheit feiner |>attptabfidht untergeorbnet,
welche barin beftaub, ber auf $tbmege gerattjenen ©cfell*
Digitized by Google
174 Sie beuijrf)en grauen uor adjtje&itljiinbert fahren.
fdjaft feinet iBaterlanbeä burd) Vorführung barbarifdjer
Sugenben einen moralifcfjen Nippenftofj 311 herfe^en.
Cbgleid) bieä fdjon oft gejagt imb gefdffrieben ift, ^at
fid) ba§ genannte Vorurtfjeit bodj mit einer feinem Nlter
eutfpvechenben gäljigleit erhalten, unb befonber§ ba§ fdjone
(Mefdjledjt mag fid£) eine t^eure ^ßufton nicht rauben taffen,
um fo ioeniger, at§ manche Steßen in unferen -£>elben=
liebem: Nibelungen, ©ubrun u. f. m., biefelbe 3 U beftft=
tigen fdheinen.
2öer fid) nun bon bem ßebett unferer Stammmütter
einen toirltidj ^utreffenben begriff madjen miß, mufj ben*
felbcn nicht au§ beit Sagen unb SHdjtungen ber Soweit
fdjüpfen; aße jene Königinnen unb ^elbinnen maren ja
urfpriinglid) nidjt atö ftcrblidje Söeiber gebadet, fonbern
ald Göttinnen, ali bon ber 5öoI!^t)antafie poetifdj ber=
Karte Vevlörperungcn geloaltiger Naturlräfte. Nach ihnen
bie Steßung ber beutfdjen grauen ju beurteilen, loärc
cbenfo ttjöridjt, at§ trollte mau Don ben berliebten 9lben=
teuerrt unb ber llngebunbentjeit griechifctjer ©öttinnen einen
Sdjluf? auf ba§ Seben ber iit ihren Qmuengemäcbern ab=
gefdjtoffen tebenbeit alten (SJriedjinnen jie^en. Sind) bie
oerbürgten (Stählungen bon ber Verehrung, toeldje eine
Nlbrune unb Veleba genofj, fönnen nicht at3 betoeiäfräftig
gelten, ba e» fiefj tjier nur um ei gellte, mie man glaubte,
mit l)öljeren Kräften begabte Söefen, unb nicht um ba4
gat! 3 e toeibliche @cfdhled)t jubelte.
Gin loeit 3 uberläfftgere§ Ntittel, bie VJaljrheit 31 t er-
fahren, bietet ba§ Stubium be§ germanifefjen Necfjteä, ba
baS ©efeij ein treuer Spiegel ber ^eit ift, bon ber e»
Digitized by Google
5>on 9Jt. 2>crfo.
175
feine ®eftalt empfing. Cbglcid) anfangs nuv burdfj mütib=
tid^e llcBerlieferung fortgepflan^t unb erft feit bem 5 . 3 aT)r=
Rimbert aufgejei^net, enthalten bie beutfdjen SöolfSredjte
unter bielem ©päteren hier unb ba SBrudiftüde aus ättefter
, 3 eit, metche, tintig 3ufammengefiellt, ein beutlidjeS $ilb
früherer guftänbc ergeben.
$on biefem ©tanbpunft Betrachtet, erfdjeint bie ger=
ntanifche Frau in einem ganj anberen Sichte. ©ie mar
ein böllig redjtlofeS, lebenslänglich unmünbigeS
Söefen, beffen ©chidfat ohne SBiberrebe in bie fmnb beS
5 Jtanne§ gelegt mar, ber nach SBiflftir barüber berfitgen
burftc, beim bei bcn alten (Germanen genop baS Familien-
oberhaupt bolle Freiheit, mit feilten ^Ungehörigen ju fdjal=
ten unb 31t malten, fie 31t 3üchtigen ober auch 3^ tobten,
mie eS ibm gepcl. Fn Familienangelegenheiten mifchtc
fidj baS ®efejj nicht, eS befdjränlte fi<h barauf, bie 33 e=
3iel)ungcn ber Faniilieithäupter untereinanber unb 3U bem
©taate 311 regeln.
Fn bienenber Untermürpgfeit unb Bei fdjmerer Arbeit
mudh§ baS junge s )Jtäbdjen heran, bis eS fid) beit fahren
näherte, in melchen baS intereffantefte ßreigitip im fDläb=
chenlcbeii, bie SJerlobnng, ein3utreten pflegt. 5 Die biel=
gepriefette unb befungene „SJtinne" hatte iebodj toenig bantit
3U thun, unb bie gan3e Angelegenheit mürbe bon einem
äufjerft praltifdjen ©tanbpitnfte aus beljanbelt. £)er Sßater
ober Sßormnnb fudfjtc einen ihm paffeitben, möglid)ft mohl*
habenben Freier auS, mit melchent er fid) 3unächft über
bie .flöhe beS SrautfaufS einigte. 2 )erfelbe, in ffiiitbern,
fpferben nttb Söaffen beftchenb, mar nicht, mie £acitnS
Digitized by Google
1 7 <> 'Sie bcutfcOcii tvvauen uor aAtjebitlmubert Sauren.
meinte, ein ©efdjenf beg SBräutigamS au bie SBraut, fon=
bern ber Kaufpreis, toelchen ber SBater bafiir befam, baB
er ben SBefi^ feiner $to<f)ter abtrat. $>a§er erhielt fidj
bie fRebenSart, „eine ^rau laufen", im fDtunbe beg SBolfeg.
tiefer SBrautfauf bilbetc ben eigentlichen SlbfcfjluB ber
Zlje, auf toelchen bann Verlobung unb Imchaeit als toei=
tere Zeremonien folgten. <§atte ber Bräutigam bie ber=
fprodjene Satyfang nicht geteiftet, fo ümr bie @he ungiltig,
unb bie baraug entfproffenen Äinber illegitim. 25a bie
germanifche Stechtgauffafiuug bie Öt)e als einen Äauf be=
trachtete, hatte ber Ääufer natürlich bon biefem gefcf)äft=
liehen ©tanbpunfte aug fein Stecht, eine Söaarc 311 be=
halten, bie er nicht befahlt hatte.
Zin SclbftberfügungSrecht beg SJtäbchenS über ihr ^eq
unb ihre .fpanb fannte jene frühe Seit nicht; für romau=
tifche ßiebeggefühle hatte fie nicht bag minbefte 35erftänb=
uiB unb rächte alle bermeinttichen leiblichen Uebergriffc
graufam. SBcnn ein füiäbchen fich ohne Suftimmung ihres
SBormunbeS felbft bertobte, fo loat bieg nicht nur ungiltig,
fonbern bie Simte berlor auch bie Freiheit. £ieB fie fiel)
bon bent fERanne ihres ^JeqenS entführen unb Tjeirat^ete
ihn, fo hatten ihre SBcrtuanbten noch nach Sahr unb Sag
bag fRecht, fie bon Zatten unb Xlinbern 3 U reiBen unb
getoaltfam in’S ZtternhauS p fchleppen, toenn fie nicht
gar bon ihren Singehörigen getöbtet mürbe.
derartige Vergehen mögen iubeffen moljl fe^r feiten
borgefommen fein. 2)ie fDtäbchen muBten, baB eg gegen
ben SBefefjl beg älaterS feine Siuflehnung gab, unb folgten
bem neuen «fterrn fo gehorfam, mie früher bem alten. Sh 1 '
Digitized by Google
3 ?on W. 2?erto.
177
Seben mürbe übrigens burtf) bie (£he feinesmegS erleichtert.
2)ie alten 2)eutfchen, toelcfje befanntlid) mit tfeibenfcbaft
auf ber 33 ärenf)aut lagen unb fpietten unb jetten, liefen
fidh barin nur bann flöten, meint e§ galt, für SSotan ben
heiligen ^rieg 31t führen, auf bie 3(agb 311 gehen ober in
ber ißerfamtnlung ber freien iüebeit 3U galten, befaßen
aber fonft eine unüberminblidje Abneigung gegen jebe 9 lrt
oon Slrbeit. 3 )ie Befolgung ber .jpauS» unb £anbmirth=
fdjaft ruhte alfo gan^ auf ben (Schultern ber grauen,
melche Pont Üiefinbe unb einigen inoaliben Greifen unter»
ftütjt mürben. 35 ic fchmerften Arbeiten, mie baS stahlen
beS ©etreibeS auf .fpanbmühlen unb baS pflügen, fiel
immer ben weiblichen Sdmilienmitgliebern 311, unb nodj
im 9 )littelalter fah man in manchen ©egenben 9 Jtägbe ben
^flug Riehen.
3 )ie Äüd)e, meldje anfangs toenig s Dtül)e Perurjad)t
batte, Verfeinerte fich affmäljlig unb nat)m mehr 2lufmerf=
famfeit in Slnfprucf). 3 U ^ cn Pflichten einer .fpauSfrau
gehörte auch bas 33 robbarfen unb 33 ierbrauen ; baS letztere
mar ein ©efdjäft boit gait3 befonberer äöidjtigfeit , unb
mürbe gemijj mit bem größten fjlei^e beforgt, ba ber 2öeg
31t bem fanden bes s DtanneS fchon bainatS bitrdh ben 9 )ta=
gen führte. Sludj baS SÖeben ber fdjönen leinenen ®e=
mänber, meldje 3 acitus ermähnt, mar natürlich 3frauen=
arbeit, unb man nahm fie nteift im äöinter öor, rnenn
bie länblichen Sefchäftigungen ruhten. 35 a jebod) bie aus
einem einzigen fRaunt beftehenben höl3emen .fpäufer, benen
Srenfter unb Schornftein fehlten, mährenb ein L'odj in ber
$)ede bem iRauch 2lb3ug gemährte, burdj baS trübe gual=
33ibUotf>et. 3abrfl. 1890. Sb. V. 12
Digitized by Google
178 2)ie beutfc&en grauen oor ac^tje^n^unbert gahren.
mcnbc geuer nur fchwadj erwärmt werben tonnten, mußten
bie fronen, um nicht bei ber Slrbeii 3U crftarren, einen
nnberen I)öd)ft feltfamen 3 uftucl)täort auffuchen. @£ Waren
bie§ grobe, auggegrabene @rbl)ߣ)Ien , toeXc^e in ihrem
unteren Siaume eine $orrath§tammer, in bem oberen,
burdj SSretter abgetheilten bagegen ein 3immer bilbeten.
Cben toar ber ganze 35 au, ber eine grobe Slehntichfeit
mit nuferen länblidjen Kartoffelmieten gehabt haben mub,
3ur beffeten äßarmhaltung mit 2)ünger bebeett, weghalb
er auch ben Manien „ 2 unf" führte. Sin biefent lieblichen
Orte brachten bie grauen ben ganzen SBintcr zu, mit
ihren SJtägben ftetö fleibig fptnnenb unb Webenb.
SM man fidt) nun etwa bie grau auch nur in biefent
tleinen Sieidfj, bag ihre Xbätigfeit untfabte, alg ©ebieterin
borftellen, fo irrt man grünblich. Sie toar nicht bie
Herrin, fonbern bie (Stlabin beg -gtaufeg unb ttmrbe toie
eine fold^e bei ntaitgelnbem ©ehorfant 001t bem SJlanne
gezüchtigt. Slnch ben bienenben SJlägben gegenüber tuar
ihre (Stellung nicht bie ber unbebingten ©ehorfam bean»
fpruchenben |)errin. (SbenfoWenig befab fie bag ung an
einer |)au£frau felbftöerftänblich erfcheinenbe Siecht, bie
SBcbürfniffe be£ täglichen Sebeng felbft einzufaufen. ©ie£
ftanb allein bem SJlanne zu, ba bie grau alg eine lebend
länglich Unmünbige nie Crigenthum erwerben unb baher
auch toeber laufen noch Verläufen tonnte. Siur im Sioth*
falle, tuenn ber fülann abtoefenb toar, geftattete ihr bag
©efetj, bie notljtoenbigften (Sinfäufe an Sebengmitteln zu
machen, fe^te jeboch bie hö<hfte Summe feft, welche fie
bafür toerauggaben burfte. SJleifieng waren eg nur Wenige
Digitized by Googl
r
2?on 3R. 33erfo. . > 179
Pfennige, über toetd^c fie berart tierfügen burfte; über=
fdjritt fie bie gezogene ©renje, fo mar ber ^anbet un=
giltig, nnb ber 5Jtann brauste bie entnommene Söaare
nicht ju besten unb fonntc noch obenbrein bett 93er=
fäufer berflagen, toeil er baS ©efe| nicht geartet unb
„au§ ber UnjjurecbnungSfäbigfeit einer Unmünbigen $or=
tbeit 3 U sieben" gefudfjt batte.
$ann man alfo nicht bon einer «iperrfc^aft ber f^rau
im .fpaufe rebeit, fo möchte man bodf) bietteicbt beratutben,
bafj fie eine befto unbeftrittenere (Mieterin im fernen beS
SJlattneS getoefen fei, beffen Zuneigung if)r ©rfafc für bie
fcblcnbc äußere ©elbftftänbigfeit geboten habe. Söenn
fdjoit bie 2ht ber eijefdtitie^ung einen 3meifel an biefer
2tunat)mc begrünbet, fo tuirb biefelbe böüig bernid^tet,
menn man bebeuft, bafj bie germanifdtje 3frau, toenn fie
mirftidj einen Sßlatj im bergen beS ©atten befafj, boeb
nie barin SWeintjerrfctjerin mar. S)ie frönen ©rjäbtungen
bon ber ©ittenreinbeit ber ©ermanen unb ihrer ftrengen
2luffaffuitg ber @b c finb 3bealgemälbe , beren trügerifd^e
färben bor bem 2icfjt ber 2öir!Iid£jfcit nicht ©ticb galten.
Sbatfädjlidj mar bie SMmeiberei eine ec^t germanifcije
©itte, unb bie ©inebe, bon meldtjer unfere bieberen 2llt=
borbern feine blaffe 2(^nung batten, mürbe erft burdb
fremben ©influfj attmäfjlig eingefüfjrt unb bont ©briften*
tt)unt befeftigt.
©S ift möglich, bafj bie füblid; mobnenben ©tämme fie
bereits ^u S^adtus* 3 e iten angenommen batten, im 9torben
2)eutfdbIanbS unb in ©fanbinabien blühte bie Sßielmeiberei
noch lange. £cr normegifdje Völlig -£jaralb .ftatfagr, ber
Digitized by Google
180 2)ie beutfdjen grauen oor adjtjefjnljunbert fahren.
im 10 . $al)itunbert lebte, Ijat ber ©age nad) grauen
unb jtoanäig Webeufrauen befeffen. 9llb er barauf nod)
um bie Äönigbtotter Wagnljilb marb, unb oon if)r bic
Slnttoort erhielt, baf; fie ben mättigften «^crrfdjer öer=
ftmäfjen mürbe, menn fie feine fciebc mit breijiig anbereu
teilen müfjte, entfc^tofe er fidj ba^u, feinen ganzen Tarent
aufjulöfen unb 9tagnl)ilb alb feine Gütige fjeimjufüljren.
Cb biefe nidjt öießeidjt fpäter, alb fie neben ber un=
geteilten Siebe beb Königs aut feinen ungeteilten 3orn
alb einziges Cpfer tragen mufjte, itjre SJermeffenljeit bereut
t)at, ift teiber nid)t gefagt.
Unter ben $eutfd)en mareit bie grauten aut längften
ber SHeltoeiberei ergeben, ba fie bei ifynen not im 8 - 3 a^r=
ljunbert unferer 3 *itretnung 5 U finben ift. ©o §attc
3 . iö. $i$un II. jtoei grauen, tro^ ber Sßorftellungen ber
^Jriefter. 3)ie Äirdje ntuBte namenttit tjoljen Herren
gegenüber oft ein ober gar beibe 5lugen jubrüefen, unb
bie größten Slnftrengungen maten, um biefen 9teft beb
.£>eibentt)umb 31 t bcrtilgen.
konnte alfo ber ©ermane, je uatbeni feine SJtittel
reidjten, fit grauen mäljlen, fo biel er mollte, fo mar
gegen bie Xie^teren felbft bab ©efefc feljr ftreng, ja gcrabeju
graufam, fiel eb tuen etma ein, fit gegen itjre ©tjefjerren
aufjuletjuen ober gar i£)nen babon 3 ulaufen. 2 )ie 2 lrt ber
©träfe, melte Jacitub beftveibt, nat meltcr grauen
bie fit in biefer ^ieljung irgenb ctmab 3 U ©tulben
fommen liefen, mit abgeftnittenem «fpaar burd) bab S)orf
gepeitftt mürben, mar bereitb eine SJlitberung beb früheren
Ü3raute$. 9lat älterem ©efetj mar eb bem SJlanne er=
Digitized by Google
Aon 9 W. Aerfo.
181
(aubt unb jogar geboten, bie Sdjulbigc fofort 31t erjagen,
nur burftc er bie Xtjat nid)t brrheiutlidjen, jonbem muhte
fic felbft bem Aidjter anfteigen.
Söenben wir un£ jebodj bon biefen büfteren Vilbern
fjinmeg, um bie germanifche unb ©attin auf ihrem
fiebenämege toeiter 3U berfolgen. Söenn biefelbe im Ve=
mufjtfein treuer Pflichterfüllung auch fein blutiges ©erid)t
3u fürchten ^atte, fo fc^toebte bcnnod) ein fdjretflidje8 Ver=
hängnifc brohenb über ihrem Raupte unb machte ihr ba$
füfecfte ©efühl be§ ftrauenhetaenä , bie Mutterliebe, ju
einer Duelle fteten ÄummerS. Selbft Sflabin, ^atte fie
ihre .ffinber nid)t fich, jonbcrn allein bem Manne geboren,
ber fortan ©ebieter über ßebeit unb £ob berfelben mar.
mar bem ©ermaneit gcftattct, feine Jtinber au^ufe^en,
3U töbten ober in bie Änedjtfchaft ju bcrfaufen, mie er
moütc. Obgleich eä im Allgemeinen für ehrenboll galt,
biete Söhne 3U haben, fo machten hoch oft Vermögend
berhättniffe ober theure Seiten einen ^amilienaumachä
unermünfdjt ; gan] befonberö mar bieS ber galt, menn ber
neue Anfömmling ein Mäbdjen mar. 2 )ie Sitte, neu=
geborene Äinber au^ufehen ober 3U töbten, mar allgemein
im ©ebrauch, unb bie norbifdjen Sagen erzählen bon beit
fiiften, melche Mütter erfanneu, um ihre Siebtinge 31t
retten. 2>ie löbtung eine« neugeborenen, noch bemujjt=
lofen SBefenS, mar nad) jenen Anfdjauungen eben fein
Verbrechen; malten hoch bie SSlänber bie Annahme be$
6hriftenthumS bon ber Vebingung abhängig, nadh mie
bor .itinber auäfctjen unb Pferbefleifdj effen 3U biirfen!
Vereitä ermachfene Äinber bagegen mürben, ebenfo mie
Digitized by Google
182 S>ie beuljdjcn grauen oov acfjtjebnbunbcrt ^sa^rou.
bie grauen felbft, in bic Änecbtfcbaft berfauft, mettn bic
s J?otf) e§ erforberte. Xic griefen 3 . 33. berfaufteu ibre
Sßeiber unb Äiuber, um ben 9tßntern ben auferlegten
Tribut au aablen. Slber auch ohne amingenbe ©rünbe
berfdjenlte ber ©ermane nidfjt feiten feine grau, um einem
9lnberen eine 6 ^re 3 U ertoeifen, ober audfj bietleicbt, um
fte mit guter Sanier loSaumerben, Wenn er ifjrer iiber=
brüfftg mar. $>ie 33efd§rän!ungen, rneicbe bie§ fRecbt burdj
bie lontbarbifcben unb fäcbfifcben ©efe|e erfuhr, aeigen,
bafj eS tljatfäcfjtidj nod^ im Mittelalter in Äraft toar.
@3 tourbe barin freien Männern nur Verboten, ibre grauen
an Unfreie 3 U berfcbenfen, unb einem beftimmten ©tanbe
unterfagt, bie grauen 3 U berlaufen.
Söie eine ©flabin mufjte alfo baS 2 öeib bem SBefeblc
beS ^»errn folgen, auf feinen Söinf Äinber unb |>eimatb
berlaffen, unb bem neuen ©ebieter Seib unb fieben meiljen.
9ted£)tto3, mie fte mar, mufjte fie audb bie graufamfte S 3 e=
banblmtg fd^meigenb erbulben.
kommen mir nun 3 U bem ©nbe ber £ragöbie. ©in
natürlicher fanfter £ob mar nur benjenigen grauen ber«
gönnt, meldfje bor ihren ©atten babingingen. 25ie Pforten
ber Untermelt fdfjfagen, mie bie ©bba fagt, bem Manne,
ber allein binburdjgeljt, ferner auf bie gerfen; ma§ mar
felbftberftänblidber, als bafj bie grau hinter ihm fd^reite,
um ben ©tofj aufaufangen? ©leid? ber inbifeben Sßittme
öeftieg bie unglüdElidje ©ermanin alfo ben ©djeiterbaufen
unb mürbe mit ber ßeicbe be§ Mannes, oft auch nodj
mit Wienern unb Stoffen, berbrannt. gm 1 . gabrbunbert
nach ©b^ifti ©eburt mar biefe ©itte mabrfcbeinlidj nidjt
Digitized by Google
i 4ar: - ■■ ~
\
93on 5)J?. 23er fo. 188
mcljr allgemein im ©ebrauclj, bajj bic fauler fie aber
nodj in toeit fpäterer 3eü auSübten, ift unS burcf) Sßrocop
be3eugt. llnbebingte ä3eret)rer beS SlltcrtljumS, toelcfje jebe
SSarbarei poetifcfj 311 Perflären fucljen, möchten biefen Oreue* e
tob als £riumplj treuer, über baS ©rab IjinauSreidjenber
©attenliebe anfel)en. 2>afj bem nidjt fo mar, beweist aber
bie SLljatfad&c, bafi bie Söitttoen ftclj überrafdbenb fcfjnetC
tröfteten, nadjbem eS burdj ben ©influfj ber Äirdje ge=
lungen toar, bem ©reuet ein ©nbe 3U machen, ©ie feierten
nidjt feiten 3ugleicf) mit bem £obtenma£)le für ben ab=
gefdjiebenen audj bie Jpod^eit mit bem neuen ©atten, too=
mit bie frommen Sßätcr aüerbingS aucf) nidjjt 3ufrieben
Waren, fonbern nun eifrig nadt) ber entgegcngefefjten ©eite
fteuerten, um bie all3ufrifdje £ebenSluft 3U bämpfen.
©eit eS ber SDÖitttüe geftattet toar, am ßeben 3U btei=
ben, mufjte natürlich aud) für iljren Unterhalt geforgt
toerben. 2)a bie Söitttoe nidjt erbfähig toar, erhielt fie
eine ©umme als Seibgebinge 3um lebenslänglichen ©e*
brauch, baS Reifet, toenn fie fid) nicht toieber öerheirathetc.
Anfänglich meift unter ber ©etoatt i^rcr manneSfeitigen
Sßertoanbten fteljenb, braute fte ihre lebten £age gewöhn*
Iidj in ber ^ormunbfdfjaft i^xer eigenen ©öljnc 3U. ©inern
friefifdf;en ©cfejje 3ufoIge fonnte fogar ein fiebenjähtiger
«ffrtabe münbig gefprodjen unb 3um 5$ormunb feiner Butter
gemalt toerben.
9JUt Anführung biefet lebten 2^atfad§e, Welche beut*
lieber als alles Anbere bie ©tellung ber germanifdjen
grauen beleuchtet, toollen toir baS entworfene ßebenSbilb
befchliefjen. SnbioibueHe 3üge fonnte baffelbe feiner Statur
Digitized by Google
184 Tie bcittjcßen grauen oor orfjt^e^nijiinbert ^snöreii.
nacß uic^t Reiften, bagegnt borf e#, gleid) jenen $ßoto=
grapsten, toelcßc au« übereinanbergclegtcn Slufnaßmen ber=
fcfjtebcner Sßerfonen berfetben 58eruf§!Ioffe befielen, Slnfprud)
barauf ergeben, eine Turcßfcßnitt#pßpfiognomie barjuftetten.
Um s J31ißberftänbniffen boraubeugen, fott noeß gejagt
fein, baß biefe 3eilcn buveßau# nidjt ben gtoeef ßaben,
bie SJereßtung unfern# Slltertßums etwa a« berntinbern.
Sclbft bet ßocßfultibirten Nationen, toic ©riechen unb
'Jtömer c# mären, fianb ba# 2öetb in ber frfißeften $eriobe
be# 93olf#leben# nießt um ein .jpaar ßößer, al3 bie @er*
ntanin, mie e# benn böllig naturgemäß ift, baß in einem
noeß burd) fein 9iccßt#bemußtfetn, fonbern allein burdj
(bemalt getragenen (Staat ber pßßfifcß feßmäeßere Tßeil
ber unterbrüdte fein muß. (*# ßanbelt ji<ß ßier alfo nur
um bie 2Biberlegung ber bullig unmotibirten Söeßauptung,
baß bie Germanin bor ißren ©efcßledjhgenoffinnen in an=
beren ßänbern einen SJorpg borausgeßabt ßabe. (£rft bie
bon Süben unb Söeften einbringenbe Kultur brachte ißr in
fpäteren 3(aßrßunberten eine Söerbeffetung iß re# £oofe#, unb
bie cßriftlidje Söeltanfdjauung ließ fie au einer SBebeutung
gelangen, toelcße ba# Söeib ber antifen Söelt nie erreießt ßat.
^Denjenigen grauen aber, melcßen biefe Scßilbcrung
biclleicßt eine liebgetoorbene 93orfteHung aerftört ßat, ntöcß*
ten mir ba# Söort aurufen, meldje# bie Tarminiatter ißren
bureß bie 2lbftammung#tßeoric in ißrent Stola gehäuften
©egnern entgegenßalten : baß cs nämlidj biel tröftlicßer unb
ßoffnuttgsboHer ift, aus ber Tiefe emporaufteigen, al§mit bem
©emußtfein einer befjeren SSergangenßeit beftänbig au ßnfen.
Digitized by Google
ÜJie mifm Ueidjskaircnfdjeine rntßetjen.
drin ßlith in öte (Rcijcimnip ber Paptergelbfabrihatton.
bon
X ßcrt^olb.
(9ladjbru(f öerboten.)
n adhbent bie (Einigung be$ beutfdjen Reiches bollettbet,
unb eine (Sinifjeitlicfyfeit ber lUtünaen f^beigeführt
morben mar, ging man auch baran, ba3 ^PapiergeXb einheit»
lief) p geftalten, unb burdf) ba§ ©efeh bom 30. 9lbril 1874
mürbe bie 9lu3gabe bon 9teidf)äfaffenf<hcinen 31 t fünf, jman*
3 ig, fünfzig unb tjunbert ^Jlarf befdjloffen.
$ie Einführung ber neuen 9teidf)3faffenfcheine mürbe
bom |>anbet unb 3ferfehr, bon ©cfd)iift3= unb 5f$ribat=
leuten mit großer ftreube begrübt; machte fie bod) ben
unangenehmen ^uftänben ein Enbe, meldhe burdf) bie Slus*
ga6e beä berfdfjiebenartigften $ßai)iergelbeg in S)eutf<hlanb
entftanben maren, unb mit ©djredfen erinnert ficfy mancher
föcfcf)äft§mann T^cute notf) an bie fogenannten „milben
2f)alerfcf)eine", ein elenbeS 5Jkpiergelb ber Heineren beutfdjeu
©taaten, ©dfjeine, melcfje bor 9llter gana fdhtoara gemorbeu
maren, bei ber geringften Berührung auseinanberriffen unb
3 umeift mit ben gummitten ©treifen bon 33riefmarfentän=
bern mühfarn mieber aufammengeflebt morben maren.
Digitized by Google
186 Sic untere föeidjgfaffenfdteiite entfielen.
Söoren aud) bie erften tReidjgfaffenfcfjeine nidjt liinft*
lerifdj fo fd>ön auggefiiljrt, »ie matt eg ^äite toünfcfjen
foEen, fo tourbe bodj barin halb Söanbel gefdEjaffen, unb
im Saufe bet fünfaeljn ^alfre, in benen bte 9iei<f)gfaffen=
febeine befielen, ^at bereu Stugfeben mehrfache Setftn»
berungen erlitten.
S)ie .fperfteEung ber tfleicbgfaffenfcbeine ftrtbet in ber
ffteidfjgbrucferei in SSertin ftatt. 2Der Stritt aut 9ieid^g=
bruderei, ingbefonbere au ber Slbtbeilung, in ber bag
IReid^gpapiergeXb angefertigt toirb, ift nidjt leidet au er=
langen; ber Serfaffer berbantt benfelben ber petfönlicben
Siebengmürbigteit beg ©taatgfelretärg beg Dteidjgpoftamtg,
ßerrn Dr. b. ©tepban, auf beffen ©etjeifs ftcb bie ber*
fdtlloffenen Pforten ber SteidjgbrucEerei öffneten, um eine
Sefidjtigung ber Sßapiergetbanfertigung au geftatten.
S)ie Üieid^gbrucferei ift ein riefeitbafteg ßtabtijfement,
toelcbeg faft fiebenljunbert Arbeiter befdjäftigt. 6g »erben
bort nidjt nur 9teic^g!affenfd§eine angefertigt, fonbem auch
fämmtlid^e ^oftroertbaeidljen, 2tftien unb ©taatgpapiere,
Soupong, ßotterieloofe, 3eid§nungen für 5}ktentfcbriften
unb bie geheimen litbograpbifeben unb atntograpbifdjen
geidjnungen für ben beutfdjen ©eneralftab. Slujjerbent
aber bat fidj bie 9teid^gbruderei unter ber SDirettion
beg ©taatgfefretärg au einem Äunftinftitut erften fJtangeg
entmicfelt, toelcbeg für «gterfteEung bon Silbern nach ben
ueuften unb beften Verfahren für ^teliograbüre, ilupferftidj,
©tafjlftidj u. f. m. SefteEungen aug bem ganaen Reiche
unb audj aug bem 2luglanbe beftünbig au erlebigen bat.
35ag -fpauptgebäube, bag in ber £5ranienftra|e in Setlin
Digitized by Google
Von ?(. Vertbolb.
187
liegt, ift ftetS ftreng berfdfjloffen. Äeiu Unbefugter barf
nur auf ben fpauSflur, uitb bie ^a^treid^en Arbeiter unb
Arbeiterinnen, bie in ber ÜteidjSbrucferei befdjäftigt finb,
biirfen Wäljrenb ber Arbeitszeit baS (Sebäube nidfjt ber»
taffen. @S ift für fie eine eigene ßüdje borljanbcn, auS
ber fie baS Vtittageffen beziehen !önnen, unb erft nadj
ArbeitSfdfjlufj Werben fie unter Äontrolmafjregeln auS
bem $aufe IjerauSgelaffen; ©injelne tberben aucf> bor bern
SSertaffen beS Kaufes, fobalb bieS notljwenbig erfdljeint,
burdjfudfjt.
2)ie Äontrole, Welche bei ber ^erfteHung beS Rapier»
gelbeS felbft geübt Wirb, ift eine berljältnifjmäfjig feljr ein=
faetje. @S Wirb jebern Vorarbeiter ober Auffeljer in jebem
©aale eine beftimmte Anzahl bon Vogen bei Vanfnoten=
papierS augeadljlt,' unb AbenbS ntüffen genau ebenfobiet
Vogen, entweber Bebrutft als (Selb ober als Vtafulatur,
b. 1). aerriffen, befdjäbigt ober berunglüät, abgeliefert
werben.
Vetradjten toir zunädjft p a § Rapier. 3)iefeS Wirb
nidfjt in ber AeicfjSbrudetei IjergefteEt, fonbern in pribaten
Vapierfabrifen , bon benen fidfj bie bebeutenbfte in 6berS=
walbe in ber Aälje bon Verlin Befinbet. 3^atürlid^ flehen
biefe 5papierfabrifen unter Aufftd^t ber AcicijSbruderei,
unb iljre Vefitjer finb bafür berantwortlicfj, bafj audlj nidjt
ein Ofejjen beS 5ßapiereS unbefugterweife auS ber Sabril
gel)t. 2)ie Vopt^maf^inc, in ber baS Vanlnotenpapier
Ijergeftellt Wirb, ift boÜftänbig unter Verfdfjlufj. UeberaH,
Wo ein Sortrüdten in ber Vtafdfjine, eine Umbre^ung u. f. W.
ftattfinbet, finb gäljlwerle aufgefteKt, fo bafi auf bas
Digitized by Google
188 SMc uuiere iHeicfiSfaijenfcficine entfielen.
©enauefte bie Zfiätigfeit ber s JJiafdC)ine zu fontroliren unb
feftzuftellen ift, tote biel Rapier biefelbc geliefert fiat.
2>a3 Rapier wirb in jogenannten '«Holten ofine (£nbe
in bie IReicfiäbrucfetei geliefert, !ommt bort unter Setfdfilufs
an unb toirb in fiefonberen 'Häumlicfifeiten in Stüdfe ge=
fcfinitten, wie fie für ben Sebarf notfiwenbig ftnb. 3n
ber Mitte beä Sapierg (bon oben nadfi unten gefienb)
beftnbet ficfi eine ungefäfir fianbfireite Sorte bon foge=-
nannter Sflanzenfafer, bie nacfi einem gefieim gcfialtenen
Serfafiren barauf nngebradfit wirb unb bazu bienen fott,
bie 9ladfiafimung besf Sanfnotenpapierä z u berfiinbern.
S)er ßefcr fanu mit einer 'Jläfinabel biefe Qrafern bon
jebem einzelnen '«Heicfisfaffenfcfiein, inäbefonbere bon ben
■£>unbertmarffdfieinen loälöfen unb ficfi überzeugen, bajj er
e8 niefit mit einer blofjen ^eidfinung zu tfiun fiat, Wie
mandfie ßeute meinen. ü!a ber Stridfi burdfi bie Mitte
be§ Sogens gefit, fo befiitbet ficfi biefe Safer, menn man
ben ßaffenfdfiein mit ber Sifiaufcitc nacfi oben legt, batb
an ber reefiten, batb an ber linfen (Me, ba z- S. bei
Imnbertmarffcfieinen immer hier auf einen Sogen fontmen
unb ztbei bon ifinen immer mit ber linfen, 3 tpei mit ber
reefiten Seite nadfi ber Mitte beä Sogenü z u tiefen.
Ueber |>öfe unb fteinernc Xreppen gefien mir empor
Zur SDrudferei für ^paptcrgelb. 2)cr Saftor, ber unä füfirt,
flopft an eine eiferne Xfiiir unb nennt feinen Flamen,
worauf geöffnet toirb, unb mir in einem mäefitigen Saale
ftefien, in bem augenblicfüdfi Imnbertmarffdfieine gebrueft
werben. Söir fefien Xransmiffionen, weldfie bie grofjen
Äupferbrudfmafdfiinen treiben, ficfi unabläffig fierauf unb
Digitized by Google
3}on '?(. ®ertl)oIt>.
189
herunter betoegeu imb luerbeu jjuerft an eine eigenthüm*
liehe s J)tühlc gefüllt, tocldje bic {färbe für ben 2)ru<f ber
Jpunbertmarffd)einc ^erftettt.
SBelauntlich ift beten 5)rutf blau, e« mufj alfo Ijiet
blaue {färbe aufjcrorbentlich fein oerrieben toerben, unb
jtoar gefchiel)t bieä mit einer (Sorgfalt, toeldje un3 6r=
ftaunen unb Söetounbcrung abnötfjigt. 2)ic {färbe toirb
nämlich burcl) s )Jtarmortoaljen 3 errieben, unb jtoar geht
fte juerft troefen butd) bie SÖaljen fjtnburc^ unb toirb
üoltftänbig ju 5ßulöer ^erbröcfelt. S)ann toirb fie nach
einem Verfahren, baä nicht mitget^eilt toerben barf, mit
Cel unb anberen Seftanbtheilen oerfe^t unb geht bann
nod) fedj§= ober fiebenmal burd? bie immer enger geteilten
Söal^en, big aud) nicht ein Hörnchen untergebenen {farb=
ftoffeä mehr übrig ift.
28ir treten nun an einen ber Äupferbruder hetan, bie
an ben 9fiefenntafdhinen — jebe an unb für fich ein Äunft=
toerf — arbeiten. S)iefe Äupferbrudmafchinen haben mit
3)antpf geheilte Söal^en unb fmb ber Üriumph ber neuen
iöudhbruifertechnit ober öielntehr ber 9Jtafcf)inenfabrifation
für ba£ S8ud)brurfereigetoerbe. Söir fehen ben Slrbeiter
eine tupferne, mit einer Stahlhaut Oerfehene glatte auf
einen (Sifenfaften legen, ber intoenbig mit (Sag geheilt ift,
fo bafj bie glatte fid) rafdh ertoärnit. 2)iefc glatte jjeigt
toiermal bie Schaufeite, b. h- bie 53orberfeite eineg -gmnbert-
ntarffdjeing. @h e bic glatte ertoärmt, betupft ber
Arbeiter fie mit grofjer (Befchirflid)teit mit 23aumtoollcu=
bäufdjdjcn, bie in bie blaue {färbe getaucht, aber ganj ber=
fchieben ftarf baniit geträntt ftnb. S)ie tiefften Stellen
Digitized by Google
190
äßic lmjere 'Jietd)§fa}tenjd)eine entfielen.
ber glatte mfiffen natürlich mefjr fjarbe aufnefjmen, afg
bie erhabenen, unb eg gehört grofje UeBung unb grofje
Ö5efd£)icftid^feit baau, um biefeg gärbcn bcr glatten mög=
licfjft rafdj unb genau augaufüpren. 3>nbejj toirb biefe
Slnforberung an jeben $upferbruder gefteEt, nur rnufj
fiter Beim £)ruden beg ©elbeg ntxf) grofje Sorgfalt Beim
©infegen ber glatten in bie Stafdjine Bertoenbet toerben,
bamit, toeitn bie Sebrudwtg bes Sogeng auf ber anberen
Seite erfolgt, bie 9iüd= unb Sdjaufeite cineg jeben 4>unbcrt=
marffdjeineg gana genau aufeinanber paffen.
2Bir fefjett, mie bie jept aicmlid) erpipte ^Uatte in bie
Stafdpine gebraut toirb; ein Sogen beg unbebrudteit
jpfianaenfaferpapierg mirb fobann auf eine Sorrüptung
gefegt, unb ein <£)cbel in Setoegung gefept, toelcper bie
ürangntiffion auf bie SöeEe fepiebt. fiangfam fepiebt fiep
'Jiab um 9tab, ©plinber um ßplinber uor, bag brudfeuepte
Rapier, bag über bie mit 2)antpf geraten Söafaen gept,
fäfjt einen leisten 9iaucp augftrömen, bann faßt auf ber
anberen Seite ber Siafcpine naep Serlauf Bon ungefähr
anbertpalb Stinuten ber auf einer Seite Bebrudte Sogen
mit Bier Sorberfeiten Bon -fpunbertmarfftpeinen peraug
unb toanbert fofort aur nöcpften Äupferbrudntaftpine, too
ein anberer SfrBeiter mit einer glatte brudt, toefepe bic
3tüdfeiten ber ^unbertmarffepeine barfteEt.
%\t ^erfteEung ber glatten ift natürlich für ben S)rud
beg Sßapiergelbeg bie .ftauptfaepe ; aber fefbft bie SetoiEi*
gung beg Staatgfefretärg aur Sefitptigung ber ©ruderei
Berfcpafft ung nidjt Eintritt in bag 2lEerpcifigfic beg
Grtabliffementg , in bem biefe glatten pergefteEt toerben.
Digitized by Google
Statt' 31. Skrtljolb.
191
Snnertjatb beä ©ebäubeä ift eine Slrt Heiner geftung g e=
fdjaffen, 3immer, beren SDeden, §ufcböben unb SBänbe
bon aufjen mit SßeHbledj betteibet ftitb, unb 311 benen
man erft burdj fo imb fo biel eiferoe Stjüren gelangt.
Smtertjalb biefeä feftungäartigen S 3 aue§ arbeiten bie ©ra=
beute unb (Sifeteure, toetdje bie glatten fielen unb au=
redjtmadjen. Start fielen bie funftbotfen ©uinodjirntafdjinen,
toetdje auf ntec^anifd^ent SSege bie eigenttjümlidjen ber»
fdjtungenen Linien, .bie beu Untergrunb ber ©djeine bilben,
ttadj genau borgefdjtiebenent unb bodj unnadjaljmlidjem
Mufter auf bie glatten grabiren. S 5 iefe§ Step bon inein»
anber gefdjtungenen fiinien, bie fogenanute „©uiöodje",
ift ein ^jaupttjinbernifj für bie Stadjatjmung ber ©cbeine.
Sn jenem Stttertjeiligften fifcen audj bie Zünftler, toetdje
neue ßnttoürfe für Söertttoapiere, Stanfnoten, Sßofttoerttj*
3eidjen u. f. to. madjen; ferner bie Slrbeiter, toetdje bie
©atbanoS bon ben glatten Ijerftelten unb bie ©taijlplatten
felbft abjuftiren. Abtritt in biefe Stäume aber bat nur
ber ©taatäfetretär, ber £)berpoftbireftor, ber at§ d^ef ber
Oteidjäbruderei fungirt, unb biejenigen Arbeiter, toetdje
bort bienftlidj 3U tfjun fabelt.
Stodj tetjren mir 3urüd 3U bem Stagen mit ben hier
$unbertmarffdjeinen bebrudt, ber un§ in bie $attb gegeben
toirb, unb ben toir mit einem getoiffen ©efütjt ber Stdjtung
betrauten. S)er fjfaftor erflärt unä aber tadjenb, bafj ba§,
toaä toir ba in ber <£>anb galten 1 , nodj lange fein ©elb
fei, fonbern bafj biefe bebrudten Stapierftüde nodj eine
Menge bon Manipulationen fidf; gefallen taffen mfiffen,
6i§ fie au bie föeidjäbant abgeliefert toerben fönuen, unb
Digitized by Google
192 2Bie imfete JfteicbSfaffenfcfietne entfielen.
fetbft bann finb fic nodj nidjt als ©elb betrauten,
aud) nadjbem burd) befonbere 9iumerirmafdjinen bie lau=
fenbe Kummer auf ben ©djein gebrudt ift. ©rft Wenn
her eigentljüwlidtjc rottje ©tempet, ben bie 9?eidjSbant ben
Äaffenfdjeinen aufprägt, ftdlj auf beui Rapiere befinbei,
ift ber ©djein au ©elb geworben unb f)at bann ben Söertt)
im 3fn= unb 2lu8lanbe, ben feine ^Xuffdjrift angibt.
2>ie mit |mnbertmar!fdjeinen bebrudten Sogen, bie
aus ber Sßreffe fommen, finb natürlich, trofcbem fie über
getjeiate Söatjen gingen, nod) feudjt unb müffen einige
Sage trodnen. SJir werben iefct nod) eine Xreppe Ijöljer
auf ben Soben beS Kaufes, geführt, Wo aus eifernen
Srägern, (SifenweEbledj unb ©taS eine 2lrt feuer= unb
biebeSfidjeren ^abiEonS ^ergeftellt ift, ber ben 31rodenraum
für baS $Papiergelb barfteEt. 2ßir bebauera aufrichtig,
bafj eS nicht jebem ber ßefer möglid) ift, biefen intereffanten
9taum einmal au beftdjtigen. 3wei eiferne Spüren fjinter=
einanber müffen wir paffireit, bebor Wir Ijineingelangen.
©elbft nadjbem ber §aftor feinen Flamen genannt f)at,
mufj er nod) eine 2trt fiofung geben, unb bann erft öffnet
einer ber beiben Eöädjter, bie 2ag unb 9tad)t in biefent
9taume fid) auffyalten, bie Stjür unb läjjt uns eintreten.
3)er l)ol)e, pabiEonartige Otaurn jeigt an ben SBänben
unb oon ber SDedc Ijerabljängenb eine grojje Slnaaljl öon
auS |)otaftangen aufammengefetjteu Stammen, Welche wie=
herum Srätjte tragen, über welche bie feudjten Sogen beS
5papiergelbeS gelängt werben. 2>a feljen wir bie eine
äöanb bebedt mit bieten |>unbertcn ^ on ißogen, bie in
grünem, braunem unb rotfjem 3)rud 3?ünfaig=, uwanaig*
Digitized by Googl
5>on 91. Sertholb. 193
unb Jünfmartfdjcine tragen, ©ine anbcrc 2Öanb unb faft
bei* gan<je 9iaum oben an bei* S)erfe ift bedangt mit Sogen
3 u je hier .fpunbertmartfeheinen, unb bag ©an^e macht ben
©inbrutf cineg riefenhaften, aber tjödfjft originellen 2Bäfdje=
trodfenplatieg , nur bafj anftatt bei* äöäfdje $iei jutünf-
tigeg fßapiergelb im äöerthe bon SRiltionen bängt.
Söir toerben burdj eine anbere eiferne Xbür aug bent
Suocfenraum hetauggelaffen unb fonunen, toieber burch
eine ©ifenthiir, an eine befonberc Slrbeitgftelte, an ber eg
berhältnifjmäfjig fehl' ruhig <jugct)t. SDort fit}t ein Seamter
hinter einem 5£ifd)e unb Übermacht bas 3crfchneiben ber
bebrueften unb aug bem Xrodenraum tommenben Sogen
in bie einzelnen Jtaffcnfcbeine. Sacbbem, je nach ben
SJitterunggberhältniffen , bie Sogen ^toei big hier £age
unb Sachte in bem Strecfenraume getoefen finb, tommen
fie in biefeg 3immer unb toerben nun burd) eine fteine
Sefcbneibcntafcbine mit .fpanbbetrieb in hier big fedjg
^erlegt, je naebbem auf ihnen ^>unbertmart= ober anbere
(Scheine gebruett finb. 3)er einzelne Schein aber muff fo
foigfältig befchnitten toerben, mufj fo genau, big auf einen
halben Stittimeter, lang unb breit fein, bafj bag Se=
fchneiben nidht burdj eine Siafcbiite, fonbern mit ber «£>anb
gefaben mufj.
Söir fehen Sudjbinber mit bem alten Jpanbbobel, ber
in gefdhiefter |janb noch am allerfidjerfien arbeitet, tnani*
putiren; toir fehen, toie eine Stetallplatte, genau bon ber
©röfje eine» .fpunbertmarffcbeineg , auf einen Stoff biefer
Scheine gelegt toirb, toorauf man bag ©anje in bie treffe
bringt unb mit bem «fpanbhobet befdhneibet.
iöibliotljct. 3o^8- 1890. SBb. V. 23
Digitized by Google
194 9Sie unfere 91 eicfyäf affen) feilte entfielen.
3 fit einer 6 cfe be§ großen 9lrbeit3faale3 aber fe|en toir
einen eigenartigen Staunt, bcr mit SJra^tgittern bom 33oben
bi 3 pr £ede botlfiänbig abgefdjloffen ift. $n biefem
Staunte fifjen bie Debitoren bc3 befdjnittenen unb jjuredjt*
gemachten ^apiergetbcs, toeldjc jebc§ Stiid auf ba3 Sorg*
fältigfte unterfingen, ob eä auch genau in (Srßfje unb
2)tud ber S3orfc|rift entfpridjt, ob nidjt an irgenb einer
Stelle ein fjebter beim 25rad, in ber Farbengebung ober
in ben Konturen entftanben ift. Silit großer ©efdficftidj*
feit unb ber Scfjnelligleit , toeldje bie Uebung berleit)t,
lefen biefe Stebiforen bie mangelhaften Stüde au3, toeldje
oft fo Heine ffch^ h n & en » man biefetben nur mit
ber £upe benterfen famt. S)ie brauchbaren (Mbfdjeinc
toej:ben fofort 31 t je $unbert aufamntengepadt unb mit
Streifen jufamtnengebunben ; bie auSgemer^ten Stüde toer=
ben ebenfalls* pfantmengepadt unb abgeliefert, um in
getoiffen gtoifdjenräumeu in einem befonberi fonftruirten
Verbrennungsofen bernidjtet p toerben.
S)iefe Stebiforen be3 fßapiergelbeS finb pmeift Äupfer*
fted^er , ©rabcure unb Gifeleure, bie fcfjon lange Sahre
im 2>ienfte ber SteidjSbruderei fteljcn. Sie finb getrö^nlid)
nidjt mehr jung genug, um mit abfolut ficherer -£janb bei
ber «SperfteHung ber SJietallplatten für ben 5)rud mit*
ptoirfen, unb finben hi* r Vertoenbung, too ihr geübter
Vlid bon großer Vebeutung ift.
3fn einem anberen Stautne toirb nun baS Vudjett ber
Scheine borgenommen. Vermittelft einer Vudjbruderpreffe,
bereu 3 iffern ftd) beftänbig bei ihrer Untbrehung bon
felbft einftetlen, toerben bie Sdjeine mit ben Serienbudj*
Digitized by Google
3>on 91. 33ertf)o(b.
10 - r >
ftaBen unb ben fortlaufenben Hummern bergen unb bann
in ein 33udj eingetragen.
9iadjbem bie (Scheine abermals getrocfnet unb gejäljlt
finb, merben fie micber p je «gmnbert mit Sßapierftreifen
pfammcngepadft ; ^unbert folc^er Sßadete fümmen immer
in eine Befonbere Äifte, unb gelangen fo nadj ber 9teid£)S=
Ban!, mo — mie Bereits ermähnt — burdj 9lufbrüdfung
beS rotten, fleinen 9hmbftempelS, ben man inSbefonbere
auf ben «hunbertntarlfdjeinen feBr beutlidE) fie^t, ber Waffen*
fd^cin 31 t mirflidjern ©elbe mirb unb Bon mo auS er in
ben Serfetjr IjinauSgetjt, ber feiner nicht entbehren fann.
3ft par nadj bem 9teidjSgefe| , melcfjeS bie ©olb=
mäf)Tung borfcbreibt, 9tiemanb berpflidjtet, Bei größeren
Salbungen ^affenfc^einc p neunten, fonbern Berechtigt,
©otb p berlangeit, fo mürbe bodj unfer ganzes ©efd£)äftS=
leben unb aller |>anbel unb Sßanbel Bebeutenb leiben,
menn mir nicht bie 9hid£)Sfaffenfcheine Ratten, meldje cS
ermöglichen, grobe ©ummen mit £eid£)tigfeit p berfdjidfeu
unb Bei fid) p tragen, mäljrenb man fonft, felBft menn
biefe ©ummen in ©olb borljanben mären, grojjer 5tranS=
portmittel bap Bebürftc.
SDrr grüße Jiiöinimluieg unter poutinc.
Äkljje
non
(firorg (35rorgi.
(9}ad)brud ber&oten.)
“TNie $nbianer fJtorbamerifa’ä finb ein Tjinf^lpinbcnber
Solfsftamm, unb bas @nbc be3 20. Sa'fjrfywbertä
roirb nicht mehr niete öon ihnen am lieben finben. S)ic
bietumftrittene grage über ihre Äulturfütjigfeit ift bamit
gegenftanbätos getoorben. äöic nie! ©chutb baran bie
meifjen Eroberer tragen, bah bie Ureinmotjner 9torbameri=
fa’8 bie Äuttur, öon ber fie meift nur ©cfjledjteä fahen,
nicht annehmen molttcn, fott ^icr nicht erörtert toerbeu.
S)aB bie $nbianer aber geiftig feineämegä unbegabt finb,
tjaben manche bebcutenbe Männer, bie fie hcröorgebradht
haben, betoiefen, öon benen Pontiac unb £e!umfeh auch
bett Europäern bem Flamen nach befannt finb. 33on biefen
SSciben ift e§ ber ßrftere unb ber burch ihn erregte $rieg
gegen bie @ngtänber, ber uu§ in ber fotgenben ©ft^e
befchäftigen fott.
3iöifchen ^ranfrcich unb ßnglanb mar 1763 ber Triebe
gefchtoffen morbeu, metchcr atteö franjöfifdhe 23efitjthum in
^torbamerifa in britifdje .fränbe gab, fotoeit es> öfttid) öom
Digitized by Google
Vtou Georg Georgi.
197
93tiffiffippi gelegen War, wäljrenb bie Kolonien Weftlich
babon an Spanien abgetreten ronrben. Gin ungeheurer
tfanbbefib, jum größten 2l)eil noch mit Urtoalb beftanben
unb ohne bebeutcnbere Slnfiebelungen europäifcher Gin=
wanbcrer im Innern, fiel bamit Gnglanb 3 U, unb fofort
würben aud) alle 5 ortg Pon Ganaba big nach bem Ch™
mit britifdjen Gruppen befeijt.
Grofj war bie eitg(ifdf;e VMitärmadjt bantalg in 9torb=
amerifa nidjt, unb bie 23efatjungen in all’ ben flcinen
$ortg auf ber «öunbcrtc Pon teilen langen ©renje am
VJliffiffippi betrugen 3 ufammen faitm mehr alg fedjShunbert
*Dtann. Vlber ba eg feine fraujöfifdjen Solbaten in Ganaba
mehr 3 U befämpfen gab, permeinten bie Gnglänber 3 ur
^Behauptung iljreg ungeheuren Gebieteg in Vtorbamerifa
mit ber Win 3 igen Sruppenmacht aug 3 ureidjen. S)ie wilbeit
Snbianerhorbeit Peradjteten fic, unb ihre Meinung war,
bafj fic mit biefen fcinbfeligen Vladjbarn auf anbere 2Beifc
alg burdj SöaffengeWalt halb fertig werben würben.
So fdjrieb 3 . SB. Sir Seffrep Slmherft, ber engtifdje
Cberfommanbant, gleich nach bem {fricbengfchlufj an ben
Cberft Souquet, ber in einem ber neubefchtcn Sortö be=
fertigte : „könnte mau eg nicht möglich machen, bie 39lat=
tern unter bie un 3 ufriebenen Snbianerftämme 3 U bringen?
Söir müffen bei Gelegenheit jebe in unferer fötadjt ftehenbe
Äriegglift aufbieten, um ihre Vl^ahl 3 u öerminbern."
SBorauf ber Cberft antwortete: ,,3d) Will berfuchen,
bag SBIatterngift in einige Wollene 5)ecfen 31 t Perpflan 3 en,
bie ihnen bann in bie .fpänbe fallen füllen, mich aber babei
in Vicht nehmen, bah ich mir nidjt felbft bie Äranffjeit
Dlgitized
198 ®er große ^nbianerfrieg unter Pontiac.
hole. S)a eS aber fdfjabe märe, gute ßeute fotzen ©e*
fahren auSzufeijen, fo münfdjte id), mir fönnten unS beS
fpanifdjen Verfahrens bebienen, fie mit englifdjen 2>oggen
tobtäu^e^en."
Vergleichen aus ©nglanb ju befc^affen, fdjien beut
©eneral zu umftänblich. $!aber fdjrieb er feinem ©berft
zurüd: „93erfud}en ©ie eS nur, bie SSnbtaner burcfj tooÜenc
Seden anzufteden, mie überhaupt jcbcS Mittel an^utoenbenift,
meldjeS bie Ausrottung biefer abfdjeulidjen Aaffe beförbert."
3ur ©enugthuung biefer beiben ©djurfen, bie eine
©d)anbe ber englifdjcn Nation uttb beS AfonfdjcngefchTcdjtS
überhaupt fittb, braten bann audj mirflidj bie SStattern
unter ben SRottföäuten am ©hioflub aus, unb fie ftarben
taufenbmeife bavatt.
Sie Snbianer fannten bie ©eftnnungett ber ©nglänber
gegen fie fehr mohl unb ertoicberten fte burdf einen un=
auSlöfchlidjen <£>ab. Ratten fie mit ben franzöftfdjen
Eroberern burdj bie freuttblidjerc 33ef)anblung, tnetc^e
ihnen biefelben im Allgemeinen bezeigten, auf einem Per=
bättnibmäbig guten 3?ub geftanben, fo niemals mit ben
(Snglänbern, bon melden fie nicht anberS als mie milbe
$cfiien bebanbelt mürben. Aber bei ihrer 3erfplitterung
in zahlreiche unb gegenfeitig fid) befchbenbe ©tämme !am
cS zu feinem groben Unternehmen gegen ihren meibeit
Sobfeinb, ber fiih mohlmeiSlich in feinen bemachten $ortS
»mb in ber Aäije feiner bedungen hielt. Aur gährte bei-
nah in allen ©tämmert ienfeitS bcS Atiffiffippi, unb einig
maren Alle in bem SBunfdje nad) blutiger Aadje an ihren
Unterbrüdern.
Digitized by Google
3?on (Seorg ©eorgi. 199
^tit allem inbiattifc^en ©tolj toar ben ßnglänbern,
alö btefe ba§ ffart Detroit am (Sriefee befehlen, ber Haupt»
ling bcr CttatoaS, bic bort mit ben Perbünbeten ©täm=
men ber CbfdjibtoaS unb 5J3ottatoattamie§ iljre alten 3agb=
grünbe Ratten, entgegengetreten, um fein Otedjt gegen fic
3U behaupten, Pontiac toar ein fraftPolter SJtaun öoit
fünfzig Satiren, au§ altem $äuptling§gefcljledjt, 1)oä) im
3lnfe^en bei ben ©einen, ein gefeierter Säger unb $rieg§=
hetb, ber ©falpe genug als Xriumphijeidjen trug, that=
fräftig, jum Söefe^len geboren, berebtfam babei unb fdjlau,
unternehmungStuftig unb flug berectjnenb in feinen ^anb=
lungen. dr hatte bent ^Jlajor StogerS, toeldjer ftort
S)etroit beferen füllte, eine ©djaar Häuptlinge unb Krieger
entgegengefd^itf t , bie ihn am Gljogageflufj trafen unb im
Flamen ^ontiac’S ihm Perboten, toeiter Porautücfen, ei)c
er nic^t mit biefem großen Häuptling fich Perftänbigt
habe. S3alb barauf traf Pontiac in Pollern ©chmucf feinet
9tange3, einen ©djur-} Pon Gebern um ben ßeib, ein
SüffetfeH um bie ©djuttern, am ganzen Körper tättotoirt,
ben SOßurffpeer in ber 9iedjten, bei 9togerS ein unb
richtete bie Sratje an ihn, toaS er im ßanbc ber DttatoaS
toolle. 35er SJtajor toar ein ruhiger unb Perftänbiger
'iJtann, theilte bein 3hibianert)äuptling feinen Auftrag
mit, unb baji bie ftranjofen nicht mehr in Setroit bleiben
toürben. @r toolle mit ben föothhäuten ringsum in ^rieben
leben.
Pontiac hörte fchtoeigenb ju; bann gab er jur &nt=
toort, bafj auch er Trieben mit ben (ümglänbern toolle,
infofent fie ihm bic fdjulbigc 9ld)titng ertoiefcu. darauf
Digitized by Google
200 3)er grobe Sinbianerfrieg unter Pontiac.
mürbe bic griebenSpfeife geraubt, unb Pontiac lief} 9togerS
ungehinbert nach 35etroit sieben.
2>er Cttamahäuptling unb fein aahlreidjeS 33otf fee*
trachteten nichtsbeftomeniger bie ©ngtänber als ©inbring*
linge, unb ber gricben, ben er mit 5)tajor SJiogerS ein*
ging, mar nur beftimmt, feinen <£jafj gegen bie gremben
3 U Verbergen. ©r mottte fie unb ihre 2)tacbt erft näher
fennen lernen, ehe er ben großen ©chlag führte, über ben
er brütete unb momit ber ganzen «fpexrrfdhaft ber ©nglänber
im ^nbianerlanbe auf einmal ein ©nbe bereitet merben
fotCte. ©eine fdjeinbare greunbfdhaft foUte nur ba<ju bienen,
um befto fixerer unb forgfältiger ben 5ptan bor^ubereiten,
einen groben 2lufftanb alter Sfnbianerftämme längs beS
s JJtiffiffippi unb ba, mo bie britifdje gähne gefehen mürbe,
ju bemirfen. 9Jtit bem aubergemöhnlidjen ©eift, ber biefem
Snbianer eigen mar, arbeitete er in alter «fpeimlichleit
baran, feine 33ollSgenoffen bis in bie fernen ©ebiete beS
©übenS unb äöeftenS in SSegeifterung für eine gemeinfamc
£hot ber ©xhebung ju fefcen. ©r hotte hohen ©hrgeia;
er bai^te, menn ihm fein 9Bcr! gelungen, als $reiS bafür
ein grobes inbianifd^eS Königreich in s Jlorbamerifa für
fich unb fein ©efdjtecht aufäuridjten unb bamit ber ©efahr
einer Unterjochung ber iitbianifdhen 'Jtaffe burdh bie ©ng=
tänber bauernb au begegnen.
grütjer mar Pontiac ein greunb ber granjofen ge=
mefen, hotte ihnen grobe SJienfte geleiftet, unb mährenb
ihres ÄriegeS mit ben ©ngtänbern auf ihrer ©eite ge=
fochten. 2>er 3JtarquiS ö. '•Dtontcalm, meldjer franaöfifdjer
Cbergeneral in ©anaba gemefen mar, hotte ihn auch beS*
Digitized by Google
t
93 oii Weorg Weoigi.
201
halb mit befonberer Sluäaeichnung Mjanbett. So gehörte
cä benn 311 feinem ^lan, bie fran^öfifc^c .fperrfdjaft in
danaba mieber auf3uridjten unb fie bort gan3 mtb gar
momöglid) an Stelle ber ettglifdjen 3U fetjen. 2 )en ihm
glaubmürbigen Sügett ber franßöfifcT^en Säger unb 2öalb=
läufer lieh er ein mittiges C^r ; barnad) mürben bie 3rran=
3ofen neue ^eere aufftetten unb mit ben «Rothäuten 3U=
fammen ben großen .Krieg gegen (Sngtanbä SJladjt in
StorbameriJa unternehmen.
3uerft berief er feine Cttamaä 3U einer Söerathung
unb theilte ihnen feine Sßlane mit. Seine flammenbe S 3 e=
rebtfamJeit erfüllte fie mit 23 cgeifterung für ben Qtoiheit^
unb SiacheJrieg gegen bie (Snglänber. 2)ann berfammelte
er alte benachbarten Stämme auf einem Sßtap im Söalbc
unb erzählte ihnen ba einen üEraum, in bem ber Wrofjc
Weift ihm erfdjtenen fei, um ihn 3unt Kampf gegen bic
dnglänber auf3uforbem. (Sr enbete feine, bie Snbtaner
mächtig erregenben SJlittheitungen mit ben Söorten:
„ 2 öe§holb, fo fpradj ber Wrojjc Weift 3U mir, bulbet
ihr, bah biefe «fpunbe in rothen Siöden in euer ßanb
Jommen, baä ich euch nnb euern Kinbern gefdjentt habe?
Saßt fie hi n °u 3 / bemühtet fie ! Unb menn ihr bei biefent
Kampfe in Wefahr gerathen fotttet, fo mitt ich euch helfen!"
Unbefdjreiblich mar ber (Sinbrud feiner Siebe. 2>et
Siame ^ontiac mürbe bon alten Snbianern, mcl«he ber
$erfammlung beigemohnt h Q tten, mit SSemunbcrung mic
ber eineä großen Slationathelben genannt. Sitte fdjmoren,
ihn alö ihren Rührer an3uerJennen im befdjloffenen Kampf,
unb feierlid; gingen fte ba3u ein JBttnbnifj ein, bem bei*
Digitized by Google
202
35er luope ^tnbiaiterfrieg unter Pontiac.
jutreten alle Sfnbianerbölfer mefttoärtg beg
aufgeforbert Uterben foEten. 25er SBampun mürbe bott
^ontiac bertfjeilt; bag ift ein SJhifdjelgfirtel, meldjer,
menn fdjmara unb rotf), Iriegerifdje, menn toeifj, fftiebeng*
Botfdjaft Bei ben Sfobianern Bebeutet. dr bertljeilte Ujtt
mitfammt bent rotljgefledten 2ornal)amf an biete SBoten,
bie fdjneEfüfjig mit biefern ©prnBol beg Kriege? burdj bie
Söalbmitbnifj p ben Sägern unb Dörfern ber i^nbianet
eilten. UeBeraU, mo fte erfdjienen, empfingen fie bic
Slelteften beg ©tammeg unb gärten 5ßontiac’g i8ot)d}aft
an. 35er 3lBgefanbte fd^leuberte bann ben ;£ornat)aml pr
drbe unb fdjmang in feiner <£>anb ben Äriegggürtet, Bi»
ifjn ber frembe Häuptling an fidj natjm, bie 9lrt auffjob
unb bantit feine 25ljeilnaf)me am Ärieggpg ertlärte. Sin
einem Beftimmten Sage, am 3. ^uni 1763, foEten alle
-Erieger auf einmal togBredjen, Big baljin fid) borfidjtig
unb in einjelnen SlBtljeüungen in ber 5Rälje ber englifdjen
©arnifonen famnteln, um fie p überfallen. SHefe grofje
23erfdjmörung ging Uom ^uroncnfee Big nad) 9torb!arotina
unb ÖJeorgia hinunter unb fefjte mel)r alg ljunberttaufenb
9iotf)l)äute p bem Befdjtoffcnen UeBerfaE in SBemegung.
2)ie berfcfjiebenen ©ren^fortg ber dngtanber, ein 25ufjcitb
ctma bon danaba Big jum £5l)io Ijin, mürben nun bon
inbianifdjem 3)ol! meljr unb meljr umfdjrnärmt, üBeraE
fdjeinBar in frieblidjer SlBfxdjt, um .fpanbet p IreiBen,
ober mie auf ^agbjügeu fRaft Ijaltenb, unb ben nidjtg
5ööfeg afjnenben dngtänbern fiel iijre Slnmefenljeit in ber
'Jtälje ber 5lnfiebelung aud) nidjt meiter auf.
91 m fcftgefejjten 35ag fanb ber UeBerfaE ©eiteng ber
Digitized by Google
3Jon ©eorfl (Scorßi.
203
^nbianer ftatt, unb neun britifcfje gort§ fielen ihnen fo=
gleich in bie ^önbe. Sfteljr at§ atoan^igtaufenb SBeijjc
würben auS ihren Stieberlaffungen betrieben unb mufetcn
flüchten, um iljreä 2eben§ fidler 31 t fein. Ungeheure S3er=
Wüftungen Würben unter ben ©renjanfiebetungen in fßenn=
fplbanien, $irginieu unb SieW^orl angerid)tet, bie Käufer
unb ©ctreibefelber niebergebrannt unb 9tHe§ aerftört, was
möglich war. 2 >er inbianifc^e .|pafj bereitete fich natürlich
auch feine blutigen unb graufamen $efte.
SJteift mit Sift bemächtigten fidj bie äöilben ber be=
feftigten !fßlä^e. (Sine Slbtljeilung bon ihnen liefe fid),
einen Xaufhhanbel mit $ela ober gelten anbietenb, bie
Xhore öffnen unb überfiel bann bie f leine Söefafeung, um
fie nieberaumefeeln, ober gefangen mit fi<h ju fdjleppcu.
©0 lam f^ort ©anbuSfp in ihre ©ewalt. (Sein $omman=
bant SPault) würbe bi§ in’ä Säger 3 U ^ontiac bei Xetroit
gefdjleppt unb ba au feiner Schaube ben Söeibern aur
SJtifehanblung übergeben. (Sine alte Stibianerin hatte ben
(Sinfatt, ihn au ihrem fötann nehmen au Wollen. 32ßenn
er nicht am $fal)l ben fyeuertob erleiben Wollte, ntufetc
er fich ih^em Sßillen fügen. Stun würbe er aum ^nbianer
umgeftaltet, ihm baS^aar bi3 auf einen Süfchel abgcfchoren,
bie $aut bemalt, unb er in ben $tufe getaucht, um ihm
fein Weifeeä S3lut au§ ben Slbern au Wafchen. derartig
inbianifirt, behanbelte man ihn mit ber Sichtung, wie fie
einem .ffrieger be§ ©tamme§ 3 ulommt. Slier äöodjen
fpäter nahm er jeboch 9teifeau3 unb obwohl Perfotgt, ge=
lang e§ ihm bodj, fich hiuter bie fßaliffaben bon Detroit
au retten, baä bie (Sngläuber noch behaupteten.
Digitized by Google
204 $er arope ^nbianerlriea unter Pontiac.
Qfort Stidjitimadinac mürbe Pon ben Ifdjippemähä unb
©acS genommen, ©ie führten 311m ©djem ein großes
SaUfpiel Por bem f^ort auf unb nach getoohnter Strt
unter großem Särmen unb milbem @efd;rei. Spiele 6in=
mohner ber Slnfiebelung fasert biefem ©pielc 3U, auch ber
Sefe^tS^aber, ÜJlajor Gctherington. Sftx ber Hiße beS ©pielS
mußten bie 9 tothßäute cS 3U bemirlen, baß ber eine Sali
über bie ^aliffaben gemorfen mürbe, morauf fie Sille in
baS offene $ort brangen unb plößlicfj bie SftaSte abmarfen.
3nt 9 ht fielen bie Söadjen unter ihren ©fatpmeffern.
Detroit allein, obmoljl eS fid) Sontiac fclbft 3Uin 3 iet
genommen, entging folgern ©chidfat unb 3mar, meit eine
Sfnbianerin ben 5 ßlan Porter an ben ßommanbanten Per=
ratzen Ijatte, unb biefer alfo auf feiner Hut mar unb
auch nach Hilfe gefd^ieft hatte. 2 )ie Sefaßung beftanb
auS 120 ©olbaten, moju nodj etma bierjig als ©djüßen
bienenbe Trapper tarnen. $mei fleine ©dßooner im $hiß
unb einige Saftionen ßatten 3ubent Kanonen. Pontiac
mar außer fi<h, als ißm ber Ueberfalt PoIIftänbig miß=
lang unb feine ©djaaren bei ihrem Slnrüden Pon ben
Soften unb (Sefdjiißen übet 3urüdgemiefen mürben. @r
mußte 31t regelrechter Selageruug beS ^auptpIaßeS ber
(fngtänber fid) entfcßließen, unb mit feinen taufenb $n=
bianern entmidelte er hierbei eine fo große SluSbauer,
•3äf)igfcit unb (Sefchidlicfjfeit, baß er fid) bamit ebenfalls
als ein überlegener (Seift unter ben ©einigen fenn3eidjnete.
Sergeblich jeboef) maren alle feine Slnfcßläge, baS $ort 3ttr
Uebergabe 31t 3mingen. ^n ber höcßften Oioth erhielt eS Hilfe
Pont Hauptquartier, unbSoittiacmar gegtuungen, ab3U3iehen.
Digitized by Google
2>on ©corg (beorgi.
205
Wißglücftc baburdj fdjoti ba* botlftänbige ©elingcn
feine* planes, fo geriet!) ber anbcrmärt* erreichte (Srfolg
ber $nbianer halb mieber in (befahr, al* jener fdjoti er=
mäljntc Cberft 33ouquet, ein frieg*erfahrcner unb energifdjer
Sdjmeiacr in ßnglanb* Solbe, mit frifdjen Gruppen gegen
bic ^nbianer in Ctjio marfdjirte nnb ihnen fd^neft Blutige
btieberlagen beibrad^te. $aburdj mürben fie entmutigt,
’jügen ftd) in bic Sßälbcr prticE nnb fielen bon ber Sadje
$ontiac ; * ab, obgleid) berfelbe noch immer ben Ärieg
fortfeßen mollte. @r hatte ftd) nadj Sillinoi* jttrütfgejogen
unb glaubte, baß bic franaöfifeben .f)ilf*truppen enblid)
cintreffen mürben, (hft al* ißm franflöfifcljer (Seit* tlar
gemacht mar, baß er fid) tljöridjten ©inbilbungen Ijm*
gegeben, unb bie ^ran^ofen ein= für allemal auf (£robe=
rungen in 9torbamerifa bcrjjidjtet Ratten, fah er ein, baß
er fein ehrgeizige* Unternehmen nicht mehr burdjführen
tönne. 3m (Sommer 1764 mürbe SSouquet mieber .£>err
be* ganzen (bebietc* am Chm »mb forberte bie großen
Stämme ber bort h all f en ^ en Seneca*, 2)elamaren unb
Sdhamanefen auf, einen $rieben*bertrag mit ihm zu
fdjließen.
,,3fd) gebe euch," ließ er fie am 17. Cftober mißen,
„zmölf Hage bon h^wte, mäfjrenb melier $cit ifj* a ^e
meißen (befangenen, bie fich in euren Rauben befinben
mögen, ßnglänber unb ftranzofen, SBeiber unb Einher,
ju SBafatamafe an ntid) auSjuliefern h^Bt, mögen biefe
nun in euren Stämmen aboptirt unb berheirathet fein
ober nicht, ober unter irgenb meldjern ^ormanbe unb
Flamen bei euch leben, unb ebenfalls alle 'Heger. 3lud)
Digitized by Google
206 Ser grofic Snbianerfrieg unter Pontiac.
ntüfjt ihr folc^e befangenen mit Kleibern unb £ebeit*=
mittein berfehen unb mit ^fetben, um jte nach ffort $itt
3 U bringen. Söemt iljr atleä bie§ su meiner 3 ufriebeit*
beit erfüllt tjabt, bann füllt i^r biß Sebingungen erfahren,
unter meldjen euch ber Triebe gemährt merben mirb, um
ben ihr bittet."
Sie Snbianer befdhloffen barauf, ihren ffrieben mit
ben Dtothröcfen 31 t madhen unb ttjaten gehorfam, mic
Bouquet ihnen befohlen. 9tm 9. Sobember lieferten fie
im engliidjen Säger alle SBeifjen ab, bie fich im Oljto 3
gebiet befanben.
mären 206 ^erfonen, baruuter 125 grauen unb
.ftinber. Stevfmürbige (Einzelheiten tarnen bei biefer 9lus=
lieferung bor. Siele ber ©efangeneit, feit fahren bei ben
iKothhäuten 3 urütf gehalten, maren fo fehr an bercn Um=
gang unb an ba§ Seben mit ihnen gemöhnt, baf? fie fid)
nur mit Stühe bemegen liefen, fich bon ihnen 3 U trennen.
3mci Stäbchen, s Jtamen§ 9thoba Sotyb unb (Hifabeth ©tube=
betfer, entflohen auch fbäter micber 3 U ben ^nbianern.
(Fine (Jnglänberin, bic mit einer fRothhaut berheirathet
mar, bcrftcrfte fich mit ihren Imlbblutfinbcrn, bi§ bie
Srubbe« Souquet’3 mieber ba& Sanb berlaffen hatten.
9tnbererfeit§ gab e§ natürlich auch rüljrcnbe ©eenen
be§ Söieberfehen^ 3 mifd)en Staun unb ffrau, Eltern unb
Äinbetn, rnelche in ber friegerifchen 3 e *t unb burdj bie
lteberfälle ber gortä getrennt morben maren. Einern ber
uirginifchen greimiHigen in Souquet’ä .fpeere maren fein
äöeib unb ein jmei $ahre alteä ßinb fed^ä Stonate aubor
oon einer inbiauifdjen ©treifparthie geraubt morben. äSelche
Digitized by Google
9}on Georg Georgi.
207
ifreubc erfüllte beit Solbateit, als ei* feilte $rau mit einem
brei SJionate alten Säugling in feine Sinne fdjliefjen
tonnte! Gr führte fie nach bent 3ett, mo er SBeibe mit
paffenbeit Kleibern berfah. 2öo aber mar fein älteres
$inb ? 2)ie Sftutter muffte teine anbere SluSfunft barüber
3 U geben, als baff baffelbe gleich nach ihrer Gefangen=
nähme bon ihr getrennt morben. Gütige £age fpäter marb
ein $inb gebracht, bon bem man bermuthete, baff eS baS
bertorene fei. S)ie SJlutter mürbe geholt, lonnte aber
anfänglich ntd^t mit Sicherheit baS $inb al§ baS ihrige
erlernten. 9llS eS enblich hoch gefdjah, festen bie kleine
gar nicht entlädt babon au fein unb meinte bitterlich.
$ie Gemüth§ftintntunq ber Snbianer geigte fidj bei
biefer Gelegenheit bon einer gana anbereit Seite, als man
nach ben bielen Gefdjichten, bie man gemöljnlich bon ihrem
SBlutburft unb ihrer Graufamteit erzählt, glauben follte.
SJlit Uebcrminbung gaben fte ihre Gefangenen Ijer, bie
ihnen lieb gemorben maren, empfahlen fie mit betoegten
Söorten unb Geberben ber Sorgfalt beS britifdjen Dffi=
aierS, unb bergoffen Spänen beim Slbfdjieb bon ihnen.
SÖährenb fie noch englifchen Lager mareit, gaben fie
ihnen Lebensrnittel unb Gefdjcnle. SDantit begnügten fie
fich noch nicht, foitbern biete bon ihnen baten SBouquet,
als bie dngtänber ab^ogen, fie bis Qfort ^itt begleiten
unb burdj Sagen mit frifetjent SBitbbret berfct)en au bürfen.
Gin junger fDiingofrieger ging fo meit in biefer 9tnhäng=
lidjleit, baff er beS englifchen Cberften befonbereS Snter=
effe gemann. dr nannte eine junge SSirginierin unter ben
auSgetieferten Gefangenen fein SDßeib unb bat inftänbigft,
Digitized by Google
208 Ter groj*e ^itbiaiierfrtca unter Routine.
fie in ihre .jpeintatlj begleiten ltnb mit ihr unter beit 33leid)-
gefidjtem leben 311 biirfcn. Dtan fuchtc ihn babon ab,ju=
bringen, inbem man it)u auf bic ftefahr aufmerffam madjte,
unter denjenigen ^tnfcnt^nlt nehmen 311 rnollen, meldjcn
öon feinen Sanböleuten fo mancher tljeure 9lnbcrmanbte
getöbtet morben unb bei benen bic Erbitterung gegen bie
• Sfnbiancr in ben 9lnfiebe(ungcn uod) ungeheuer fein mürbe,
©leidjbiel, er folgte ber beliebten.
die -frälftc biefer (befangenen maren beutfdjen Sötutö,
mie aud) bie bon SBouguct befehligten fütilijen jum großen
X^eit aus beutfehen 9lnfiebtcrn beftanben unb bie in ben
$ort§ früljer gelegenen unb überfallenen Söefatjungen bem
beutfdjcn ©ölbnerregiment „fRopal Slmerican" angehört
hotten. Scbcr, ber nun unter ben 9lu§gelieferten einen
Ü>ermanbten, eine ftomilienjugehörige fuchen toollte, begab
fich in’S englifchc Öagev. Eine beutfdic grau au§ Cft=
pennfblbanien tarn auch baljin, fo erzählen bic gefdjicht=
liehen 9Jtitthcilungcn über bic beutfehen Einmanberer in
9iorbamerifa in bem bon 9lnton @tfhoff 1884 tje*auS=
gegebenen Söerf „ 3 in ber neuen |)cimath", um biedeicht
ihre Üodjter ba 3 U finben, toeldjc neun ^aljre jubor bon
ben fRothhäuten in bie Sßätber entführt morben mar.
©ic fah mehrere s Dtäbdjen, melchc in bem Sitter maren,
in bem jetjt ihre Xochter ftehen muffte, unb glaubte eines
als biefelbc 3 U erfennen. 9lber baS fütcibchen erfannte
feine fDtutter nidjt in ihr. die fyrou jammerte barüber.
da fam man auf ben Einfad, fie ju fragen, ob fie nicht
nach beutfeher ddütter Söeife ihrem $inbc döiegenlieber
einft borgefungen höbe, bon benen eines ober baS anbere
Digitized by Google
$ou ©eorg ©eorgt.
200
bemfeI6en bocf) mohl in Erinnerung geblieBett fein mochte.
2)a Begann fie p fingen:
„Mein uitb hoch nicht ganj afleine
$in ich in meiner ©infamfeit,
2)enn wenn ich gan^ »erlaffen fcfjeirte,
Vertreibt mir 3efu§ felbft bie 3eit.
3d) bin bei ihm unb unb er bei mir,
So fommt’§ mir gar nidjt einfam für."
fütäbchen horchte aufmerffam auf. 25ie fjfrau fuhr
in iffrern ©efang, halB hoffenb fchon, mit fjeftig llopfenbem
-freien fort:
„Ser müßte bann nicht recht erfennen,
$>aB ich ftetS in ©efeflfdjaft bin?
Unb miß bie Seit mich einfam nennen,
So ttju’ fte e§ nur immerhin.
©’nug, baB bei mir, roenn ich aflein,
©ott unb »iel taufenb ©ngel fein."
Unb toahrüch, ber ßauBer Be§ Söiegentiebeä Betoährte
ftcf). 2)a§ füläbchen ftimmte untoittfürlich in bie testen
33erfe ein:
„@’nug, baB bei mir, menn ich aßein,
©ott unb »iet taufenb ©ngel fein."
35ie Stod^ter fannte ihre fUtutter toieber unb fiel unter
Sthränen an beren SBruft. —
2luch $ontiac, oBtoohl er im fßorben noch mächtig
toar mit ben treu p ihm hattenben Männern, entfdhloB
fidh nun pm Trieben, unb pg ftcfj bann mit feinen 2öei=
Bern unb Äinbern tief in bie Söälber Bon StEinoiS prütf.
3Rit Ingrimm hatte er ba§ 3öerE, ba§ fein hochfliegenber
©ibliothet. 3a&rfl. 1890. ®b. V.
Digitized by Google
210 Der grobe ^ubianerfrieg unter Pontiac.
©eift f$on im Aufbau gemäljnt, fdbneß miebet in £rünt=
mer fallen feljen. 5lBer er gab nodj nidjt ^lHe§ üerloren.
$)er -ftafi gegen bie ©nglänber lebte in ben ^nbianern
fort unb e§ gefdfjal) genug Unrecht ©eitenS ber ©roherer,
um bie ©lutl) unter ber Slfdje anaufadjen. ©djon 1767
Begann eS unter ben $otfjl)äuten mieber au gölten, Bon
ben ©een an Bis aurn ^otomac. 9ln Pontiac in feiner
SÖilbnifj famen bie geheimen S3otcn toieber ; bie 33erfudjung,
ttodj einmal ben Äanipf aufauneljmen, mürbe mächtig in
ifjm. ©r oerliefc feinen Söigtoam, unb man fa§ il>n im
3lpril 1769 in 6t. SouiS, mo nodj alte franaöfifdje 3?reunbe
Bon il)m lebten.
5Die ©nglänber iebocf) Beobachteten ihn, ber ihnen als
ber gefätjrlidjfte f^einb Befannt mar. ©ie mi|trauten ihm
mit gutem ©ruttbe. Söenn er ntc^t mehr ba toar, fo
ocrlor bie gähreitbe ^nbianermelt ihre Hoffnung, mar er
Befeitigt, fo gab eS feinen Häuptling, ber, gleich ihm, aße
Krieger ber Oiot^äute im ßßeften beS 2)tiffiffippi einigen
unb Begeiftern fonnte.
9tadj ©a^ofia, nahe Bei 6t. SouiS, Begab er fiel) bann
au einer bort Berufenen SnbianerBeratfjung. 2Jtan marnte
ihn, fich burd) ben Söalb aßein borthin au Begeben, ©r
tfjat eS bennodj. SIBer er fe^rte nicht mieber auriicf.
©inige SEage fpäter fanb man feine ßeidje im SBalbe;
mit einem 5Eornahamf mar er Bon einem gebungenen
$ßinoiSinbianer IjinterrüdS etfchlagen morben, unb biefer
abtrünnige ©tamm rühmte fidh fogar ber SE^at eines ber
©einigen, ber ben 9Jteuctjetmorb um eine SEonne 33rannt=
meinS Born englifdfjen §änbter ßöißiamfon Berübt ^atte.
Digitized by Google
9leJ)nlid)feiten.
211
$)ie franaöfifcben Sreunbe in ©t. Souig liefen bie Seid^c
5ßontiac’g ^olen unb begruben ifjn unter friegerifdjen ®^ren
nabe bem $ort ©t. Souig. (Sin toilber 9tadberuf ging
bon feinem ®rabe aug bureb bie ^nbianertoelt gegen bic
SBerrätber, unb greuelbolle Äämbfe begannen aufg ^eue.
©o tourbe bon ben Sfnbianern ber 9Jtorb djreg großen,
gefeierten JpauptlingS blutig gevädjt, unb ein ^abr^ebnt
fpäter mar aud) gefebeben, mag er mit feinem glübenbeu
^nbianerbatriotigmug gesollt : (Sngtanb’g Dberberrfdbaft
in 9torbamerifa marb niebergemorfen , freilich nicht bureb
Sfnbianer, audb nicht bureb Qfranaofen, fonbern bureb bie
9torbamerifaner felbft.
3lc()nlid)lttüen.
firimtnaltfltrebß £ t n b i £
uo n
X ßlaufmtamt.
(92a$brud berboten.)
^Nbgleicb eg ftreng genommen in Söirtüdjfeit nicht amei
^enftben gibt, bic einanber boEftänbig gleiten, fo
gibt cg boeb leiber genug 5lel)nlicb!eiten, burdb meldbe s -l?er=
meebfelungen berbeigefiibrt merbett, unb biefe bilbeten febott
bor ülaufenben bon fahren nicht nur ben ©egenftanb bon
2beatcrftüden, fonbern audb bon ÄriminalfdUen. 9tocb
Digitized by Google
212
9Ief)n(icf)feiten.
feilte fielen auf bem f r iminaXtftif c^cn ©ebiete bie Ber-
toechfelungen infolge bon 9lef)nlidhfeit eine aufjerorbentliche
Wolle, unb feit 2aufenben bon 3fatjren ift eigentlich auf
biefem ©ebiete eine Beränberung ober Berbefferung, toetcfje
bringenb nothtoenbig toäre, nicht ju bezeichnen getoefen.
©rftaunliche 2lehnlic£)feit ift befanntlidj manchmal bei
gtoillingSgefchtoiftern borhanben; biefelbe geht fo toeit,
baff oft bie Btutter, toenn bie groillingSgefdhtoifter gleichen
©efdjtedhtS finb, gelungen ift, in ber erften 3eit $u bem
Hilfsmittel <ju greifen, bie Äinber burdj berfdjiebenfarbige
Bänbcfjen, toetche um bie Slrme gebunben toerben, bon
einanber <ju unterfcfjeiben. ©pater bann, toenn baS ©eficijt
beftimmte formen annimmt, bleibt tooljt bie Wehnlidjfeit,
allein man toirb hoch genug Unterfc^iebe finben, fobalb
man bie ©efchtoifter nebeneinanber ftellt. Sin bem Weben-
einanberftellen ähnlicher Berfonen aber liegt ber Sßrüfftein
ber ©acfie, unb in ben meiften Stötten toürbe fein Wtenfdj
bon Berftanb eine 5ßetfonalbettoecf)felung begehen, toenn et
bie beiben ßeute, toetdje einanber ähnlich fef)en, zugleich bor
fich hätte, um fie in Bepg auf Haltung, ©ang, ©efidhtS-
unb Äörperbilbung, ©röffe u. f. to. bergteidfjen $u fönnen.
3)a aber in ben meiften hatten baS Webeneinanberftellen
beiber ähnlichen ^erfonen unmöglich ift, entftefjt bie Unmaffe
bon gänzlich tfjöridjten Behauptungen über Stehnlidjfeit,
toefche in ber ^riminalgefdjicfjte feit Sfafjrtaufenben herum-
fpufen unb fo biel Unheil bereits angerichtet haben. Hntt-
berte bon Wtenfbfjen finb ju ferneren ©trafen, oft jum $obe
berurtheilt toorben, toeil irgenb ein getoidjtiger geuge *>e-
hauptete, ber 5lngef tagte fehe burdjauS bem Berbrecher
Digitized by Google
$on 'X 0 . fttaufrnann. 21 P»
ähnlich. UBaren foldje $älle nodj toieber gut au inanen,
b. Ij. bev mirflidje Jf)äter ju ftnbett, fo mu|te man ge=
tabeju erftaunen, mie ber $euge ba 3 U gefommett mar, eine
2 let)nlichfeit jhrifdjcn bem SSefdjulbigten unb bem mirf=
tid^en Verbrecher l^etauSjufinben, nnb getoöfjnHd) fanb fidf)
bann, bafj bie angebliche 9leljnlichfeit auf gan 3 unglaitb=
lic§en Äleinigfeitcn beruhte. @8 ift baljer jebem gemiegten
Äriminaliften belatmt, bafj biejenigen geugett, bie eine
Slehnlidjfeit feftftellen füllen, bie altcrunficherften unb un=
3 iiberläffigften finb, fall 8 fte nicht eine befonbere 33eob=
achtung§gabe unb großen ©charffinn, Gilbung, 2 öelt=
erfahrung unb phpfiognomifcheä Jatent befifjen.
ßitt Sfrrthunt traurigfter 2 lrt in biefer Sqiehung
ereignete fidj im Saljrc 1855 in Verliit. 2)ort mar ein
gemiffer fßuttlip befchulbigt, einen fötorb au einer allein=
ftehenben ^rauensperfoit begangen 311 haben. S)ie <Sr=
morbete mar nach borheriger dürbroffelung aufgehängt
morben. 35er ©eiler hatte fich gemelbet, ber beu ©trief
fabri^irt hatte, unb bie Verfäuferin au§ bem £aben biefe 8
©eilerä behauptete mit aller Veftimmtljeit, in bem ihr
borgefteilten angellagten Vuttlitj ben fDtann roieber^u*
erfennen, ber in bem Sabett gcrabe au jenem Jage biefen
©trief gefauft hatte. Jrohbeni ber Slngeftagte fortmährenb
erltärte, e§ fei unmöglich, bafj fie ihn gefeljen habe, meil
er nie in bem ßaben gemefen fei, beljarrte fie bei ihrer
Sluifage, unb biefelbe mar hier in bem fjfalte, mo e3 fidj
um eine unltare ©adje hanbelte, fo gemidjtig, bafj fie ben
Slusfchlag für bie Vcrurtheilung be§ fputtlih gab. S)er=
fetbe mürbe im 3al)re 1856 hingerichtet, ftarb ruhig unb
Digitized by Google
214
gefaxt mit ber Erftärung, bah er mifc^utbig fei, unb in
ber üHjat befannte mehrere ^apre fpäter ber mirflidje
körbet auf bem Sterbebette feine ©djulb, unb bah 5|3utt=
lip unfdjulbig Eingerichtet morben fei. ^ene 3 eugin, bie
mit fo aufjerorbentlicher 28eftimmtf)eit ben tputtliij als
ben Mann miebererfentien moltte, ber ben ©trief getauft,
hatte fich alfo grünblich geirrt unb ben Unfchulbigeu auf
bem ©emiffen.
Leiber inufj gefagt merbeit, baf} gcrabe grauen am
allerleichtfertigften mit ben ^Behauptungen bon 9lcljnlid)feit
felbft in ben michtigften $riminalfällen finb; eine Ent=
fcfjntbigung hierfür liegt moljt barin, bah eS nicht Sache
beS meiblichen EharafterS ift, befonberS fcharf 311 urteilen,
fonbent bag bie 3 ?rau i^ver ganzen Anlage nach mehr
nach Smpulfen als nach ruhiger Ueberleguug hanbelt.
S)er oben ermähnte $riminalfaK ift nur einer bon <f?un=
berten ähnlicher, unb getoijj hat ieber fiefer unb jebe
Seferin irgeitb einen bapin gehörigen in ber Erinnerung.
3 rrtf)ümer, bie aus ?leljntichfeiten herborgehen, höben
fiel) übrigens nicht allein auf friminaliftifchem ©ebicle
ereignet; bie ©efdjidjte belehrt unS, bah fehmere Äriege,
in beneit ^unberttaufenbe bon Menfdjen ihr fieben ber=
loren, entftanbeu, meil ^rätenbenten auftraten, toelche
burd) ih*e 2 lehnli«hleit mit berftorbenett ober berfcholleneit
Regenten Anhänger ermarben, unb gemöhnlidj maren biefe
Slehnlidjfeiten fo gtofj unb fo beftedjenb, bah felbft bor=
fichtige Seute fich täufdjen liehen. ES braucht in biefer
SSejiehung nur erinnert toerben an ben falfchen SBalbe*
mar, ber im Mittelalter in ber Marf SBranbenburg auf«
Digitized by Google
3Jon $1. 0. Älaufmmnit.
215
taudjte unb bort eine 9Xeitge 2lnljänger gewann, fo baf}
ba§ fionb bent ^Bürgerkriege unb fdjmeren SBerfyeerungen
burdt) bie pomntcr’fdjcn -&er^5ge öerfiel. @3 mag ferner
erinnert merbeit an ben falfcfjen S)emetrius, an ben Snjron»
prätenbenten ^ttgntfdjem, metdjer fidf) burd) feine 9leljn=
licljteit mit bcm ermorbeten ©emalfl ber Äaiferin fta=
tljarina II., 3ar Bieter III., öerleitett tiefj, fidtj für biefen
fetBft au^ugebcn, unb fo ben fotoffalen 5pugatfdEjem’fdjen
Slufftanb in s Jiuf}tanb, am ©nbc be§ hörigen $at)rf)unbert3,
erzeugte, burd; metcben meljr als ^unberttaufenb 9Jtenfc^en
ifjr Seben öertoren.
2Iber felbft bie neuefte 3eit bietet un§ Ijiftorifcf) in»
tereffante fjätle öon Sleljnlidjleiten, unb gänaXid^ unauf=
getlärt ift noch bie -fperfunft be§ Spanbauer Ht)rmadt)er3
9taunborff, metdjer befautttlid) a(§ ^rätenbent auf ben
franjöfifdjen itönigsttjron aufgetreteu ift, inbem er fid;
für beit Sotjn £ubmig 6 XVI. au§gab. 55ie 9letjnlicfjfeit
be§ jefjt öerftorbeuen Utjrmad;er§ -Jtaunborff mit £ub=
mig XVI. mar in ber £Ijat eine fo aufjerorbenttidje, nidjt
nur in S3epg auf ba» ©efid;t, fonbern aud; auf ben
Körperbau, Haltung, ©eftifutationen unb anbere $ingc,
baft felbft ein 9)tann mie 3iute§ J^bre, ber bctaunte fram
3 Öfifdje ^olitifer, fo überzeugt öon ber Otedjtmä&igfcit ber
Wnfprüdje 9taunborffä mar, bafj er iljnt al§ Slnmalt in
ben ^ro^effen biente, bie biefer gegen bie fran<jöfifdf)e 9te»
gierung unb $rone angcftrengt fjattc. —
3n friminatiftifdjen Greifen glaubte man, bafj mit ber
©infül^rung ber ^otograptjie in bie $riminaliftif ficfj bie
SJertoedfjfelungen öerminbern mürben, inbejj audj ba§ Ijat
Digitized by Google
216
9tef licfjf eilen.
fid) als irrtfjümlidj ertoiefen. 9Jtit einer fdjliefjtidj faunt
p Begreifeitben ©idjerfjeit fiteren aus if cn borgelegten
Fotografien 3wtgen £eute frauS, bie irrten 2lef tidj *
feit mit bem SerBredjer p fben fdjeinen, toetdje Bei
fpclteren Sergteidjen audj nidfjt bie ©pur einer 3tef lief
feit auftoeifen, ltnb fo ift man benn in ben tnobernen
friminatiftifdfj en Greifen fefjr ffeptifdj gegenüber bott 9fe=
fognoSairungen, Bei benen eS fid) um Steflidjfeit f nbelt,
menit ber 3euge ober bie 3eugin nidjt auSbriidtidj an=
geben fann, burdj toeldjeS Befonbere Stcvfmat biefe 9tef *
lidjfeit frborgerufen toerbe. 2 >afj audj baburdj bter
nodj nidjt gän^tid^ auSgefdjloffen toerben, ift fetBftber=
ftänbtidj.
liefet llmftanb aber ft Bei ben Hauptfriminat= unb
^ofijeibeprben ©uropa’S bie ©infüf mtg bon |nt?3Büd)em
frborgerufen, toetdje mit p bem CrigineUften gefreit,
toaS eS au friminaliftifd)eu Hilfsmitteln gibt. Sür ben
genauen Seobad)ter eines Stcnfcfn, BefonberS für ben
friminatiftifdjen, burd) jahrelange Hebung gefaulten Se=
obadjter ergeben fid) faft Bei jeher ei^eltten ^Serfon be=
fonbere Äenn^eidjen, toetdje anberen Leuten niefjt immer
auf faden, unb eS gibt faunt eilten bon einem tüchtigen
Äriminaliften ausgefertigten ©tedbrief, in bem nidfjt „be=
fonbere ^ennaeidfn" angegeben toerben. 5)tau ft batjev
grofjc Südjer angelegt, toetdje mit ganj eigentfmlidjen
2tBtf ilungSnamen überfdfieben finb. äöir lefen ba 3 . S.
Oiegifterüberfdjriften toie: Gingen, StatternarBen, Ringer,
©taf , ©efcf)tüüre, ©ang, Hänfen, Sitten, Steden, SDiateft,
Seine, Haube, 5Perrüde, Rippen, 3af tilden, äöunbnarbeu,
Digitized by Google
5$on ?(. 0 . fllaubmann.
217
©(fielen, ©dfjnuBfer u. f. m., furj, eS gibt faurn ein auf=
fälliges fDterfmal, baS irgenb ein fDtenfdj an fidf) ^aben
tonnte, baS nid)t als ilJcgifterüBerfdBrift in biefen HitfS»
Büchern beqeidjnet märe, ©enau nacl) ber @igentT)ümlibf)=
feit, bie jeher SBerbvedjer, ber fdfjon einmal mit ber $ri=
minalpol^ei in Äonflift fam, Befijjt, ift fein fftante mit
ber genauen SefdjreiBung biefer ©igentf)ümlidf)feit in baS
33ncf) eingetragen, [feljlt iüm 3 . 23. ein ©lieb an einem
Ringer, fo ftnbet man feine $erfonal 6 efdjrei 6 ung unter
ber fRegifterüBerfdjrift „Ringer", unb biefeS friminaliftijcfje
Hilfsmittel fjat aufcerorbentlicl) biel bap Beigetragen, um
SßerBredjer rafdf) ju entbeefen, bann aBer audlj, um bie
föefognoS-jirung 3 U erleichtern. Wandlern beugen ift e§
mic ©djuüüett boit ben 21 ugen gefallen, toenn er gefragt
tourbe, oB beim nicht bie 5ßerfott, bie er gefeljen Ijatte unb
bie er refognoS 3 iren follte, biefeS ober jenes fÖler^eicheu
an ftch T^oBe. ©emöfinlicf) fällt eS bann bem 3eii0en ein,
bisher gar nicht barait gebacht 31 t IjaBen, obgleich i$nt
biefeS geidtjen bodj, memt audfj nur auf einen SlugenBlicf,
aufgefallen fei.
Hüten aber möge ftch jeber eljrlidfje fDtenfcfj, meldljer
in bie £age fomint, burch feine geugenauSfage baS ©djicf=
fal eines anberen fJJienfdjen 3 U entfdjeiben unb mistigen
Stuffdfjlufj in einer friminaliftifdjen ©aclje 3 u geben, aucij
nur im ©eringften ungenau 31 t fein ober baS, maS er
glaubt ober bcrmutljet, als eine ^atfadlje ljin 3 U=
[teilen; er fann fein ©emiffen für bie 3eit feines SeBenS
Bcfcfjmeren unb einem Unfcljulbigen gegenüber grofjeS Un=
Beil anridjten.
Digitized by Google
218
'^efintidjfeiten.
3 fft bod) audj ber ©inn für 5)3erfonen= unb ©eftdjter*
gebädjtniß bei betriebenen 2 Jtenfdjeu berfdjieben auä=
gcbilbet. 9iid)t jeher 2 Jienfd) Ijat ein gleiches ©ebärtniß,
b. 1 ). bie ftäfjigfeit, (Srintierungen aufaubemaljren, mie
9lnbere. ©s gibt 3 . 23. 2 Jtenfd)en, bie gar fein $al)len=
gebäcf)tniB t)aben, anbere, bie fein OrtSgebftdjtniß Ijaben,
nnb fo gibt eS oudj 9Jtenfdjen, tuctdje fidi ein ©efidjt
jahrelang merfen fönnen, toenn fte e§ nur einmal flüchtig
gcfeljen fjabett, unb mieberurn anbere 9ftenfd)en, benen bic
tfjöridjteften unb lädjerlidjften 2 $ermed)felungen begegnen,
Weil fie nic^t int ©tanbe finb, felbft ©efidjter bon ßeuten,
mit benctt fic jahrelang berfel)ren, in ber ©rtnnerung
auseinanberju^alten unb 3 U unterfdjcibcn.
2 luf biefem Mangel an UnterfdjcibungSbermögen bieler
s 4 >erfoncn beruht aber ber ©djminbet t>on ©auttern, metdje
bie Äenntnifj getoiffcr 23erljältnijfe benuijcn, um auf i$re
2 le$nlid)feit Ijin ©djminbeleicn 3 U beritbcn. Qraft alle
Monate bringen bie 3eüungen 23eridjte über ©d§tüinbel
biefer 2lrt. $a ift 3 . 23. ein ©utSbefißer berreiSt, unb
plötjlid) erfdjeiitt bei ber ifraii bcffelben ein 2 Jtann, ber
iljrem ©atten einigermaßen äfjnlidj fielet unb fidj für
beffen 23ermanbten auSgibt, meiner früher in 2 lmerifa
mar unb jeßt blöjdid) 3 nrüdgefefjrt ift. 35er ©auner ift
gemöljnlidj über bie fjamilienberljättniffe genau unter*
rietet unb benufjt bann bie 2 lbmefenfjeit feinet angeb*
lidjen 23ermanbten, um 2 )iebftäl)te 31 t beritben ober um
größere ©elbfummen als 25arlel)en ober Untcrfiüfjung 3 U
erfdjminbetn, unb gerabe fernen gegenüber mirb biefeS
ftunftftücf am allermeiften aitgemenbet, toeil, roie nocfj
Digitized by Google
©on 91. D. .rtlaufmtann.
210
einmal ermähnt mctben mag, gerabe grauen burdj fotdje
9lef)nlid|!eiten am leidjtefteu täufdjen fittb.
(Jiueg ber fjaarfträubenbfteu ©erbredjen, meldje auf
Sle^nlidjfeiten bcruljen, ntclbet unS bie beutfdje Äriminal=
gefdjicfjte bom (Snbe beä 18. Saljrljunbertg. 35er mett--
befamtte ©törber unb ©erbredjer ©toljring, genannt ber
,,-£mnbgfattler", mar ein feljr fdjöner, Iräftiger ©tarnt.
Siner feiner ©enoffen mar atg Wiener in eine beutfdje
©rafenfautilie gelomnten unb Ijatte bort ein Porträt beS
©ruberg feinet .£>errn entbedt, in bem er einige 9lel)ulid)=
feit mit ©ioljring, feinem berbredjerifdjen ©enoffen, fatib.
@r tljeilte biefent ba§ mit, unb nadjbem ©toljriug erfahren
Ijatte, bafj ber 33rubcr be§ ©rafett fid) in Italien auf
Reifen Befinbc, mätjrenb biefer felbft fidj in ©ttglattb nuf-
Ijielt, eridjieu er eine! £age§ mit eleganter Äutfdje auf bem
©rafenfitje, unb ftcllte fid) alg ber jurüdgefetjrte , feit
Saljren abmefenbe ©ruber bor. @r mürbe al3 foldjer
and) bon ber ©räfitt aufgenommen, lebte monatelang bort
unter falfdjent bauten, betrog unb beftaljt feine angeb=
licken ©ermanbten nad) ©tögtidjfeit, unb beging nocfj eine
gan^e ©tenge bon ©cfjanbtljaten. ©djliefjlidj gelang e§
iljm nodj ju entfpringen, alg ein genauer $reunb beg nodj
immer in Italien meilenbcn ©ruberg beg ©rafen, befielt
Stolle ©ioljring fpielte, eintraf unb il)n entlarbte. ©rft
mehrere Satire fpäter ftarb ber fürchterliche ©tenfdj auf
bem ©d^affot, nadjbem er ttodj eine Sieilje anberer ©torb=
unb fffrebeltljaten beriibt Ijatte. —
©ei biefer midjtigen 9iolle, meldje bie Sle^nlidjfeit in
ber .ffriminaliftif fpielt, ift eg felbftberftänblidj , baff bie
Digitized by Google
Wefmücbfeiten.
220
geluöhnlkhftc uub einfad^fte 9luSrebe ettteg Verbrechers,
tueldjcr bon 3eugctt erfamtt lbirb, barin befielt, bafj eine
Verloechfetung borliege, unb bafj er getoifj irgenb ige*
manbent ungliicflichertoeife fetjr ähnlich fehe. 9Jtit biefer
Vemerlung fommen mir unmillfiirltch auf baS@.biet ber
fogenannten Doppetgängerei, toetche auch in unferent
lieben beutfd>en Vaterlanbe eine längere 9teihe bon fahren
eine feljr grofje 9totfe gefpielt hat. SBenit mir bie Siteratur
aus bent Anfang biefeS SaTjrhunbertS, ittSbefonbere auS
beit ^mai^iger, breiiger unb hiesiger Sauren burd)btät=
lern, fo finben toir nidfjt nur eilte gau^e Vtengc bon 9io=
inanen, meldje birelt ben Xitel „Der Doppelgänger" fiil)=
ren, fonbern eine gatt^e ^lit^aljl bon Sntriguen in anbereit
Stomanen ift auf ber angeblichen Doppelgängerei auf*
gebaut, uub felbft ber grofje etiglifd^e ,£>umorift DidenS
begrünbet feinen Vornan „3mei ©täbte" auf ber boppel*
gängerhaften ^lefjntidjteit 3 tbeier berfdjiebener $erfonen.
Unter Doppelgänger berftanb ntan nämlich unb bcr=
ftel)t man noch h eu *c im großen Spublifunt eine $erfön=
lichfeit, bie einer anberen fo aufjerorbentlich ähnlich ficht,
bafj eine Vermedjfelung gemifferrnafjen unbernieibtid) ift,
unb ^ahr^ehnte lang hat bie gattje gebilbete Söelt au
biefe fötoglicbfeit ber Doppelgängerci geglaubt, toährenb
fie hoch in Söirflichteit nur gana anfjerorbentlid) fetten
fein mag.
(rS bermifchte fich aber mit biefer gäbet bon ber
Doppetgängerei noch etroaS Unheimliches, ©eifterartiges,
inbem man unter Doppelgänger urfprüngtid) baS gefpen*
ftifche Slbbilb eines Vtenfchcn berftanb, baS unter befon*
Digitized by Google
3^on 31. 0. Ätaufjmann.
221
beten, nidjt näfjer aufgettärten Umftänben an itgenb einem
Orte Ijerumaumanbeln bermodjte, mäfjrenb ba§ fcBcnbige
UrBitb beS „SDoppelgängerS" tjunbert teilen babon citt=
fernt toat. 3)te breifjiger, öieraiger unb fünfziger 3ape
unfereS SfatjrpnbertS toareit folgern 9l6ergtauBen aufjer*
orbentüdfj günftig. 23iS in bie tjödjften Greife hinein Bc»
fdfjäftigte man ficfj mit ©pu!=, @eifter= unb ©efpenfter*
gefdfjictjten, unb fo mar eS beim motjl flar, bafj bie
2)opbetgängerei aufantmen mit beni fogenannten „arbeiten
©cfidfjt" bet ©cfjotten in Siteratur, Untergattung unb
©tauben eine grofje 9iot(c fpiette, unb felBfiberftäubtidj
ift eS nid^t ju öerhntnbetn, bafj bie Soppetgängerei auct)
in ben Äriminatfätten aus jenen Stoßen eine grofje 9?oHe
fpielt, toie fi<$ jeber bet älteren £efer getoifj auS eigener
©rfapung nocfj erinnern toirb.
23ietteidfjt ift eS inbefj ber ^teujeit borbetjatten, audj
auf biefem für bie Äriminatiftif fo fdjtoierigen ©e6iete
bet 9let)nticf)teiten SBanbet au fdfjajfen, unb Sranfreicfj
fetjeint auf biefem ©onbergebiete einen guten ©riff mit
ber „3tnttjropometrie" ober s IRenfctjenmeffung gettjan au
pben. SltterbingS ntufj gleich im 33ort)ineiti gefagt toer=
ben, bafj bie SJteffung nur baau bienen fann, um 33er«
toedjfelungen bon jperfonen au berpten, bie mit ber 5ßotiaei
Bereits in Serfipung geftanbeit pben, unb bon benen
man 'Dtafje Befip; foBalb es fict) ieböd) barum pnbelt,
Bisher unbefcpltene Sßerfouen au refognoSainm , toirb bie
33ertoecfifelung burct) Sleplidjfeit immer fo gefäptidj
Bleiben toie bisher. 9tuf bem ©ebiete ber Söiebererfennuug
getooppitSmäfjiger Söerbvedjer aber ift atteä (Spielen mit
Digitized by Google
222
Wefjitlicbfeiten.
9leljnttdj!eitßn PoUftänbig auSgefdilüffen, ieitbeiu man in
^JatiS btcfe Meffuttg amuenbet. @S toirb nämlich mit
befonberen ^nftrumenteu ber Umfang beS ÄopfeS ton
einer ©djläfe jur anbcren, uitb Pon ber Stirn bis ^unt
.fpinterfopf gemeffen; bann mißt man bie Sänge unb SSreite
beS ffyßeS, bie Sänge ber auSgeftrecften 9lrme, bie Sänge
beS £ber= unb Unterarmes, unb enblich mit möglichft
genauen Snftrumenten bie Sänge beS Mittelfingers ber
-fjanb. S)ie Vertreter btefer Menfdhenmeffung behaupten
nämlich, baß ber Mittelfinger niemals, felbft nicht nach
Verlauf bieler 3>ahre, fid) änbere, unb bei jebem Menfdjen
fo cfjaratteriftifd) fei, baß er an itjm junt Berräther
toerben ntüffe.
Natürlich toerben bie Betbrecher, bie man in folcßer
Steife auSgemeffen tjat, auch nodj photographirt, unb fo
hat man eine toirffame Äontrole, toeitn toirtlich abgefeimte
Berbredfjer ihr Spiel mit ber 9(ehnlicf)!eit ber flriminat*
pDli^ei gegenüber treiben füllten. <f?at man bodfj in früheren
feiten, noch Por ©infühtung ber Pjotograptjie in bie
Äriminaliftif, PerbredjerifdjerfeitS folche Slehnlichfeiten $u
ben mannigfacfiften Betrügereien ber Beerbe gegenüber
auSgebeutet. Sßenn 3 . B. ber Berbredjer A einen ©enoffen
hatte, ber ihm einigermaßen ähnlich toar, fo beging ber
©enüffe B irgenb eine .üHeinigfeit, um mit einer Bewürbe
in Äonflift ju fommen, toährenb A an einem anberen
Crte ein fdhtoereS Berbred§en beging; behauptete man
bann, ben A bet ber Ausübung beS BergefjenS gefeljen 31 t
haben, fo tourbe ber B porgefchoben, unb biefer fonnte
fich burdh bie betreffenbe Behörbe, mit ber er 3 U thun
Digitized by Google
2*on s 2l. 0. STaufjmanu.
223
Tjatte, legitintiten Taffen unb fein 9TIiBi feftfteTTen. $a, es
Tarn toieberTjoIt bot, bafj Sßerbredjer, toenn fie firfj folcTjer
2 TeT)nltdfjfeit mit aitberen ©enoffen betonet toaten, fidj
beten Flamen pTegten, um ftdfj auf beten Äonto T^in Be=
fttafen p Taffen, unb umge!eT)tt, bafj SBerBredljer füt
Slnbere ficf> fteitoiEig ftettten, um bie ©träfe auf ftdf) p
nehmen, toäTjrenb bet Rubere nun luftig batauf Io§ fiin=
bigen Tonnte, oTjne bafi man ficT) um iT)n toeitet BeTitrn*
mette, ba et ja angeBIidfj im ©efängnifj fafj.
$>er £efer Begreift alfo, toeTc^e ©cfjmierigleiten, 2 lr=
Beiten unb 33etlegen§eiten bem ÄriininalBeamtcn unb
s Jti<$ter au§ SleTpTidfjTeiten ettoad^fen, unb fei nodjmaT§
batan gemahnt, al§ $euge mit bet gefifteflung Bon 3leTjn=
tid£)!eiien ted^t borficfjtig 31 t fein, um Bielteid^t einem Un=
fdplbigen eine ©träfe unb fidj felbft ©ehnffenöBiffe p
erfparen.
Digitized by Google
Ser fjjjjmottßnmB 0I0 Heilmittel.
Stretfjug auf ein um ftrittenes ©ebtct.
bon
fctjeo Äeelmami.
l9tad)brucf oerbottii.)
3 n einer ber testen ©jungen ber gttebicinifd&en ©efetf=
fcfjaft in ^Berlin mar eine fffrage ®egenftanb ber (Sr*
örterungen, bie aur 3 eii lebhaft bie äratlit^e Söelt bemegt,
nämlitf) bie «Bermenbbarfeit be§ Jpbpnoti§mu§ als £eil=
mittel.
31 IS bor einigen Starren ber 9 Jtagnetifeur hänfen feine
fftunbreife burd) 2 )eutfcf)lanb unternahm unb burcf) feine
2 Bunberöorftettungen bie Slufnterffamfeit be§ großen $ubli=
!umä auf jene fonberbaren (Srftfjeinungen tenfte, ba fcf)üttelte
bie grofje Stenge ungläubig ben Äopf unb bie aünftige
2 öiffenfdf)aft bermieä alte borgefü^rten (Sjperimente in baä
ffteidlj ber £äufcf)ung unb beä £ruge 3 . 25 ie Gerate, mit
fef)r menigen Sluönaljmen, erflärtcn Raufen für einen
©dljnnnbler unb festen e£ in äBien fogar burd), bafs er
geridtjtlicf) al§ folget berurtfjeilt unb ifjm bie ßrlaubnifj
berfagt mürbe, fernerhin Sßorfteltungen au geben, -freute
miffen mir, bafj Raufen fein ©djminbter mar, bie £f)at=
facfjen beä -frtyfmotiSmuä miiffen felbft bon ber äBiffenfdjjaft
Digitized by Google
2?on $f)eo Seetniaim.
225
anerfannt merben, unb ärztliche Slutoritäten fabelt fidj
auch Bei un§ bet Sache angenommen. 5Die Greife unfetet
©ebitbeten fangen an, ficf) lebhaft für biefe ©rfcheinungen
ju intereffiren, unb man erinnert fidj, Slnflänge auch fc^on
im 2UItag3teben gefunben au haben.
2Ber bat nicht fdjon bie (Erfahrung gemacht, mie er»
mübenb ba§ Starren auf einen 5J3unft Beim Sßhotographiren
mirtt? ©ibt e§ hoch aum Berger beä 5Jit)otograptjen eine
ganje $eihe bon leicht ermübbaren ^erfonen, bie immer
toieber berfchmommene ©eficbtääüge auf ber glatte geigen.
$n $nbien, bem ßanbe ber äöunber, !ennt man bie 4?PP 3
nofe unb bie ihr berraanbten fomnambuten 3«ftünbe feit
^abrtaufenben, bie S3erjeu!ung§äuftänbe ber ?)ogi§, gratire
unb anberer Släfeten, metdje meift burch Starren auf bie
^iafenfpifje u. bergt, hetborgerufcn toerben, beruhen mäht*
fcheinlich auf einer 9Irt Setbfthbpnotifirung, unb im alten
©gppten unb ©riechentanb mar bei 5|3tieftern, ^eitfünft»
lern unb 3<mberern mit bem ^anbauftegen ficherlidj ein
ßinfcbtäferungäaft berbunben. Söiete religiöfe UeBungen
mpftifdber Setten alter 3eiten unb Sänber tiefen unb laufen
noch auf ähnliche Vornahmen hinauf, mie fie heute ber
^)t)pnotifeur anmenbet. Beruht hoch bie £>t)pnofe tjaupt»
fachlich auf boflftänbiger ßonaentration ber Slufmerffam*
feit auf einen $unft. 3Der ^ppnotifirte ift fopfagen ba§
©egcnftücf bom „3erftreuten".
2Da8 betbinbenbe ©lieb amifdjen ^ppnotifeur unb ber
ju h l )P n °tifttenben 5ßerfon bitbet Befanntticf) bie „Sug»
geftion", jene unmiberftehliche ^ftadjt ber ©inrebe auf baä
S3erfuch§obiett, burd) meldje bie Sßorfteltungäreihen beä
33ibliotIjcf. 3al)tg. 1890. S3b. V. 15
Digitized by Google
22C $ev £)t)puoti8mu3 als Heilmittel.
Hppnotifirten und) Sclieben be§ ^tjpnotifcuiS erregt unb
geftaltet »erben. 3öeld)e unOefd^ränfte Sceinfluffung bon
©eiten be3 H>t)pnotifeur 8 auf ben Hbpnotifirten auSgeübt
toirb, bafür mögen einige Seifpicle angeführt »erben, bie,
fo unglaublich fte erfdjeinen, hoch burdj ben ©e»äfjr 8 =
mann bolle ©laubtoürbigfeit berbienen.
Semheim, ber berühmte ffterbenar^t in fftancb, erzählt
in feinem großen Söerfe über ben £t)pnotigmug, toie er
einem 51jährigen, an ©elenfrheumati§muS leibenben ©ifen=
bahnbeamten im ^tjpnotifcfjen 3 uftanbe golgenbeS eingab
(fuggerirte) : „ 2 )a haben ©ie ein S3uc^ über ©hemie. SBenn
©ie aufgetoadjt fein »erben, »irb in Sfjnen ber ©ebanle
fpiafc greifen, ba§ Kapitel über ©olb lefen au »ollen,
©ie »erben biefeS in bem ^nhaltäberaeidjnifj y u ^en; ©ie
»erben e§ lefen. 5ll8baun »erben ©ie 311 mir fagen:
, 2 öenn ich ©olb hätte, »ürbe ich e 8 3 hncn gerne geben,
um ©ie für 3 f)te 9Jtühe $u belohnen. Unglüdlichertoeife
habe ich feines. fUtan ge»innt lein ©olb, »eher in ber
fDtarine, noch im ©ifenbaljnbienfte . 1 $)ie $bee toirb $hnen
toährenb bc 8 ßefenS lommen."
fftach einer falben ©tunbe »irb ber Trante getoedt;
Sernheint entfernt fid^ unb beobachtet iljn öon Weitem,
©r fieljt, toie Sfener bie SriHe auffeijt, ba§ Such ergreift,
»enigftenS fünf fDlinuten barin blättert unb enblidj au
lefen anfängt. Sernhcim nähert fidj ihm; e 8 ift ber 2 luf=
fafc über ba§ ©olb, ben Sener liest.
„Söarum lefen ©ie biefen 2 lrtifel?" fragte Sernheim.
„©8 ift fo ein ©infatt bon mir," fagt ber Slnbere,
unb fährt fort au lefen. 9iach einigen Minuten blidt er
Dlgitized
Söoii Sfceo Sectmann.
227
Sernbeim an. „Söenit ich @olb bdtte," fagt er, „fo toürbe
ich Sie gern belohnen, aber ich Ijabe feines." (Sr fährt
fort au lefen unb nach einiger 3eit faQt er: „Sie (Sifen=
babngefeKf<baft bereichert ihre Slngeftellten nidbt."
3ft biefer gaft, ber bei bem Slnfeben beS ^Bericht*
erftatterS über jeben 3toeifel ergaben ift, fdjon erftaunlidb,
fo toirb ber folgenbe eS noch um fo mehr fein. „3m fötonat
Sluguft 1883," fo erzählt Sernbeim, „fagte ich bem fomnam«
bulen 6., einem alten Sergeanten, toabrenb feines SdjlafeS :
>9ln meinem Sage in ber erftcn Söocfje beS fötonatS Cftober
haben Sie frei? 4 (Sr fagte mir: ,9lm 2Jtitttoocb.‘ — ,@ut,
hören Sie toobl, am erften föiitttoocb im ßftober geben
Sie an Softor ßiöbault, Sie toerben bei ihm ben f^rä*
fibenten ber Stepublif borftnben, ber 3bnen eine ÜJlebaiHe
unb eine Sßenfion oerteiben toirb. 4 — ,3<b toerbe bingeben, 4
fagt er mir. — fJtadj feinem Sluftoadfjen erinnert er fidb
an nichts. 3<b febe ibn mehrere fötale in ber gtoifdben*
aeit unb erinnere ibn niemals an baS 33orbergegangene.
5lm 3. Cftober (63 Sage nach ber Suggeftion) erbalte
i<h non Softor ßiöbault folgenben SBrief : ,Ser fomnam«
bule S. langte beute 10 fötinuten Oor 11 Ubr bei mir
an. fJtacbbem er beim Eintreten ^errn an toeldbem
er üorüber muffte, begrübt bnite, toanbte er fidb nadb
linfS gegen meine SBibliotbef, unb ich fab ibn grüfjen unb
hörte ihn bann baS SBort ßjcellena ebrfurctjtSboE aus»
fprechen. Sa er aiemlidb leife fpradb, trat ich rafcb auf
ihn au; in biefem Slugenblidf ftredfte er bie rechte <£>anb
au§ unb anttoortete: , Saufe, (SjceHena. 4 3<b ftug ihn
hierauf, mit toem er fprädbe. ,3lber, 4 fagte er mir, ,mit
Digitized by Google
228 ^er HyonotigmuS als Heilmittel.
bent ißräfibenten ber StepuBtif.* darauf I)itt toanbte er
fidö toieber nach ber 33ibliothef zu, grüßte, inbeiit er ftdh
berneigte, unb ging bann toieber an Herrn borbei.
2 >ie Beugen biefeg feltfamen Sttuftritteg befrugen tnidh einige
fDtinutcn nach feinem Söeggange, ob bag ein Warr märe.
fDteine Slnttoort mar, bafj bieg burdjaug nicht ber f^all
fei, fonbem bafj ber fülann ebenfo berftänbig märe, mie
fte unb ich; ein Slnberer arbeite in ihm.‘ 2 )er ßranfe
berfidberte noch fpäter, bafj ber ©ebanfe, zum SDoftor ßie=
bautt ju gehen, ihm ganz ptö^ticB am 3. Cftober 9Jtor=
geng 10 Uhr gefommen fei, unb bafj er feine Erinnerung
mefjr bon bem bortigen Ertebnifj habe."
9tadh biefen unb ljunbert ähnlichen, bon zahlreichen
Siebten unb Saien gemachten Erfahrungen tag ber ©e=
banfe nahe, bie fUtacht ber Eingebung zu Heilztoecfen aug=
Zunutjen. konnte man bie Sßorfteöungen eineg fUtrnfdhen
in einem fotdhem ©rabe beeinfluffen, marurn mar benn
nicht auch bie SDtüglidhfeit gegeben, Äranfheitgjuftänbe, bie
bietteidht nur in ber Sßorftettung beftanben ober burdh
überreizte Einbitbunggfraft über ©ebühr berfdhlimmert
erfdhienen, zu befeitigen ? ©eben mir eg nicht alle Stage,
mie bie (Schmerzen ber bom hcftigfteit Bahnreifjen @e=
marterten beim Stnbticf ber Söohnung beg Bahnarzteg
ober ber Bange berfcfjminben, fobalb nur bie ©eptagten,
um mit Äant 3 U reben, burdh Slblenfung ber Slufmerffam»
feit „ihrer franffjaften ©efühte fDteifter toerben?" ßäb
nicht bie friebtiche Üiuhe ber Hi)pnotifirten bazu ein, Schlaf-
lofen burdh bie Hbpncfe erquiefenben Schlaf zu bringen?
Um zu fehen, mie babei ber miffenfchafttiche Fachmann
23on 2&eo Seeltnann.
229
ju 2öert geht, geben toir toieber Vernljeim baS 2Sort:
„S<h beginne bamit," fo fefjt er feine Vtethobe auSeinaitber,
„bem Oranten au fagen, bafj ich glaube, iljn mit ftufcen
ber hbbnotifcfjen Veljcmblung unterbieten ju bürfen, bafi
eS möglich fei, ihn au heilen ober bod) an beffern burdj
beit ©chlaf, bafj eS fich um lein fchäblicheS ober aufjer=
getoöhnlidjeS Verfahren hanble. 6S fei nur ein einfacher
©chlaf, ben man bei Sebermamt Ijerborrufen fönne, ein
ruhiger, toofjlthuenber ©dhlaf, melcher baS ©leidjgetoicht
beS 9ierbenft)ftemS toieber herftetle. 9iad) Vebürfnifj laffe
id) eine ober atoei 5perfonen bor ihm einfchlafen, um ihm
3 U geigen, bah biefer ©d)laf nichts VeinlidjeS h Q be unb
fich lein Verfudj baran tnüpfe; unb toenn ich fo bon
feinem (Seifte bie Voreingenommenheit befeitigt habe, toetdje
ber ©ebanfe beS SJtagnetiSmuS unb bie unbeftimmte furcht
ertoedt, einem Unbefannteu entgegenaugehen, fo ift er ber=
trauenSboll getoorben unb überliefert fich mir. 2IlSbann
fage idh an ihm: ,©djauen ©ie mich an unb benfen ©ie
an nichts, als an’S ©djlafen. ©ie fühlen fdjon eine
©chtoere in ben Slugeitlibern, eine Vtübigfeit Sh*er klugen;
fte blinaeln, fte toerben feucht, ber Vlid toirb trübe, fte
fchliefjen fidj. 4 Einige Snbibibuen fdjtiefjen bie Slugen unb
fchlafen fofort. Vei anberen toieberhole ich eS, toerbe be=
ftimntter, füge ©eften bei; bie 9tatur ber ©efte ift un=
toicfjtig. Sch bringe atoei ginger ber rechten |>anb Oor
bie 5lugen ber Vetfmt unb forbere fie auf, biefe au fairen,
ober ich ffreidje ntit beiben «fpönben mehrmals bor feinen
$ugen auf unb ab; ober noch beffer, ich beranlaffe ihn,
meine Singen an fijireit unb bemühe mich an gleicher Seit,
Digitized by Google
230 $5ev & 9 pnoti 8 mu$ al§ Heilmittel.
feine 2lufmerEf amleit auf ben ©djlaf au fonjentriren. 3cE)
fage: .$f)re Slugenliber fc^Iie^en fidf), ©ie Eöntten fte nicht
mehr öffnen, ©ie toerfpüreit eine ©cbtoere im 2lrm, in
ben Seinen, ©ie füllen nichts mehr, 3h* e £änbe bleiben,
unbemeglich ; ©ie fefjen nichts mehr, ber ©chlaf Eornrnt/
unb idj füge in ein toenig befetjlenbem SLone hinau: ,©dhlafen
©ie!‘ Cft gibt biefeS Söort ben Sluäfdjlag, bie Äugen
fchliefjen fidf), bet ÄranEe fdhläft."
2)et franaöfifche 2lrat beenbet feine 2)arfteKung mit
ben Söorten: „2)aS ift ber ©cfjlaf butdj ©uggeftion, e8
ift bie SorfteHung be§ ©dfjlafeS, metdje ich etmecEe, meldje
id^ in’S ©ehirn allmfihlis ^ineinfd)iebe."
S)en fMpnotifdjen ©dtjtaf tüie eine Setäubung burcf)
narEotifdje Mittel au chirutgifcben Cperationen au§au=
beuten, gelang in Snbien englifdfjen Siebten mit ßeichtig»
Eeit bei Hunberten bon ignbiöibuen, eine gleiche Sermerthung
ber ^t)pnofe mag au§ SßariS angeführt toerben. 2)afetbft
unternahm in jüngfter 3eit ber Sßrofeffor SEiHaur eS mit
©rfolg, unter Slnmenbung ber Hppnofe an einer jungen
grau eine Cperation auSauführen. fftachbem bie ÄranEe
in ihrem Sett burdh ben 9lffiftenaarat eingefdhläfert morben
mar, folgte fte ber Slufforberung, fich a« erheben unb fidh
in ben CperationSfaal au begeben, too fte ftch felbft auf
ben CperationStifdj legte. SDarauf fuggerirte man il;r,
fie mürbe Eeine ©chmeraen bei ber Cperation empfinben.
3n ber £hat führte bie ÄranEe barauf mährenb ber
ganaen Seit ber feljr fdfjmerahaften Cperation mit bent
■Jlffiftenaarate eine lebhafte, ja heitere Unterhaltung, unb
mürbe nach Seeubigung ber ältlichen Eingriffe in ihr
Digitized by
3Jon 2i)eo ©eelmamt.
231
33ett auriicfgebrac^t. 211S fte aus ber |>bpnofe ertoacbte,
toar fic fel)r erfiaunt, au ^ören, bafj bie Cperation bereits
hinter ibr löge, fte tjatte burcbauS feine ©mpfinbung Pon
bem ganzen Sorfatte gehabt.
©tilgen ficf) bie Bisher aufgeaäblten gatte auf 3eug=
niffe franaöfifctjer Siebte, fo tootten toir jefjt einige 33e=
richte beutfc^er gacbntämter IjerauSgreifen, nicht fotoobl
toeil fie über befonberS ^eröorragenbe ©rfolge 2Jtittbeitung
ntadjen, fonbern toeil fie ber neueften ehtfcblägigen Literatur
angeboren.
„Söor Äur^ent," fo eraäblt S)oftor 3Ö. 33rügelmann, „be=
banbeite icb einen 20jäbrigen ^»errn mit neuraftbenifcbem
Slftbma burcb .fpbpnofe; berfelbe ift abfolut nicht b^fterifcb
ober — allgemein gefprocben — nerpöS, fonbern leibet
an einem Slftbma, toelcbeS in feljr langen SnterPatten auf=
tritt unb nur an beftimmten Crten ober unter gana be=
fonberen Umftänben au ©tanbe fommt. ©leich in ber erften
©ifjung gelang eS, ibn in baS fataleptifcbe ©tabium au
Perfepen; er ift abfolut aufjer ©tanb, bie fteifgeftettten
©lieber au betoegett, bie geballte gauft au öffnen, geborgt
ber ©uggeftion, baf} er feinen ©ebritt PortoärtS machen
fönne u. f. to. , unb ift feit ben Por einem SUierteljabre
auerft angetoanbten bVpnotifchen ©jungen, in toeldben ibrn
fuggerirt tourbe, bafj ftcb niemals mehr Siftbma bei ibnt
bilben fönne, frei baPon geblieben.
©ine noch intereffantere Äranfengef<hi<bte ift folgenbc:
©in Haplan 8. fant ©nbe SJeaember Porigen SfabreS mit
ber ßlage über fo beftige afibmatifebe Sßefcbtoerben in bie
Slnfialt beS SDoftor SBrügelmann, bafj er nicht a u effen
Digitized by Google
232 Ser £)i)pnoti§nnt§ als Heilmittel.
bermöge, ohne bah bie berfchlucften ©peifen toieber 3urttd=
fämen, nid)t 311 gehen, namentlich nidjt 3U fteigen, bor
StUem aber ntdjt 3U prebigen ober fld) in ©efeUfcfjaft 3U
befinben, ohne bon Slthembcfdjmerben geplagt 3U toerben.
„©leid) beim ©mpfang, toobei ich ihn gebeten hatte, in
einem ©effel ^latj 3U nehmen, fiel mir auf, bah er ftch
mehr legte als fejjte, bah er forttoährenb fchnaufenbe ©in*
athmungen machte, bann toieber einige SBorte fpradh, bann
toieber fchnaufte, unruhig ftih hin unb her toarf, auf*
fprang unb im 3 intmer umherging, unb bor Sittern, bah
er forttoährenb mit bem Saunten fich auf ben 8eib ftieh,
ftettentoeife fogar ben Seib mit ber <£>anb nach obenbrängte."
Ser 2li'3t ermähnt bann bie bisher erfolglos unternom*
ntene $ur beS Patienten unb fieljt baS fieiben als männ*
liehe Hhfterie an, bie ftch namentlid) burch baS ©efühl
beS SluffteigenS eines fchmeren Körpers aus ber ©egenb
ber s Ulagengrube nach ben inneren Halspartien fenntlich
macht. Um allen Errungen 3U entgehen, toirb mährenb
14 Sagen eine 33 ehanblung mit äuheren Mitteln burch*
geführt, bie aber ohne ©rfolg bleibt. „Sch hatte biefe
Seit ba3u benufet," fährt Softor 33 rügelmann fort, „ihn
mit ber Hppnofe belannt 3U machen, hatte ihn mehreren
©ijjungen beimohnen laffen unb ihm bie hanbgreiftidjen
©rfolge bor Slugen geführt, ©r geroann ein abfoluteS
Vertrauen, unb fo gelang eS, ihn fetbft in ber erften
©ifjung bereits fatateptifd) 3U machen. 3<h fuggerirte
ihm nun 3unäd)ft, bah er bon nun an nid)t mehr nöthig
habe, auf feinen Seib 3U flohen, unb bah ber Slthem fortan
normal unb oberflächlich fein toetbe. 5 Ra<h ungefähr einet
Digitized by Google
5}on Jfyeo Scelmaitn.
233
falben Stunbe !am ein Unfall. SDaS (Befiehl röthete fidj
lebhaft, ber Sittern Pertiefte fidj unb er fonnte laum ruhig
fitjen bleiben, toar aber gleichtoohl bodb bereits hvpnotifirt.
3<h legte ihm bie ^anb auf bie «Stirne, befahl ifjtn, fo=
fort oberfIädE)ltdj au atljnten, unb fuggerirte ihm, bafj leine
Äongeftionen fid) je|t mehr enttoideln lönnten unb toiir=
ben. Sofort Perfcbtoanb bie 9Röthe beS ©eftdjtS, unb bie
Sltbmung toar ruhig. Sobann fuggerirte id) ihm ab=
foluteS Söohtbepnben beim drtoadjen unb ertoedte ihn.
S3on Stunb an toar bie 9ioth Perfchtounben; er hat feinen
ßeib nie toieber gebriidt ober geflogen."
S5ie brüte 23ehanblung betraf einen 60 Saljrc alten
(BerichtSbeamten, ber an einem £>eraleiben, fehr erheb*
lidbem Bittern ber ^>änbe unb neuralgifdjen Schmerlen
be§ OberförperS erlranlt toar. Stuch bei biefem Patienten
toar eine anbertoeitigc iöehanblung ohne Erfolg geblieben,
unb fo tourbe ihm benn ein 23erfud) mit ber <£?t}pnofe
angerathen. 2>cr behanbelnbe Slr^t erzählt: „Sfch forgte
bafiir, bafj er alSbalb einer Sitzung beitoohnte, bernon*
ftrirte ihm baS fataleptifche Stabium unb lieb ihm burdb
ben geiftlidjen |>errn bie SPerfidberung geben, bafj berfelbe
einen Porafiglidjcn Grfolg errungen habe. 2)ieS ftärfte
fein Vertrauen gana bebeutenb, unb fo gab er fidj benn
gana toitlig ber Sehanblung hin. 3« ben erften Sijjungen
erreidjte ich fo gut toie gar nichts; gana allmählig aber
gelang es, ihm ben Schlaf ju fuggeriren, unb fdjliefjlidj
fdjlief er toirftidb. 3<h fuggerirte ihm, bafj bie Schmerlen
fdbtoinben, bie ^erathötigteit ruhig toerben, ber Schlaf
ftdb Pertiefen unb baS jJterPenfhftem ftd) beruhigen follte,
Digitized by Google
234 'Ser £>i)pnort3ntu§ al§ Heilmittel.
0
uitb erreichte bag 9lßeä mit folcfjer SPrä^ifton, baß ber
Trante beg Nantes unb Sobeg öoK mar. Sößließlidj fudjte
idl) audj bag übermäßige Rittern ju beeinflußen, unb audß
ba3 gelang in gemißem ©rabe."
3fn meinem 5ttaßc bag pfpcfjifdje 2Jtoment benußt mer«
ben fann, um bie überrafdf)enbfien Heilerfolge ju erzielen,
bafür mögen bie 9lugfüßrungen beg ©raaer Stenten
3)oftor Füller ein Sßerftänbniß ermedfen. ©in 12j[ä^riger
$nabe mar auf bem ©latteife ausgeglitten unb in einen
mehrere 5Mer tiefen Steinbrudj Ijinabgeftürat. 2Jtit aaf)l=
reichen blutenben .ffopfmunben bebeeft unb bemußtlog
tourbe er aufgefunben. 9tadb brei £agen toar bag 58e=
mußtfeiit miebergefefjrt, boct) fonnte er, obglcidß leine
3ungcn= unb ßippenläfjmung Portjanben mar, lein SBort
fpredfjcn. SDa bag SöortPerftänbniß ermatten mar unb bie
©cberben= unb Sdjriftfprndjc feine ©inbuße erlitten Ratten,
fo Perftänbigte ßcf) ber Patient leicßt mit ber Umgebung.
©3 mürbe nun bem Ijtjfterifdjen Knaben in madjem $u=
ftanbe fuggevirt, baß bie Spradje burdj Slnmenbung beg
eleftrifdjen Stromeg am Hälfe mieberfontmen unb enb=
giltig erhalten bleiben merbe. STer ©rfotg mar ber ge=
münfeßte, bie Spraye lehrte mieber. —
Sßeiterljin mürben ^mei $äUe Pon Ijtßterifdjem fo*
genannten unßiHbaren ©rbredjcn felir rafdj burefj bie
Suggeftion, baß burdj ein befonberg unfehlbar mirfenbeg
Mittel bag 9ierpenfpßem beruhigt merbett unb Heilung
cintreten mürbe, gön^licß befreit. „$n einem 3?aUe,"
beridjtet ber ©emäljrgmanu, „eg mar ein 20jäljrigeg
fterifdjeg 2)iäbd(jen, feit fedßg SJtonaten an häufigem ©r«
Digitized by Google
2?on Sfceo Scclmamt.
235
Bremen leibenb, gab ich SiquiritienbiÖcn (ßafritjen) mit
©olbblatt überzogen, täglich brei ©tücf genau aut bor»
gefdhriebenen ©tunbe au nehmen. Sach brei Stegen hörte
bag ©rbredjen auf, ein (Srgebnifj, an beut natürlich bag
böEig unfdhulbige bittet feinen Sntheit hatte."
„2lm reinften," fo eraühtt ber ©raaer Steaent, „aeigte
fid) mir bie Sßitfung ber äöa<h=©uggeftion bei einer 40jä^=
rigen Steine, bie feit einem halben Sfahre, megcn Unfähig=
feit au gehen, bag Sett hüten mubte." S)ie Unterfudhuug
ergab, bab bie bebeutenb abgemagerte Sterne bie Orübe
unb Seine im Sette, toenn auch fehr Iangfant unb fchmadj,
fo bodtj nad} alten Störungen, atlerbingg in geringen Sb=
meicbungen, bemegen fonnte, bei früher borgenommenen
toieberhotten ©tehberfuchen mar fie jebegntal aufamnten*
gebroden. „Sadjbem ich," fährt S)oftor Stülier fort, „burth
eine eingehenbe Unterfuchung bag mir entgegengebrachte
Sertrauen ber Patientin in nod) gröberem Stabe mir
3 ugemenbet, befahl ich ber Äranfen, mährenb mir Siebte
unä im Sebenaimmer befpradjen, fich bie Steitette machen
3 U taffen, ba ich nachher mit ihr bie erften ©djritte burdh
bag Zimmer machen merbe, mag gemib möglich fei. Sach
15 Stinutm ging bie Äranfe, auf meinem 2lrnt geftüfjt,
burdh bag 3immer. — Steg (Sig mar gebrochen; bie Sterne
mar bon ihrer h l )fietif<hen Sähmung befreit unb blieb eg
auch in Sufunft."
Sig au meldjer ©renae bie Seeinfluffung beg Srateg
3 U bringen berntag, bafür fei noch fotgenber Serfudh Sern=
(jwm’g angeführt, ©inet ©omnambulen mürben um 11 Uhr
Sormittagg adht Sriefmarfen auf bie linfe ©dhufter mährenb
Digitized by Google
23 G
'Sei £wpnoti»mu£ ale Heilmittel.
ber feftgebunben unb it)t eingerebet, bafj mau tljr
ein 3ugbflafter aufgelegt ^abe. Sie fcf>läft ben ganjen
Sag unb wirb erft 9lbenb3 geroecft, ohne bafj fie auS ben
2 lugen gelaffen wirb; barauf fdjläft fie bon bleuem mittelft
typpnotifircnbcr 2 Jtafjnal)mcn bie ganje 9tadjt. 9tm anbeten
2Rorgen um 8 V* Uljr tuirb ber Serbanb gelbst ; bie Srief«
marfen maren nicht beränbert; in ber SluSbeljnung toon
4 bis 5 Zentimeter ficht man aber bie Cberhaut berbidt
unb beränbert, Weifj=gelbtich. 14 Sage fpäter War bie
Stelle, wo baS angebliche 3ugpflafter gefeffen ^atte, noch
in boller Ziterung.
9113 ©egenftiirf mag ein Serfudj bon St. Sriaub bienen,
melier, nad)bent er ein glcidjcS Ziperiment mit Zigaretten=
papier auSgefiihrt hatte , umgefeljrt ein Wirftidjeg 3 ug*
pflafter auflegte unb ber Uranien im hhbuotifdjen 3 u«
ftanbe fuggerirte, bafj eS fich um einfadjeS, WtrfungStofcä
Rapier hanbXe. Unb fielje ba, am anberen borgen War
bie Haut an biefer Stelle böllig unberänbert. —
SBir haben bisher bie befted)enben Zrfolge be§ ^ppno*
tiSmuS für fich rebcn taffen, wollen aber nidjt berfehlen,
auch auf bie $ehrfeite aufmerlfam ju machen. Slnlä^lich
ber ZingangS erwähnten Schotte in ber Sertiner Stebi*
cinifdjen ©efetlfdjaft War an ben berühmten Seiter ber
Salpetriere, ber ^arifer Slnftalt für Serben* unb ©eifteS*
fronte, Dr. Zharcot, eine wiffenfdjaftlidje Autorität erften
SangeS, ber felbft für einen eifrigen Oberer beS Hbpno*
tiSniug als Heilmittel ftetS gegolten ^at, ein Schreiben
gerietet Worben mit ber Sitte, feine Stellungnahme 311
biefer Qrrage genauer flar^ulegen. ^Daraufhin ift eine
Digitized by Google
21on 2i)eo ©eeltnaim.
237
2lntmort erfolgt, bie fotgenbermafjen lautet : „(Seit meinen
erften Unterfud)uugen über ben ^pnotiSmuS in ber ©al*
petrifcre haben mir bie ^^pnofe oft mit $ortf)eit bei
Äranfen, meldje für biefelbe zugänglich maren, angemanbt,
um fie bon ben berfdjiebenartigen 3ufäEen ju befreien,
bie täglich im Seben eines ed)ten |>bfterifchen bortommen.
SlEeS ging auf’S 23efte, unb mir badjten faft, bah nichts
leister fei, als auf biefe äöeife aEe ^fterifd^en SInfäEe
fidjer unb augenblidlich zu befeitigen. 2öir haben unS aber
halb bom ©egentheil überzeugen müffen, unb namentlich
baS ©tubium ber |)i}ftcrie bei Männern hat jener Sflufion
ben jtobeSftofj berfefct. 3öir haben gefunben, bah man
eine ganze 3ahi hbfterifcher grauen mit ein menig 58e=
harrlichteit in «^tjpnofe berfe^en unb fte in biefem 3«'
ftanbe bon bem augenblidlichen 3ufaE befreien fann; bei
einer 9ieihe anberer ijt eS ganz unmöglich, bie &t)bnofe
herborzubringen. 2BaS bagegen baS männliche ©efdEedjt
anlangt, fo muh biefer ©a£ umgefehrt merben: in ber
meitauS größten SJtehrzahl ber gälte ift eS aufjerorbentlich
fchmierig, hbftenfche 2Ränner zu hbpnotiftren , unb man
tann hinzufügen, bah *8 h äu f»Ö öefähxlic^, in ben aller*
meiften gäEen aber nufcloS ift. . . . Cbne abfolut leugnen
ZU moflen, bah bei organifchen ©rlranfungen beS Serben*
fi)ftemS bie hbpnotifche ©uggeftion in einzelnen gäEen eine
gemiffe Sefferung hexbeifü^ren tann, bin ich bod) über*
Zeugt, bah bieS nur auf ßoften eines reinen 3ufaES ge=
fe^t merben barf, unb bah nicht bie tRebe babon fein fann,
baS ©uggeftionSoerfahren zu einer therapeutifchen 2Eethobe
Zu erheben."
Digitized by Google
288 $cr HQpuotiSinuS a(3 Heilmittel.
So @ljarcot, beffeit Anfidjten jeboclj als nur tfjeiltoeife
ptreffenb bejeid^net toerben fönnen, ba et feine 93erfudje
auSfdjlieBticl) an |)tjfterifcf)en rnadjte. Seinem Urteile
mirb baljer aud) bon anberen Autoritäten auf bem ©ebiete
ber ^>t)pnofe entfliehen toiberfprodjen.
2Bir ßaien aber getoinnen auS biefen SBiberfprücfjen
ber Aer^te unb 3?orfcf)er bie Ueberaeugung, baB ber Hppno-
tiSmuS als Heilmittel jebcnfattS borläufig nodtj bon
ameifel^aftem Söerttje ift, unb baB, (Srfolge einzelner Aer<}te
abgerechnet, im Allgemeinen feine SGßirlung bei organifcljcn
©rfranlungen fo lange ange^meifelt toerben rnuB, bis burdj
fortgefetjte ©jperimente berufener Aer^te bie Streitfrage
enbgiltig entfliehen toorben ift.
Digitized by Google
'gäatmigfaftiges.
$le ©inlabuttg bc8 StaifcrS. — 9lm $benb »or ber
©innabme »on Ulm (17. Dltober 1805) ging ber ftaifer 91apo*
leon in ^Begleitung be§ IDtarfcballS ©ertbier in einen einfachen
Solbatenmantel gebüßt burcb ba§ Säger fpajieren unb borgte
auf bie Unterhaltung feiner ©renabiere. 25a fab er einen Sol*
baten feiner ©arbe unweit »on ibm Kartoffeln in ber 9lfcbe be§
2agerfeuer§ braten.
„$b/ icb möchte eben je^t gebratene Kartoffeln aus ber $lfcbe
weg effen," fagte ber Kaifer ju ©ertbier; „geben Sie bocb ein*
mal ju bem ©urfcben bin, 2Jtarf<balI, unb fragen Sie ibn, ob
er mir nicht eine »erlaufen will."
liefern Sefeble gemäfj trat ber Sülarfchall ju bem ©renabier
unb fragte: „©Hilft 25u mir wobl einige Kartoffeln »erlaufen?"
„9lein," lautete bie Slntwort; „icb habe felber nur fünf Stüd,
unb biefe reichen laum jpt meinem eigenen Slbenbbrob."
„$ch gebe 2)ir jwei fJiapoleonS, wenn 25u mir eine »er*
taufen willft," fuhr ©ertbier fort.
„3cb brauche 3b* ©olb näht," »erfefete ber Solbat; „ich
bleibe »ieQeid&t morgen fcbon im ©efedbt, unb ba möcbt’ ich nicht,
bafi ber ffeinb mich mit einem leeren ÜRagen fänbe."
©ertbier überbrad&te bie Antwort be3 Solbaten bem Kaifer,
weither abfeitS fteben geblieben war.
„©erwünfchter ©igenfinn !" fagte Napoleon. „Saffen Sie unS
einmal feben, ob id) nicht glilctlicber bin, al§ Sie."
Digitized by Google
240
mannigfaltiges.
Gr ging nun ebenfalls auf ben ©renabier ju unb fragte ihn,
ob er ihm wirtlich nicht eine einige Kartoffel »erlaufen wolle.
„fRicht um oiel ©elb !" erwieberte ber ©renabier. „34 §abt
felber nicht junt Sattelfen für mich."
„9Iber $u foUft mir deinen $reiS nach belieben madhen
biirfen," oerfefcte ber Kaifer. „Komm’, gib her ! 34 bin hungrig
unb hübe ben ganjen Jag noch nichts gegeffen."
„60 geht eS mir eben auch," fagte ber Solbat. „3# h^e
bereits gefagt, bah bie ÜRahljeit für uiidh felber faum hinreicht.
Unb überbieS glauben Sie ia nicht, bah Sie mich jum ®eften
haben fönnen, i4 lenne Sie recht gut, trofc 3hrer 93ertleibung."
„So? SGBer bin idj benn?"
„Sie ftnb ber ,f leine Korporal', Sire, wie Sie unter unS
heihen. £>ab’ i4 nicht fRecht?"
„©eroih ; aber roeil $)u mi 4 nun fennft, wiöft $)u mir immer
noch leine Kartoffel ©erlaufen?" fragte ber Kaifer.
„Uhrfaufen, Sire? fReiu!" perfekte ber ©renabier. „SIber
ich will 3hnen einen aitberen S3orfd)lag machen. Gine $anb
müfcht bie anbere, unb fReoanche muh fein; roenn Sie mir er*
tauben wollen, bah ich einmal mit 3 hnen fpeifen barf, fobalb
Sie roieber nach $ariS jurücfgetehrt fein werben, fo foHen
Sie meine SIbenbmahljeit theilen."
„®ut, eS gilt!" fagte fRapoleon lächelnb. „S3eim SEßort be$
.lleinen Korporals* !"
„So ift’S gut!" rief ber ©renabier. „Unfere Kartoffeln
müffen jefct fertig geworben fein. &ier ftnb bie beiben gröjjten
für Sie, bie brei lleinen werbe ich felber oerjehren."
2)er Kaifer fefcte ft<h jum fteuer, oerfpeiSte feine Kartoffeln
mit grobem Appetit unb lehrte bann mit 53erthicr nach feinem
3 elte jurücf, ohne etwas anbereS ju äuhern, als: „34 mette,
oiejer Surfche ift ein guter Solbat!" —
Ginige ÜRonate fpäter war ber Kaifer eines lageS, umgeben
Digitized by Google
tUlannigfaltigeS.
241
oon einem glänjenben föofftaate, eben in ben Speifefaat ber
Tuilerien getreten, um fich jur Tafel ju fefeen, al§ ihm fein
Leibbiener fRouftan melbete, braunen im löorfaale ftebe ein ©re*
nabier ber ©arbe mit Ober* unb Untergeroehr unb wolle abfolut
in ben Speijefaal unter bem Söorgeben, er fei com fiaifer jur
Tafel gebeten morbeit.
„2afj ihn ^ereinlommen !" fagte Napoleon.
Ter ©renabier trat ein, präfentirte unb fagte jum ßaifer:
„Erinnern Sie ftc^ noch, Sire, baf? ich cor Ulm mein bef<heibene§
9(benbbrob mit Sbnen geteilt habe?"
,,9lf), ba§ bift Tu? — ©etoifi, gemifr, id) entfinne midh beffen
noch tooljl!" rief ber ft'aifer. „Unb Tu fommft nun, um mit
mir ju Mittag ju fpeifen, nicht roahr? fRouftan, lege noch ein
©oucert auf deinen Tifd) für biefeit bracen Surfchen!"
Ter ©renabier aber fagte: „©in ©renabier ber ©arbe fpei§t
nicht mit Lafaien. ©ure 2Rajeftät cerjprachen mir, ich fotfc mit
Shncn fpeifen, fo tcar’S abgemacht, unb im Vertrauen auf $hr
2Bort, Sire, bin ich bergefotnmen."
i „Tu haft ganj fRedfjt! — SRonftan, lege ba§ ©oucert hier
neben mich!" fagte ber $aifer. „Unb nun lege Teilte ÜBaffen
ab, mein 3Jracer, unb mache Tir’S bequem bei Tifche "
9lad) eingenommener SRafjljeit hing ber ©renabier teieber
Säbel unb ißatronentafcbe um, nahm fein ©etoehr unb prä*
fentirte jum 9lbfd)ieb.
„fRun, meinftreunb, hat Tir’S gefchmedt?" fragte Napoleon.
„0 ja, Sire," mar bie Slntroort, „aber ein blofcer ©emeiner
follte nicht an ber Tafel feines ÄaiferS fpeifen ober gefpeist
haben."
„91 ho, ich oerftehe Tich !" fagte fRapoleon lachenb. „Tu bift
auch ciel ju flug jum ©emeinen. 3ch ernenne Tich alfo jum
Offijier, hoffe aber, bajj mir ber £>err Lieutenant feine $ar»
toffeln fünftig billiger ablafct." . — bn—
^ibliotbef. 3afjtjj. 18110. 35b. V. l(}
Digitized by Google
242
Mannigfaltige#.
Ser Sclegrapl) iw Srofjenlanbe. — Sehr intereffante
Mitteilungen merben über bie faft ganj im Vereidj her Sropen
befinblichen brafilianifcben Staatetelegrapben gemacht, beren 2inic
etma 14,000 Kilometer lang ift. Von beit Sdtroierigfeiten, bie
fid) bem Vau unb ber Grbaltung iold)er 2inieit eutgegenftcüen,
bat man in Guropa feine Vorfteüung. ftür einen bebeutenben
2bei( ber Selegraphenlinien haben crft SBege im Urroalb b^*
geftellt, ntcilenlange Sümpfe, anfcbroeüenbe f^Iüffe unb Meere#«
arme überfpannt merben müffen. $n ber tropifdjen Sampf«
atmofpbäre faulen bie böljernen Stangen unb roften bie Sräbte,
ober infolge non fedi§* bi# adjtmonatlicben Sürreit jerfpalten
bie Stangen. Sie plöfclicbe Abfitblung ber 2uft bei Sonnen«
Untergang oerurfacbt oft Steiften ber 2eitung§bräbte unb 3^'
fpringcn ber ^orjeöan*3fo(atoren. Srofe aller Anftrengungen ber
2inienauffeber übermudjert bie tropifche Vegetation febr rafcb bie
2eitungen. Sie Sbiermelt [teilt gegen bie Telegraphen ein ganje#
£>eer erklärter unb unoerföbnlicber fveinbe : Marber, ipprareS, bie
Sippe ber Stinftbiere, bie Vtecacba# unb bie ©iirteltbiere unter«
miniren bie Stangen, fo baft biete Umfallen, tnenn nicht redjtjcitig
.‘pilfe gefd)afft mirb ; bie jablreid&en Affenarten ftnb ftet# bereit,
Verwirrung unb Verfdjlingungen unter ben 2eiiuug#brähten an*
juridtten. Sie Veläftigungeu ber 2inien burd) bie Vögel ftnb
boppelter Art. ©emiffe Vögel bauen mit ganj befonberer Vor«
liebe ihre ©oljnungen auf ber Spifce ber Selegrapbenftangen,
unb umbiillen biefelbert in rcuuberbarer ©eicfroinbigfeit mit
feuchter, bem Grbboben entnommener $b°nerbe, ober Aeftern, bie
au# Stöcfen, ©ra# unb Gebern jpifammengebaut ftnb. Sehr oft
merben hierbei nicht nur bie Stangenipiten, fonberu auch bic
Sfolatoren unb bie Sräbte mit eingcbüllt, mobureb lefctere,
menigften# bei feuchter VBitterung, in gegenfeitige Vejiebung ge*
bracht merben. And) fonft roirfen Vögel ftörenb ein unb jroar
baburch, bah ganje Schwärme gleich nach Sonnenuntergang ober
Digitized by Google
Aiannigfaltigeg.
243
iurj oor Sonnenaufgang Ijerumjieljen. Sie fliegen hierbei oft,
ba bie 2 eitungsbrähte ber Dämmerung wegen faum ftdjtbar finb,
gegen biefeiben an, gerätsen babei jwifchen bie Trähte, bie bann
»erraidelt ober jcrriffen werben, wobei allerbingS auch bie An-
greifer fe§r oft $u Staben fomnten.
Audj bie in Sraftlien in fo großen Italien auftretenben
Sufefteit finb gefürchtete fjeinbe ber Telegrapbenlinien. 3 !l
erfteren geboren befonber§ Sienen, Selten, .^>orniffen unb
Ameifen. Siele Sefpenarten bauen ihre Sühnungen innerhalb
unb außerhalb ber Sfotßtoren in äljnlidjer Seife, wie bie euvo*
päifdje tpausfchwalbe ifjr Aeft an ber Aujsenjeite eine» £)aufe3
anflebt. Sehr au§bauernbe 3 er ftörer ber Telegraphenlinten finb
bie Ameifen unb Termiten. Aigriabenroeife bringen fte jur 3 eit
be§ Schwärmend non einem Drte junt atiberen, unb iiberbeden
oft ganje ßänberftrichc mit ihren bis 31 t 5 Aieter ^o^eu @rb-
bauten. Tiefe Aefter finb burch bebedte Sege ober &f)onröf)rdjeu,
bie einen Turchmeffer bis ju 30 Zentimeter erreichen, mit anbercu
benachbarten Aeftern unb Saunten cerbunbcit. So ftch Tele*
graphenftangen befinbeit, werben biefe 2 honröhrdf)en auch an
biefen emporgeführt unb überbeden bann bie ^foften unb Sio«
latoren mit runblichen Xhontuppeln, welche eii en Turchmeffcr
bis ju 1 Aieter annehmen töunen. 3« älter bieje Aefter werben,
bcfto fefter ft. b fte, berart, baß juroeileit jttr Ayt gegriffen werben
muß, um fte loSjutrennen. — Unter einigen ^unberten nerfchiebeiter
Arten oon Spinnen gibt ti eine grofje, fdjwarje ilreujfpinite
mit rubinrothen Rieden auf beut Aüdeu, bie ju größeren Aicngen
gefeQig ihre Aeße auSfpannen. Tie gemein janien, wie Schnüre
ftarfen Serbinbungsfäben ber Aefter bebeden bie Telegraphen»
brühte oft »oüftänbig unb leiten bei Aegen ober Xhauwetter bie
Zleltrijität ab. Tie gefähvlichften gerftörungcn ber brafilianiichen
Telegraphen liniett werben ieboch burd) bie tropifchen ©ewitter
heroorgebracht. Tie clettrifctjcn Spannungen unb ©ntlabungen ftttb
Digitized by Google
244
'Mannigfaltiges.
mitunter fo ftarl, bab Sfolatoren, $)rähte unb ©langen jerfprengt
roerben, trofcbem sum 53au ber 2inien ba» befte Material ner»
menbet roirb. <&. R.
$tttno? in fcfftoerer haben bie berliner ftet» gejeigt,
unb felbft in ben fchlimmften 2 ebcnBtagen ftnb fte nie roanlelmüthig
geroefen, ja fte raubten fogar ihrer beute noch befannten Ironie
'Jlusbrucf ju geben. ©iner biefer gefdjtchtlicben ©erliner 2 Bifce,
ber inbeb wenig genug befannt ift, ereignete ftd) roöfjrenb beS
fiebenjährigeu Krieges. ?ll§ im $ahte 1757 griebrich ber ©robe
nach ber nerlorenen ©djladht bei fiollin non allen ©eiten non
i^einben beb r fingt rourbe, unb ftch felbft faft oerloren glaubte,
marfifjirte ber öfterrei^ifcfje ©eneral £)abbidl mit einem ftie*
genben ©orp§ plöfclich auf ba§ gänjlich unbefdhüfcte ©erlitt lo§.
3 u fpät erfuhr ber $imig banon, unb 51 t fpät befahl er bem
^rinjen Morifc non $effan, bei Sorgau bie ©Ibe ju überfchreiten
unb in ©ilmärfrfjen ber £>auptftabt $u £»lfe ju eilen, ju fpät
erhielt auch ©epblifc ben Sefehl, mit 3000 Leitern Robbie! ben
2Beg ju neriegen. Mit einer Soüfühnheit fonbergleichen mar»
fchirte ber tapfere öfterreichihhe ©eneral mitten burch be§ $einbe§
2 anb auf ba» ungebeefte Berlin I 08 , non bem er allerbingS
raubte, bab e§ faft gänjlich wehrlos raar, benn eS waren nur
einige ^noaliben als ©efatjung in ber ©tabt. Im ©ube beS
Monats Dftober erfchien er fo überrafcfjenb nor ben Shoren
23erlinS, bab ber ßommanbant n. JRochoro nur mit aller 9toth
bie lönigliche Familie, ben ßronfchafc, baS ©ilberjeug unb bie
Sßerthftüäe aus bem löniglichen ©djloffe nach ber benachbarten
^eftung ©paitbau retten fonnte. £abbicf forberte bie ©tabt jur
Uebergabe auf unb erflärte fofort, bab er gefommen fei, um 600,000
Shaler $ontribution3gelber ju erheben; bie roenigert ^noaliöen
nerfuchten ftch jroar ju roiberfefcen, aber £)abbicE Heb ba§ Äott»
bufer unb bas ©ihleftfche Shor ftilrmen, bie Snoaliben jufammeu»
hauen unb rourbe binnen einer ©tunbe £>err ber ©tabt. SBielleidjt
Digitized by
SHannigfaltigeS.
245
wäre eS bantalS ©erlin fehr fc^Icd^t gegangen, roenn nicht auch
Habbicf Ulachricht non her Annäherung beS ©rinjen fKorifc non
$effau erhalten hätte. ߧ galt jefet für ihn, ftch mit einer
geringeren Kontribution & u begnügen, wenn biefe nur in aller
©efchroinbigleit aufgetrieben mürbe. ßr ging baljer mit feiner
ftforberung immer mehr herab unb forberte fchliehlicb nur 200,000
2baler, bie aber innerhalb 24 Stunben gejault roerben müßten,
roibrigenfalls er bie Stabt anjünben unb burch feine fDiannfchaften
plünbem laffen roollte. ßS blieb nichts AnbereS übrig, als ihm
ju mißfahren, ba er moljl ber ©tarnt mar, um feiyc ®rohuug
auSjuführen, unb ba er feinen toUÜihnen 3^0 nicht umfonft ge*
macht höben roollte, fo johlte man feufjenb unb unter Anftrengung
aller ftinanjfräfte beS bamalS fehr armen ©erlinS bie geforberten
200,000 2haler, ja, jaljtte auch noch on Habbicf unb feine
Abjutanten auf feinen perfönlidjen 2öunfch gröbere ©elbfummeit
als ©efchenfe. ©enerat Habbicf mar aber auch ein galanter
©tann unb muhte, bah feine Herrin, bie Kaiferin ©taria
Sherefia, cS fehr gern habe, menn ihre ©eneräle ihr perfönliche
Aufmerffamfeiten erroiefen. ßr oerlangte baher oom ©tagiftrat
ber Stabt ©erlin, bah ihm für bie Kaiferin als Trophäe jroei
ISufcenb feiner ^ameifHanbfchube , bie bamalS in ©erlin befon*
berS gut fabrijirt mürben, überliefert mürben, roelcfje inroenbig
mit bem ©erliner Stabtroappen geftempelt unb in ein ganj
befonberS roerthooHeS Käftchen oerpadt merben mühten, ßs
blieb ben ©ätem ber Stabt nichts übrig, als auch biefem
©hinfdje ju toiÜfahren, morauf Habbid mit feinem ßorpS fchleimigft
aus ©ertin oerfchroanb unb glüdlich allen Hinterhalten entging,
bie man ihm auf bem ©üdroege preuhifcherfeitS gelegt hatte,
ßr fehiefte auch bie Hanbfchuhe fofort nach SBien jur Kaiferin,
legte aber mit feinem ©efchenl menig ßhre ein, fonbern oeran*
Iahte, bah bie Kaiferin fehr ärgerlich mürbe. AIS fie nämlich
baS Käftchen öffnete, [teilte eS ftch heraus, bah ber ©erliner
Digitized by Google
9)iannigfaltige§.
246
IWagiftrat nur ftanbfcbube gefhicft batte, bie auf bie linfeftanb
paßten. So roar benn nicht nur bie fllbjtcbt $>abbicf’§, feinet
ftaiferin eine Trophäe au« Serlin ju überbringen, oereitelt, fon»
bern er fomobl, mie auch bie ßaiferin perfielen bem ©elüebter unb
beni Spott ganj @uropa% ba ber Vorgang in ein Seitalter fiel,
wo oft ein guter Scberj ober ein patfenbeS 2Bifemort mehr 9luffcbeu
erregten, al« eine gewonnene ober oertorene Schlacht. 9t. O. Sil.
Tcntfcticr Stiinftlcrfrcimutb gegenüber auölänbifrfjcr
CPtifette. — Ter geniale Äomponift' unb ©eiger ßubroig Spobr
batte 1820 mit feiner ffrau Torette, ber berühmten £)arfennir»
tuofin, eine Äunftreife nach ©nglanb unternommen. Salb fab
er fid) auf allen ffonjertprogrammeit ber Saiion figuriren, fonnte
ftcb aber nie entfddiefjen, aueb in Srioatgc'ellfcbaften aufsutreten,
ba in ber engliieben „©efellfdjaft" bie Zünftler unmürbig bebanbelt
31 t mcrbeit pflegten unb gleich nad) ihrem Sortrage bie ©efellfcbaft«»
räume oerlaffen mußten, ©üblich roaren Spobr unb $rau aber
and) 31 t beit Srübern be$ Könige, bereu einer eine Srinjefftn oou
Meiningen 3 ur ©entablin batte, gebeten morbeit, unb biefe ?luf»
forberung fonnte ba§ ©bepaar nic^t mobl ablebneu.
9(l§ ftc nun im Salai§ erfebienen, raollte ein Tiener ihnen
ba 3 SGßartejimmer ber übrigen fDhtfifer öffnen ; Spobr aber über»
gab feinem Tolmetfdjer feinen ©eigeitfaften unb fdfritt, $rau
Torette am 9lrme, fogleicb bie Treppe hinauf- 9ll§ ber am
©ingang beS ©mpfang^iinmer? madjebaltenbe Tiener bem tarnen
„Spobr" bie Tbüre 3 U öffnen jögerte, machte ber Zünftler fDiiene,
bie§ felbft 3 U tbun, morauf ber Tiener ihm bann eiligft juuorfant
unb feinen tarnen laut in beit Salon hineinrief. Tie .fterjogiu,
beutfeber Sitte eingebeitf, erhob ficb fogleicb unb führte fyrau
Torette 3 um Tameufreife. 'älucb ber ipe^og ftellte Subroig Spobr
mit freuublicben Höorten ben Herren oom £>ofe oor, unb al§ bie
feroirenben Tiener ben bürgerlichen ©aft ignorirteu, gab er
ihnen einen Tßinf, morauf biefern ebenfalls präfeutirt mürbe.
Digitized by Google
VlanuigfaltigeS.
247
nun bete Konjert beginnen füllte, lieb ber ipaitefjofmeiftcr
nach bem Programm bie Künftler ^erauf&olen. Sie erfebienen
mit Notenblatt ober ^nftrument unb grübten mit einer tiefen
Verbeugung, bie aber nur oon ber «tierjogin erroiebert rourbe.
Spoljr felbft erjäbtt in einem Vriefe über ben weiteren Ver*
lauf beS SlbenbS ^olgenbcS: „Sdj Ärgerte mich febr über biefe
©utroürbigung ber Kunft unb noch mehr über bie Zünftler, bie
fi<b folcbe Vebanblung gefallen liefen, unb batte grobe Öuft, gar
nicl)t ju fpielen. Site baber bie Oieibe an mich fam, jögerte icb
abrtcbtlicb fo lange, bis b r ^?erjog , roabrjcbeinlicb auf einen
Vßinl feiner ©emablin, mich felbft jum Spielen aufrorberte. Vun
erft liefe icb bureb einen Wiener mein Violinläftcben beraufbolen
unb begann bann, ohne oorber eine Verbeugung ju machen. Sille
biefe Umftänbe mochten bie Slufmerl jamfeit ber ©efelljcbaft erregt
bab n, benn eS berrfc^te roAbrenb meines VortragS eine grobe
Stille im Saal, wübrenb boeb norber bie Unterhaltung leinen
Slugcnblicf geftoeft batte. Site icb geenbet batte, applaubirte baS
berjoglicbe Vaar, unb bie ©äfte ftimmten ein, roaS beibeS bis
jebt nicht gefebeben mar. Valb barauf fcblob baS Konzert, unb
bie Vlufifer jogen ft<b jurücf. £)atte eS nun fdion Seniation
erregt, bab wir unS ber ©efelljcbaft angejdbloffen, fo fteigerte fi<b
biefe noch um Viele?, als man fab, bab auch mir junt ©ffen
bablieben unb bei bemfetben non bem bezüglichen Vaar mit
grober SluSjeicbnung bebanbelt mürben."
So roarb Spobr’S moblberecbtigteS Selbftgefübl baS 3ei<ben
jitm Durchbruch einer mürbigen gefeüfcbaftlicben Slufnabme mähret
Künftler auch in bem ßanbe, baS bis babin eS gewagt batte,
folcbe mit bejahten Dienfiboten auf gleiche Stufe ju fteHen.
SB. $.
Stalif oritifrfjcr «Weinbau. — DaS „©olblanb" Kalifornien
febeint biefe feine Vejeicbnung noch in einer anberen als in ber
urfprünglichen Vebeutung nerbienen ju joden. Von 3abr SU
Digitized by Google
248
Mannigfaltiges.
Saljr fpenbet e$ ba§ funfelnbe ©olb beS eblen 9?ebenfafte§ reiS*
lieber. 2 Bo gäbe e$ auch ein IjerrliSereS Slima für ben SQöeinbau !
(Staubt man fiel) brdj bort im Sommer nach Oberitalien oerfefct,
roäljrenb e§ im 2Binter roeber Scfjnee noch di§ gibt. Sc§oh
jefjt l)at ber burd& ben Ungarn 9lgofton ^arafgtlji) begrünbete
falifornifdje Weinbau eS ju einer SaljreSprobuftion non über
15 Millionen ©allonen gebraut, unb eS ift alle Msficfjt portjanbett,
bafj biefe 3 iffer fid? mit ber Seit oetjefinfaSen wirb. SorjugS*
roeife ift ber korben be§ CanbeS gu biefer Kultur geeignet, wo
ber eifenroftreidje roflje Söoben, bie unteren Sdjieferlager unb
baS burdj bie Seenfifje erzeugte gleidjmäfiige warme Älima biefelbe
begiinftigt. feinere SRotljroeine, welche ben beften franjßftfSen
an bie Seite gefteUt werben föitnen, gebeifjen bort oorjüglid),
ebenfo Sfjerrt) unb Portwein. $>ie Ißrobuftion non SRljeinroeinen
wirb aDerbingS meljr auf bie Pieren Sagen befdjränft bleiben.
Um ben 2Beinbau gegen bie gefürstete $lage ber SRebtauS 311
fSüfjen, pflanjt man ftarfe einljeimifdje JReben, welche fpäter mit
ben ebelften fremben Sorten gepfropft werben. Me praftifdjen
Sefjreit, welche man burd) bie SBiffenfdjaft unb bie drfafjrung auf
biefem ©ebiete gewonnen Ijat, ftnb forgfältig oerroertljet worben,
unb aud) £an Francisco Ijat fdjon feinen „ 2 $einbau*$ongrefj"
gehabt, auf welchem gar mandjeS wertvolle drgebnifj jur Mit*
tljeilung gelangte, konnte man boS gegen 200 Sorten europäifcfjer
2 Beine, weldje auf lalifornifdjem Soben gepflanjt worben waren,
jur ißrobe oorfüljren. Unter ben SBeinbau treibenben $oloniften
fiat ftS fpejicQ baS beutfdje dlement eine bebeutenbe Stellung
erobert. 99efonber§ in Sonoma, ©tan dllen, fRapa unb St. Helena
finbet man ein beutfdjeS SBinjerleben , weldje lebhaft an ben
SSeinbau im IRljeingau erinnert, dine beutfSe ÜRieberlaffuttg,
roeldjer man eine bebeutenbe 3 u ^ in ft »orauSfagen fann, ift bie
in ben niebrigeren tßorbergen oon $uba unb 33utte dountieS
gegriinbete SSein* unb Olioenlolonie „dannftatt". SGBie freubig
Digitized by Googl
IDlannigfaltigeS.
249
fühlt fidj bet beulfdse Anfömmling fcfjon burch biefett blofjen
Manien berührt! 23erfefct ihn bod) ber $lang beffelben in bei?
rebenumfäumte liebliche Actfarthal nor ben Sporen ber fchroä*
bif^en |>auptftabt. $ie ju ber Kolonie gehörigen 20 Familien
haben gegen $h«l}ahluusen 2anbparjeEen »on ie 20 bi§ 40 Ader
ju billigen greifen erroorben. Al§ Sanbageitt ber $olonifteit
fomie al§ Sefretür ber Kolonie fungirt ein Ecfnoeijer Sanbroirth
©eorg Steiger. 23ehuf§ billiger gemeinfamer Anschaffungen ftnb
bie ßoloniften ju einem Jtonfumoercin jufammengetreten, unb
auch jur Sßeinbereitung haben fie ftch »ereinigt, raoburch e§ er*
ntöglicht wirb, ba§ ißrobuft mit geringeren Soften herjuftellen
unb auf ben BJiarft ju bringen. ®a§ ©ebeihen biefer lieber*
taffung roirb burch ganj aufjergeroöhnlich giinftige äußere 2?er*
hältniffe gefßrbert. 2)a§ Serrain ift nicht nur burch feine Sage
gegen ben SBiitb gefehlt unb burch ©räben reidjlid) mit SBaffev
«ersehen, foitbern e§ ftnb au<h reiche Jpoljbeftänbe ootljanben.
$er Abfafc mirb burch bie oortrefflichen SGßege unb burch bie
nur 10 Kilometer entfernte ©ifenbaljn begünftigt. Auch ift bafiir
geforgt, bafj ftch bie Anftebler nicht «ereinfamt fühlen, ba e§ an
anberen Anftebelungen in ber Aähe nicht fehlt. fl. <3.
eieftrijität unb SBcrbrcchcu. — $ie ©leltrijität, toelchc
in ben lebten jehn fahren fo grobe Sortfdjritte gemacht hat, be*
mächtigte ftdh rafch aller ©ebiete ber 2echnif unb Snbuftrie, unb
jahlreiche 2Kechanifer unb Ingenieure hoben ftch fogar bamit
befchäftigt, bie ©leftrijität jum Schufcmittel gegen gemiffe 23er*
brechen ju machen. $ie 3<*hl ber patente, bie in ben testen
fünf fahren auf eteftrifdje SicherljeitSDorfehrungen gegen ©in*
bruch unb $>iebftahl genommen roorben ftnb, beträgt viele
£>unberte.
3)er einfadjfte Apparat, ben man gegen ©inbruch erfunbeu
hat, ift bie eleftrifdje £au§thür. 23on einer 23atterie geht ein
eleftrifcher Strom nach ber lpau§thür unb madht hier einen eifernen
Digitized by Google
250
SHannigfaltigeS.
Sieger magnetifd), ber mit foloffaler $raft fo in bem ©ifenfutter
be§ Schlöffe« feftgehalten roirb, bafj mit einem fRachfcblüffel ober
felbft mit einem echten <Srf)liiffet unter feinen Umftänben eine
Ceffitung ber Jljür erfolgen fann. SOßürbe felbft ber echte ©chlüffel
in ba§ ©chlofe geftecft , fo mürbe auch biefer ©chlüffel fofort
magnctifch unb ron bem ©ifen aitgejogen rnerben; er fönnte roeber
ljerumgebreht, noch herau»gejogen rnerben. Slufjerbem aber mürbe
burch ba« ^incinftecfen be3 ©d)lüffel£ ein anberer ©trontfreil
geichloffen unb in allen ©trdfmerfen be§ Kaufes mürben Sllarnt*
flingeln ertönen. Sehnliche ©djlöffer unb Siegel, roelche burch
einen eleftrifchen ©trom magnetifch rnerben, Iaffen fic^ an fünftem,
fNolljüloufien, Säben unb 3immerthürcn anbringen.
gür Säben gibt e3 eine ganj originelle ©inrichtung, roelche in
einer Slnsahl non großen ©efd)äft$häufern je^t fd}on angeroenbet
mirb. ©eroöhnlid» hat ber ©hef be§ §>aufe§ ben ©chlüffel ju
ber ,£)aupttf)ür be« ©efcbäite§ unb ju ben nerfchtebenen ©omptoir»
tffüren nicht felbft in 5>erroahrung, fonbern fie bleiben in ben
.fpänben eine» juoerläifigen £)au§bicncr!» ober eine« ©omptoiriften,
beffen Obliegenheit e» ift, früher als bie 5lnberen ba ju fein unb
bie 2()ür j U öffnen, um am SDlorgen bie 9lufräumung«arbeiten
beforgen $u Iaffen. ^Natürlich liegt barin eine gemiffe ©efaljr,
baft cinjclne 21ngefteDte bie ©djliiffel roährenb ber ganjen fRacbt
befifcen unb fo bie ÜJlöglichfeit haben, ohne ©eitere« in ba§
SBaarenlager ober in bie ©ureauräumlidjfeiten einjubringen. ©in
einfacher Apparat nun, ber mit einer Söanbuljr in Skrbinbung
gefegt mirb, ermöglicht e« bem ©hef, su beftimmen, um roelche
3eit erft bie Säger* unb Sabenräume geöffnet rnerben fönnen. fvfl
$. 59. ber beginn ber ©efd)äft«jeit auf 8 Uhr angefe&t, fo hat
ber ©hef nur nöthig, bie Uhr auf biefe 3eit einjuftellen. 5ii«
bahiu ift bann allen ^erfonen, auch benjenigen Leuten, melche
bie ©chlüffel jum Säger unb Saben haben, ba§ ©iitbringen un*
mößlicf) , benn bie gefdiloffenen Siiegel ftnb eleftrifch feftgehalten.
Digitized by Google
Dlannigfaltigey.
251
Sn bern 9tugenblicfe aber, reo bie Uljr 8 fcfjlägt, fällt ein eie!*
trifcher ?lnfer ab, roetc^er gleichseitig einen groben StromfreiS
öffnet unb bie eleftrifche Sperrung aller Siegel aufbebt. (5rft
non biefemfllugenblicfe an fönnen roieber bie gewöhnlichen Schlüffel
Sum Oeffnen ber fyeufter unb $h»ren uermenbet werben. 5)a
aber bie ganje fftacht burch biefe Vorrichtung ba§ ©efc^äft ge*
fddoffen ift, bem <5hef felbft fomit baS Eineingeben in feine
©efchäftSräume unmöglich wäre, ba man ferner bei einem au§*
brechenben $euer ©elegenbeit höben mufe, in bie fRäuntlicb feiten
erbringen, ift in ber fßrioatroobnung be» Sbefs an einer oer*
ftecften Stelle be§ 3' mmer S ein Heiner Knopf angebracht, auf
ben ber Gfjef bloS ju brücfcn brauet, um fofort bie eteftrifdje
fllnjiebung aller 2ljfivriegel aufjubebett unb fo bie regelrechte
Deffmtng ber Schlaffer uermittelft ber baju gehörigen Schlüffcl
SU ermöglichen.
Sn einen eigeutfjümlicben Sufammenhang hat man ßleftrisität
unb Verbredjen in Vmerifa gebracht, mo man ftch befanntlich ju
einer ^Injah! uon Vcrfucfceu enlfchloffen hat, Einrichtungen uon
Verbrechern uermittelft ber ßleftrisität uorjunehmen. wirb
ben Sefern befannt fein, baf? biefe eleftrifchc Einrillung ftch als
echt amerifanifdier Enmbug erroiefen hat unb baji mit IRiicfftcht
auf bie fDfenfchlicbfeit bie elefirifchen Einrichtungen uermorfen
morben ftnb. 5D?an hatte nämlich Verfuche mit Spieren gemacht
unb glaubte bann bie eleftrifdje Kraft feftfteüen su fönnen, bie
uothroenbig märe, um einen fDcenfdjen mit einem Schlage jii
tobten. roiefen aber ©elehrte barauf hin, bafj felbft 2hiere
febr nerfchiebenartig empfänglid) für bie 2Birfungen ber (Sleftrisität
feien. SSährenb ber eine Ennb, an bem man ba§ (Experiment
machte, burdj einen eleftriichen Schlag uon genau abgemeffener
Stärfe fofort gelobtet mürbe, mar ein anberer Ennb nicht tobt,
fonbern nur gelähmt unb uon entfehlidjcn Schnterjen geplagt,
al§ ein fünfjigmal ftärfercr eleftrifcher Schlag ihm uerfefct morben
Digitized by Google
252 2Hannigfültige?.
mar. ÜÜtan ruie^ barauf bin, wie bie Serftiebenartigfeit ber
©mpfänglitfeit bei 3Dtenften noch »iel gröber fei; rooHe man
aber jur Jöbtung »on Skrbretern einen fo ftarfen ©trom »er*
roenben, bab ber 2ob unter allen Umftänben fiter erfolgen
muffe, fo mürbe für biejenigen Ifkrfonen, roefd&e mit bem Apparate
SU tfjun hätten, eine foloffale ©efabr entfteben. 9D?an entftlob
fit baber, bie elcftrifcbe £)inrittung§methobe s» »ermerfen.
^ebenfalls aber mirb bie|er Sßerfucb ein eigentümliche^ 3 eu flnib
für ben meitreidjenben ^influb fein, ben bie ©leftrijität in unferer
Seit fton genommen bat. D. Ät.
©cftrafte ^tablcrct. — 5Mhrenb ber Variier fReoolution§«
tage im Sabre 1848 rafirte ju 2pon ein bnrt feine reoolutionüren
©efinnungen befanntcr 53arbier einen feiner ffrreunbe unb fagte ba*
bei : „St rooüte, it batte ben $opf be§ ©eneral§ ©aftellane io in
meinen tpänben mie ben Peinigen, id) mürbe halb mit ibm fertig
fein." 9tm folgenben borgen fteigt jum groben ©rftaunen be§
53arbier§ ©encral ©aftellane, in »oller Uniform unb mit feinen
Orben bebecft, »or ber 2bür beffelben ab, tritt mie ein geroöbn*
lieber $unbe in bie 93ube unb fagt jum Sarbier: „St habe
gehört, mein tperr, bab ©ie ben SCßunft äuberten, meinen $opf
in Sfjren £>änben ju haben; it bitte ©ie, mit ju rafiren."
fDtan fann fit bie ©eftürjung be§ ©arbier§ bem ©eneral gegen*
über nitt »orftetten; er tonnte fein SBort beroorbringen , »er*
rittete fein ©eftäft, sitterte aber babei fo, bab ber ©eneral
mehr al§ einmal in ©efahr tarn, ber 2ag§ gu»or geäubertc
$öunft be§ JBarbierS tonnte unroiKfürlit oerroirflitt merben.
fftat beenbigter Operation gab ihm ber ©eneral fünf ^raufen
mit ben SCBorten: „3Jtein fffreunb, e§ lag mir baran, Sbnen ju
jeigen, bab it nitt ber 5D?ann bin, ber fit burt Drohungen
ftrerfen läbt. 33enüfcen ©ie biefe ßeljre!" 6.
aSJöblf^riic^e nnb $etnfen. — Sn früherer 3eit pflegten
bie S'ürften* unb 9Ibet»geftletter ihren SBappen $e»ifen bei«
Digitized by Google
KiannigfultigeS.
253
jufitgeu, bie oft in ftnnretdjen ßernfprüdhen beftanben uttb bie
Schöpfer unb ©rfinber biefer Sentenjen treffenber charafterifireu,
als langatmige ©iographien. Schon int Sabre 1644 erfc^ien
eine Sammlung alter berartiger üßahlfprüdhe ober „Stjmbolis",
ber mir bie nadjftebenbeu intereffanten Spröde entnehmen. Äurfürft
Sohann ffriebrich oon Sadhfen führte bie$>eoije: „Vertrau, hoch
nicht ju oiel!" Sfriebrid) III. , ebenfalls Slurfürft non Saufen:
„So oiel, al§ ich fann!" Üftarfgraf ©rnft oon ©ranbenburg:
„Sdjerj nicht mit ©rnft!" ©raf ©ptel oon ^obenjoHem : „SlbantS
Kipp unb Kebenfaft!" A'urfürft Dtto oon ber ©falj: „!Dlit ber
Seit !" Grsberjog $arl oon Cefterreidh : „SBieroohl, aber bodh !"
©raf ©Mlheltn oon Kaffau : „Kathen unb reiten thut’S !" ©falj*
graf ©hilipp ber Streitbare : „KidfjtS unoerfudht !" ^erjog Kein*
harbt ju Simmern : „0 ©ott gewähr, maS ich begehr!" $5ie ©rafen
o. Salm : „Sch ermart’ beS ©lücfeS !" Soacbim, ©raf o. ©ent*
heim : „Sch wag’S, ©ott oermag’S !" ÜJtatthiaS, ©raf o. 3KanS*
felb: „deiner oerliert feine Freiheit als mit bem 2eben!" ©in
Freiherr o. ftugger : „ffiann’S gerätb, bann lob’ eS !" KiarcuS,
©aron o. ffugger, ber ©egriinber einer anberen Cittie : „Uit*
oeriudht — unerfahren!"
$5ie oorftehenben $eoifett finb jutn größten $heil erlofdhen,
aber febr alt ftnb bie 28ahlfprü<he , welche noch heute bie oer*
fchiebenen regierenben ffürftenhäufer führen, ©reuten hat baS
befamtte : „Suum cuique — Sebem baS Seine !" Oefterreich : „Per
aspera ad astra — burch Ungemach ju ben Sternen!" Sachfen:
„Providentiae memor — ber ©orfehuitg eiugeben!!" u. f. m.
Kach ©rothe’S ©ßappenbudh , welches im Sah« 1843 erfdhien,
finb bie nadfjfolgenben Spmbola gegenwärtig noch gangbar, ba
bie betreffenden SlbelSgefcbleöhter nodh blühen: ©raf o. b. Werfen:
„llnoeränbert !" o. ©ülow: „Sille ©ülow’n ehrlich !" o. ©!al*
moben: „Sdh hoffe Keib!" Freiherr o. Hemberg: „©otteS
tilgen, mein ©enügett!" o. 28raba: „ßein ©reis ohne ffteijj!"
Digitized by Google
254
DiannigfaltigeS.
u. peimburg: „©erabe 9£ege, giilbne Sßege!" u. OtberShaufen:
„bliebt mit 2rufc auf 6d)ilb unb Speer!" o. Slerffenburg :
„2ugenb über allen 9lbel geht!" v. ^Ifc^berg : „Mjeit trauern,
fann nicht bauern!" d. Süllen: „3öach unb fertig !" i>. .fpoben«
borg : „SDieine 99urg ift ©ott !" u. f. n>. 2reffenb unb beit groben
gclbherrn in roenigen Porten djaralterifirenb ift auch ber 2t3abl*
fprueb Dfoltfe'S: „6rfi mögen, bann magen!" ein ^rinjip, bem
nicht jum geringften &heile bie geroaltigeit Siege ber beutjcheit
peere ju cerbanfen finb. Df an fiefjt, bab in bicfen Sprüchen
unb Seoifcn trofe ihrer lafonifchen ^iirje oft ein tiefer Sinn,
eine hohe fütliche Wahrheit, Dfahnung ober ©elobnib enthalten
ift. 2ft. C.
(ginc frmbetbare ftviegSbilfe. — 9lls $aifer JJfubolph U.
int ^ahre 1601 mit bem gören geobor groanoroitfeh anfnüpfte,
um beffen Beihilfe bei bem beuorftehenben Üürfenfricge ju er«
langen, letftetc ber moSforoitifche &err jeher biefe fpilfe auf eine
fo eigentümliche, fpejififch ruffifche 9lrt, bab bieS in ber 2hat
als eine roaljrhaft cinjige Sturiofität in ber ©efchichte bafteht.
©r fehiefte nämlich bem Äaifer als Beitrag jur Seftreituitg ber
SlriegSfoften 40,360 gobel«, 20,760 Diarber«, 337,235 ©id&hörttchen»
unb 3000 93iberfefle. $er ruffifche ©efanbte, 3ieid)Srath Diäl«
jeminoro, ber biefe fonberbare SlriegSbitfe überbrachte, mürbe am
laiferlichen &of in $rag jmar mit grober ©hre empfangen, als
er aber biefe Slnjahl nott gellen in stoanjig gimmern be§ Präger
SdjloffeS jur Schau auSlegte, mochte ber JRaifer roohl mehr 93er«
rounbentug als Siefriebigung gefühlt höben. $te Frager 93*4*
hcinbler foflett baS ^elämerf auf acht Tonnen ©olöeS gefchäbt,
aber burd&auS nicht fo ttiel bafür gejohlt höben. $ab föaifer
3fubolph mit biefett rufftfehett Subfibien nicht fehr jufrieben mar,
bemieS er baburd), bafj er burd) ben ©egeugefanbten, ben er
nach DfoSfau fchidte, bem garen bebeuteit lieb, er möchte fernere
£>ilfe lieber in flingeuber Diünje, unb nicht in Sßeljmaaren leiften,
Digitized by Google
Mannigfaltiges.
255
ba btefe in 3)eutfdjlanb nicht gut anjubringen wären. darauf
cntgegnete aber ^eobor’g Minifter ebeitfo beftimmt, bajj SRufjlanb
leineswegS 2öiHen§ wäre, für SJeutfcfjIanb fein baareS (Selb ju
cergeubett. 9iur bie dürfen nahmen bie bem Äaifer geleiftete
£>ilfe ernftbaft; fie fperrten bafür ben ruffifchen ©efanbten in
Äonftantinopel ein. 6. 2:.
iouid ©lanc’S $clm t aI8 Sdjriftftcller. — S)er be*
rühmte franjöfifche ©ublijift ßouiS ©laue fam iit feinen Stag*
lingSjahren nadh ©ariS, um ^ournalift su werben. 6iiteS SlageS
cerfafjte er benn auch einen, bie bamalige politifcbe Sage be*
fprechenben 2lrtilel unb eilte, baS ÜJianufCript in ber $anb, auf
baS SRebaftionSbureau eines groben Journals. 91n ber 2hür
angelangt, cerlieb ihn plöfclicb ber ÜRuth, fo bafs er jögerte, bie
©locfe ju jiehen. hinter ihm ftanb ein robufter 3«tung§auS*
träger, ber ebenfalls burch bie $büre wollte unb über ba§ 3ö‘
gern be§ jungen Mannes ungehalten würbe, ©alb warb bene
Manne bie 3eit ju lang, er öffnete bie $hür unb ftiefs SouiS
©lanc hinein, tiefer fab ftcb einem tperrn gegenüber, ber ihm
baS Manuflript auS ber £)anb nahm unb ihn auf ben folgenben
£ag wieber ju ftcb belieb. SUS 2ouiS ©lanc am näcbften
Morgen ft<b einfanb, bot man ihm eine Stelle als fRebafteuv
mit einem (Schalt con 8000 Uranien an, unb fo oft ber (Slürf*
liebe fpäter jenem Austräger begegnete, rtef er: „^aS ift ber
Mann, welker mir juerft corwärtS geholfen hat." tut.
©in uralter 91cbu3 finbet ftcb an ben üboren unb SBabl* unb
SBabrjeicben con Seciüa : bie bilblicbe $>arfteOung eines (SebinbeS
2BolIe in ber Mitte ber jwei Silben no unb do. $5aS ©ebinbe
SSoHe (Strang ober Strähne) heifct nämlich fpanifdh madeja, ber
IRebuS lautet alfo : No mk dejado, b. h. »Sie hat mich nicht uer*
laffen." ßönig ©ebro ertbeilte ber Stabt biefen ßobiprud), als fte
in feinen Kriegen mit Heinrich II., feinem unechten ©ruber unb
(Segenfönige, getreu bei ihm aus^ielt. o.
256
füiannigfaltigeS.
2£crtf) einer grau. — Nichts fefcte bie (S^inefen einft
jo iefjr in Staunen, als bie Achtung, welche bie Europäer ihren
grauen joüen. $>ie Wiener ber rwrnehmen ©hinefen brüeften
allgemein grobe SBerrounberung bari'tber auS, bab e§ unteren
grauen geftattet jei, bei Jifdje 511 erfc^einen. Sie meinten, bie
SDlänner vergaben auf biefe 2£eife ganj ihre SOBürbe. AIS ber
evjte ©ouoerneur non fpongfong, Corb ©Oifon, im Sah« 1842
feine grau mit nach .jpougfong braute, mürbe baS ^aar non
einem reichen SJianbarinen beiucht. 2 efcterer betrachtete bie junge
©ttgläitberin fehr genau unb fd;ien mit befonberer Aufmerffam»
feit ihre ^Bewegungen ju verfolgen. Als fie baS Simnter oer*
Iait’cn l;atte, jagte er ju bem ©ouuerneur in gebrochenem Gng*
lifd> : „2ÖaS ^abt 3hr gegeben für ©ure grau?"
„ 0 ," ermieberte ber Siorb, ber fid^ über ben fonberbaren grr*
thum feinet 33efucheS ergöfcte, „jmeitaufenb 5>oüarS."
„Aun/' fagte ber fDtanbarin, fein 2 af<henbuch beriwrjiehenb,
„wenn 3 hr mir fie überlast, fo gebe ich ©uch fünftaufenb
$oUarS."
®ie fDtiene beS ©hinefen oerrieth oollen ©rnft unb eS blieb
bem ©ounerneur baher nichts AnbereS übrig, als baS Anerbieten
abjulehnen, fo höflich er lonnte.
$)er 2 )ianbarin jeboch mürbe bringenb unb ging bis auf
fiebentaufenb Dollars, fo bab fich 2 orb ©üifon julefct ju ber
©rllärung gezwungen fab, bab bie ©nglänber nie ihre SBeiber
nerfauften, nadjbem fie in beren ©eftfc gefommen mären, roaS ber
©hinefe faum glauben roollte.
$)er üorb lachte fpäter mit feiner jungen grau noch oft über
baS Anerbieten beS ©hinefen. < 5 . ä.
£erau§gtgebcn, gebrueft unb öerlcgt öon ^ermann ©cfcöitlein#
9t ad) folget in Stuttgart.
Digitized by Google
Digitized by Google
• f
V. *
i 3
■4
'